Der Minimalismus-Guru Joshua Becker trägt seit Jahren dasselbe Outfit, aber nicht, um die Umwelt zu schonen, sondern weil er keine Lust hat, sich über seine Kleidung Gedanken zu machen. Und weil er immer dasselbe graue T-Shirt und dieselbe Khaki-Hose trägt, findet er, alle anderen sollten es genauso machen. Klar: Modemuffel meinen, man bräuchte nur ein Outfit. Radfahrer finden Autos total überflüssig. Veganer behaupten, der Mensch brauche keine tierischen Nahrungsmittel. Und so weiter. Es ist erstaunlich, wie selbstverständlich sich jeder selbst zum Maßstab erhebt, wenn es um bewussten Konsum geht. Auf die Dinge, die man selbst nicht in Anspruch nimmt, sollen gefälligst auch alle anderen verzichten. Und die Dinge, auf die man selbst auf keinen Fall verzichten möchte, erklärt man einfach zum unantastbaren Mindestkonsum – die Yogareise nach Bali zum Beispiel oder einfach nur die Tasse Kaffee am Morgen, deren Herstellung nicht nur 125 Gramm CO2 freisetzt, sondern auch ganze zweihundert Liter Wasser verbraucht.207
Besonders wenn es um nachhaltige Ernährung geht, ist es unerträglich, wie alle versuchen, sich gegenseitig ihre Form des Konsumverzichts aufzuzwingen: Fleisch verursacht viel zu viele Treibhausgase. Milchprodukte und Eier verursachen natürlich ebenfalls zu viele Treibhausgase. Die Meere sind sowieso schon überfischt. Nicht regionales Obst und Gemüse werden unter zu hohem Energieaufwand hierher transportiert. Nicht saisonales Obst und Gemüse hingegen werden unter zu hohem Energieaufwand in Treibhäusern gezogen. Und so weiter.
Für sich genommen ist das alles richtig. Aber wenn wir das alles beachten würden, wäre unser Leben nur noch Wurzelgemüse, Sauerkraut und verschrumpelte Äpfel und ungewaschene, ungebügelte Second-Hand-Kleidung. Die Vielzahl und Strenge der Auflagen lässt uns ein radikal nachhaltiges Leben als etwas erscheinen, das wir weder erreichen können noch erreichen wollen. Der Anspruch, nur und ausschließlich nachhaltig zu leben und Fair Trade zu kaufen, würde uns genauso um Jahrzehnte im Fortschritt der Menschheit zurückwerfen wie der Anspruch, weder direkt noch indirekt ein Produkt von Google zu nutzen. Und am Ende stünde die empfundene Größe der persönlichen Opfer, die man dabei erbringen müsste, in einem absurden Missverhältnis zu der empfundenen Winzigkeit des Beitrags, den man damit zur Verbesserung der Welt leisten könnte. Also brechen die meisten den Versuch, nachhaltiger zu leben, einfach ab und machen so weiter wie bisher. Leider.
Einer der Gründe, warum die Abbrecherquote bei den Weight Watchers immer niedriger war als bei vielen anderen Diäten, ist, dass sie Raum für Individualität lässt: Jeder bekommt ein individuelles Punkteziel, das für ihn realistisch ist. Wie man dieses Ziel erreicht – ob man also lieber nur ein Croissant oder stattdessen für dieselbe Punktzahl viereinhalb Scheiben Graubrot isst –, bleibt einem selbst überlassen.
Egal ob es darum geht, seine Kalorienzufuhr oder seinen Konsum zu reduzieren – sich selbst Ziele zu stecken und diese einzuhalten kann funktionieren. Es kann sogar Spaß machen. Es funktioniert aber erfahrungsgemäß nur, wenn diese Ziele realistisch sind und wenn diese Ziele zu einem passen.
Wir fordern von unserer Regierung, dass sie ihre Klimaziele einhält. Das Gleiche sollten wir auch von uns selbst verlangen. Jeder sollte sich ein individuelles Klimaziel setzen und es auch einhalten. Der eine entscheidet sich vielleicht, sich erst wieder ein neues Paar Sneaker zu kaufen, wenn ein altes kaputt ist. Ein anderer mag sich vornehmen, sein monatliches Shopping-Budget auf einen bestimmten Betrag zu begrenzen. Noch ein anderer hingegen mag sich vornehmen, nicht weniger, sondern mehr Geld auszugeben, dafür aber langlebigere Produkte zu kaufen. Der eine fährt wenigstens von April bis September mit dem Fahrrad zur Arbeit. Jemand anderes will nicht auf sein Auto verzichten, entschließt sich aber, seine inländischen Geschäftsreisen ab sofort mit der Bahn statt mit dem Flugzeug zu machen. Jemand anderes fliegt zwar weiterhin, spendet aber Geld, damit – als Klimaausgleich für seine Flugreisen – Bäume gepflanzt werden … All das rettet noch nicht die Welt, ist aber unendlich viel besser, als einfach so weiterzumachen wie bisher.