Austin
Die Nacht ist hereingebrochen, während wir uns zu acht auf den Weg nach Süden machen, zu unserem Ziel. Cowboy, Riggs’ Partner aus Texas, hat sich vor mehr als einer Stunde gemeldet. Die Männer, die Piper festhalten, sind etwa seit drei Stunden unterwegs, was uns ein kleines Zeitfenster verschafft, in dem wir uns hoffentlich vor ihrer Ankunft auf dem Gelände verstecken und sie in einen Hinterhalt locken können. Mein Motorrad dröhnt, als ich mein Tempo erhöhe. Schon bald lenken uns Riggs und seine Männer auf Nebenstraßen, damit wir nicht die Aufmerksamkeit auf uns ziehen, wenn mehrere MC-Mitglieder wie wild durch die Gegend rasen. Adrenalin fließt durch meine Adern. Es ist schon eine Weile her, dass wir Montana-Männer in Aktion waren. Als wir in ländlichere Gegenden kommen, leuchten die Straßenlaternen in größeren Abständen.
Nach der Anzahl der Häuser zu urteilen, an denen wir vorbeigefahren sind, leben nicht viele Menschen in dieser Umgebung. Schließlich verschluckt uns die Dunkelheit vollständig. Die Luft ist feucht und klebt auf meiner Haut, ein schweres, quälendes Gefühl macht sich in meinen Knochen breit, als ob der Tod selbst hinter mir her wäre.
Heute Nacht wird hier Blut fließen. Die Männer, die einen von uns getötet haben, werden ihre gerechte Strafe von den Kings of Retribution erhalten. Vor ein paar Tagen ist mein Club von Montana nach Louisiana gereist, um unserem New Orleans Chapter zu helfen, die Eröffnung eines zweiten Kings Custom zu feiern. An dem Tag, an dem wir die Heimreise antreten wollten, erreichte uns die Nachricht, dass Novas Tochter Piper und ihre Freundin während eines Ausflugs nach Vegas entführt worden waren, weshalb wir nun hier sind.
Vor uns fahren Riggs und Jake langsamer und biegen rechts auf eine unbefestigte Straße ab, die auf beiden Seiten mit hohem Gras bewachsen ist. Nach weniger als zehn Kilometern kommen wir zum Stehen. Der Geruch von verrottender Vegetation und Kuhmist steigt mir in die Nase, zusammen mit dem unverkennbaren Gestank von fauligem Sumpfwasser. Riggs stellt sein Motorrad ab und geht die Reihe der Harleys entlang. „Wir lassen die Maschinen hier stehen“, befiehlt er. Hinter uns kommt Cowboy mit dem Transporter an. Er klettert heraus und gesellt sich zu uns. „Das Zielgelände liegt am Ende der nächsten Straße, eingebettet in die Flussmündung. Von hier aus gehen wir zu Fuß weiter.“
Alle Männer überprüfen synchron ihre Waffen. Ich stecke meine Handfeuerwaffe zurück ins Holster, dann hole ich die abgesägte Schrotflinte, die an der Seite meines Motorrads befestigt ist. Habe immer eine Reserve dabei. Das hat mir mein Großvater, ein ehemaliger Soldat, stets eingebläut. Er hat mir beigebracht, wie man eine Waffe bedient. Bevor ich mich jedoch in Erinnerungen verliere, schiebe ich meine Gedanken beiseite und reihe mich hinter Gabriel und Logan ein. Wir beginnen, uns einen Weg durch das hohe Gras zu bahnen und stapfen durch den Schlamm, in den unsere Stiefel einsinken.
Vor uns tauchen schummrige Lichter auf, als wir einen kleinen Hügel erklimmen. Riggs hält seine Faust in die Luft und bedeutet uns anzuhalten. Von hier aus kann ich die Container am anderen Ende des Geländes erkennen und ein paar bewaffnete Männer, die sich auf dem Hof herumtreiben.
Das Rumpeln eines herannahenden Fahrzeugs veranlasst die meisten von uns, den Kopf zu drehen. Die Bremsen des Trucks zischen, als er langsam zum Stillstand kommt. Männer klettern aus dem Führerhaus und schlendern auf zwei Kerle zu, die in ihre Richtung laufen. Sie halten einen Moment inne, unterhalten sich kurz und gehen dann zum hinteren Ende des Anhängers.
Ich höre meinen Herzschlag in meinen Ohren pochen, während wir uns im hohen Gras versteckt halten. Mit gezogenen Waffen befehlen sie den Frauen, den Container zu verlassen. Zu meiner Rechten verkrampft sich Kiwi, als sein Blick auf Piper fällt, die als Letzte auf den Boden springt. Ein Mann schubst sie hart, sodass Piper den Halt verliert. Kiwi macht eine Bewegung, aber Logan packt ihn am Arm und hält ihn zurück. Sobald sie wieder auf den Beinen ist, umklammert Piper zwei andere Frauen, aber es ist so dunkel, dass ich keine Einzelheiten ausmachen kann.
