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Kurz bevor sie in der Bucht versanken, drang ein kurzer Schmerzensschrei an Juans Ohren, aber er konnte nicht erkennen, ob er von Eddie oder von Luis Machado ausgestoßen wurde. Nach dem Eintauchen strebte Juan mit schnellen Armzügen und Beinschlägen sofort wieder nach oben.
Als er die Wasseroberfläche erreichte, schaute er sich suchend um und entdeckte in gut fünf Metern Entfernung die Kommandokuppel des Gators. Gomez sah ihn mit sorgenvoller Miene an.
Juan drehte den Kopf hin und her, bis er Machados Kopf über den Wellen ausmachte, aber Eddie blieb unsichtbar. Mit zwei kraftvollen Schwimmzügen erreichte er Machado.
»Wissen Sie, wo Eddie geblieben ist?«, fragte Juan den CIA -Agenten.
Machado gab keine Antwort. Juan tippte ihm auf die Schulter.
»Machado?«
Eddie brach auf der anderen Seite Machados durch die Wasseroberfläche. Er spuckte einen Mundvoll Wasser aus und sagte: »Er wurde getroffen, während wir über Bord sprangen.«
Juan ergriff Machados Schultern und drehte ihn um. In seiner Brust befand sich ein Einschussloch. Offenbar stand der Agent unter Schock. Seine Augenlider flatterten, und sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.
Sofort schob Juan einen Arm unter eine Schulter und um den Brustkorb Machados und schleppte ihn rückwärts schwimmend zum Gator.
»Treten Sie nicht weg, Luis«, sagte Juan.
Zwei Wachmänner erschienen an der Reling der Jacht. Während sie in Stellung gingen und auf die drei Amerikaner zielten, wurden sie von massivem Maschinengewehrfeuer durchgeschüttelt. Juan blickte kurz hinter sich und sah Murph, der ein Sturmgewehr im Anschlag hatte und die Jacht mit Dauerfeuer beharkte.
Da Eddie niemanden retten musste, erreichte er den Gator als Erster. Er kletterte an Bord, dann zog er Machado hoch, als Juan neben dem Boot erschien. Während Murph ihnen Feuerschutz gab, zog sich Juan auf den Gator hoch, und sie ließen Machados reglose Gestalt durch die Lukenöffnung ins U-Boot hinab.
Juan übernahm das Sturmgewehr von Murph und richtete es schussbereit auf die Dragão , während sich Eddie und Murph ins Boot schlängelten. Er hörte, wie Ferreira nach seinen Männern rief und sie aufforderte, das U-Boot unter Feuer zu nehmen, aber niemand erschien an der Reling, bevor Juan sich ebenfalls eilig durch die Lukenöffnung hinunterließ und die Luke hinter sich schloss.
»Sofort tauchen!«, rief er Gomez zu.
»Tauchvorgang eingeleitet«, bestätigte Gomez.
Während sie sanken, konnte Juan das metallische Klirren der Kugeln hören, die den Bootsrumpf trafen. Das Wasser, das den Gator umgab, bremste sie ausreichend ab, sodass sie nicht eindrangen, wenngleich eine Kugel bei einem der kleinen Fenster in der Kommandokuppel ein Netz von feinen Sprüngen hinterließ, die jedoch dicht blieben und kein Wasser hereinließen.
Aus den Augenwinkeln gewahrte er Linda, die zugedeckt auf dem Boden lag, aber seine vordringliche Sorge galt Luis Machado. Eddie hatte den Erste-Hilfe-Koffer geöffnet und reichte ihm einige Wundkompressen aus Verbandsmull.
Juan riss Machados Hemd auf und untersuchte seinen Rücken. Er fand keine Austrittswunde. Die Kugel hatte sein Herz knapp verfehlt. Blut strömte pulsierend aus seiner Brustwunde. Sein Atem war flach und rasselte von den Schäden, die der Treffer in seiner Lunge verursacht hatte.
Juan drückte die Kompresse auf Machados Brust, um den Blutstrom zu stoppen, aber gegen die inneren Blutungen konnte er nichts tun. Sie müssten ihn so bald wie möglich in die Krankenstation der Oregon schaffen.
»Gomez, gehen Sie mit voller Kraft auf Kurs zur Oregon
»Schon geschehen, Chairman.«
»Und informieren Sie Doc Huxley, dass sie mit der Aufnahme von Verwundeten rechnen muss.«
»Sie hat schon alles entsprechend hergerichtet und hält sich bereit.«
Machado fasste mit erstaunlich festem Griff nach Juans Arm.
