25
SÜDÖSTLICH VON MONTEVIDEO
Während sich die Oregon
den von Tate übermittelten Koordinaten einhundert Meilen vor der Küste von Uruguay näherte, betrat Max Hanley den Moon Pool, um sich zu informieren, wie weit die Vorbereitungen gediehen waren. Wenn sich die Kansas City
tatsächlich in der Nähe befand und eine Bombe an ihrem Rumpf angebracht war, stünde ihnen eine unglaublich gefährliche Operation bevor.
Murph und Hali befanden sich oben im Operationszentrum und trafen Vorbereitungen, um die KC
mit dem Schleppsonar des Schiffes zu suchen, während MacD die Heliox-Tauchgeräte einsatzbereit machte. Tates Angaben zufolge lag das Atom-U-Boot in zweihundertfünfzig Fuß Tiefe am Rand des Kontinentalsockels und damit weit unterhalb des Einsatzbereichs normaler Tauchausrüstungen. Heliox war eine Mischung aus Helium und Sauerstoff, die bei Tauchgängen in großer Tiefe die Gefahr eines Tiefenrausches eliminierte. Der Gator würde MacD bei seinen Bemühungen unterstützen, und Linda Ross tat trotz ihres Hörverlusts alles, was in ihren Kräften stand, um das Tauchboot einsatzbereit zu machen. Sie kommunizierte mit den anderen Technikern über eine Spezialbrille, die Murph für sie konstruiert hatte, sowie mittels Handzeichen und eines Whiteboards.
Während Julia Huxley die Aktivitäten vom Laufsteg aus beobachtete, näherte sich Max von der Seite und blieb neben ihr stehen.
»Wie schlägt sie sich?«, fragte er die Ärztin.
»So gut, wie es unter den herrschenden Voraussetzungen zu erwarten war«, sagte Julia, »aber wegen ihres momentanen Handikaps hadert sie mit sich selbst. Ich habe ihr erklärt, sie brauche Ruhe, aber sie meinte, sie würde durchdrehen, wenn sie den ganzen Tag nur die Wände ihrer Kabine anstarren könne.«
»Mir würde es genauso gehen. Hast du mittlerweile eine Erklärung für das, was mit ihr, Murph und Gomez während der Operation in Rio geschehen ist?«
Julia zuckte die Achseln. »Ich habe einige Theorien, aber nichts Definitives.«
»Zum Beispiel welche?«
»Ich glaube, ein paar Möglichkeiten können wir ausschließen. Ich habe alle drei gründlich untersucht und keinerlei Hinweise auf Spuren ungewöhnlicher chemischer Substanzen in ihren Organismen gefunden.«
»Demnach wurden sie nicht vergiftet.«
»Nein. Und auch nicht unter Drogen gesetzt. Außerdem gab es auch keinen Anlass anzunehmen, dass ein gleichzeitiger Drogenkonsum stattgefunden haben könnte. Sie verzehrten nicht die gleichen Lebensmittel und nahmen unterschiedliche Getränke zu sich. Die einzige andere Möglichkeit wäre ein aerosoliertes Gas gewesen, das in den Gator gepumpt wurde, während sie tauchten. Murph kämmte das gesamte U-Boot bis in den letzten Winkel durch und fand nichts, was nicht dorthin gehört hätte.«
»Wie sieht es mit einer möglichen Krankheit aus? Einer kollektiven Infektion?«
»Ich habe keine Viren oder Bakterien in den Kulturen gefunden, die ich zur Überprüfung ansetzte, aber dass es sie auf diesem Weg erwischt hätte, wäre sowieso unwahrscheinlich gewesen. Sie alle sprachen davon, dass sie von den Visionen abrupt überfallen wurden, und dass diese dann ebenso schlagartig wieder aufgehört hätten. Eine Infektion wäre erst nach Stunden wirksam geworden und hätte schrittweise nachgelassen.«
»Welche Schlussfolgerung ergibt sich daraus?«
Ratlos schüttelte Julia den Kopf. »Es gibt mögliche Erklärungsansätze, aber sie erscheinen weit hergeholt.«
»Lass hören.«
»Mikrowellen können im Gehirn neurologische Veränderungen hervorrufen. Könnten sich solche Wellen unter Wasser fortpflanzen oder auch den Rumpf des Gators durchdringen?«
»Niemals. Die Wassermassen in der Umgebung des Gators würden die Wellen absorbieren und zuerst zu kochen anfangen. Was fällt dir sonst noch ein?«
Sie senkte verlegen den Blick, während sie murmelte: »Hypnose.«
»Eine Gehirnwäsche? Ist das dein Ernst?«
»Ich sagte doch, diese Ideen sind weit hergeholt, ansonsten bin ich leider ratlos. Geheimdienste haben mit Hypnose experimentiert, kombiniert mit psychedelischen Drogen, um die Möglichkeiten unterbewusster Einflussnahme und suggestiver Steuerung auszutesten und zu erweitern, aber die Resultate waren bestenfalls gemischt, daher kann ich eine solche Möglichkeit nicht ausschließen.«
Max hatte Mühe, ernst zu bleiben und die Augen nicht zu verdrehen. »Sonst noch etwas?«
Julia holte tief Luft. »Stimmen hören.«
Max sah sie stirnrunzelnd an. »Was ist das?«
»Ich habe in der Fachliteratur Hinweise darauf gefunden, dass sehr laute akustische Reize bei bestimmten Frequenzen das Vestibularsystem stören und unkontrollierbare Resonanzen im Bereich des Hörnervs hervorrufen können.«
Max reagierte mit einem Blick, als wollte er sagen: Kannst du mir das auch so erklären, dass ich es verstehe?