Riggs blickt in die Runde und erteilt Kommandos. „Logan und Reid, ihr haltet euch bedeckt und geht zum Nordende des Lagers. Dort habt ihr den besten Aussichtspunkt, um eure Scharfschützengewehre einzusetzen.“ Riggs blickt nach links und befiehlt Nova und Fender, sich am südlichen Rand des Lagers zu positionieren. Nachdem er seine Anweisungen an die übrigen Brüder gegeben hat, wendet sich Riggs an mich. „Bleib bei Jake und mir.“ Er sieht sich um, bevor sich alle entfernen. „Sie sind uns zahlenmäßig überlegen. Timing ist alles. Wenn ihr mein Signal hört, geht ihr rein. Dieser Überfall muss schnell gehen. Wir lassen nicht eher ab, bis alle tot sind und Piper in Sicherheit ist.“
Jake, Riggs und ich machen uns auf den Weg zur Mitte des Geländes, in Richtung eines Wohnwagens, der an der Ostseite des Grundstücks steht, isoliert von den Containern. Das Gemurmel anderer Männer, die sich in der Nähe unserer Position unterhalten, lässt uns innehalten.
Das Gras in diesem Gebiet ist spärlich. Wir drücken uns auf den nassen Boden und kriechen auf dem Bauch ein paar Meter weiter, um so nah wie möglich an den Rand des offenen Hofes zu gelangen. Jake, Riggs und ich beobachten, wie sich Männer auf dem Gelände bewegen. Dieselben Typen, die die Frauen geliefert haben, schlendern über das Areal in Richtung des Wohnwagens. Die Tür öffnet sich und ein Mann im Anzug tritt heraus. Er zündet sich eine Zigarre an und bläst eine Rauchwolke aus, während er spricht. „Macht die Boote für den Transport der Frauen bereit.“ Ein paar Meter entfernt, mit geschulterten Waffen, laufen zwei Männer in Richtung der Südseite des Grundstücks in der Nähe des Wassers. Der Mann im Anzug schlendert zu einer dunkelgrauen Limousine mit verdunkelten Scheiben, die in der Nähe geparkt ist. Kurz darauf schwingt die Tür des Wohnwagens wieder auf und ein zweiter Mann steigt heraus. Ganz in Schwarz gekleidet und schwer bewaffnet geht der Kerl auf das Auto zu. Er öffnet die Hintertür für den Anzugträger. Mit dem Erscheinen des Mannes nimmt die Aktivität auf dem Hof zu.
Riggs hält seinen Blick nach vorne gerichtet und flüstert: „Jake, zwei Uhr.“ Prez hebt seine Langstreckenpistole und zielt auf die Person, die am Kofferraum des Wagens steht. „Austin, schalte den Leibwächter aus“, befiehlt Riggs dann mir, ich lege die Schrotflinte an meine Seite und ziehe meine Pistole aus dem Holster in meiner Kutte.
Ein Adrenalinstoß schießt durch meine Adern, als ich den großen Mistkerl im Fadenkreuz habe. Ein paar Meter entfernt steht ein bewaffneter Mann und pisst. Riggs zielt auf ihn, dann drückt er ab. Die Kugel durchschlägt den Kopf des Wichsers und sein schlaffer Körper fällt zu Boden. Gleichzeitig schießen Prez und ich auf unsere Ziele. Die Kugel von Jake trifft den Mann im Anzug. Er greift sich an den Hals und versucht, auf den Rücksitz des Autos zu gelangen. Mein Schuss trifft den Leibwächter in die Brust. Er geht hinter der Limousine zu Boden. Unsere Schüsse lösen eine Kettenreaktion aus und um uns herum bricht ein Höllensturm von Kugeln los.
Ich schnappe mir meine Schrotflinte, wir drei tauchen aus dem Gras auf und stürmen das Gelände. Geschosse schwirren an meinem Kopf vorbei, als ich auf die Schießerei zulaufe. Ich ziele und strecke einen weiteren Mann nieder, der auf uns zustürmt.
„Durchsucht den Wohnwagen!“, brüllt Jake über das Chaos hinweg.
