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VOR DER KÜSTE BRASILIENS
Michael Bradley saß in der Kantine der Kansas City
auf einer Sitzbank, während Jeremy Noland, der Sanitäter des U-Boots, seine Ohren untersuchte. Der würzige Duft von gebratenem Speck, der zum Frühstück der Mannschaft gehörte, hing noch immer in der Luft. Wie zahlreiche U-Boote der Los-Angeles-Klasse hatte die KC
weder einen regulären Bordarzt noch verfügte sie über eine separate Krankenstation, aber Noland kam mit allem zurecht, solange es sich nicht um umfangreichere chirurgische Eingriffe handelte. Bradley trommelte mit den Fingerspitzen auf der blauen Polsterauflage des Tisches, während er auf eine Diagnose wartete.
Der Navy SEAL
litt seit einigen Tagen an Schmerzen und starkem Hörverlust in beiden Ohren, hatte es jedoch vermieden, sich bei Noland zu melden, weil er damit rechnete, dass es ihn seine Teilnahme an dem unmittelbar bevorstehenden gemeinsamen Manöver mit der brasilianischen Marine kosten werde. Als er an diesem Morgen aber aufwachte, konnte er nichts von dem verstehen, was der CO
sagte, und wurde trotz seines Protestes dazu verdonnert, sich untersuchen zu lassen.
»Wie lautet die schlechte Nachricht?«, fragte Bradley. Als er seine eigene Stimme hörte, kam es ihm vor, als spräche er in ein dickes Federkissen hinein.
Noland, ein hagerer Typ mit dünnem blondem Haar, richtete sich auf, trat zurück und runzelte die Stirn. Sein Mund bewegte sich zwar, aber alles, was Bradley hören konnte, waren bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Vokale, wie sie auch die vollkommen unverständliche Lehrerin Miss Othmar, deren Stimme von einer Posaune imitiert wurde, in der Peanuts
-Serie von sich gab.
»Ich habe nicht das Geringste mitbekommen.«
Noland fischte einen Notizblock und einen Kugelschreiber aus seiner Hemdtasche und schrieb etwas auf. Danach reichte er Bradley den Notizblock.
Ich glaube, Sie haben eine akute beidseitige Mittelohrentzündung. Eine massive Infektion. Dadurch hat sich der mittlere Bereich des Ohrs mit Eiterflüssigkeit gefüllt. Sie hätten viel eher zu mir kommen sollen.
»Ja, ja«, sagte Bradley und ärgerte sich mehr über sich selbst als über Nolands Antwort. »Was lässt sich denn dagegen tun?«
Noland griff wieder zum Notizblock und schrieb.
Antibiotika-Injektion, danach Antibiotika oral. Viel Flüssigkeit trinken. Bettruhe.
Bradley war wie vor den Kopf gestoßen. Die Enttäuschung war ihm deutlich anzusehen.
»Und wie lange?«
Drei Tage. Es hängt davon ab, wie lange es dauert, bis sich Ihr Hörvermögen normalisiert hat.
»Drei Tage! Das Manöver beginnt morgen. Ich muss noch Vorbereitungen für eine Operation treffen.«
Tut mir leid, Kumpel. Ihre Trommelfelle stehen ziemlich unter Druck und können jeden Moment platzen. Dann fallen Sie womöglich für einige Wochen aus.
Bradley schlug mit der Faust auf den Tisch. Zum ersten Mal sollte er das SEAL
Delivery Vehicle lenken. Wahrscheinlich ergäbe sich für ihn sogar die Möglichkeit, einen der beiden Torpedos abzufeuern. Das SDV
war im Dry Deck Shelter verstaut, das in der Nähe des Kommandoturms auf dem Rumpf der Kansas City
befestigt war.
