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SÜDATLANTIK
Zachariah Tate hoffte, die Bremen zerstört zu haben, ehe Juan Cabrillo etwas für sich Nützliches herausholen konnte. Aber er konnte sich dessen nicht sicher sein. Ebenso wenig konnte er sich darauf verlassen, dass der Sonar-Disruptor die Oregon abermals außer Gefecht setzen würde. Juans Anwesenheit bestätigte ihm jedoch, dass Jiménez ihm Informationen geliefert hatte, wo das U-Boot zu finden war. Tate war es leid, Fehler zu machen, wie zum Beispiel nicht frühzeitig nach der Bremen zu suchen, um sie zu sprengen. Seinen Gegner zu unterschätzen, würde ihm nicht mehr passieren.
So unwahrscheinlich es war, dass Juan und seine Leute kurzfristig eine wirksame Abwehr gegen die Waffe entwickelten, musste er trotzdem damit rechnen. Außerdem bestand die Möglichkeit, dass Juan seine eigene Version dieser Schallwaffe entwickelte, aber bis dahin würde es einige Monate dauern. Außerdem war es nicht von Bedeutung. Die Portland war vor den Auswirkungen von Schallattacken geschützt.
Da er sich nicht mehr auf seine Superwaffe verlassen konnte, hatte er einen Reserveplan zum Versenken der Oregon in der Hinterhand. Er und seine Leute waren direkt nach Montevideo zurückgeflogen, und er hatte Befehl gegeben, mit der Portland sofort auszulaufen. Sie hatten eine wichtige Verabredung, die sie einhalten mussten.
»Sie sind absolut pünktlich«, sagte Tate, als er das sechzig Meter lange Flugkörper-Schnellboot auf dem Hauptbildschirm im Operationszentrum der Portland betrachtete.
»Ein schönes Schiff«, sagte Pavel Durchenko. Der bärbeißige russische Erste Offizier deutete mit einem anerkennenden Kopfnicken auf den Bildschirm. »Es ist lange her, seit ich ein Schiff unter meinem Befehl hatte.«
»Ich hatte es Ihnen ja versprochen«, sagte Tate, ehe er sich an Farouk wandte. »Den Sonar-Disruptor einsatzbereit machen.«
»Aye, Commander«, sagte Farouk. »Einer sofortigen Anwendung steht nichts im Wege.«
Das in Israel gebaute Kriegsschiff der Reshef-Klasse befand sich auf einer Transatlantikpassage unterwegs zu seinem neuen Eigner, der chilenischen Marine. Das Schiff, nach einer berühmten Seeschlacht in Abtao umbenannt, war ursprünglich für die Südafrikaner gebaut worden und in deren Marine über vierzig Jahre lang im Einsatz gewesen. Chile hatte das umfangreich modifizierte Schiff als viertes seiner Bauart für seine Kriegsflotte erworben.
Für ein derart kleines Schiff war die Abtao mit einem imposanten Arsenal an Bewaffnung ausgestattet. Sie konnte bis zu vier Harpoon-Antischiffsraketen abfeuern, die durch zwei 76 mm-Kanonen und 20 mm-Oerlikon-Zwillingskanonen unterstützt wurden. Für die Übergabe an ihren neuen Eigner war sie jedoch unbewaffnet. Die Munition sollte geladen werden, sobald sie in Valparaiso einträfe.
Normalerweise bestand die Mannschaft des Schiffes aus fünfundvierzig Mann, aber die Südafrikaner hatten automatische Kontrollen eingebaut, die einen kurzzeitigen Betrieb mit nur zwölf Mann erlaubten.
Für Tates Zwecke war das ideal.
Als die Abtao die Portland in einer Meile Abstand passierte, gab Tate den Befehl: »Disruptor aktivieren. Volle Leistung.«
»Aktiviert«, antwortete Farouk.
Einige Sekunden lang geschah anscheinend überhaupt nichts. Dann wurden die Maschinen der Abtao abrupt abgeschaltet, und ihr Bug pflügte tief ins Wasser. Mehrere Sekunden später erschienen die ersten Mannschaftsmitglieder an Deck. Sie rannten vollkommen verwirrt umher und brüllten wie am Spieß. Nacheinander stürzten sich zwölf Männer in den Ozean, bis niemand mehr am Bord übrig blieb.
»Sind das alle?«, fragte Tate.
Durchenko nickte. »Zwölf standen auf der Mannschaftsliste.«
»Gut. Nett von ihnen, dass sie das Schiff genau vor uns gestoppt haben. Setzen Sie mit Ihrer Crew über und holen Sie sie zur Portland
»Aye, Commander«, sagte Durchenko und verließ das Operationszentrum.