»Das Innenohr steuert unser Gleichgewichtsempfinden und den Schweresinn«, fuhr sie fort. »Die Funktion dieser Sinnesorgane kann durch laute akustische Signale selbst im Ultra- und auch im Infraschallbereich – also ober- oder unterhalb der von Menschen hörbaren Frequenzen – nachhaltig gestört, wenn nicht gar vollständig lahmgelegt werden. Akustische Kriegsführung hat es schon im Ersten Weltkrieg gegeben. Und im Zweiten Weltkrieg entwickelte die deutsche Wehrmacht einen Parabolspiegel zum Erzeugen extremer Lärmpegel als Waffe, der jedoch nie zum Einsatz kam.«
Max nickte. »Von etwas Ähnlichem habe ich schon mal gehört. Es heißt LRAD
oder Long Range Acoustic Device und erzeugt Töne, die unerträglich sind. Fracht- und Passagierschiffe führen gelegentlich solche Einrichtungen an Bord mit, um auf unblutige Weise Piraten abzuwehren.«
»Richtig. Und erinnerst du dich noch an die Vorfälle in den amerikanischen Botschaften in Kuba und in China? Das Personal klagte seinerzeit über alle möglichen Leiden, die, wie sich später herausstellte, durch permanente Lärmattacken im Ultraschallbereich ausgelöst wurden.«
»Wie hätte die Mannschaft des Gators auf eine solche Weise beeinträchtigt werden können?«
»Sie trugen Headsets. Ich bat Mark Murphy, die gesamte Software zu überprüfen, um festzustellen, ob irgendetwas installiert wurde, das erlaubt, ein Signal direkt in ihre Ohren zu senden. Bis die Untersuchung abgeschlossen ist, gibt es nur eins zu tun – sobald sich jemand, der einen Kopfhörer trägt, seltsam verhält, nimm ihm den Kopfhörer ab.«
Max nickte. »Ich werde diese Warnung an die Mannschaft weitergeben.«
Max’ Telefon summte. Es war Hali.
»Ich habe Tate in der Leitung«, sagte er.
»Stellen Sie ihn durch.« Max nickte Linda zu und verließ den Moon Pool, um das Operationszentrum aufzusuchen.
Im Telefon klickte es. »Hier ist Max Hanley.«
»Ja, ich erinnere mich an Sie. Vertreten Sie Juan in seiner Abwesenheit? Eine interessante Wahl.«
Max hatte keine Geduld für Tates Wortgeplänkel. »Wo ist die Kansas City
?«
»Sie haben recht. Jetzt ist keine Zeit für Schwätzchen. Sie haben sechzig Minuten, bis die Bombe auf dem Rumpf der KC
explodiert, deshalb müssen Sie sich beeilen.«
»Wo?«
»Wenn Sie dort sind, wo Sie laut meinen Instruktionen sein sollen, haben Sie nur acht Meilen zurückzulegen. Ich schicke Ihnen die genauen Koordinaten – jetzt.«
»Woher weiß ich, dass die Bombe nicht hochgeht, wenn wir dort ankommen, und meine Leute tötet?«
»Das wäre nicht sehr sportlich, oder? Aber ich bin auch nicht gerade der Vertrauenswürdigste. Dieses Risiko müssen Sie leider eingehen. Viel Glück.«
Tate unterbrach die Verbindung. Max verstaute das Telefon in der Tasche, wobei er vor Wut mit den Zähnen knirschte. Es war keine Hilfe, dass Tate eine Phrase benutzte, die auf der Oregon
verpönt war. Dort galt es als schlechtes Omen, einander vor einer Mission »Viel Glück« zu wünschen.