Er war an dem Tag dabei gewesen, als das Modul, dessen Außenmaße einem Reisebus entsprachen, von einem C-17-Frachtflugzeug angeliefert worden war, um wenig später auf der KC
installiert zu werden. Der mittlere Abschnitt wurde mit einem Luk hinter dem Kommandoturm verbunden. Dieses Luk erlaubte den Zugang zur Luftschleuse des DDS
, der sogenannten Transferkammer. Am Bugende befand sich eine Dekompressionszelle für Angehörige der Special Forces, die von Missionen in extremer Wassertiefe zurückkehrten. Auf der Heckseite der Luftschleuse gab es eine Art Hangar, der mit Wasser gefüllt war und das knapp sechs Meter lange SDV
beherbergte – im Grunde ein innendruckfreies Mini-U-Boot. Das Mark 9 war die jüngste Version, und Bradley hatte einen Monat lang trainiert, es unter realistischen Einsatzbedingungen zu bedienen. Nun müsste er sich diese Mission wegen einer lächerlichen Kinderkrankheit abschminken.
»Na wunderbar«, knurrte er sarkastisch. »Dann geben Sie mir die Antibiotika.«
Noland reichte ihm einen zweiten Notizblock mitsamt Schreibstift.
Ihre Gesprächspartner müssen sich darauf verewigen, wenn Sie verstehen wollen, was sie Ihnen mitteilen.
Dann deutete Noland zur Tür und vollführte eine Geste, als drücke er auf den Kolben einer Injektionsspritze …
Bradley nickte, und Noland ließ ihn für einen Augenblick mit der trüben Aussicht allein, seinem CO
offenbaren zu müssen, dass er für die geplante Operation nicht zur Verfügung stünde.
Eine Minute später sah Bradley zwei Männer durch den Korridor vor der Kantine rennen. Er konnte nicht erkennen, ob sie nur herumalberten oder ob ein Notfall vorlag. Falls die Mannschaftsmitglieder sich auf ihre Gefechtspositionen begeben mussten, hätte er aber zumindest einen Alarm hören müssen, auch wenn er nicht verstanden hätte, was über die Lautsprecheranlage verkündet wurde.
Er entschied, dass wohl kein Grund zur Sorge bestand, bis ein dritter Mann vorbeirannte. Bradley konnte nur einen kurzen Blick auf ihn erhaschen, aber es sah aus, als sei die Kleidung des Matrosen mit Blutspritzern übersät.
Bradley machte Anstalten, auf den Korridor hinauszugehen, um nachzuschauen, was da los war, als Noland in die Kantine zurückkehrte.
»Was passiert da im Boot?«, fragte Bradley. »Ich habe gerade drei Männer vorbeirennen sehen. Und ich könnte schwören, dass einer von ihnen blutete.«
Noland stand mit glasigen Augen reglos da. Er schien regelrecht durch Bradley hindurchzublicken. Die Injektionsspritze baumelte zwischen seinen Fingern.
»Noland! Was ist mit Ihnen los?«
Die Augen des Sanitäters füllten sich wieder mit Leben, als begriffe er erst in diesem Moment, dass ihn jemand ansprach. Seine Lippen zitterten, und in seinen Augen lag ein Ausdruck des Entsetzens. Er rief etwas, aber Bradley konnte kein Wort verstehen.
»Warten Sie! Haben Sie vergessen, dass ich nicht richtig hören kann? Regen Sie sich ab!«
Bradley hob beide Hände in einer, wie er annahm, beschwichtigenden Geste, aber damit brachte er Noland erst recht in Rage.
Er holte mit der Injektionsnadel wie mit einem Dolch aus und versuchte, Bradley damit zu erwischen. Bradley maß eins fünfundachtzig und hatte eine Statur wie ein Linebacker, daher hatte er nicht die geringste Mühe, den schmächtigen Sanitäter lässig beiseitezuwischen.
Noland flog über den Tisch, sprang jedoch sofort wieder auf die Füße, die Injektionsspritze noch immer wie eine Stichwaffe in der Hand.
Nolands plötzliche Verwandlung von einem umgänglichen Sanitätsoffizier in einen rasenden Irren war für Bradley ein absolutes Rätsel.
