GOOD IS THE NEW BLACK

»Bei dem SUV in der Auffahrt geht es nur zum Teil um die Notwendigkeit der Fortbewegung. Das ›Konzept‹, das man damit erwirbt, ist das des sozialen Status«, analysiert Phil Barden. »Man könnte sagen, dass wir ein physisches Objekt X in ein geistiges Konzept Y verwandeln, in diesem Fall den SUV in das Konzept Status.«216

Genauso geht es »nur zum Teil um die Notwendigkeit der Fortbewegung«, wenn wir auf Instagram ein durchs Flugzeugfenster fotografiertes Bild vom Sonnenaufgang mit der Unterschrift »#offtowork #airport #lovemyjob #earlybird #berlin #munich« posten. Was wir der Welt nämlich eigentlich mit diesem Post zu verstehen geben, ist, dass wir heute nach München und übermorgen nach Hamburg müssen, weil es in ganz Deutschland nur eine Handvoll Leute gibt, die das machen kann, was wir machen können. Auch hier verwandeln wir also ein physisches Erlebnis X in ein geistiges Konzept Y. »Dutzende Studien haben aufgezeigt, auf wie vielfältige Art solche Konzepte den Konsum der Menschen beeinflussen können«, führt Barden weiter aus.

Eine solche Studie haben die Sozialpsychologen van den Bergh, Griskevicius und Tybur durchgeführt: Sie stellten ihre Probanden vor die Wahl zwischen einem Produkt und seinem umweltfreundlichen Äquivalent. So sollten sich die Versuchsteilnehmer zum Beispiel zwischen einem Luxusauto mit Ledersitzen, teurer Musikanlage und so weiter und einem gleich teuren umweltfreundlichen Auto vom selben Hersteller entscheiden. Die Ergebnisse der Versuchsreihe, die unter dem sprechenden Titel »Going green to be seen« veröffentlicht wurden, zeigen, dass die Versuchsteilnehmer sich nur dann für die weniger protzige, aber dafür ökologischere Variante entschieden, wenn ihnen andere Menschen bei ihrer Entscheidung zusahen und wenn es den Versuchsleitern gelang, sie davon zu überzeugen, dass das eigentlich weniger prestigeträchtige Energiesparmodell das ultimative Statussymbol sei, weil man damit – im Gegensatz zu dem anderen Auto in derselben Preisklasse – seiner Umwelt nicht nur zeigt, dass man sich ein solches Auto leisten kann, sondern auch, dass man bereit ist, zum Wohl der Umwelt auf Bequemlichkeit zu verzichten. Auch bei anderen Produkten entschieden sich die Menschen meist nur dann für die nachhaltigere Variante, wenn sie sich davon die größere soziale Anerkennung versprachen.217

Das ist normal. Es ist nur natürlich, dass unser Konsumverhalten davon beeinflusst wird, wie es von anderen bewertet wird. Deshalb werden wir auch in der Masse erst dann anders konsumieren, wenn wir unseren Konsum in der Masse anders bewerten. Solange ein Flug noch ein höheres Prestige hat als eine Bahnfahrt, werden wir für eine Reise von Berlin nach München (statt des unterm Strich schnelleren Zugs) auch weiterhin das Flugzeug nehmen. Und wir werden erst dann aufhören, uns immer größere SUVs zu kaufen, wenn wir aufhören, uns gegenseitig dafür zu bewundern. Die physischen Objekte und Erlebnisse sind, was sie sind. Aber die geistigen Konzepte dahinter können wir ändern. Unsere Einstellung entscheidet darüber, ob rücksichtsloser Konsum sexy ist oder ob nachhaltiger Konsum sexy ist.

Auf den Social-Media-Plattformen können wir uns gegenseitig einen anderen Konsum vorleben als bisher, einen besseren. Flight Shaming und Train Bragging sind schon mal ein Anfang. Man sollte mit seinem vorbildlichen Konsum auch Vorbild sein. Denn nur so führt der gute Konsum zum immer besseren Konsum.

Nichts hat derzeit eine solche Macht, unsere Einstellung zu beeinflussen wie die sozialen Medien. Kein anderes Medium hat das Potenzial, Dinge innerhalb kürzester Zeit in unserer Wahrnehmung komplett umzubewerten. Was gestern richtig war, kann heute falsch sein und umgekehrt. Manches, was gestern bewundert wurde, wird – durch den Einfluss von Social Media – heute geächtet.

Pelz zum Beispiel: Pelz war nicht irgendein Statussymbol, er war immer das Statussymbol schlechthin. Von den Hermelinmänteln der Kaiser und Könige bis zu den Nerzmänteln reicher Ehegattinnen – ein Pelz war die ultimative Trophäe des sozialen Aufstiegs. Seit Menschengedenken. Aber jetzt, nur ein paar blutige Facebook-Videos später, kann man sich mit einem Pelzmantel kaum noch auf die Straße trauen.

Das sind die Macht und die Dynamik von Social Media. Durch die viralen Bilder auf Facebook und Instagram können wir innerhalb kürzester Zeit kollektiv umgepolt werden. So zum Beispiel auch in Bezug auf Daunen: Dieselben Modemarken, die noch vor ein paar Jahren damit geworben haben, dass ihre Winterjacken mit echten Daunen gefüllt sind, werben jetzt damit, dass es in ihren Winterjacken keine echten Daunen mehr gibt.

Solche Beispiele zeigen: Wir können dieselben viralen Kräfte, die unseren Konsum ad absurdum geführt haben, dazu nutzen, unseren Konsum zu verbessern – sowohl unseren eigenen als auch den der anderen.

Die Menschen konsumieren zunehmend das, was im Netz gut ankommt, und hören auf, das zu konsumieren, was im Netz geächtet wird. Das heißt: Durch unsere Likes können wir mitbestimmen, wie der Konsum der Zukunft aussehen soll. Dank Smartphones liegt es im wahrsten Sinne in unserer Hand. So wie wir an einigen Stellen bereits Grausamkeiten gegen Tiere ächten, könnten wir in Zukunft auch Grausamkeiten gegen Menschen ächten. Wir bestimmen, ob es auch weiterhin cool ist, ein Schnäppchen zu machen, oder ob es cooler ist, Produkte zu kaufen, die fair gehandelt wurden. Und unsere Haltung entscheidet darüber, ob der Ugly Christmas Sweater tatsächlich so witzig ist und ob das fünfzigste Paar Sneaker in der Sammlung immer noch ein Grund ist, stolz zu sein. Es ist an jedem Einzelnen von uns, dafür zu sorgen, dass in Zukunft der gute, der ethische Konsum das ultimative Statussymbol sein wird.