15
Als MacD mit Jessica Belasco auf dem Kletterpfad vom Gipfel des Zuckerhuts zurückkam, kündigten die Affen mit wildem Geschnatter Hali ihr Erscheinen an. Belasco blieb beim Anblick der Ausrüstung, die er zusammengebaut und einsatzbereit gemacht hatte, ganz plötzlich stehen.
»Das soll wohl ein Scherz sein«, sagte sie.
»Jessica Belasco«, sagte MacD, »darf ich Ihnen Hali Kasim vorstellen, unseren erfahrenen Experten für das Gleitschirmfliegen.«
Ein halbrunder Gleitschirm in Gold und Weiß lag auf der Wiese ausgebreitet. Seine Leinen und Bänder liefen in einem Geschirr zusammen, das im Erdboden verankert war, um zu verhindern, dass sich der Schirm vorzeitig in die Luft erhob. Die Kappe – so wurde der Schirm genannt – drohte ständig aufzusteigen, sobald sich der Wind in ihr fing.
MacD machte das Gleitschirmfliegen fast ebenso viel Spaß wie Hali, der sich in diese Sportart verliebt hatte, als er während eines Aufenthalts auf Jamaika das erste Mal mit einem Gleitsegel vom Erdboden abgehoben war. In diesem Fall war der Schirm von einem Motorboot gezogen und durch ein Seil mit einer Winde am Bootsheck verbunden worden, mit deren Hilfe seine Flughöhe gesteuert werden konnte. Diese Variante wurde vor allem von Touristen bevorzugt, die ohne eine aufwendige Ausbildung das Gefühl zu fliegen auskosten wollten.
Aber Hali hatte sich derart dafür begeistert, dass er das Gleitschirmfliegen erlernte, bei dem man von einer Felsenklippe startete und frei am Himmel seine Kreise zog. Mittlerweile hatte er es darin zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. Die längste Flugdauer und weiteste Entfernung, die er bei einem Ritt auf den thermischen Winden geschafft und zurückgelegt hatte, betrug zwei Stunden und achtunddreißig Minuten und vierzig Meilen, war jedoch kaum mit dem Rekord von dreihundertfünfzig Meilen zu vergleichen. Man hatte sogar auf dem Heck der Oregon eine Seilwinde installiert, sodass Hali wie ein fliegender Wasserskiläufer vom Schiff gezogen werden konnte.
»Freut mich, Sie kennenzulernen.« Er war gerade damit beschäftigt, den zweiten Gleitschirm auszurollen, daher deutete er mit einem Kopfnicken auf einen Sturzhelm und sagte: »Den habe ich für Sie gekauft.«
Wie in Trance bückte sich Jessica Belasco und hob den Helm auf. »Ich kann keins dieser Dinger fliegen.«
»Das brauchen Sie auch nicht«, sagte Hali. »Das werde ich tun. Wir benutzen ein Tandemgeschirr.«
Sie schaute zu MacD hinüber, der die Achseln zuckte, während er Hali half, den zweiten Schirm – dieser war in den Farben Blau und Rot – vorzubereiten. »Das ist die schnellste Möglichkeit, nach unten zu kommen. Die Seilbahn können wir nicht nehmen, wie Sie bereits festgestellt haben. Und zu Fuß abzusteigen würde Stunden dauern, in denen Ihre Freunde ausreichend Gelegenheit hätten, einen heißen Empfang für uns vorzubereiten.«
»Das ist Wahnsinn. Wie können Sie so sicher sein, dass meine Tarnung aufgeflogen ist?«
»Das kann ich nicht. Langston Overholt hingegen ist davon anscheinend überzeugt.«
»Aber …«
»Hören Sie. Sie können hierbleiben und hoffen, dass man Sie nicht entlarvt hat, oder Sie kommen mit uns. So einfach ist das.«
Ihr Gejammer ging MacD allmählich auf die Nerven. Vielsagend schaute er zum Kletterpfad hinauf. Noch waren sie allein, aber ganz gewiss nicht mehr lange.
Belasco folgte seinem Blick, dann verzog sie das Gesicht und setzte den Helm auf.
»Wohin geht unser Flug?«, fragte sie.
MacD deutete auf die Ilha da Laje in der Einfahrt zur Guanabara-Bucht.
»Sehen Sie diesen winzigen Flecken da unten? Darauf landen wir. Dort kommen Ihre Freunde nicht an uns heran.«
»Und was dann? Werden wir von einem Boot abgeholt?«
»Von einem U-Boot.«
Sie verdrehte die Augen. »Das wird ja immer besser. Wer sind Sie?«
»Privatunternehmer. Wir alle sind Partner in dieser Firma. Ich kann Ihnen später eine Broschüre geben, die Sie über unsere Dienstleistungen und Beteiligungsmöglichkeiten informiert.«
»Super. Ich werde von Chuckles, dem Clown, gerettet.«
»Hey! Sie haben mein Ranger-Rufzeichen erraten!«
Belasco wandte sich zu Hali um, der ihr half, ihr Gurtgeschirr anzulegen. »Müssen Sie dies die ganze Zeit ertragen?«
Hali grinste. »Dafür krieg ich schließlich das dicke Geld.«
»Wie lange werden wir brauchen, um nach unten zu kommen?«
»Zehn Minuten höchstens. Es herrscht nur leichter Wind. Eigentlich sollte es ein ruhiger Flug werden.«
»Und ich sollte eigentlich meine Undercovermission fortsetzen«, sagte Belasco. Sie fuhr zu MacD herum. »Wenn ich erfahre, dass Sie mich ohne triftigen Grund verbrannt haben, sorge ich dafür, dass Sie es bis ans Ende Ihrer Tage bedauern.«
»Ist es zu früh, es jetzt schon zu bedauern?«, fragte MacD.