»Was stimmt mit Ihnen nicht, Mann?«
Noland rief noch einmal etwas und ruderte dann wild mit den Armen, als wollte er seiner Aussage, wie auch immer sie lauten mochte, besonderen Nachdruck verleihen. Bradley schüttelte den Kopf.
»Beruhigen Sie sich, Noland! Mein Gott! Ich …«
Noland wartete jedoch nicht, bis Bradley den Satz beendet hatte, sondern warf sich ihm wieder entgegen und fuchtelte mit der Injektionsnadel in der Luft herum, als ob er sich verzweifelt bemühte, einen tollwütigen Hund abzuwehren.
Bradley fing Nolands Handgelenk auf und drehte ihn herum, bis er einen Arm um den Hals des Sanitäters schlingen konnte. Er umklammerte den Unterarm der Hand, in der sich die Injektionsspritze befand, aber Noland machte keinerlei Anstalten, seine Absicht aufzugeben. Bradley müsste ihm wahrscheinlich das Handgelenk brechen, damit er die Spritze fallen ließ.
Stattdessen übte er auf Nolands Hals seitlich höheren Druck aus, bis der Matrose kraftlos zusammensackte. Bradley bettete ihn auf den Boden und machte sich auf die Suche nach jemandem, der ihm helfen könnte, Noland sicher unter Kontrolle zu bringen, ehe er aus seiner Ohnmacht wieder aufwachte.
Als er auf den Korridor hinaustrat, fand er dort nicht nur keine Unterstützung, sondern musste glauben, in einem Irrenhaus gelandet zu sein.
In beiden Richtungen waren Matrosen zu sehen, die mit einer Intensität gegeneinander kämpften, wie man sie nur im Käfigring der Ultimate Fighting Championship beobachten konnte.
Doch viele der Duellanten erschienen, als wären sie vor Angst vollständig von Sinnen. Zwei Männer lagen ineinander verkrallt auf dem Boden und weinten haltlos. Einer wanderte wie in Trance durch den Flur. Ein anderer hämmerte seinen Kopf so heftig gegen eine Lukentür, dass die Haut auf seiner Stirn aufplatzte und Blut über sein Gesicht strömte.
Trotz seines intensiven Trainings, das ihn auf nahezu jede Ausnahmesituation vorbereitet hatte, erstarrte Bradley, da er auf Anhieb nicht wusste, was er jetzt tun sollte. Bisher hatte er noch nie so etwas simuliert wie das, was er soeben erlebte. Er fragte sich, ob irgendein Nervengas oder Strahlungsleck dieses irrationale Verhalten bei der U-Boot-Besatzung ausgelöst haben könnte. Doch dann verwarf er diese Möglichkeit, weil er diese Auswirkungen bei sich nicht feststellen konnte. Gewiss war er nicht der Einzige, der gegen das – was immer dieses Chaos auslöste – immun war.
Er müsste sich irgendwie zum Kommandostand durchkämpfen und den Kapitän suchen. Vielleicht beschränkte sich dieses seltsame Verhalten ja nur auf diejenigen, die sich im unteren Teil des U-Boots befanden.
Bradley rannte durch den schmalen Korridor und wehrte gelegentliche Attacken seiner durchdrehenden Mannschaftsgefährten ab. Dann eilte er die Treppe am Ende des Korridors hinauf und gelangte zum Kommandostand. Dessen Besatzung war offenbar geflüchtet, sodass einige der Stationen verwaist waren. Zwei Männer lagen, wie es aussah, schwer verletzt auf dem Deck. Einer der beiden war der Erste Offizier, in dessen Hinterkopf eine tödliche Wunde klaffte.
Der Kapitän saß in seinem Sessel und hatte das Gesicht in den Händen vergraben.
Bradley ging zu ihm hinüber, legte eine Hand auf seine Schulter und schüttelte ihn.
»Captain! Wir müssen auftauchen! Die Mannschaft wurde mit irgendetwas infiziert!«
Bradley hatte den Kapitän, der normalerweise stoische Ruhe ausstrahlte, noch nie zuvor derart fassungslos erlebt, aber in diesem Moment rann ein nicht versiegender Tränenstrom über die Wangen des Mannes. Seine Augen starrten genauso ins Leere, wie er es bei Noland gesehen hatte.