Als er ins Operationszentrum kam, ließ Max von Murph die Seekarte mit den Tiefendaten von der Region aufrufen, deren Koordinaten Tate ihm gerade übermittelt hatte.
»Zweihundertfünfzig Fuß, wie er es sagte«, stellte Murph fest.
Max gab Befehl, mit der Oregon
Kurs auf diese Position zu nehmen. »Wenn wir dort eintreffen, soll sofort mit der Sonarsuche begonnen werden.« Er gab dem Personal im Moon Pool Bescheid, sich für eine Tauchfahrt in zwanzig Minuten bereitzuhalten.
»Haben wir irgendwelche Radarkontakte?«, erkundigte er sich bei Hali Kasim.
»Ein Boot im Westen, Entfernung acht Meilen. Vierundvierzig Fuß. Sieht aus wie ein Fischkutter. Sonst ist nichts auf dem Schirm.«
Das Boot konnte von Tate dorthin beordert worden sein, um sie zu beobachten, aber er hatte keine Zeit, dies zu überprüfen. Er würde es im Auge behalten, auch wenn eine solche Nussschale für die Oregon
eigentlich keine Gefahr darstellte.
* * *
Normalerweise befand sich die Oregon
zu weit hinter dem Horizont, um von ihrem gecharterten Fischerboot aus beobachtet werden zu können, aber Abdel Farouk benutzte eine Drohne hoch über ihren Köpfen, um ihre Bewegungen zu überwachen. Nach dem Verdoppeln der Leihgebühr, die er dem Eigentümer zahlte, hatten er und Li Quon das Boot für sich. Erfreut beobachtete er, wie sich das Spionageschiff mit hoher Fahrt nach Nordosten entfernte.
»Kommen sie in unsere Richtung?«, fragte Li beunruhigt.
»Nein«, antwortete Farouk. »Sie nehmen Kurs auf die Koordinaten, die der Commander ihnen genannt hat.«
»Ihnen den SEPIRB
der Kansas City
zu zeigen, muss überzeugend gewesen sein.«
»Der Commander ist nicht dumm.«
»Was meinst du, wie lange sie brauchen, bis sie begreifen, dass das U-Boot nicht dort ist?«
»Lange genug, um sie mit dem Sonar-Disruptor anzugreifen.« Die Drohne, die die Waffe mit sich führte, befand sich bereits in Position. Sobald sich die Oregon
weit genug genähert hätte, brauchte Farouk nur noch den Befehl des Commanders, um sie zu aktivieren.
»Meinst du, sie entfaltet hier die gleiche Wirkung wie in Rio?«
Farouk schüttelte den Kopf. »Nein. Eine noch bessere.«
»Selbst bei einem Schiff dieser Größe?«
»Ich gehe auf volle Leistung wie bei der KC
. Die Mannschaft sollte bereits innerhalb weniger Sekunden reagieren.«
»Was meinst du, sprengen oder versenken sie ihr eigenes Schiff?«
Farouk zuckte die Achseln. »Schwer zu sagen. Natürlich ist es nicht das, was sich der Commander eigentlich wünscht.«
»Ich wette um hundert Dollar mit dir, dass sie es tun.«
Farouk ließ das Fernglas sinken und grinste Li an. »Sagen wir fünfhundert.«
»Ich bin dabei«, sagte Li. Er hatte sich abgewandt und entfernte sich nun zur Kommandobrücke, als das Funkgerät knisterte. Während Farouk bereits überlegte, was er mit seinem Gewinn anfangen würde, justierte er die Kontrollen des Disruptors.
Als Li zurückkehrte, sagte er: »Der Helikopter ist in vierzig Meilen Entfernung in Position. Sie warten auf dein Signal.«
Der Sikorsky, der im Norden im Schwebflug in der Luft stand, hatte ein zehn Mann starkes Angriffsteam an Bord. Er würde fünfzehn Minuten brauchen, um die Strecke zur Oregon
zurückzulegen, sobald die Akustikwaffe eingeschaltet war. Wenn er am Ziel eintraf, sollte die Mannschaft eigentlich wehrlos, über Bord gesprungen oder tot sein. Wenn sie auf dem Deck landeten, brauchte das Angriffsteam nicht mit Gegenwehr zu rechnen.
»Sie sind in fünf Minuten in Position«, sagte Farouk und schüttelte staunend den Kopf. Tate hatte offenbar jedes Detail bis ins Kleinste vorhergesehen. Alles entwickelte sich perfekt.
Der Plan das Commanders hatte nicht zum Ziel, die Oregon
zu versenken. Sein Plan war, sie zu stehlen.