DIE BEIDEN SEITEN DER MEDAILLE

Die Globalisierung und die Digitalisierung haben mit ihren im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlosen Möglichkeiten die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das Kaufen von Dingen in unserem Leben eine so steile Karriere machen konnte. Vorher war Kaufen nur die Notwendigkeit, sich mit dem zu versorgen, was man brauchte, aber nicht selbst herstellen konnte. Doch inzwischen ist Kaufen »ein Hobby geworden, ein Mittel zur Stimmungsregulation und Selbstoptimierung, manche sagen sogar: eine neue Weltreligion.«211

Wir leben in einer Hochkultur des Einkaufens: Durch Shopping belohnen wir uns selbst. Wir verwirklichen uns durch unseren Konsum. Über unsere Kaufentscheidungen drücken wir uns aus. Durch die Dinge, mit denen wir uns umgeben, kommunizieren wir mit unseren Mitmenschen. Es gibt kaum noch eine Freizeitbeschäftigung, die man – allein oder in der Gruppe – macht, die nicht mit Konsum verbunden ist. Es ist der gemeinsam gelebte Konsum, der unsere Gemeinschaft im Kleinen wie im Großen zusammenhält. Der anhaltende soziale Frieden, den wir genießen, beruht allein darauf, dass alle am Massenkonsum teilhaben können.

All das wäre als großer kultureller und sozialer Durchbruch zu feiern, wenn es nicht untrennbar mit moderner Sklaverei und globaler Umweltzerstörung verbunden wäre.

Jede Zeit hat ihre kollektiven Versäumnisse. In der Geschichte der Menschheit kommt es immer wieder vor, dass sich eine gesamte Generation aus dem Zeitgeist heraus zu schwerwiegenden moralischen Verfehlungen hinreißen lässt.

Die Pelzhändler zum Beispiel, die Mitte des 20. Jahrhunderts die Leopardenpopulation der Erde fast vollständig ausgelöscht haben, waren sich dabei wahrscheinlich keiner Schuld bewusst. Sie haben über Artenschutz noch nicht nachgedacht. Wahrscheinlich waren ihre Väter und Großväter auch schon Pelzhändler und sie haben einfach nur ihren Job gemacht.

Und die deutschen Kolonialherren, die im 19. Jahrhundert in den »Schutzgebieten« in Afrika Menschen enteignet und ausgebeutet haben, haben ihre Geschäftspraktiken vermutlich gar nicht infrage gestellt. Schließlich handelten sie mit der offiziellen Zustimmung und Unterstützung der deutschen Regierung und taten ja das Gleiche wie die Briten, Belgier, Franzosen und Amerikaner.

Für spätere Generationen ist es dann vollkommen unbegreiflich, wie man ein so offensichtliches Unrecht nicht erkennen oder die schrecklichen Konsequenzen seines eigenen Handelns verdrängen konnte.

Wir hinterlassen durch unseren exzessiven Konsum unverzeihliche und irreversible Schäden sowohl an den Menschen am anderen Ende der Welt als auch an dem Planeten, auf dem wir leben. Das ist die große moralische Verfehlung unserer Generation.