Bradley versetzte dem Kapitän eine kräftige Ohrfeige, die ihn jedoch gar nicht aus seiner Trance herausholte. Stattdessen kippte er aus dem Sessel auf das Deck und begann zu schreien.
Der Kommandostand war das reinste Tollhaus. Nur ein einziger Mann ließ sich nicht davon abhalten, seine Aufgabe wahrzunehmen. Es war der Soldat, der eins der beiden Steuerhörner bediente, mit denen das U-Boot gelenkt wurde. In seinem Gesicht lag ein schwachsinniger Ausdruck, und er drückte das Horn bis an den Anschlag nach vorn.
Bradley warf einen Blick auf den Tiefenmesser. Er zeigte zwölfhundert Fuß mit rasender Tendenz weiter abwärts an. Nicht mehr lange, und sie erreichten eine Tiefe, in der das Boot durch den enormen Wasserdruck zerquetscht würde.
Bradley zerrte den Matrosen aus seinem Sessel und schmetterte seinen Kopf gegen die Instrumententafel, um ihn außer Gefecht zu setzen. Dann schwang er sich in den Sessel des Steuerstandes und zog beide Hörner zurück. Er hatte noch nie zuvor ein U-Boot der Los-Angeles-Klasse gelenkt, aber das Prinzip musste das gleiche sein wie bei dem SEAL
Delivery Vehicle, dessen Bedienung er intensiv trainiert hatte.
Das U-Boot stoppte den Tauchvorgang bei vierzehnhundert Fuß und begann aufzusteigen. Bradley hätte Ballast ausgeblasen, wenn er gewusst hätte, wie, aber den falschen Schalter zu betätigen, hätte leicht bewirken können, dass das Boot auf den Grund des Ozeans sank, anstatt zu seiner Oberfläche aufzusteigen. Momentan waren sie mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs. Darüber, wie dieses Tempo zu drosseln wäre, könnte er sich später noch Gedanken machen.
Er atmete um einiges befreiter, als sie bei neunhundert Fuß die maximale Operationstiefe der Kansas City
erreichten. Sie befanden sich in Höhe des Amazonas-Deltas vor der Küste Brasiliens, waren jedoch vom Festlandsockel weit entfernt, weil sie bisher noch nicht auf dem Grund des Ozeans aufgesetzt hatten.
Bradley plante, die brasilianische Marine so bald wie möglich um Hilfe anzufunken. Die SEAL
-Mission hätte bei diesem Kriegsspiel darin bestanden, die Verteidigungslinie der Brasilianer zu durchbrechen und eine Marinebasis an der Amazonasmündung zu infiltrieren.
Als der Tiefenmesser fünfhundert Fuß anzeigte, kam ein Soldat mit Kopfhörer auf den Ohren in den Kommandostand, und den Bewegungen seines Mundes nach zu urteilen redete er wirres Zeug. Er packte Bradley am Arm und versuchte, ihn aus dem Sessel zu ziehen. Bradley wehrte sich und stieß den Mann zurück. Sein vordringliches Ziel war, die KC
an die Wasseroberfläche zu manövrieren.
Der Soldat brach nun in heftiges Schluchzen aus. Er stolperte auf eine Instrumententafel zu und betätigte einen Schalter.
Bradley sprang aus dem Sessel und stürzte sich auf den Matrosen in dem Glauben, er habe irgendetwas in die Wege geleitet, wodurch das U-Boot in Gefahr geraten könnte, wie zum Beispiel das Abfeuern eines Torpedos bei geschlossenem Torpedorohr.
Aber was der Matrose getan hatte, wurde ihm erst klar, als er durch den Eiterpfropf in seinen Ohren das leise Auf- und Absteigen einer Warnsirene hören konnte. Der Schalter hatte den Kollisionsalarm aktiviert. Nun begriff Bradley auch, weshalb der Matrose einen Kopfhörer trug. Er war einer der Sonartechniker.
