Trotz alledem kann es immer noch vorkommen, dass jemand aus unserem Umfeld sich etwas kauft, ohne uns auf Social Media darüber zu informieren. Es lässt sich auch nicht ganz auszuschließen, dass ein Bekannter von uns mal eine appetitlich angerichtete Mahlzeit in einem angesagten Restaurant, ein liebevoll zubereitetes Heißgetränk in einem sympathischen Café oder einen mondänen Drink in einer coolen Bar zu sich nimmt, ohne uns auf Instagram und Facebook daran teilhaben zu lassen. Das ist zwar äußerst unwahrscheinlich, es ist aber nicht unmöglich. Vollkommen undenkbar hingegen ist es, dass jemand eine Live-Veranstaltung besucht oder eine Reise macht, ohne es auf Social Media absolut jeden wissen zu lassen. Besonders beim Reisen werden keine Ausnahmen gemacht. Die Gelegenheit, Bilder von einer Reise zu posten, lässt man sich auf gar keinen Fall entgehen. Denn das dringende Bedürfnis, die Daheimgebliebenen über Erlebnisse in der Ferne zu informieren, ist so alt wie das Reisen selbst. Konsequenterweise ist es für britische Millennials bei der Wahl ihres Urlaubsortes inzwischen wichtiger, dass dieser instagrammable ist, als dass es dort interessante Dinge zu sehen gibt.173
Zum Glück gibt es Instagram und Facebook! Denn nicht nur das Bedürfnis, von seinen Reisen zu berichten, ist so alt wie das Reisen selbst, sondern auch die Versuchung, die Erlebnisse dabei ein bisschen zu dramatisieren, die Geschichten ein bisschen auszuschmücken, die Ereignisse ein bisschen aufzubauschen. Und welche Medien wären dafür besser geeignet als Instagram und Facebook, die immer nur einen einzelnen, perfekt ausgewählten und bearbeiteten Moment zeigen, begleitet von wenigen, wohlüberlegten Worten voller verheißungsvoller Andeutungen? In den sozialen Netzwerken kann man seine Erlebnisse schöner und lustiger und spannender erscheinen lassen. Und man kann sie häufiger und länger erscheinen lassen, indem man beispielsweise auch dann noch Urlaubsfotos postet, wenn der Urlaub eigentlich schon längst vorbei ist.
So macht man sich auch hier gegenseitig etwas vor, vermittelt sich gegenseitig den Eindruck, das eigene Leben sei ein einziges Abenteuer, eine andauernde Party, ein niemals endender Urlaub. Man versucht sich mit den glücklichsten, aufregendsten, glanzvollsten, exotischsten, intensivsten und luxuriösesten Erlebnissen zu übertrumpfen und schaukelt sich gegenseitig hoch: Elbphilharmonie in Hamburg, Biennale in Venedig, Burning Man Festival in Nevada. Sich in Uganda Gorillas nähern, in Thailand Elefanten füttern, in Kenia mit Giraffen frühstücken. Rennfahren, Mountain-Rafting, Fallschirmspringen. Dabei gibt man seinen Followern das Gefühl, etwas ganz besonders Tolles, Einzigartiges und Unwiederbringliches verpasst zu haben. Nichts ist besser geeignet, um im Netz soziale Anerkennung zu erwerben und den Neid seiner Umwelt auf sich zu ziehen als fotogene Erlebnisse. Und weil solche Erlebnisse sich noch viel besser posten lassen als Dinge, erscheinen sie uns auch zunehmend wichtiger und begehrenswerter als Dinge. So sind wir auf dem Weg in eine Gesellschaft, in der wir immer mehr Erlebnissen nachjagen, statt immer mehr Güter anzuhäufen. Bereits jetzt – so das Ergebnis einer US-Studie174 – würden mehr als drei Viertel aller Millennials ihr Geld lieber für ein begehrenswertes Erlebnis oder eine begehrenswerte Veranstaltung ausgeben, als sich etwas Begehrenswertes zu kaufen. Und gute 70 Prozent beabsichtigten, in Zukunft eher ihre Ausgaben für Erlebnisse noch weiter zu erhöhen, als ihre Ausgaben für Dinge zu erhöhen.
Dabei geht es, wie gesagt, nicht nur um die Erlebnisse selbst, sondern auch darum, sie zu dokumentieren und in den sozialen Netzwerken mit anderen zu teilen. Denn durch dieses Teilen ihrer Erlebnisse fühlen sich knappe 70 Prozent der Millennials einfach stärker mit anderen Menschen, mit der Gesellschaft und mit der Welt verbunden. Insofern ist es nicht überraschend, dass Millennials über die Veranstaltungen, die sie besuchen, und die Reisen, die sie machen, mehr twittern, sharen und posten als jede andere Altersgruppe.
Auf Social Media zu sehen, was andere sich alles kaufen, schürt Neid. Per Newsfeeds permanent in Echtzeit mitzubekommen, was die eigenen Freunde gerade erleben, schürt die Angst, etwas zu verpassen. Und diese Fear Of Missing Out, kurz FOMO, ist nicht einfach nur eine vorübergehende Laune, sie ist ein Lebensgefühl. Fast sieben von zehn Millennials leiden nach eigenen Angaben an FOMO. Diese virale Angst ist die eigentliche treibende Kraft hinter der boomenden Experience Economy. Das überwältigende Gefühl, die Party des Jahrhunderts oder irgendeine andere großartige, lebensverändernde Erfahrung zu versäumen, wenn man zu Hause bleibt, stachelt uns an, Tickets für die nächste Veranstaltung zu kaufen, die nächste Reise zu buchen, hinzufahren, teilzunehmen und mitzumachen.