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»Vielen Dank für die Warnung, Kapitän«, sagte Juan zu Rashonda Jefferson, nachdem er sich den Audioclip angehört hatte, den ihm die NUMA -Kommandantin über den verschlüsselten Funkkanal vorgespielt hatte. Jeder im Operationszentrum hatte das Geräusch der Schiffsschraube eindeutig identifizieren können.
»Was halten Sie davon?«, fragte Jefferson.
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Ist es die Portland
»Nein, das ist sie mit absoluter Sicherheit nicht.« Die Wasserstrahlen, die von den magnetohydrodynamischen Maschinen erzeugt werden, können niemals mit dem Propeller eines herkömmlichen Schiffs verwechselt werden. »Können Sie den Clip noch einmal abspielen?«
Schließlich meldete sich Linda Ross zu Wort. Ihr Hörvermögen war noch nicht vollständig wiederhergestellt, aber nach zwei Wochen Ruhe konnte sie immerhin normal mit ihrer Umgebung kommunizieren. Sie sagte: »Chairman, ich habe das Propellergeräusch durch unsere militärische Datenbank geschleust. Die Klangqualität ist aufgrund der Funkverbindung nicht besonders gut, aber der Computer meint, dass die Aufnahme in etwa dem Audioprofil der Schraube eines chinesischen dieselelektrischen U-Boots vom Typ 039A entspricht.«
Ein Murmeln ging durch das Operationszentrum. Dieses Ergebnis hatte Juan überhaupt nicht erwartet.
»Auch wenn ich niemals die Möglichkeit in Erwägung gezogen habe, dass es ein Chinese sein könnte, hatte ich schon an ein U-Boot gedacht«, sagte Jefferson. »Meine leitende Wissenschaftlerin, Mary Harper, meinte, dass sich die Schraube zu tief unter der Wasseroberfläche befindet, um zu einem normalen Schiff zu gehören.«
»Und Sie sagten, es bewege sich in unsere Richtung?«, erkundigte sich Juan bei Jefferson.
»Ja. Dr. Harper schätzt, dass dieses U-Boot Sie bei seiner jetzigen Geschwindigkeit in etwa einer halben Stunde sehen müsste. Das heißt, wenn sein Kapitän verrückt genug ist, sich in den Kanal hineinzuwagen, in dem Sie vor Anker gegangen sind.«
Die Oregon hatte in einem langen Fjord Zuflucht gesucht, der die Form eines U-Rohrs hatte, wie es bei der Installation von Waschbecken benutzt wurde. Die Deepwater war zwei Tage zuvor dort gewesen, weil sich eine der größten Pinguinkolonien, die sie studierten, auf den Steinstränden des Fjords zusammengefunden hatte. Jefferson meinte, sie habe die Oregon in der Webkamera gesehen, ehe sie den Bildausschnitt verließ.
Auf der Karte war zu erkennen, dass offenbar nur ein Weg aus dem Fjord herausführte. Was jedoch auffiel, war, dass das, was wie eine Halbinsel aussah und die beiden Wasserarme voneinander trennte, sich nun als Insel entpuppte. Bis vor kurzem war in der Nähe der Einfahrt ein Gletscher in Richtung Meer geflossen, aber das Eis war abgetaut, nachdem die letzten Karten vor ein paar Jahren angelegt worden waren.
Dadurch war eine Lücke entstanden, die nur wenig breiter war als die Oregon . Es mussten schon besondere Umstände herrschen, um einen Schiffsführer zu dem Versuch zu animieren, sein Schiff durch diesen Spalt zu zwängen. Eine einzige falsche Bewegung des Ruders, und die zerklüfteten Felsen würden ein tödliches Loch in den Rumpf schlitzen. Während ein U-Boot kaum den Schnitt durch die Halbinsel durchfahren könnte, versuchte es möglicherweise, bis zum Ende des langen Fjords zu gelangen.
