Erfolgreiche Diäten arbeiten mit Maßeinheiten. Dabei wird jedem Lebensmittel eine Zahl zugeordnet. Früher zählte man Kalorien, heute berechnet man Mikros und Makros. Wer abnehmen will, muss den Nährwert der Dinge einschätzen können. Wer Geld sparen will, muss die Preise der Dinge kennen. Genauso müssen wir, wenn wir unseren Konsum umweltverträglicher gestalten wollen, die ökologischen Auswirkungen unserer einzelnen Konsumentscheidungen kennen. Sonst laufen wir Gefahr, zwischen Soja-Latte, Biobaumwoll-Yogakleidung und 4OCEAN-Armbändchen ein pseudonachhaltiges Leben zu führen, das zwar an der Oberfläche alle Kriterien eines modischen L.O.H.A.S. (Lifestyle of Health and Sustainability) erfüllt, unterm Strich aber überhaupt nicht nachhaltig ist. »Tatsächlich kann die Zahl der ökologisch korrekten Einzelhandlungen permanent zunehmen, während sich die ökologische Gesamtsituation systematisch verschlechtert. Aussagekräftig ist nur die ökologische Gesamtbilanz aller Handlungen und nicht die Verausgabung in symbolträchtigen Aktionen, die nur wenig bewirken«, macht Wachstumskritiker Prof. Dr. Niko Paech unmissverständlich klar. »Ein Hin- und Rückflug nach Sydney in Australien setzt fast vierzehn Tonnen CO2 pro Passagier frei. So viele regional und biologisch angebaute Lebensmittel kann niemand während eines Menschenlebens essen, um das jemals auszugleichen.«203 Nur wenn uns solche Relationen bewusst sind, können wir auch bewusst konsumieren. Nur wenn wir die Verhältnismäßigkeiten in unserem Konsum kennen, können wir ihn effektiv nachhaltiger gestalten.
Deshalb brauchen wir für unseren Konsum eine ökologische Maßeinheit. Und da der Klimawandel derzeit als die akuteste ökologische Bedrohung erscheint, liegt es nahe, die Schädlichkeit der Dinge, die wir konsumieren, an ihrem CO2-Effekt zu messen. Der Einfachheit halber. Auch wenn das nur einer von vielen Aspekten einer vollständigen Ökobilanz ist und die Frage nach der Sozialverträglichkeit unseres Konsums dabei komplett außer Acht gelassen wird. Mithilfe des Kohlendioxidfußabdrucks können wir uns aber zumindest schon einmal einen groben Überblick verschaffen und die größten Einsparungspotenziale erkennen:
Konsum im engeren Sinne ist tatsächlich für 63 Prozent – also für deutlich mehr als die Hälfte – des CO2-Ausstoßes verantwortlich, den jeder Deutsche verursacht. (Den Rest machen Heizung, Strom und Infrastruktur aus.) Diese 63 Prozent Konsum-CO2 setzen sich zusammen aus unserer Ernährung, unserer Mobilität und unserem sonstigen Konsum. Wobei drei Viertel zu fast gleichen Teilen auf unsere Mobilität (Autofahren, Fliegen und so weiter) und unseren sonstigen Konsum (Kleidung, Elektrogeräte und so weiter) zurückzuführen sind und unsere Ernährung das restliche Viertel verursacht. Mithilfe des CO2-Ausstoßes als einheitlicher Ökowährung können wir unseren Konsum in diesen drei so unterschiedlichen Bereichen miteinander vergleichen und zueinander ins Verhältnis setzen: Unsere Kleidung ist zum Beispiel nur für 3,5 Prozent unseres täglichen Kohlendioxids verantwortlich, die tägliche Fahrt zur Arbeit dagegen für 16 Prozent, also für das Fünffache.204
Mit einem der einschlägigen CO2-Rechner im Internet kann man den CO2-Effekt seines Konsums – beziehungsweise seines Konsumverzichts – relativ problemlos ermitteln. Dabei stellt man mit großer Wahrscheinlichkeit fest, dass vieles anders ist, als man immer angenommen hat. So wird von den meisten Menschen zum Beispiel das Potenzial zur CO2-Reduktion, das in einem Verzicht auf Plastiktüten oder in einer saisonalen und regionalen Ernährung steckt, dramatisch überschätzt, während die Menge an CO2, die durch den Verzicht auf Fleischgerichte vermieden werden könnte, im Allgemeinen dramatisch unterschätzt wird.205
Vermutlich ebenso überraschend zeigt sich in der CO2-Bilanz, dass es gar nicht grundsätzlich ökologischer ist, Erlebnisse statt Dinge zu konsumieren, wie gerne behauptet wird. Ob das so ist, hängt nämlich ganz von den jeweiligen Erlebnissen und den jeweiligen Dingen ab: Wenn man zum Beispiel von Frankfurt nach Teneriffa und zurück fliegt (Erlebnis), hinterlässt man dabei zwar einen deutlich kleineren CO2-Fußabdruck, als wenn man sich ein Kilo Rindfleisch kauft, aber einen sehr viel größeren, als wenn man sich dreihundert T-Shirts (Dinge) kaufen würde.206 Das heißt: Die wachsende Experience Economy macht unsere Welt zwar wahrscheinlich weniger materialistisch, aber nicht zwangsläufig umweltfreundlicher.