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BUENOS AIRES
Mit einem amüsierten Lächeln verfolgte Juan Cabrillo, wie sich die Oregon
mit Höchsttempo in Richtung Horizont entfernte.
»Offenbar ist einiges nicht ganz so gelaufen, wie Sie es erwartet hatten«, sagte er zu Tate, der ungläubig auf den Hauptbildschirm im Operationszentrum der Portland
starrte.
»Verbindet mich mit Farouk!«, rief Tate. »Ich will wissen, was passiert ist!«
Nach einer Minute ohne Reaktion wurde von der Drohnenkamera auf eine Kamera an Bord des kleinen Fischerboots umgeschaltet. Zu sehen waren zwei vollkommen durchnässte Männer, einer dem Aussehen nach ein Araber, der andere ein Asiate. Sie standen auf dem Deck, jeder in einer Wasserpfütze, die sich um ihre Füße gesammelt hatte.
»Sie sind entkommen«, sagte der Orientale mit einem – wie Juan erkannte – ägyptischen Akzent. Das musste Farouk sein.
»Ich weiß, dass sie entkommen sind, du Idiot!«, brüllte Tate. »Aber wie?«
Der Asiate zuckte die Achseln. Farouk schüttelte den Kopf und meinte: »Ich weiß es nicht. Der Sonar-Disruptor hat einwandfrei funktioniert.«
»Wo ist der Hubschrauber?«
»Ich habe den Befehl gegeben, dass er umkehren soll«, sagte der Asiate.
»Nun, Applaus für dich, Li«, gab Tate zurück und klatschte langsam in die Hände. »Das war eine glänzende Idee, dem Chopper zu ersparen, ohne besonderen Grund aufs Meer hinauszufliegen. Seht zu, dass ihr so schnell wie möglich hierherkommt. Ich will den Sonar-Disruptor selbst inspizieren.«
Mit der Hand machte er die übliche Halsabschneidegeste. Farouk und Li verschwanden vom Bildschirm, ein ängstliches Flackern in den Augen.
»Betrachten Sie das Ganze doch einmal von der angenehmen Seite, Tate«, sagte Juan. »Die Oregon
ist noch da, sodass Sie ein anderes Mal versuchen können, sie zu entführen.«
Tate kam herüber und blickte wütend auf ihn hinunter.
»Ich bin ja so froh, dass sie Ihren Spaß haben, denn es dürfte das letzte Mal sein, dass Sie sich über irgendetwas freuen.«
Juan grinste. »Da bin ich mir nicht so sicher. Gibt es noch andere Operationen, die Sie in den Sand gesetzt haben und mir vorführen wollen?«
»Sie bleiben nicht mehr lange hier«, sagte Tate und winkte Catherine Ballard zu sich herüber.
»Wohin soll die Reise denn gehen?«
Tate antwortete nicht. Ballard näherte sich mit einem Handscanner.
»Such das Ding und hol es heraus«, sagte Tate.
Ballard nickte und führte das Gerät an Juans Körper entlang, wobei sie an seinem Kopf begann. Das Gerät blieb stumm, bis sie damit zu seinem linken Oberschenkel kam und es Pieptöne von sich gab.
»Da ist es«, sagte sie und klappte ein Springmesser auf.
»Vorsichtig«, bat Juan. »Dieser Taucheranzug ist mein bestes Stück.«
»War er früher auch schon so?«, wollte sie von Tate wissen, während sie den Anzug aufschlitzte.
»Es ist wahrscheinlich schwer zu glauben«, erwiderte Tate, »aber er ist noch schlimmer geworden. Er denkt, er kann sich mit einem faulen Scherz aus jeder Situation befreien. Aber diesmal wird nichts daraus, mein Freund.«
Ballard fuhr mit der flachen Hand über seinen Oberschenkelmuskel, bis sie fand, was sie suchte. Als sie das Messer in Juans Oberschenkel bohrte, tat er Tate nicht den Gefallen, vor Schmerzen zusammenzuzucken.