»Ich würde zu diesem Zeitpunkt nichts ausschließen«, sagte Juan, »auch nicht einen Versuch Tates, unser Schiff anzugreifen.«
»Aber wir sind einem Kanal gefolgt, bei dem selbst ich Hemmungen hatte, in ihn einzufahren. Und ich denke, es gibt keine Möglichkeit für die Portland , hier an uns heranzukommen.«
Juan blickte auf die Karte. Die Deepwater lag zehn Meilen weiter südlich in einer breiten Bucht, die von hohen Bergen umringt war. Jefferson hatte mit ihrer Einschätzung recht, dass die Portland nicht dorthin vordringen könnte, aber das würde Tate nicht im Mindesten aufhalten.
»Wenn er Sie findet, Kapitän, dann kommt Tate mit kleinen Booten oder einem Hubschrauber zu Ihnen. Sie haben zu viel gesehen, als dass er Sie einfach davonziehen lassen kann. Entweder nimmt er Sie als Geisel, oder er tötet Ihre gesamte Mannschaft und flutet die Deepwater . Haben Sie irgendwelche waffenähnlichen Einrichtungen an Bord, um eventuelle Angreifer abzuwehren?«
»Zählt eine Leuchtkugelpistole dazu?«, fragte sie sarkastisch.
»Damit können Sie gegen die Feuerkraft, mit der er anrücken wird, gar nichts ausrichten. Ich werde Ihnen Hilfe schicken.«
»Die wird dankbar angenommen«, sagte Jefferson. »Aber wie wollen Sie sie hierherbringen?«
»Wir haben auch einen Hubschrauber.« Er nannte ihr die Registrierungsnummer auf dem Heck, damit sie es nicht mit der Angst zu tun bekäme, wenn er bei ihr auftauchte.
»Unser Landeteller ist bereit.«
»Sie sind in zehn Minuten in der Luft.« Juan wusste, dass es riskant war. Der Helikopter könnte von der Portland gesehen werden, aber er hatte das Gefühl, es wäre besser, als die Deepwater wehrlos sich selbst zu überlassen.
»Danke für diese Hilfssendung.«
»Es ist das Mindeste, was ich tun kann, um mich für Ihre Warnung vor dem U-Boot zu revanchieren. Ich freue mich schon darauf, Sie kennenzulernen, nachdem wir dies alles überstanden haben.«
»Das Gleiche gilt auch für mich«, sagte Jefferson und meldete sich ab.
Juan wandte sich zu Linda um. »Gomez soll den Hubschrauber warmlaufen lassen. Nehmen Sie MacD und Raven mit. Packen Sie auch ein paar zusätzliche Waffen ein. Und bestellen Sie Gomez, er soll so tief wie möglich fliegen. Ich möchte nicht, dass die Portland auf Sie aufmerksam wird und Sie vom Himmel schießt.«
»Ich auch nicht«, sagte Linda und verließ eilig das Operationszentrum.
Juan hätte am liebsten Drohnen eingesetzt, um nach der Portland zu suchen, aber diese hatten sie während der Befreiungsaktion in Rio verloren und noch nicht ersetzen können.
