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ALACALUFES NATIONAL RESERVE
Während sie von der Kommandobrücke der Deepwater aus beobachtete, wie die Mannschaft die siebente Sonarboje aussetzte und verankerte, empfand Rashonda Jefferson großen Stolz auf die Effizienz ihrer Schiffsbesatzung. Das Schiff hatte drei von den Webcams in der Pinguinkolonie aufgestellt, die bereits von Besuchern der NUMA -Website aufgerufen wurden, und die Sonarbojen waren ähnlich beliebt. Drei der empfindlichen Hydrofone hatten bereits Herden von Buckelwalen aufgespürt, die in den engen Kanälen zwischen den unzähligen kleinen Inseln des ausgedehnten Naturreservats ihrer Wege zogen.
Ihre augenblickliche Position – ein Knotenpunkt von fünf Wasserstraßen –, an dem sie die Gesänge wandernder Wale aufzufangen hofften, war auf allen Seiten von schneebedeckten Bergen umgeben, und die Abstände zwischen den Inseln waren so eng, dass sich die Deepwater nur im Kriechtempo fortbewegen konnte.
Glücklicherweise erwies sich Amelia Vargas als genauso gut, wie von den Hafenbehörden und ihr selbst beschrieben, und lenkte das Schiff geschickt durch die gefährlich schmalen und von Hindernissen wimmelnden Wasserwege. Die Lotsin hatte nicht übertrieben, was sowohl die Wassertiefe – über eintausend Fuß an einigen Stellen – als auch die Gefahr betraf, die von den zahlreichen Gletschern ausging. Sie hatten mehrere kalbende Gletscher gesehen, die ihren tonnenschweren Nachwuchs in Gestalt riesiger Eisschollen ins Meer entließen.
Vargas betrachtete den Verlauf ihrer Route auf der Landkarte und lauschte mit gerunzelter Stirn den neuesten Wettervorhersagen.
»Was ist los?«, fragte Jefferson.
»Ich glaube, wir müssen unsere Fahrtrichtung ändern. Sonst könnten wir ziemlich bald vollkommen eingenebelt sein.«
Vargas deutete auf Wolken, die im Süden über die Inseln trieben und sich dort wie eine solide Decke festsetzten. Wie üblich vertraute Jefferson auf den Instinkt der Lotsin und schloss sich ihrer Einschätzung an.
»Sie haben recht. Ich möchte hier nicht bei null Sicht festsitzen. Wir nehmen Kurs nach Norden, sobald wir diese Sonarboje sicher verankert haben. Sogar hier zu wenden, wird ziemlich heikel sein.«
Die Kreuzung war nicht viel breiter als eine Viertelmeile. Die Deepwater war ausgesprochen manövrierfähig, aber an dieser Stelle eine Wende auszuführen, erforderte ein Höchstmaß an Geschick, Konzentration und Nerven aus Stahl.
Sobald Jefferson von ihrer Mannschaft die Meldung erhielt, dass die Sonarboje installiert und gesichert worden war, konnte sie verfolgen, wie die Nebelbank von Süden her bedrohlich auf sie zukroch und nach und nach die Kanäle zwischen den Inseln ausfüllte.
»Keinen Moment zu früh«, kommentierte Vargas.
»Captain«, sagte der XO , »wir haben einen Radarkontakt identifiziert, der sich uns von Norden nähert.«
Jefferson verzog das Gesicht. Das würde den Rückzug zu einer echten Herausforderung machen. Sie setzte ein Fernglas an die Augen, aber das Schiff war hinter einer kleinen Insel in der Mitte des nördlichen Kanals verschwunden.
»Ein Fischerboot?«
Der XO schüttelte den Kopf. »Dafür ist das Schiff viel zu groß. Ich schätze die Länge auf fast zweihundert Fuß.«
Darauf reagierte Vargas mit einem irritierten Stirnrunzeln.
»Haben Sie irgendeine Idee, was für ein Schiff es sein könnte?«, wollte Jefferson von ihr wissen.
Vargas schüttelte den Kopf. »Kein Frachter würde diesen Weg nehmen. Außerdem verkehren hier keine Fähren.«
»Rufen Sie das Schiff«, befahl Jefferson.