Ich drücke mich mit dem Rücken an die Seite des Bauwagens, um nicht von Kugeln getroffen zu werden. Dann klettere ich die wackelige Holztreppe hinauf. Die Schreie der Männer und die Schüsse treten in den Hintergrund, als ich die Tür des Wohnwagens eintrete und inständig bete, dass ich nicht direkt in den Lauf einer Waffe stolpere. Der Geruch von Gras und Alkohol schlägt mir entgegen, als ich den Raum betrete und mich umschaue. Der Wohnbereich gleicht einem Crackhaus. Gebrauchte Nadeln liegen offen auf dem Couchtisch herum. Ich durchsuche den Wohnwagen. Leere Whiskeyflaschen stehen auf der Küchentheke und ich gehe weiter in Richtung Rückseite. Eine Kugel durchschlägt das Fenster über der Küchenspüle und Glassplitter streifen mein Hosenbein. Mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb, als ich den dunklen Durchgang betrete, der zum hinteren Schlafzimmer führt. Ich trete die Tür auf. „Scheiße.“ In der Mitte des kleinen Raums liegt eine bewusstlose Frau auf einer schmutzigen Matratze. Mit erhobener Pistole überprüfe ich den Raum, bevor ich mich hinknie. Bei dem schwachen Licht kann ich nicht erkennen, ob sie atmet. Also drücke ich meine Finger an ihren Hals und fühle ihren Puls. Er ist schwach, aber sie lebt. Der erbärmliche Scheißkerl hat sie zum Sterben zurückgelassen. Da ich weiß, dass ich ihr Leben und mein eigenes riskiere, wenn ich sie mitten in einer Schießerei hinaus trage, lasse ich die junge Frau zurück. Sie ist sicherer auf der Matratze, bis das alles vorbei ist. Bevor ich den Wohnwagen verlasse, verstummt der Schusswechsel draußen.
Die Stille verstärkt meine Wachsamkeit noch mehr. Vorsichtig trete ich hinaus und biege um die Ecke des Wagens. Wie aus dem Nichts schleudert mich eine gewaltige Wucht auf den Boden. Die Flinte wird mir aus der Hand geschleudert. Ich liege mit dem Gesicht im Dreck und auch meine Handfeuerwaffe ist unter mir eingeklemmt. Ein Schlag auf meinen Hinterkopf lässt meine Sicht verschwimmen. Weitere Hiebe folgen auf meine Nierengegend und der Schmerz strahlt über meinen unteren Rücken.
Ich habe Mühe, unter dem Gewicht des Mannes, der mich festhält, die Kontrolle zu behalten, aber schließlich kann ich meinen Körper so weit bewegen, dass ich das Jagdmesser an meiner Hüfte erreiche. Ich stoße nach hinten und spüre den anfänglichen Widerstand, bevor sich meine Klinge in sein Fleisch bohrt und der Mann vor Schmerz aufstöhnt. Ich rolle mich auf den Rücken und schaue zu dem Kerl auf, der über mir steht. Es ist der verdammte bullige Leibwächter.
„Hat dir niemand beigebracht, dass du dafür sorgen solltest, dass die Toten auch wirklich tot bleiben?“ Er packt mich mit seinen massiven Händen an der Kehle, meine Klinge steckt noch immer in seiner Seite. „Jetzt wirst du derjenige sein, der stirbt.“ Er drückt zu und schneidet mir die Luftzufuhr ab. Geblendet von seiner Mordlust sieht er nicht, wie ich nach meiner Waffe greife, die ich in meiner Kutte versteckt halte. Ich presse das Ende des Laufs unter sein Kinn und drücke den Abzug. Der Mann sackt gegen mich und seine Hände werden schlaff. Sauerstoff strömt in meine Lungen zurück, als ich röchelnd einatme. Ein Schwall seines warmen Blutes tropft auf mein Gesicht. Ich schiebe seinen leblosen Körper zur Seite, stehe auf, orientiere mich und blicke auf seine leeren Augen hinunter, die in den Nachthimmel starren. „Wer ist jetzt tot, du Arschloch?“ Noch immer atme ich schwer von dem Kampf, der zwischen uns stattgefunden hat. Ich hebe den Saum meines Hemdes an und wische mir sein Blut aus dem Gesicht. Dann greife ich nach unten, ziehe mein Messer aus seiner Seite und wische das Blut an meiner Jeans ab. Ich entdecke meine Schrotflinte zwei Meter entfernt und hole sie aus dem Schlamm, in dem sie liegt.
Von dort aus laufe ich zu den anderen Kings, die auf die beiden Frachtcontainer mit den Frauen zusteuern. Logan blickt in meine Richtung und betrachtet mein geschundenes Äußeres. „Ist das dein Blut?“
„Nein“, erwidere ich. „Im Wohnwagen ist eine junge Frau, die kaum noch lebt“, erwähne ich, während wir darauf warten, dass Kiwi das Schloss des Containers aufbricht.