»Vielleicht sollte ich Sie beide zusammen fliegen lassen«, sagte Hali. »Dann können Sie auch Ihre Diskussion, ob Sie es miteinander versuchen wollen oder nicht, weiterführen.«
»Ich bitte Sie.« Sie deutete mit dem Daumen auf MacD. »Mein Ex war eine um einiges besser aussehende Version dieses Typs.«
MacD sah Hali an und schüttelte den Kopf. »Nur gut, dass wir dafür bezahlt werden. Ich habe noch nie jemanden gehört, der sich so heftig darüber beklagt, dass man ihm das Leben retten will.«
Hali grinste nur und hob die Schultern. Während er sein eigenes Geschirr anlegte und es mit den Halteleinen und Belascos Geschirr verband, erklärte er ihr, wie sie starteten.
»Wir stellen uns mit dem Gesicht zum Schirm auf, und ich ziehe ihn mit den Leinen hoch«, sagte er. »Sobald er vom Wind erfasst wird, machen wir kehrt und laufen den Abhang hinunter zur Felskante, bis wir abheben. Verstanden?«
Nun trat ein nervöser Ausdruck in ihre Augen.
»Haben Sie das früher schon mal gemacht? Diese Tandemnummer, meine ich.«
»Einige Hundert Mal«, sagte Hali, ohne mit der Wimper zu zucken.
MacD wusste, dass es nicht zutraf. Hali hatte es während der vergangenen beiden Tage mit MacD geübt, um ihm die Grundkenntnisse beizubringen. Davor hatte er es vielleicht ein Dutzend Mal gemacht. Vermutlich wollte er Belasco beruhigen. Menschen in Panik taten oft die verrücktesten Dinge.
Sie nickte, und MacD und Hali testeten ihre Zahnmikrofone, um sich zu vergewissern, dass ihre Kommunikation funktionierte. Dann klinkte sich MacD in sein Gurtgeschirr ein.
Kurz bevor Hali die Kappe hochzog, drehten die Affen regelrecht durch.
»Irgendjemand ist im Anmarsch«, sagte MacD.
Das Geräusch von Schritten drang vom Kletterpfad zu ihnen, und Belascos drei Begleiter tauchten keine fünfundzwanzig Meter entfernt zwischen den Bäumen auf. Für einen Moment waren sie vom Anblick der bunten Gleitschirme auf der Wiese vollkommen verwirrt.
Aber dieser Zustand hielt nicht lange an. Obgleich sie ihre Waffen zückten, mussten sie in Deckung hechten, als MacD seine halbautomatische SIG -Sauer-Pistole hervorzog und auf sie schoss.
»Startet!«, rief er Hali zu. »Sofort!«
Hali riss die Gleitschirmkappe vom Erdboden hoch, und er und Belasco wirbelten herum. Sie machten ein paar Laufschritte und sprangen in die Luft.
Trotz weiterer Schüsse von MacD erwiderten die drei Kartellkiller das Feuer aus ihrer Deckung hinter einigen Felsen.
MacD konnte nicht länger warten. Er schob die Pistole in seinen Hosenbund und zog mit einem Ruck an den Halteleinen. Die Schirmkappe füllte sich mit Wind und blähte sich zu voller Größe auf.
Zwar bemerkte er einige Löcher in dem Nylonstoff, aber er konnte nichts anderes tun als hoffen, dass sie nicht größer wurden.
Er wandte sich um und rannte los, bis sich seine Füße von dem Untergrund lösten. Sobald er die Felskante hinter sich hatte, verringerte er den Auftrieb der Schirmkappe und sank außer Sicht der Leute, die auf ihn schossen.
Er erblickte Hali und Belasco vor sich, aber irgendetwas sah nicht so aus, wie es aussehen sollte. Belasco hing viel tiefer, als es bei Tandemflügen üblich war.
»Hali, wurde sie getroffen?«
»Nein!«, antwortete Hali. Seiner Stimme war die Anstrengung anzuhören. »Aber eine der Kugeln hat einen Teil ihres Geschirrs zerfetzt. Sie hängt nur noch an einem Faden!«
»Könnt ihr es schaffen?«
»Ich denke schon, obgleich mein Gleichgewicht ziemlich gestört wird. Aber wir haben ein noch größeres Problem.«
»Größer, als fast aus dem Geschirr zu rutschen?«, fragte MacD verblüfft.
»Ich glaube, wir werden es gleich mit Abfangjägern zu tun bekommen.«
Hali deutete in Richtung der großen Jacht, die Juan Cabrillos Alpha-Teams infiltriert hatte.
Anfangs konnte MacD nichts Auffälliges erkennen, aber dann erschienen mehrere kleine Punkte vor dem Blau des Himmels, und er wusste, dass Hali mit seiner Einschätzung recht hatte. Sie hatten wirklich weitaus größere Probleme.
Vier große Quadrokopter-Drohnen kamen direkt auf sie zu.