»Aye, Captain.« Der XO griff zum Mikrofon des Funkgeräts. »Unbekanntes Schiff in nördlicher Richtung, hier ist das NUMA -Forschungsschiff Deepwater . Bitte antworten Sie.«
Nach einigen Sekunden drang eine Stimme aus den Lautsprechern der Kommandobrücke. Das Englisch hatte einen starken Akzent. Aber der klang russisch und nicht spanisch. »Hier ist die Abtao der chilenischen Marine. Schalten Sie die Maschinen aus und bereiten Sie sich darauf vor, einer Inspektion unterzogen zu werden.«
Jefferson starrte Vargas an, verblüfft über den Befehl. Sie nahm dem XO das Mikrofon aus der Hand.
»Abtao, hier ist Kapitän Rashonda Jefferson von der Deepwater . Wir haben die Genehmigung der chilenischen Regierung, hier eine wissenschaftliche Mission durchzuführen. Weshalb wollen Sie zu uns an Bord kommen?«
Die Abtao kam hinter der Insel hervor, und Jefferson konnte eine 76 mm-Kanone auf dem Vorderdeck erkennen. Sie war direkt auf die Deepwater gerichtet. Und zwei 20 mm-Oerlikon-Geschütze waren bemannt und zielten ebenfalls auf das NUMA -Schiff.
»Deepwater , uns wurden Schmuggler in dieser Region gemeldet. Sicher ist Ihnen bewusst, dass die chilenische Marine das absolute Recht hat, jedes Schiff zu untersuchen, das in chilenischen Gewässern operiert.«
Die Abtao hielt vor der Kanalinsel neben einem Gletscher an, der bis ins Wasser reichte. Die Entfernung war nur gering. Die Bedrohung war eindeutig.
Jefferson wandte sich an Vargas. »Was geht hier vor?«
»Ich habe keine Ahnung. Eigentlich sollte nur die Küstenwache Schiffe zwecks Inspektion anhalten, aber nicht die Marine.«
Jefferson reichte ihr das Mikrofon. »Sie waren bei der Küstenwache. Erklären Sie ihnen das.«
Vargas wechselte wieder ins Spanische.
Die Antwort kam auf Englisch zurück und ignorierte, was Vargas gesagt hatte. »Ich wiederhole, bereiten Sie sich darauf vor, dass wir an Bord kommen.«
Vargas schüttelte den Kopf. »Ich habe ihnen erklärt, wer ich bin, und sie gebeten, sich bei der Küstenwache nach unserer Mission zu erkundigen. Es ist ausgesprochen seltsam, dass sie nicht auf Spanisch geantwortet haben.« Sie runzelte die Stirn, und ihre Augen wurden groß. »Moment mal. Die Abtao soll erst in sechs Wochen den Dienst wieder aufnehmen. Ich weiß es deshalb, weil ihr Heimathafen Puntas Arenas ist. Irgendetwas stimmt hier nicht.«
»Neuer Kontakt, Captain«, sagte der XO . »Ein weiteres Schiff im Norden. Hinter der Abtao
»Ein zweites Schiff der Marine?«
»Das weiß ich nicht. Aber es ist größer. Ich würde meinen, etwa fünfhundert Fuß lang.«
Jefferson setzte wieder das Fernglas an die Augen und erhaschte einen kurzen Blick auf einen heruntergekommenen Dampfer, bevor auch dieser hinter der Insel verschwand.
Der Name auf seinem Bug lautete Portland .
Nun war sie erst recht verwirrt. Ein Schiff mit solchen Dimensionen in diesem Kanallabyrinth war der reinste Selbstmord. Und warum folgte es dem Marineschiff?
»Das ist total absurd«, stellte Jefferson fest, schnappte sich wieder das Mikrofon und sprach. »Abtao , ich rufe die NUMA , und sie wird mit Ihrer Regierung Verbindung aufnehmen und bestätigen, wer wir sind. Wir müssen diese Position unbedingt verlassen, ehe wir vom Nebel eingeschlossen werden.«
Sie wandte sich an den XO . »Rufen Sie die NUMA -Hauptverwaltung.«
Während der XO zum Satellitentelefon griff, sah Jefferson, wie aus einem der Öerlikon-Geschütze eine Feuerlanze hervorleckte.
Sie stieß Vargas aufs Deck und schrie: »Alle sofort runter und in Deckung!«, während gleichzeitig 20 mm-Projektile in den Deckaufbau der Deepwater einschlugen.