Bradley konnte zwar nicht hören, was der Seemann in diesem Augenblick rief, aber das war auch gar nicht nötig. Er las es von den Lippen des Mannes ab.
Bereit halten für Kollision!
Der Mann stieß weitere Rufe aus und verließ taumelnd den Kommandostand, während sich Bradley im Laufschritt zum Sonarraum begab. Der erste Monitor zeigte, was da auf sie zukam.
Auf ihrem Kurs ragte eine massive Felswand auf – sie steuerten geradewegs auf die Kante des Kontinentalsockels zu.
Eilends kehrte er zu den Tauchkontrollen zurück und riss das Ruder herum. Das U-Boot begann schon seinen Kurs zu ändern, aber es reagierte viel zu langsam.
Die Kansas City
wurde nach Backbord geworfen, als sie gegen die Felswand prallten. Bradley wurde gegen die Trennwand geschleudert und landete auf seinem rechten Arm. Ein stechender Schmerz schoss in seine Schulter hinauf. Er brauchte das Knacken gar nicht zu hören, um zu wissen, dass der Arm gebrochen war.
Warnlichter tauchten den Kommandostand in ein flackerndes Licht. Bradley spürte, wie das U-Boot, begleitet von einem durchdringenden Knirschen, stoppte, nachdem es an der Felswand entlanggeschrammt war. Er konnte nicht feststellen, ob sich der Maschinenraum bereits mit Wasser füllte, aber für ihn fühlte es sich an, als drehte sich die Schraube schon nicht mehr.
Mithilfe seines unversehrten linken Arms stemmte sich Bradley auf die Füße. Als er aufrecht stand, stoppte die Kansas City
vollends. Der Tiefenmesser, der bei zweihundert Fuß angehalten hatte, signalisierte, dass das U-Boot wieder sank. Es neigte sich nach Backbord, während es auf dem steilen Felshang abwärts rutschte.
Bradley wappnete sich innerlich für das Ende, überzeugt davon, dass der Rumpf unter dem wachsenden Druck implodieren würde. Aber dann lief plötzlich ein heftiger Ruck durch das Boot, und es stoppte mit nach unten gerichtetem Bug. Der Tiefenmesser zeigte dreihundertfünfundzwanzig Fuß. Sie mussten auf einem Felsvorsprung gelandet und zum Stillstand gekommen sein.
Bradley suchte sich einen Weg zum Funkraum. Wenn es ihm gelänge, das Langwellenradio zu aktivieren, könnte er der Navy die Lage der Kansas City
schildern, ihre Position melden und ein Rettungskommando anfordern.
Dann stieg ihm ein Geruch in die Nase, bei dem es ihm kalt den Rücken hinunterlief. Es war das salzige Aroma von Meerwasser.
Er legte eine Hand auf die Instrumententafel und spürte ein Rumpeln, das den Schiffskörper vibrieren ließ. Sie nahmen Wasser auf. Und zwar beängstigend schnell.
Bradley wandte sich zum Bug um und sah, wie die See schäumend eindrang und Männer und Trümmer der Schiffseinrichtung vor sich herschob. Es würde nur Minuten dauern, bis das U-Boot vollständig überflutet wurde.
Seine Mannschaftskameraden waren ausnahmslos dem Tod geweiht. Es gab nichts mehr, was er für sie noch hätte tun können. Seine einzige Chance, die Katastrophe zu überleben, bot ihm zu diesem Zeitpunkt noch das SEAL
Delivery Vehicle. Falls er es schaffte, das Dry Deck Shelter zu erreichen, könnte er das Mini-U-Boot benutzen, um zur Wasseroberfläche zu gelangen und nicht zu ertrinken.