Sie pulte eine winzige Metallscheibe heraus und hielt sie hoch, um sie zu untersuchen.
»Dachten Sie, dass Ihre Leute Sie mithilfe dieses Peilsenders finden?«, fragte Tate, dessen gute Laune offensichtlich zurückkehrte.
»Angesichts der Irren, mit denen ich es zu tun habe, erschien es mir geraten, so ein Ding zu benutzen.«
»Betrachten Sie sich als etwas Besseres, wenn Sie uns alle für Irre halten?«
»Sind Sie das denn nicht?«
»Ist man ein Irrer, wenn man Gerechtigkeit fordert oder wenn man sich an Leuten revanchieren will, die einem Schlimmes angetan haben? Sind wir Irre, nur weil wir Söldnerarbeit leisten – was letztlich doch auch Sie tun?«
Juan schüttelte voller Abscheu den Kopf. »Wir versenken nicht Schiffe gegen Honorar und bringen dabei unschuldige Menschen um.«
»Sie waren bereit, Hunderte unschuldige Menschen bei einem Terrorattentat in Moskau zu opfern, nur weil Sie zu zimperlich waren, was meine Verhörmethoden betraf.«
»Sie hatten die Absicht, die gesamte Familie des Mannes umzubringen. Sogar seine Kinder.«
Tate wischte diesen Punkt mit einer wegwerfenden Geste beiseite. »Sie hatten es verdient, weil sie einen Terroristen unterstützten.«
Juan erkannte, dass es vollkommen müßig war, mit ihm zu diskutieren. »Sie sagten, dass ich nicht mehr lange hierbliebe. Wohin werde ich gebracht? Oder wirft man mich über Bord?«
Tate grinste. »Glauben Sie, nach all dem würde es für Sie so glimpflich ausgehen?« Er reichte Ballard den intakten Peilsender. »Bring dies zum internationalen Flughafen und schmuggle es irgendwem ins Reisegepäck.«
Catherine Ballard nickte. »Seine Leute können ihn dann auf einem anderen Kontinent suchen.«
»Und wo werde ich sein?«, fragte Juan.
»Vor einiger Zeit«, sagte Tate, »haben Sie offenbar eine von China und Argentinien in der Antarktis unterhaltene Basis zerstört, was beide Länder ein Vermögen gekostet haben dürfte. Mehrere argentinische Offiziere, die an diesem Projekt beteiligt waren, überlebten den Angriff zwar, wurden jedoch degradiert oder unehrenhaft aus dem Dienst entlassen und von ihrem eigenen Militär wie Aussätzige behandelt. Sie fanden es gar nicht gut, dass Sie, Cabrillo, ihre Karrieren ruiniert haben.«
Juan wollte nicht gefallen, was er zwischen den Zeilen hören konnte.
»Als diese Offiziere nun erfuhren, dass sich ihnen die Möglichkeit bot, es Ihnen heimzuzahlen«, fuhr Tate fort, »ergriffen sie mit beiden Händen die Chance und sorgten dafür, dass meine Operationen hier in Buenos Aires wie geschmiert über die Bühne gehen. Als Gegenleistung bot ich sie ihnen als Geschenk an.«
Nun zeigte im Operationszentrum der Portland
jeder der Anwesenden ein strahlendes Lächeln.
