Um nachzuhalten, ob man seine selbst gesteckten Konsumdiätziele erreicht hat, muss man derzeit noch selbst Buch führen.208 Aber das wird sich sehr schnell ändern. Schon jetzt gibt mir mein Auto ein Eco-Rating für meinen Fahrstil. Mein Handy macht mich darauf aufmerksam, dass meine wöchentliche Bildschirmzeit zu hoch ist. Mein Fitness-Tracker achtet darauf, dass ich mich genug bewege. In ähnlicher Weise wird unsere Kreditkartenabrechnung oder die Bezahl-App auf unserem Telefon uns hoffentlich bald sagen können, ob wir unsere guten Konsumvorsätze eingehalten haben. Und wenn wir es dann schwarz auf weiß haben, dass wir unserem eigenen Anspruch gerecht geworden sind, werden wir durch das Erfolgserlebnis belohnt und zu ehrgeizigeren Zielsetzungen motiviert.
Ab dann orientieren wir uns für unser zukünftiges Verhalten an unserem früheren Verhalten in ähnlichen Situationen. Wenn wir zum Beispiel ausnahmsweise einmal mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren sind (und sei es auch nur, weil unser Auto gerade in der Werkstatt war), werden wir von da an für die Fahrt zur Arbeit viel eher das Fahrrad in Erwägung ziehen als vorher. Nicht nur das. Wir werden auch stolz darauf sein, das Fahrrad genommen zu haben, und uns von nun an als jemanden betrachten wollen, der für die Fahrt zur Arbeit »gerne auch mal das Fahrrad nimmt«. In dem Fall ist es also nicht so, dass wir angefangen haben, Fahrrad zu fahren, weil wir Fahrradfahren gut finden, sondern so, dass wir es gut finden, weil wir angefangen haben, es zu tun. Unsere Einstellung folgt oft unserem Verhalten, nicht umgekehrt. Genauso fangen wir an, uns mit fleischarmer Ernährung zu identifizieren, wenn wir ein paar Mal in Folge fleischarm gegessen haben, und sehen uns selbst schon als Minimalisten, wenn es uns ein paar Mal gelingt, der Versuchung zu widerstehen, etwas total Unnötiges zu kaufen. Wir werden unser eigenes Vorbild. »Self herding« nennt man diese Form von Herdentrieb, bei dem man seine eigene Herde ist.209 Das funktioniert ganz gut.
Oft ist es aber ein noch viel wirkungsvollerer Ansporn, sich nicht nur an seinen eigenen Vorgaben zu messen, sondern sich mit anderen zu vergleichen. Das zeigt das Experiment eines amerikanischen Stromversorgers: Die Firma druckte auf ihre Rechnungen Balkendiagramme, die dem Rechnungsempfänger zeigten, ob sein Stromverbrauch über oder unter dem Durchschnitt der Leute in seiner Straße liegt – verbunden mit kurzen Botschaften wie einem Lob dafür, dass er weniger verbraucht hat als seine Nachbarn, oder Tipps, wie er Strom sparen könne, um seinen Verbrauch dem seiner Nachbarn anzupassen. Mit dieser einfachen Maßnahme konnte der durchschnittliche Stromverbrauch genauso stark gesenkt werden wie mit einer Preiserhöhung um 20 Prozent.210
Wir orientieren uns mit unserem eigenen Verhalten an dem Verhalten der anderen und wollen dabei zumindest nicht schlechter dastehen. Wenn wir uns diese Erkenntnis zunutze machen, können wir uns gegenseitig dazu bringen, nicht nur unseren Stromkonsum, sondern unseren Konsum insgesamt zu senken. Wenn man mit anderen gemeinsam Sport macht, strengt man sich ja auch mehr an, als wenn man allein trainiert. Sich freiwillig dem sozialen Druck der Gruppe auszusetzen hilft einem, die eigenen Ziele zu erreichen. Die Weight Watchers würden nicht so heißen, wie sie heißen, wenn sie sich zu Hause allein auf die Waage stellen würden. Stattdessen gehen sie einmal in der Woche zu einem Treffen und lassen sich dort wiegen. Die gegenseitige Kontrolle spornt sie an, ihre Vorsätze in die Tat umzusetzen. Manchmal ist es eben nicht genug, sein eigenes Vorbild zu sein, sich selbst anzufeuern und sich am Ende selbst auf die Schulter zu klopfen.
Auch den Weg zu einem besseren Konsum müssen wir nicht allein gehen. Für unseren Konsumverzicht dürfen wir uns selbstverständlich selbst feiern. Wir sollten uns aber auch feiern lassen. Tu Gutes und rede darüber! Beziehungsweise twittere und poste darüber! Die Likes und die Bestätigung, die man auf Social Media für jeden noch so gedankenlosen Konsum bekommt, dürfen und müssen wir erst recht für unseren bewussten Konsum einfordern. Gönnen wir uns das damit verbundene Dopamin. Wir haben ein Recht, uns für unsere Konsumdisziplin mit der sozialen Anerkennung unserer Umwelt zu belohnen. Diese soziale Anerkennung ist nämlich die Selbstbelohnung, die uns helfen kann, von der Selbstbelohnung durch regelmäßigen Überkonsum loszukommen. Sie ist das Methadon, mit dessen Hilfe wir den Konsumentzug schaffen können.