In dem Moment, in dem die schweren Metalltüren aufschwingen, stürmen meine Brüder und ich hinein. Die Luft ist heiß und es riecht nach Moschus und Schweiß. Ich habe keine Zeit zum Nachdenken oder um die vielen Gesichter zu betrachten, die uns wild anstarren und sich zu fragen scheinen, was wohl als Nächstes mit ihnen geschehen wird, und so knie ich nieder und greife nach einem der Opfer, um zu helfen.
„Wer sind Sie? Fassen Sie mich nicht an!“, schreit die junge Frau und entzieht sich meiner Berührung so heftig, dass ihr Hinterkopf gegen die Metallwand schlägt.
„Ich bin nicht hier, um dir wehzutun.“ Meine Worte klingen ein wenig schärfer als beabsichtigt und die Frau zuckt zusammen. Im Inneren des Containers scheint nicht viel Licht, aber es reicht aus, um die blaue Farbe ihres Kleides und das lockige, feuerrote Haar zu erkennen, das ihr bedrücktes Gesicht verdeckt.
Piper erscheint zu meiner Linken und lässt sich neben der verängstigten Frau nieder. „Pst. Ist ja gut. Diese Männer sind meine Familie und sie sind hier, um zu helfen“, tröstet Piper sie, dann sieht sie mich an.
„Ihr Name ist Lelani. Sie ist blind.“
Verdammt. Es ergibt Sinn, dass sie ganz anders reagiert als die anderen Frauen, die die Männer an die frische Nachtluft begleiten. Ich werfe Piper einen Blick zu, um ihr zu versichern, dass ich alles im Griff habe. „Lelani, mein Name ist Austin“, sage ich, in der Hoffnung, dass eine kurze Vorstellung ihr die Situation erleichtern wird. Sie hebt den Kopf, wendet sich meiner Stimme zu und ein Lichtschimmer fällt auf ihr Gesicht. Auf ihrer Wange ist ein großer Bluterguss zu sehen und Tränenspuren zieren ihre Porzellanhaut. Mein Blick trifft ihren. Für den Bruchteil einer Sekunde vergesse ich, dass sie mich nicht sehen kann. Ich verscheuche den Nebel aus meinem Kopf. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sich von ihrer Schönheit beeindrucken zu lassen. „Ich werde dich jetzt berühren“, warne ich sie, bevor ich meine Hände unter sie schiebe. Sie wiegt nicht mehr als ein kleines Kind und ist federleicht in meinen Armen, als ich sie anhebe und aufrichte, dann drücke ich ihre zierliche Gestalt an meine Brust. Lelani zittert am ganzen Körper, während sie sich an meinen Arm klammert. „Bei mir bist du sicher“, sage ich ihr und verspüre ein überwältigendes Bedürfnis, sie zu beschützen. Ihr Atem ist warm an meinem Hals, als sie ihren Kopf an meine Schulter legt.
Lelani ist die letzte Frau, die den Container verlässt, als ich sie hinaustrage. Niemand hält mich auf, als ich an ihnen vorbeigehe. Ich halte Lelani weiter fest, bis Cowboy kurze Zeit später mit dem Transporter eintrifft. Logan kommt heran, nachdem er die junge Frau aus dem Anhänger geholt hat, und trägt sie in den Kleinbus. Die übrigen Brüder beeilen sich, die verbleibenden Frauen einzuladen. „Sie kommt mit uns zurück, zusammen mit Pipers Freundin Jia“, informiert mich Logan, bevor ich Lelani zusammen mit den anderen in den Transporter trage, während er eine letzte Zählung vornimmt.
Die Clubmitglieder beeilen sich und helfen Piper, Lelani und Jia in ein anderes Fahrzeug, das uns zurück zu unseren Motorrädern bringt. Wir haben weniger als zwanzig Minuten, um unsere Ärsche die Straße hinunterzubewegen, bevor der Sprengstoff, den Cowboy in mehreren Gebäuden deponiert hat, hochgeht. „Lasst uns abhauen“, bellt Jake und klopft an die Seitentür des Transporters, bevor er in das Fahrerhaus klettert. Während die Frauen sich aneinanderdrängen, schlingert das Fahrzeug vorwärts und wir lassen das Gelände und die Leichen hinter uns.
Einen Moment später steigen wir vom Wagen auf unsere Bikes um.
Jake weist Jia an, hinter ihm aufzusitzen und sich gut festzuhalten, was sie auch tut. Ohne zu zögern, greife ich nach Lelani und führe sie zu meiner Harley. Beschützend hilft Piper ihr, sich hinter mir niederzulassen. Ich berühre ihre Hand, die auf meiner Seite ruht. „Du musst dich fester an mich schmiegen“, befehle ich mit ruhiger Stimme. Sie rückt näher an mich heran und ich spüre, wie sich ihre Brüste gegen meinen Rücken drücken. Mit beiden Händen gleitet sie an meinen Bauchmuskeln entlang und ihr Griff um mich wird fester. Ich muss zugeben, ich mag die Wärme ihrer Haut an meiner verdammt gerne. Die Reifen unserer Motorräder wirbeln Schmutz und Schotter auf, als wir losfahren. Das Grollen unserer Harleys erfüllt die Nacht mit Leben, während wir die Straße entlangbrausen.
