Seit Menschen sich selbst und ihre Umgebung ästhetisch gestalten, waren sie dabei immer darum bemüht, ein einheitliches, geschlossenes Erscheinungsbild zu schaffen. Die einzelnen Teile des Ganzen sollten sich gegenseitig bestätigen und dadurch in ihrer Wirkung verstärken. Man strebte danach, allem, was einen umgibt, eine gemeinsame Formensprache, einen »Stil« zu geben. Stil – davon war man überzeugt – würde nie aus der Mode kommen.
Auch im letzten Jahrhundert war Stil immer noch das Höchste. So war zum Beispiel bei Jackie Kennedy stets alles aufeinander abgestimmt: die Handtasche, die Schuhe und Handschuhe, der Hut … Auch ihr Mann, John F. Kennedy, hätte niemals seine Business-Garderobe mit seiner Freizeit-Kleidung gemischt. Alles sollte zueinander passen: die Kleidung zur Einrichtung, die Einrichtung zum Design des Autos, das Design des Autos zur Architektur des Hauses, die Architektur des Hauses zum Gartenbau und so weiter. Wenn das gelungen war, hatte man es geschafft: Ein stilvolles Leben durch stilvollen Konsum. Ein nach außen stimmiges Bild als Ausdruck einer in sich stimmigen Persönlichkeit.
Selbstverständlich ist auch für uns heute unser Lifestyle Ausdruck unserer Persönlichkeit. Auch wir definieren uns über die Dinge, mit denen wir uns umgeben. Mit unseren Kaufentscheidungen zeigen wir unserer Umwelt, wer wir sind und wer wir sein wollen. Und wenn jemand unsere Kaufentscheidungen gutheißt, haben wir das warme Gefühl, verstanden zu werden. An all dem hat sich grundsätzlich nichts geändert.
Aber die Situation, in der man seinen Mitmenschen seinen Lifestyle präsentiert, ist jetzt eine andere: Wir inszenieren uns nicht mehr, indem wir Menschen zu uns nach Hause einladen. Wir inszenieren uns über die Fotos, die wir auf Social Media posten. Und in dieser digitalen Selbstinszenierung kann man nicht mehr von einem Post auf alle übrigen Posts schließen, so wie man früher von der Einrichtung des Esszimmers auf den Stil der gesamten Wohnung schließen konnte. Erst wenn man all unsere Social-Media-Posts zusammen betrachtet, formt sich ein Bild unserer Persönlichkeit. Facebook-Wall und Insta-Feed sind nämlich eher wie Pinnwände. Und die Art, wie wir uns selbst definieren und darstellen, hat sich nach und nach dem Medium, in dem wir uns darstellen, angepasst. Unser gesamter Lebensstil ist inzwischen eine Collage, die nur noch in der Summe ihrer Elemente ein Bild ergibt. In unseren Wohnungen kombinieren wir spielerisch Fundstücke aus verschiedenen, zum Teil sogar gegensätzlichen Stilrichtungen. Der verwitterte Buddha steht neben dem sleeken Flat-Screen, das rostige Industriemöbel auf dem plüschigen Orientteppich. Unser hybrider Konsum bedient sich mal beim Designer, mal beim Discounter. Unsere Körper selbst sind zu Pinnwänden geworden, an denen wir in Form von Tätowierungen, Kleidungsstücken, Schuhen, Taschen und Schmuck unzusammenhängende Botschaften aufeinanderschichten wie Wörter, die keinen Satz mehr ergeben.136 Es ist bezeichnend, dass die eigentlich absurde Kombination aus Blazer, Jeans und Sneakern zu einem der beliebtesten Outfits des noch jungen Jahrhunderts geworden ist. In der Kombination aus Business-Jacke, Goldgräberhose und Sportschuh prallen so disparate Lebenswelten aufeinander wie Eleganz und Lässigkeit, Geschäft und Freizeit, geistige Arbeit und körperliche Anstrengung. Wir stellen uns noch nicht einmal mehr die Frage nach dem gemeinsamen Nenner all dieser Elemente.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist man nicht um einen klaren Stil bemüht. Stattdessen hat sich der im 20. Jahrhundert so verpönte Eklektizismus zum dominanten kulturellen Prinzip des 21. Jahrhunderts entwickelt. Die Stillosigkeit selbst ist zu einem Stil geworden – einem Stil, der es uns erlaubt, viele unterschiedliche und sogar widersprüchliche Dinge gleichzeitig zu sein.137 Während man früher seinem Stil meist ein Leben lang treu blieb und die Entscheidung für diesen einen Stil so schwerwiegend und irreversibel wie eine Heirat war, haben wir jetzt möglichst viele Stile gleichzeitig und fühlen uns keinem davon verpflichtet. Wenn sich unser Geschmack oder der Trend ändert, können wir jederzeit einfach die Stil-Mischung, das Rezept, ändern. Wir tauschen eine Zutat aus oder variieren die Dosierungen. Und weil das Rezept des Cocktails nie endgültig ist, weil die Collage an der Pinnwand nie vollendet ist, ist auch unsere Garderobe nie perfekt und unsere Wohnung nie fertig eingerichtet. Es gibt immer noch etwas auszutauschen, zu aktualisieren, auszubalancieren, hinzuzufügen, zu kaufen, zu konsumieren.