Er ging zu Max hinüber und fragte: »Was sagt die letzte Verlustmeldung?«
»Drei Verletzte. Doc Huxley behandelt sie und meint, keiner müsse operiert werden.«
»Das hört sich gut an. Und was sagt der Schadensbericht?«
»Er ist nicht viel besser als der letzte«, meinte Max und schüttelte bedauernd den Kopf. »Beide Venturi-Rohre an Backbord sind außer Betrieb.«
»Können sie repariert werden?«
»Nicht ohne einen Aufenthalt im Trockendock. Das bedeutet, dass wir nur noch bestenfalls unsere halbe Höchstgeschwindigkeit erreichen. Außerdem sind die Druckstrahlruder schwer beschädigt. Ich weiß, dass du angenommen hast, wir könnten uns durch das Nadelöhr schlängeln, das der Gletscher ausgefüllt hatte, aber die Chance ist gleich null, dass wir dieses Hindernis heil überwinden. Das Radar ist hinüber, und das Sonar können wir nicht einsetzen, weil wir es zum Schutz vor Tates Schall-Disruptor umfunktioniert haben.«
Juan überlegte kurz, bevor er fragte: »Waffen?«
»Die Backbordtorpedorohre sind leer. Die Torpedorohre an Steuerbord sind wegen des Lecks ausgeschaltet. Exocet-Raketen sind nicht einsatzfähig. Wir können froh sein, dass sie nach dem Harpoon-Treffer nicht hochgegangen sind. Vielleicht schaffen wir es in einem Tag, die Raketen wieder zu aktivieren.«
»Was bleibt uns dann?«
Max seufzte. »Das 120 mm-Geschütz und die Gatling-Kanonen funktionieren noch.«
»Aber keins von beidem ist stark genug, um die Portland selbst mit Dauerbeschuss zu versenken. Gibt es auch gute Neuigkeiten?«
»Der Wassereintritt ist unter Kontrolle. Es besteht keine unmittelbare Gefahr, dass wir sinken.«
»Ich nehme an, es könnte immer noch schlimmer aussehen«, sagte Juan.
»Tut mir leid, dass ich keinen optimistischeren Bericht habe.«
»Uns bleibt keine Zeit, von hier zu verschwinden, bevor das U-Boot eintrifft. Sieht so aus, als ob wir kämpfen müssen. Dieses chinesische U-Boot wäre niemals in diesen Gewässern, wenn es nicht im Auftrag Tates unterwegs wäre.«
»Was können wir dagegen unternehmen?«, fragte Max. »Unsere Torpedos fallen aus, und wir haben kein Sonar. Wir werden noch nicht einmal merken, ob das U-Boot im Fjord ist.«
»Wir haben doch immer noch einige Sonarbojen, oder?«
Max zuckte die Achseln. »Sie sind nicht annähernd so leistungsfähig wie die Bojen der Deepwater . Wir würden niemals etwas mit ihnen auffangen, wenn ein dieselelektrisches U-Boot auf Batteriebetrieb umschaltet.«
»Das brauchen wir auch nicht«, sagte Juan. »Wir müssen nur den Walgesang hören.«
Max nickte. »Das könnte ausreichen. Ich schicke Hali und Murph mit einem Zodiac los, damit sie die Boje in der Nähe der 180-Grad-Kurve des Fjords ins Wasser werfen. Aber wie sollen wir ohne eigene Torpedos gegen sie kämpfen?«
»Wir müssen das U-Boot an die Wasseroberfläche holen. Die Sonarmodifikationen, die Murph vorgenommen hat, könnten dabei behilflich sein.«
Skeptisch verzog Max das Gesicht, aber sie hatten keine andere Wahl. »Wenn das U-Boot uns sieht, bevor wir es entdecken, schicken sie uns ein paar Torpedos, und das Spiel ist aus.«
Juan wusste, dass er recht hatte. Die Strategie, die er verfolgte, war ein Wagnis, und die Lage für die Oregon sah alles andere als gut aus. Selbst wenn sie eine Begegnung mit dem chinesischen U-Boot überlebten, mussten sie noch immer an der Portland vorbei, was ihm bei genauerer Überlegung immer unmöglicher erschien.
»Ich habe eine Idee, wie man das U-Boot an die Wasseroberfläche locken kann«, sagte Juan. »Ich erkläre Hali und Murph, was sie tun müssen. Du suchst Maurice und bittest ihn, zu mir zu kommen.«
»Maurice?«, fragte Max verwirrt. Was hatte denn Juan ausgerechnet in dieser Situation mit dem Steward vor?
Juan sah Max ernst und bedeutungsvoll an. »Ich habe eine wichtige Aufgabe für ihn. Und ich glaube nicht, dass sie ihm gefallen wird.«