Während er darauf wartete, dass Durchenko mit der Abtao längsseits ging, trat Tate neben Catherine Ballard und legte ihr einen Arm um die Schultern. »Was hatte Admiral Yu zu melden? Gute Neuigkeiten, hoffe ich doch.«
Sie deutete ein mattes Lächeln an, ehe sie einen Blick auf ihr Tablet warf. »Er rechnet damit, in vier Tagen in Tierra del Fuego einzutreffen.«
»Einen Tag nach dem nächsten Akt unserer Operation. Nicht übel.«
Ballard senkte die Stimme. »Wegen unserer Rückschläge machst du dir offenbar keine Sorgen.«
»Dass diese Geschichte nicht haargenau so laufen würde, wie ich es mir gewünscht hatte, war mir von Anfang an klar«, sagte Tate. »Auch wenn du mit Langston Overholt, Juans Mentor, sehr eng zusammengearbeitet hast, hattest du nur wenig Kontakt mit Juan selbst. Er ist wirklich ein beeindruckender Zeitgenosse.«
»Ich hätte niemals erwartet, dass er die Kansas City findet, geschweige denn die Bremen . Besitzt er einen sechsten Sinn?«
»Er ist kein Superheld. Nur ein Mensch wie ich. Aber er hat eine grundlegende Schwäche, wie du sicher gesehen hast. Er kann es nicht ertragen, einen Freund oder eine unschuldige Person leiden zu sehen. Deshalb führen wir diese Operation durch. Ich hatte das Gefühl, ich müsste einen Alternativplan bereithalten, und ich hatte wieder einmal recht. Keine Angst. Alles wird gut.«
Ballards Miene hellte sich auf. »Ich habe Admiral Yu gebeten, für einen Funkspruch kurz aufzutauchen, sobald er Tierra del Fuego erreicht. Er klang, als könne er es kaum erwarten, endlich das Schiff zu sehen, das seinen Bruder getötet hat.«
»Wenn ich mich entschließen sollte, ein richtig netter Mensch zu sein, dann überlasse ich es ihm, den tödlichen Schuss abzufeuern.« Als Catherine Ballard ihn irritiert musterte, fügte er hinzu: »War nur ein Scherz. Dieses Vergnügen möchte ich selbst auskosten. Admiral Yu darf ihn mir in die Arme treiben.«
Mehrere Minuten später meldete sich Durchenko von der Abtao .
»Commander, bis auf einige geringe, eher kosmetische Schäden, die die Mannschaft hinterlassen hat, ehe sie von Bord ging, ist das Schiff voll und ganz funktionsfähig.«
»Siehst du?«, meinte Tate grinsend zu Ballard. »Genau so, wie wir es geplant haben.«
Er befahl Durchenko, die Abtao dicht neben die Portland zu manövrieren, damit sie mit der Umladeaktion beginnen konnten. Obwohl sie keine Waffen an Bord hatte, würde sich dies in Kürze ändern. Die Container, die sie eigentlich auf die Manticora hätten transferieren sollen, ehe Tate sie versenkte, enthielten sämtliche Munition, die nötig war, um das Flugkörper-Schnellboot in den kampffähigen Zustand zu versetzen. Sie hatten sogar eine volle Treibstoffladung, die sie umpumpen konnten.
Trotz der Rückschläge, die Ballard angesprochen hatte, war Tate mit seiner wachsenden Flotte durchaus zufrieden. Eine kleine Armada stand jetzt schon unter seinem Kommando. Die drei Schiffe – die Portland , die Wuzong und die Abtao  – verfügten über mehr als genug Feuerkraft, um die Oregon zu versenken, ganz gleich ob mit oder ohne den Vorteil des Sonar-Disruptors.
Wenn sie die Abtao aufgetankt und bewaffnet hätten, würden sie Kurs auf die Südspitze Südamerikas und die riesige Inselgruppe nehmen, die sich an der chilenischen Küste entlangschlängelte. Er würde die Oregon niemals auf offener See in einen Hinterhalt locken können, dazu war Juan zu clever. Tate brauchte eine geeignete Umgebung, um die Bewegungsfreiheit der Oregon einzuschränken, und das Labyrinth von Kanälen und Inseln vor Tierra del Fuego schien für seinen Plan wie geschaffen.
Nun müsste er nur noch den richtigen Köder finden. Tate hatte zuerst an ein Kreuzfahrtschiff gedacht, aber eintausend oder mehr Passagiere und Mannschaften unter Kontrolle zu halten, war zu umständlich. Stattdessen hatte er etwas Kleineres gefunden, ein Schiff mit genügend Matrosen an Bord, um als Geiseln zu dienen. Und es war ein amerikanisches Schiff, das Juan auf der Stelle animieren würde, ihm zu Hilfe zu eilen.
»Liegt die Deepwater noch im Hafen?«, wollte er von Ballard wissen.
Sie tippte auf ihrer Tastatur, rief den Tracker auf, den sie mehr als eine Woche zuvor für alle Fälle unbemerkt auf der Deepwater deponiert hatten, und nickte. »Laut den Angaben im Computersystem des Hafens liegt sie während der nächsten beiden Tage in Puntas Arenas vor Anker. Dann legt sie ab und nimmt Kurs auf den Alacalufes National Reserve, um in zwölf Tagen planmäßig zurückzukehren.«
Tate blickte auf seine Landkarte und legte einen Finger auf Puntas Arenas, die bevölkerungsreichste Stadt in Südchile. Um von ihrer augenblicklichen Position dorthin zu gelangen, würden sie zwei Tage brauchen. Und wenn sie die Deepwater einholten, wären sie einige hundert Meilen von der nächsten Basis der Küstenwache entfernt.
Und sie würden sie ganz sicher einholen. Dass ihnen dieses Forschungsschiff entkommen könnte, war gar nicht vorstellbar.
Die Deepwater der NUMA war nicht mit Schwerpunkt auf Schnelligkeit gebaut worden.