Eine schwere Stille bricht herein, als die Reifen den Asphalt erreichen. Ich beschleunige das Tempo, um die Zerstörung schnellstmöglich hinter uns zu lassen. In meinem Seitenspiegel beobachte ich, wie sich der Nachthimmel leuchtend orange färbt. Donner durchbricht die Stille. Er kracht wie eine Peitsche in unserem Rücken nieder, als eine der Bomben explodiert. Ein weiterer lauter Knall folgt. Weiß-graue Rauchschwaden wabern durch die Luft. Lelani umklammert meine Taille und sucht Schutz bei der einzigen Person, die in diesem Moment in ihrer Nähe ist – bei mir.
Die Fahrt zurück zum Anwesen der Kings war nicht gerade kurz, aber ich wünschte mir, sie hätte noch länger gedauert. Obwohl ich noch nicht einmal ihren Namen kenne, möchte ich mich nicht von dieser Frau trennen.
Das Tor öffnet sich und unsere Motorräder rollen in den Hof. Ich parke neben Jake. Lelani hält mich immer noch fest umklammert, als ich den Motor abstelle. Ich berühre ihre Hand. „Du bist in Sicherheit“, beteuere ich und sie lässt langsam los. Ich klettere von meiner Maschine, lege meine Hände um Lelanis schlanke Taille, hebe sie vom Rücksitz und versuche, sie hineinzutragen.
„Du kannst mich jetzt absetzen.“ Ihre Stimme ist sanft und süß.
Zögernd lasse ich ihre nackten Füße auf den Boden sinken. Lelani legt ihre Hand in meine und lässt sich von mir in das Clubhaus führen, wo die Old Ladies schon ungeduldig warten. Kiwi lässt Piper los, die auf mich zugeht. „Danke, Austin“, sagt sie und ihr Blick fällt auf meine Hand, die immer noch die von Lelani festhält. „Lelani, komm mit mir, wir bringen dich in ein Zimmer und machen dich frisch.“
Ich drehe mich zu Lelani und gucke sie an. „Ich werde später nach dir sehen“, sage ich und lasse ihre Hand aus meiner gleiten. Wie angewurzelt beobachte ich, wie die Frauen Lelani die Treppe hinaufführen.
Eine Hand legt sich auf meine Schulter. „Bist du okay, Bruder?“, fragt Reid.
„Ja“, sage ich und verschränke meine Arme vor der Brust. Er folgt meinem Blick und schaut die Treppe hinauf, wo die Frauen bereits verschwunden sind. „Ich werde mir ein Bier holen und mich ausruhen.“ Damit verabschiedet sich Reid.
„Morgen früh treffen wir uns zur Church, Männer. Es war ein höllischer Tag. Piper und die Frauen sind in Sicherheit. Um die Nachwirkungen kümmern wir uns morgen. Auftrag erfüllt. Geht schlafen“, verkündet Riggs.
Während die anderen ein Bier trinken und auf ihre Frauen warten, gehe ich hinter die Bar, schnappe mir eine halb leere Flasche Whiskey und mache mich dann aus dem Staub, um etwas Einsamkeit zu finden.
Die schwüle Luft von New Orleans schlägt mir ins Gesicht, sobald ich aus der Tür des Clubhauses trete. Vor ein paar Tagen habe ich an der Seite des Gebäudes eine Leiter für den Zugang zum Dach entdeckt. Ich laufe um die Ecke, um nachzusehen, ob sie noch dort steht. Sie ist verrostet und es fehlen einige Sprossen, aber ich beschließe, sie trotzdem zu besteigen.
Auf dem Dach des Clubhauses angekommen, knirscht der lose Kies unter meinen Füßen, als ich auf die dem Wasser zugewandte Seite schlendere. Ich setze mich auf den Vorsprung und schwinge meine Beine über die Kante. Der schwere Geruch der Louisiana-Luft dringt tief in meine Lungen ein. Es gibt keinen vergleichbaren Ort wie den Big Easy, New Orleans ist einzigartig. Ich lege meine Lippen an die Flasche in meiner Hand, lehne meinen Kopf zurück und trinke einen Schluck Whiskey.