»Passwort«, krächzte er. Blutbläschen zerplatzten auf seinen Lippen.
»Bleiben Sie ganz ruhig, Luis«, sagte Juan. »Wir bringen Sie dorthin, wo man schon darauf wartet, Ihnen zu helfen.«
Machado schüttelte den Kopf. »J … Zwei … Sieben … Y …« Er hielt inne, um Atem zu holen, dann fuhr er fort: »Fünf … Neun … Z … Acht …«
Seine Hand rutschte von Juans Arm ab und verschwand in seiner Hosentasche. Er holte etwas heraus und drückte es in Juans Hände.
Es war ein luft- und wasserdicht verschweißter Kunststoffbeutel. Darin befand sich ein USB -Speicherstick.
»Benutzen sie dies … um … Ferreira … zu stoppen …«
Das war offensichtlich das, was Machado auf der Dragão aus seiner Kabine geholt hatte.
»Keine Sorge«, sagte Juan. »Wir kriegen ihn.«
Machado gab keine Antwort. Seine Hand fiel herab. Seine Augen schlossen sich. Ein letztes Röcheln drang über seine Lippen, dann rührte er sich nicht mehr.
Eddie, der eine Ausbildung als Sanitäter absolviert hatte, begann sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen. Obgleich sie mit Machado schon in wenigen Minuten auf der Oregon einträfen, war Juan der Meinung, dass Eddies Bemühungen vergebens waren. Der Blutverlust musste einfach zu groß sein.
Indem er Machado Eddies Obhut überließ, richtete sich Juan auf und reichte Murph den Speicherstick.
»Wenn wir wieder auf der Oregon sind, schauen Sie mal nach, was sich darauf befindet«, sagte Juan. »Haben Sie sich das Passwort gemerkt?«
Murph nickte knapp.
Juan ging zu Linda Ross und bückte sich zu ihr hinab. Sie war wach, machte jedoch einen verwirrten Eindruck.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte er.
»Sie kann Sie nicht hören«, sagte Murph mit belegter Stimme. »Ich habe eine Blendgranate ins Cockpit geworfen. Sie ging direkt hinter ihr hoch. Sie ist vollkommen taub.«
»Wie bitte? Warum haben Sie das gemacht?«
»Keine Ahnung.«
»Wir hatten beide Schuld, Chairman«, meldete sich Gomez aus dem Cockpit. »Ich habe ihm die Granate aus irgendeinem Grund aus der Hand geschlagen.«
»Wir sind plötzlich vollkommen durchgedreht«, sagte Murph. »Wir alle drei, wohlgemerkt. Ich kann es nicht erklären. Es war grauenvoll. Ich hatte mich überhaupt nicht unter Kontrolle.«
»Er hat recht«, sagte Gomez. »Dann war es schlagartig vorbei, und wir waren wieder vollkommen normal. Bis auf Linda, natürlich.«
Was sie berichteten, ergab für Juan keinen Sinn. Das von ihnen beschriebene Verhalten war das genaue Gegenteil von dem abwägenden Professionalismus, der sie gewöhnlich in solchen Situationen auszeichnete.
»Hux wird Sie alle gründlich untersuchen und durchchecken, wenn die Mission abgeschlossen ist.« Er sah Eddie einige Sekunden lang dabei zu, wie er vergeblich weiter versuchte, Machado wiederzubeleben, und zerbiss einen Fluch über den tragischen Verlust. »Ich will wissen, wie es dazu kommen konnte.«
»Noch zwei Minuten bis zur Oregon
»Ich möchte, dass wir dann sofort wieder aufbrechen. Eric Stone soll in den Moon Pool kommen und dort auf mich warten. Er und ich, wir machen uns mit Gomez gleich auf den Weg, um mit den anderen Teams zusammenzutreffen.«
»Was ist mit dem Riss im Kuppelfenster?«, fragte Gomez.
»Wir flicken die Glasscheibe mit Klebeband«, entschied Juan. »Ferreira hatte Machado nur deswegen so nah an sich herankommen lassen, weil sich die beiden anderen Agenten für ihn verbürgt hatten. Also ist es nur eine Frage der Zeit, bis Ferreira begreift, dass auch sie Spione sind, und sie auffliegen lässt. Geben Sie den Teams Beta und Gamma Bescheid, dass sie sofort mit den Extraktionsoperationen beginnen sollen.«