Er rannte zu dem mittschiffs gelegenen Luk, über dem das Modul installiert war. Ehe er es erreichte, wurde er jedoch von einem seiner SEAL
-Mitstreiter, Carlos Jiménez, angegriffen. Jiménez kam von der Seite, rammte Bradley gegen die Trennwand und versuchte, ihm ein Kampfmesser ins Auge zu stoßen. Bradley nahm den Kopf im letzten Moment zur Seite, und so traf die Klinge auf Stahl, anstatt sich in sein Gehirn zu bohren.
Es widerstrebte ihm zutiefst, aber für ihn ging es um Leben und Tod, daher hielt sich Bradley nicht zurück, sondern verpasste Jiménez einen Kopfstoß ins Gesicht und brach ihm das Nasenbein.
Jiménez taumelte rückwärts und versank in dem ansteigenden Wasser.
Bradley rannte weiter, bis er das Luk erreichte, durch das die Kansas City
mit dem Dry Deck Shelter verbunden war. Es war unendlich mühsam, sich mit nur einem Arm hochzuziehen, aber die unerträgliche Vorstellung, in dem zum Untergang verurteilten U-Boot gefangen zu sein, verlieh ihm zusätzliche Kräfte.
Er drehte das Verschlussrad der Luke und stieß sie auf. Die Transferkammer, die als Luftschleuse zwischen dem U-Boot und dem Abschnitt diente, in dem das SEAL
Delivery Vehicle auf seinen Einsatz wartete, war beleuchtet, weil sie vom Stromnetz des U-Boots versorgt wurde.
Bradley kletterte hinauf und schloss die Luke der Transferkammer hinter sich. Mit einem Gurt verriegelte er sie für den Fall, dass Jiménez ihm noch zu folgen versuchte. Er kam sich vor, als ermordete er einen Freund, aber er hatte keine andere Wahl.
Ehe er die Luftschleuse drehen konnte, um sie mit Wasser zu füllen und ihren Innendruck dem Innendruck im Abteil, in dem sich das SDV
befand, anzugleichen, müsste Bradley einen der Druckluftbehälter in die Dekompressionskammer schaffen. Danach würde er noch einige Minuten brauchen, um das SDV
aus seinem Schutzbehälter herauszuholen. In dieser Wassertiefe würde er kaum so lange die Luft anhalten können, um das zu schaffen, zumal er durch seinen gebrochenen Arm behindert wurde.
Auch wenn die Luke geschlossen war, drang Wasser in die Transferkammer ein. Aber es war kein Leck. Irgendjemand im U-Boot, möglicherweise sogar Jiménez, hatte per Fernbedienung die Luftschleuse des Dry Deck Shelters geöffnet, sodass sie geflutet wurde.
In einem Anflug von Panik schlängelte sich Bradley in die Dekompressionskammer und zog deren Lukentür hinter sich zu. Er begann, den Drucklufttank, den Atemschlauch und den Regulator miteinander zu verbinden, hielt dann aber abrupt inne, als er begriff, was für einen fatalen Fehler er gemacht hatte.
Er schaute durch das kleine Sichtfenster der Tür und stellte fest, dass der Wasserspiegel die Decke der Luftschleuse fast erreicht hatte.
Die Luke noch einmal zu öffnen, war unmöglich. Die Wassermassen lasteten mittlerweile mit einigen tausend Pfund auf der Stahltür.
Er saß in der Falle.
Bradley ließ die Tauchausrüstung auf den Boden fallen und sank auf die Sitzbank herab. Er hatte keine Ahnung, wie groß der Luftvorrat war, der ihm noch zur Verfügung stand. Selbst die zusätzliche Menge an Atemluft in den Sauerstoffflaschen würde nicht ausreichen, um ihn lange genug am Leben zu erhalten, bis jemand erschien, um ihn zu retten.
Niedergeschlagen saß er für einige Minuten auf der Bank, bis ihm der Notizblock und der Schreibstift einfielen, die Noland ihm in die Hemdtasche gesteckt hatte. Bradley holte beides hervor und begann mit der linken Hand unbeholfen zu schreiben. Ehe er erstickte, war es seine Pflicht, wenigstens zu notieren, was seinen Mannschaftskameraden während der letzten Fahrt der Kansas City
zugestoßen war.