Meine Gedanken schweifen zu Lelani, während ich auf den Mississippi hinausblicke. Ich trinke noch einen Schluck, dann stelle ich die Flasche neben mir ab. Ich ziehe eine Zigarette aus meiner Tasche, hole ein Streichholzheftchen hervor, das in der Zigarettenschachtel steckt, und ziehe die Streichholzspitze an dem schwarzen Streifen entlang. Unten am Boden, etwa zwanzig Meter entfernt, sehe ich Kiwi und Fender am Ufer sitzen und eine Kippe untereinander weiterreichen. Ich nehme einen Zug und blase ihn dann aus.
Ich weiß nicht genau, wie lange ich auf dem Dach des Clubhauses sitze, aber es ist lang genug, dass ich die Wirkung des Alkohols spüre. Nachdem ich aufgestanden bin, überquere ich das Dach und klettere wieder auf den Boden hinunter.
Drinnen angekommen, mache ich mich auf den Weg zu meinem Zimmer. Bella tritt aus dem Raum zwei Türen weiter heraus und schließt leise die Tür. Sie sieht mich an. „Geht es dir gut?“
Ich streiche mir mit der Hand über das Gesicht. „Ja.“ Meine Gedanken wandern wieder zu Lelani zurück.
Als ob sie meine Gedanken lesen könnte, sagt Bella: „Lelani schläft. Teagan hat ihr etwas gegeben, damit sie sich ausruhen kann.“ Da Bella sich immer um andere sorgt, fügt sie hinzu: „Du solltest dich auch frisch machen und etwas schlafen.“ Ich nicke und sie lächelt. „Gute Nacht, Austin.“ Bella geht durch den Flur in ihr und Logans Zimmer. Ich bewege mich erst, als sie die Tür schließt.
Anstatt in mein Zimmer zu gehen, bleibe ich vor der Tür des Raumes stehen, in dem Lelani schläft. Meine Hand schwebt über der Klinke und ich überlege, ob ich eintreten sollte. Das Bedürfnis, sie zu sehen, überwiegt, und ich gehe leise in ihr Zimmer. Als ich den Stuhl neben ihr entdecke, durchquere ich den Raum und starre sie an, während sie schläft. Ihr rotes Haar ist zu einem lockeren Zopf zurückgebunden. Ein paar lose Locken fallen ihr auf die geprellte Wange, aber ich traue mich nicht, sie wegzustreichen. Um sie nicht zu wecken, bleibe ich eine kurze Zeit sitzen und beobachte sie einfach. Ich entspanne mich und meine Augen werden schwer, als ich ihrem leisen Atmen zuhöre.
Scheiße. Was denke ich mir nur dabei? Ich stehe abrupt auf. Das Letzte, was Lelani nach dem, was sie gerade durchgemacht hat, braucht, ist die Anwesenheit eines Mannes in ihrem Zimmer. Ich will sie nicht verängstigen. Ich möchte, dass Lelani sich sicher fühlt.
Ich schaue sie ein letztes Mal an und verlasse dann das Schlafzimmer.
Zu müde, um mich zu waschen, ziehe ich meine Kutte aus, lege meine Waffe zusammen mit meinen Schlüsseln und meinem Telefon auf den Nachttisch und streife dann meine Stiefel ab. Ich strecke mich auf dem Bett aus.
Bevor ich meine Augen schließe, stelle ich den Wecker auf meinem Handy. Da ich nur noch ein paar Stunden zu schlafen habe, lasse ich mich endlich in die Matratze fallen und die vergangenen Stunden verblassen. Es dauert nicht lange, bis ich merke, wie ich in den Schlaf drifte.
Ich wache auf, weil Musik aus meinem Telefon ertönt und öffne die Augen im schwachen Licht der Sonne, die gerade so durch mein Schlafzimmerfenster dringt. Da ich weiß, dass die Church Vorrang hat, bevor unser Tag beginnt, schleppe ich mich aus dem Bett. Ich strecke mich und spüre meine schmerzenden Muskeln. „Fuck“, sage ich, während ich meinen Nacken drehe und versuche, die Verspannungen zu lösen. Ich nehme mein Handy in die Hand und schaue auf die Uhr, während ich den Wecker abstelle. Ein paar Stunden Schlaf sind besser als nichts. Ich stehe auf und mache mich auf den Weg ins Bad. Da ich alles vermeide, was heller ist als die bereits hereinströmende Sonne, verzichte ich darauf, den Lichtschalter zu betätigen, schalte die Dusche ein und ziehe die Klamotten von gestern aus.
Als ich unter den heißen Wasserstrahl trete, der auf meine Haut prasselt, entspannen sich meine geschundenen Muskeln, denn die Wärme löst die Verspannungen in meinem Körper. Ich stütze mich mit den Händen an der Fliesenwand vor mir ab, lasse den Kopf hängen und das heiße Wasser an meinem Rücken hinunterlaufen.