»Wollen Sie mich hier festhalten, um mich foltern zu lassen?«
Tate schüttelte den Kopf. »Diese nicht ganz reguläre militärische Einheit verfügt über ein geheimes Gefängnis in Las Armas, das nicht von der Armee unterhalten und betrieben wird. Daneben sieht das Black Hole in Kalkutta wie ein Ritz-Carlton aus. Sie werden also den Rest Ihres hoffentlich noch langen und ganz gewiss furchtbar traurigen Lebens in überaus freundlicher Gesellschaft verbringen.«
»Aber dann werden Sie kaum Gelegenheit bekommen, sich mir gegenüber aufzuspielen, wenn Sie irgendwann die Oregon
schnappen sollten.«
Tate ging vor Juan dramatisch auf die Knie herunter. »Ich werde gar keinen weiteren Versuch einer Entführung machen, mein alter Freund. Dieser Zug ist abgefahren, um es mal so zu sagen. Nein, ich werde die Oregon
versenken. Es wird auf Video festgehalten und Ihnen in Ihrer Zelle als Endlosschleife vorgespielt. Ich sorge dafür, dass Sie Ihr eigenes Schiff untergehen sehen, und es gibt nichts, was Sie dagegen tun können. Ich könnte mir vorstellen, dass dies schlimmer ist als jede physische Folter, die man sich ausdenken kann. Immer wieder mit ansehen zu müssen, wie Ihre Mannschaft Mann für Mann und Frau für Frau stirbt, es wird Sie zerbrechen. Das garantiere ich Ihnen.«
Tate stand auf und atmete tief durch. »Wissen Sie was? Ich fühle mich schon jetzt viel besser, wenn ich nur daran denke. Schafft ihn nach oben.«
Juan wurden die Fesseln abgenommen, und dann wurde er zum Ausgang gestoßen. Oben auf dem Deck warteten bereits sechs Soldaten in Flecktarnkleidung. Juan erkannte keinen von ihnen.
»Colonel Sánchez«, sagte Tate zu dem ältesten. »Wie versprochen präsentiere ich Ihnen Juan Cabrillo.«
Sánchez trat vor und sagte in seiner Muttersprache zu Juan: »Sie haben meinen Cousin getötet.«
»Das ist lustig«, erwiderte Juan auf Spanisch mit einem deutlich argentinischen Akzent. »Ich kann mich nämlich nicht erinnern, jemals jemanden getroffen zu haben, der so hässlich gewesen wäre wie Sie. Offenbar hatte er sämtliche guten Gene der Familie mitbekommen.«
Sánchez starrte ihn hasserfüllt an. »Wir werden sehen, wie viele Scherze Ihnen noch einfallen werden, wenn wir morgen in Las Armas eintreffen.«
Tate reckte einen Finger hoch. »Noch eine Sache, Colonel …« Er reichte dem Argentinier eine Beinprothese. »Sie sollten sein künstliches Bein durch dieses hier ersetzen. Er hat die Angewohnheit, alle möglichen Überraschungen darin zu verstecken.«
»Sie haben wirklich an alles gedacht«, sagte Juan.
»So bin ich eben. Umsichtig. Aufmerksam. Leben Sie wohl, Juan. Vielleicht bringe ich Ihnen das Video persönlich, damit ich mich aus erster Hand davon überzeugen kann, wie gut es Ihnen geht.«
Während die Soldaten Juan wegführten, rief er über die Schulter: »Besucher sind immer willkommen!«
Ehe sie das Schiff verließen, hielten zwei Soldaten ihn fest, während ein dritter sein künstliches Bein austauschte. Das neue Bein passte nicht richtig, daher musste Juan vorsichtig gehen, damit die Prothese nicht vom Stumpf abrutschte.
Ehe er in den wartenden Lastwagen einstieg, drückte Juan drei Mal auf seinen rechten Oberschenkel. Damit aktivierte er den Backup-Peilsender, den Julia Huxley ihm ins Bein eingesetzt hatte. Da er bisher nicht gesendet hatte, konnte Tate nur den finden, den er auch hatte finden sollen. Juan hatte ursprünglich die Absicht gehabt, die Oregon
mithilfe des Peilsenders zur Portland
zu führen und sie zu überfallen, aber diese Operation musste er nun wohl ersatzlos streichen.
Juan blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass die Mannschaft der Oregon
ihn abfing, ehe er das Gefängnis erreichte. So wie es geklungen hatte, bestand nämlich die Gefahr, dass, wenn er erst einmal in seiner Zelle saß, nicht mehr damit zu rechnen war, dass er sie jemals wieder verlassen könnte.