Globalisierung ist, wenn internationale Geschäfte nicht mehr durch Bürokratie, Zölle und Sprachbarrieren ausgebremst werden. Moderne Logistik und Kommunikation überwinden problemlos jede noch so große geografische Entfernung. Argentinische Himbeeren kommen frisch gepflückt in deutsche Supermärkte, und die E-Mail ist genauso schnell beim Partner in Delhi wie beim Kollegen im Büro nebenan. So weit, so beglückend.
Wenn nationale Grenzen und geografische Entfernungen keine Hindernisse mehr sind, dann können erfolgreiche Unternehmen mit einer nie da gewesenen Dynamik weltweit expandieren. Vor der Globalisierung war es gar nicht möglich, dass Unternehmen so groß werden wie Amazon. Das weltweit größte Unternehmen 2018 (Apple) ist sechzehnmal größer als das größte Unternehmen 1990 (IBM). Allein 2018 sind die hundert teuersten Unternehmen der Welt noch einmal um ein Viertel teurer geworden.1 Die rasante Konzentration von wirtschaftlicher Macht auf wenige Unternehmen ist eine unerwartete Nebenwirkung der Globalisierung. Es gibt keine Grenzen mehr – für den Handel nicht und für das Wachstum von Unternehmen auch nicht. Aus nationalen Platzhirschen sind Global Player geworden. Und nur diese Global Player im wahrsten Sinne des Wortes können im Globalisierungsspiel überhaupt noch mitspielen. Die Großen werden immer größer. Die Kleinen scheiden aus oder werden geschluckt – eine Entwicklung, die sich jeder staatlichen Regulierung entzieht und unaufhaltsam voranschreitet. In der Mode ist es schon so weit, dass zwanzig Konzerne 97 Prozent der Wertschöpfung der gesamten Industrie auf sich vereinen.2 Und die Tendenz ist weiter steigend.
Es wäre naiv, sich auf den Standpunkt zu stellen, dass gegen eine derartige wirtschaftliche Konzentration doch eigentlich gar nichts einzuwenden sei, weil darin doch lediglich der Wille der Menschen zum Ausdruck komme. Zu behaupten, dass Amazon doch nur deshalb so groß sei, weil es die Bedürfnisse der Verbraucher einfach am besten befriedigt, ist zu kurz gedacht. Wenn das so wäre, wäre ja auch die Macht eines Unternehmens wie Nestlé – das regelmäßig wegen Wasserausbeutung, Regenwaldzerstörung, ungesunder Babynahrung und unnötigem Verpackungsmüll in der Kritik steht3 – legitimiert, weil das Volk es ja quasi in einem basisdemokratischen Prozess zum tollsten Unternehmen gewählt hätte.
Denn so wie eine Demokratie, in der es nur noch eine Partei gibt, eben keine Demokratie mehr ist, ist eine freie Marktwirtschaft, in der es am Ende für jedes Angebot nur noch je einen großen Anbieter gibt, eben keine freie Marktwirtschaft mehr. Es gibt gute Gründe, warum selbst radikal wirtschaftsliberale Länder wie die USA, die sonst alles den Kräften des Marktes überlassen, trotzdem Wettbewerbsbehörden haben, die einschreiten, wenn Unternehmen einen zu großen Marktanteil auf sich vereinen: Wirtschaftliche Konzentration ist nämlich nur kurzfristig betrachtet gut für die Allgemeinheit. Sie ist kurzfristig gut für uns, weil große Unternehmen grundsätzlich effizienter wirtschaften als kleine Unternehmen. Dadurch können große Unternehmen uns vergleichbare Waren und Dienstleistungen immer zu einem günstigeren Preis anbieten als kleine Unternehmen. Und das ist für uns natürlich zunächst einmal ganz fantastisch. Große Unternehmen geben ihren Wettbewerbsvorteil aber selbstverständlich nicht bereitwillig an uns weiter. Sie tun es nur so lange, wie sie es müssen, weil sie sich in einem Konkurrenzkampf mit ebenbürtigen Mitbewerbern befinden. Sobald sie aber diese Konkurrenz hinter sich gelassen und sich einen ausreichend großen Vorsprung verschafft haben, fangen sie an, die Alternativlosigkeit ihres Angebots auszunutzen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Unternehmen mit zu viel Marktmacht diese früher oder später immer missbrauchen, um unfaire Preise und unfaire Konditionen durchzusetzen. So wendet sich die Größe eines Unternehmens langfristig gegen die, die es groß gemacht haben, nämlich die Konsument*innen.
Und obwohl man das schon seit über hundert Jahren weiß, haben die einzelnen Staaten tatenlos zugesehen, wie ihre größten Unternehmen im Zuge der Globalisierung immer größer wurden, denn sie versprachen sich von diesen Riesen-Unternehmen auch Riesen-Steuereinnahmen. Erst als ihnen klar wurde, dass sie den global agierenden Unternehmen nicht nur ein globales Wachstum, sondern auch eine globale Steuerflucht ermöglicht hatten, versuchten sie regulierend einzugreifen. Doch da war es bereits zu spät. Denn da waren die multinationalen Konzerne schon größer geworden als sie selbst. Bereits 1995 waren über die Hälfte der hundert größten Wirtschaftssysteme der Welt nicht mehr Staaten, sondern Unternehmen.4 2016 waren es schon über zwei Drittel.5 Diese Konzerne sind tatsächlich größer und mächtiger als die Nationen und ihre Regierungen. Und die begrenzte Reichweite nationaler Wettbewerbsbehörden reicht schon lange nicht mehr aus, um das entfesselte Wachstum dieser multinationalen Unternehmen zu regulieren. Der Gedanke, dass eine Behörde wie das gute alte Bundeskartellamt dem Wachstum eines Unternehmens wie Amazon Einhalt gebieten könnte, ist geradezu lächerlich.