Ich bleibe so lange in der Dusche, bis das Wasser kalt ist, bevor ich es abstelle und heraustrete. Da ich genug Zeit verschwendet habe, putze ich mir schnell die Zähne und fahre mit einer Bürste durch mein feuchtes Haar und meinen Bart, bevor ich mir ein paar saubere Klamotten überwerfe. Nachdem ich meine Stiefel geschnürt, meine Waffe gesichert und meine Kutte übergestreift habe, verlasse ich den Raum.
Der Geruch von starkem Kaffee führt mich die Treppe hinunter in die Küche. Einige der Männer sind bereits im Gemeinschaftsraum versammelt, als ich hereinkomme. Quinn und Emerson sind in der Küche und Quinn ist damit beschäftigt, sich ein Gebäck in den Mund zu schieben.
„Hey, Austin.“ Emerson grüßt mich mit einem trägen Lächeln. Sie sieht genauso müde aus wie ich.
„Morgen“, sage ich, gähne und schnappe mir einen Einwegbecher vom Stapel neben der frisch gebrühten Kanne mit Kaffee.
„Verdammt, diese Beignets sind gut“, sagt Quinn und nimmt sich noch eins aus der braunen Papiertüte. Ich schlendere mit meinem Kaffee in der Hand durch die Küche und klappe den Deckel einer der vier Donut-Schachteln auf dem Tisch auf. Ich kann nicht umhin, das Hemd mit dem Bild eines Hahns auf der Vorderseite zu bemerken, das Quinn unter seiner Kutte trägt. „Starrst du auf meinen Cock?“, fragt Quinn und ich spucke fast den Schluck Kaffee aus, den ich gerade getrunken habe. Er grinst und ich schüttle den Kopf. Quinn ist der einzige Bruder, der so einen Scheiß abziehen kann.
„Ignoriere ihn. Er ist ein Jugendlicher, der im Körper eines erwachsenen Mannes gefangen ist.“ Emerson rollt mit den Augen.
Quinn marschiert auf seine Frau zu, packt sie am Hintern und zieht sie zu sich. „Du liebst mich, Frau.“ Er küsst sie.
Ich beobachte ihr Geturtel einen Moment lang. Dass Männer ihre Liebe zu ihren Frauen zeigen, ist nichts Neues für mich, aber aus irgendeinem Grund wünsche ich mir, ich hätte jemanden, der mich so ansieht, wie Emerson Quinn anschaut. Wie ich sind auch meine Brüder nicht perfekt, aber sie haben Frauen gefunden, die das an ihnen akzeptieren und sie trotz dieser Makel lieben.
Sofort muss ich an Lelani denken und daran, wie sie mir ihr Vertrauen geschenkt hat, als wir sie und die anderen Frauen vor Stunden gerettet haben. Sie verschmolz mit meinem Körper, als ich sie in meinen Armen hielt und sie aus dem Container trug. Ihre Berührung brannte auf meiner Haut wie Feuer und erweckte etwas in mir, das ich vorher noch nie gespürt hatte, und ich bin mir nicht sicher, was ich von den Gefühlen und Gedanken halten soll, die wegen ihrer Anwesenheit in meinem Verstand und Körper toben.
Ich will frische Luft schnappen, verlasse die Küche und gehe nach draußen. Nach einem Spaziergang über den Hof setze ich mich auf den Picknicktisch, der ein paar Meter vom Wasser entfernt steht. Ich stelle meinen Kaffee ab, greife in meine Kutte und hole eine Zigarette sowie ein Feuerzeug aus der Tasche. Während ich mir die Zigarette anzünde und das Nikotin in meine Lunge ziehe, beobachte ich das Flackern des Feuers. Ich betrachte einen großen Lastkahn, der in der Ferne den Fluss hinuntertreibt, und höre, wie das aufgewühlte Wasser ein paar Meter vor mir gegen das grasbewachsene Ufer schwappt. Von der Schwüle rinnen mir Schweißperlen über die Schläfen und ich sehne mich zurück nach Montana. New Orleans ist eine schöne Stadt, aber die Hitze ist kaum auszuhalten.
Irgendwann später werde ich durch Gelächter und Gespräche aufgeschreckt. Ich schaue hinter mich und sehe, wie die Frauen aus dem Clubhaus kommen. Lelani ist bei ihnen.
„Austin“, höre ich meinen Namen aus dem Eingang des Clubhauses rufen und sehe Logan in der geöffneten Tür stehen. „Church.“
In den nächsten Stunden bleiben wir Männer alle hinter verschlossenen Türen, um uns über die Ereignisse des frühen Morgens zu beraten. Riggs hat von seinen Quellen erfahren, dass das Gelände bei der Explosion zerstört wurde und mehrere der zurückgelassenen Leichen bis zur Unkenntlichkeit verbrannt sind. Bislang gibt es keine Zeugen für die Geschehnisse im Sumpfgebiet und Riggs ist davon überzeugt, dass dies auch so bleiben wird. Cowboy hat seinen Zielort mit den anderen geretteten Frauen sicher erreicht. Das Team, mit dem er zusammenarbeitet, bemüht sich, die Frauen mit Familie zu ihren Angehörigen zurückzubringen, während die Frauen ohne Familie an einen sicheren Ort gebracht werden, um ein neues Leben zu beginnen.
„Was ist der Plan mit Lelani?“, fragt Wick.
Jake fährt sich mit den Fingern durch den Bart. „Wir müssen mehr über sie wissen, wenn der Club in irgendeiner Form helfen will.“
Riggs seufzt. „Lasst uns ein Bier trinken gehen. Pop sollte jeden Moment mit etwas zu essen kommen. Wir klären das alles später, bevor der Tag zu Ende geht“, sagt Riggs. „Das war’s für heute, Männer.“ Er schlägt den Hammer nieder und wir verlassen den Raum.
An der Bar steht kaltes Bier für uns bereit. Ich trinke meins aus, suche sofort nach Lelani und finde sie immer noch draußen bei den anderen Frauen.
Es dauert nicht lange, bis Jake und Riggs auftauchen und mit Lelani sprechen wollen. Ihre Haltung verändert sich und sie wirkt nervös. „Es ist in Ordnung, Lelani. Du kannst uns vertrauen. Mein Onkel will nur helfen. Das verspreche ich“, beruhigt Piper sie. Lelani knetet ihre Hände ineinander.
„Stimmt es, dass dein Bruder daran schuld ist, dass du in diesem Container gelandet bist?“, wendet sich Riggs an Lelani.
Mein Bauch verkrampft sich vor Wut. Ich habe in meinem Leben schon viel Scheiße gebaut, Menschen umgebracht, Gesetze gebrochen, aber wer zum Teufel verkauft schon sein eigenes Fleisch und Blut? Meine kleine Schwester ist alles für mich. Ich würde für sie Berge versetzen und alles tun, was nötig ist, um sie zu beschützen. Man muss schon besonders kaputt sein, um so eine Tat zu begehen, wie es ihr Bruder getan hat.
„Ja“, sagt Lelani und wir alle hören den Schmerz in ihrer Stimme. Ich hebe meinen Blick, sehe mich um und der Rest der Familie hat denselben angewiderten Gesichtsausdruck.
„Also gut, meine Liebe“, sagt Riggs und zieht einen Stuhl von einem Tisch in der Nähe heran. Er setzt sich direkt vor Lelani. „Der Club ist bereit, dir zu helfen. Egal, wofür du dich entscheidest, mein Club wird dir helfen. Option eins: Wir bringen dich wieder nach Hause.“
Lelani lässt sich in die Rückenlehne des Sofas sinken. „Zurück nach Vegas?“ Ich richte meine ganze Aufmerksamkeit auf Lelani und blende alle anderen aus. Der bloße Gedanke, zurückzugehen, scheint ihr Angst zu machen. Ich nehme nichts anderes um mich herum wahr, bis sie sagt: „Ich habe niemanden – keine Familie. Ich glaube nicht, dass ich zurückgehen kann.“ Ich klammere mich an die Lehne des Sofas, meine Knöchel werden weiß, als sie erklärt, dass sie sich immer auf ihren beschissenen Bruder verlassen hat.
„Was hältst du von Montana?“, erwidert Bella und ihre Frage holt mich aus meinem Wut-Nebel. Ich lausche ihr und Alba, wie sie sie zu überzeugen versuchen, mit uns zurückzukommen. Ich spüre, wie ich mich über die Kante lehne, mich zu Lelani hinüberbeuge und auf ihre Antwort warte.
Lelani atmet tief ein und hebt ihr Kinn. Mit fester Stimme sagt sie: „Ich finde, Montana klingt schön. Aber nur, wenn ihr euch mit eurem Angebot sicher seid.“ Dann richtet sie ihren Rücken auf. „Ich weigere mich, jemals wieder jemandem zur Last zu fallen.“
„Du bist keine Last“, knurre ich, woraufhin Lelani aufspringt. Ich spüre sämtliche Augen auf mir.
Jake räuspert sich. „Dann ist es abgemacht. Du kommst mit uns zurück nach Polson.“ Er wendet sich an Blake. „Ist es okay, wenn Lelani morgen mit dir fährt?“ Während er meinem Bruder die Frage stellt, mustert er mich.
„Lelani wird hinten auf meinem Bike sitzen“, werfe ich schnell ein und verhindere damit, dass Lelani einem anderen Mann als mir so nahe kommt.
Jake mustert mich erneut einen Moment lang. Zufrieden mit meiner Aussage nickt er knapp: „Alles klar, Bruder.“