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Als von der Deepwater gemeldet wurde, dass Gomez’ Hubschrauber abgeschossen worden war, nachdem er das Team abgesetzt hatte, gefror Juan das Blut in den Adern. Er wünschte sich, sich sofort auf die Suche nach seinem Freund und wichtigen Mitglied seiner Mannschaft machen zu können, aber zu diesem Zeitpunkt wog seine Verantwortung für die Oregon um einiges schwerer. Die Sonarboje, die Hali am anderen Ende des Fjords ausgesetzt hatte, übertrug den Gesang eines Buckelwals, woraus zu schließen war, dass sich das chinesische U-Boot weiter näherte.
Auch wenn Wolken über die Gipfel der Berge trieben, die sie umringten, waren das Wasser und die Luft im Fjord relativ ruhig. Diese friedlichen Bedingungen ermöglichten die Durchführung von Juans Plan.
Ein vergrößerter Blick auf das gegenüberliegende Ende des Fjords zeigte nichts Auffälliges.
»Ich fange das Signal auf, während es sich durch die Biegung nähert«, meldete Hali. »Wenn ich es richtig deute, haben sie diese Biegung in einer Minute hinter sich. Dann hätten sie ein freies Schussfeld direkt auf uns.«
»Unseren Sonar-Disruptor starten«, befahl Juan.
»Wird gestartet«, antwortete Murph und aktivierte die krude Version der Waffe, die er zusammengebastelt hatte.
»Mal sehen, was der Disruptor mit ihren Sensoren macht«, sagte Eric Stone, der seinen angestammten Platz am Ruder einnahm.
»Wenn er nicht funktioniert«, sagte Murph, »werden wir es bald erfahren.«
Leider nur zu wahr, dachte Juan. Der Klang einer Explosion, wenn das Schiff getroffen wurde, könnte der erste Hinweis darauf sein, dass das U-Boot nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das U-Boot würde in dem Moment Torpedos abfeuern, wenn sein Kommandant die Oregon sah. Der Disruptor hatte zwar die Torpedos der Portland abgelenkt, aber das war keine Garantie dafür, dass mit den chinesischen Torpedos das Gleiche geschähe. Auf jeden Fall würde die Oregon in ihrem augenblicklichen Zustand nicht einmal einen knappen Fehlschuss überstehen.
»Hali, Nebelmaschine einschalten.«
Juan hatte Hali und Murph befohlen, eines der Zodiacs mit einer ferngesteuerten Nebelmaschine an Bord in der Mitte des Fjords zurückzulassen.
Eine weiße Wolke quoll über dem Zodiac in die Höhe. Nicht lange, und sie würde einen großen Teil des Fjords zudecken. Der Generator erzeugte eine überzeugende Kopie der Nebelwand, die sie schon früher in natura gesehen hatten, aber sie würde sich nicht lange halten. Wenn Juans Berechnungen halbwegs korrekt waren, brauchten sie aber auch nur ein oder zwei Minuten dieser dichten Tarnung.
»Murph«, sagte er, »Abschuss vorbereiten.«
»Rumpfklappen werden geöffnet«, erwiderte Murph. Die Stahlplatten glitten in diesem Moment zur Seite, um die 120 mm-Kanone des Schiffes zu enthüllen.
Murph betrachtete das Fadenkreuz der Visierelektronik auf dem Monitor seiner Waffe, das auch auf dem Hauptbildschirm zu sehen war. Das Fadenkreuz zielte genau auf die Mitte der sich ausdehnenden Nebelwolke.
»Ohne Radar könnte es ziemlich heikel sein«, sagte er.
»Ich vertraue auf Ihre Schießkünste«, sagte Juan.
Alles, was sie jetzt tun konnten, war, darauf zu warten, dass das U-Boot sich zeigte.
* * *
Admiral Yu war ganz und gar nicht erfreut über das, was er von seinem Sonarmann hörte. Sie befanden sich mitten in dem kritischen Manöver, der scharfen Fjordbiegung zu folgen, und der Techniker teilte ihm mit, dass die Wuzong praktisch blind war.
»Funktioniert das Sonar nicht?«, wollte Yu wissen.
Der Techniker war völlig perplex. »Das weiß ich nicht, Admiral. Es könnte an einer Art Interferenz liegen, aber ich kann nicht feststellen, aus welcher Richtung sie kommt. Unser Signal wird zwar weiterhin gesendet, aber ich kann die Begrenzungen des Fjords nicht mehr auf meinem Monitor sehen. Wir könnten jeden Moment mit den Klippen oder einem Unterwasserhindernis kollidieren.«
Yu stieß einen halblauten Fluch aus. »Maschinen auf Gegenschub! Und alles stopp!«
Während die Wuzong an Fahrt verlor, wartete Yu auf das typische Geräusch, wenn der Rumpf des U-Boots an den Felsen entlangschrammte, aber alles blieb still. Sie hatten rechtzeitig angehalten.
»Sieht so aus, als müssten wir auf Sicht navigieren«, stellte Yu fest. »Gehen Sie hoch bis auf Periskoptiefe.«
Er fuhr das Periskop aus und blickte hindurch. Doch als die Optik durch die Wasseroberfläche brach, konnte er noch immer nichts sehen. Diesmal lag es jedoch an dem Nebel. Er verschaffte sich einen Rundblick, aber die Nebeldecke war so dicht, dass er noch nicht einmal die Felsklippen erkennen konnte.
Vielleicht war es nur eine dünne Schicht, dachte Yu. Das Periskop ragte gerade einen Meter aus dem Wasser heraus. Sie mussten einen Blick über die Nebeldecke werfen.
»Auftauchen«, befahl er.
»Aber dann kann man uns sehen, Admiral!«, widersprach der Erste Offizier.
»Nicht in dieser Waschküche«, sagte Yu. »Wir können nicht untätig hier unten herumsitzen. Führen Sie den Befehl aus.«
Der XO schüttelte mit sorgenvoller Miene den Kopf, erwiderte jedoch: »Jawohl, Admiral.«
Die Ballasttanks wurden geleert, und die Wuzong brach durch die Wasseroberfläche.
Yu blickte wieder durch das Periskop. In dieser Höhe über dem Wasser war der Nebel weniger dicht, und es sah aus, als würde es aufklaren. Er drehte das Periskop und erkannte, wie knapp sie es vermieden hatten, die Seitenwand der Schlucht zu rammen. Der solide Fels war weniger als fünfzig Meter vom Bug des U-Boots entfernt.
Er drehte das Periskop weiter und hielt abrupt inne, als er durch den sich auflösenden Dunst eine Meile entfernt am Ende des Fjords ein Schiff ausmachte. Es war entweder die Oregon oder die Portland , welche genau, das konnte er nicht erkennen.
»Funken Sie die Portland an. Sofort! Nennen Sie unsere Position und fragen Sie nach ihrer.«
Der Funkoffizier sendete die Anfrage, aber Admiral Yu brauchte gar nicht auf die Antwort zu warten, um zu erkennen, dass er einen gravierenden Fehler gemacht hatte. Ein Mündungsblitz am Bug des Schiffs sagte alles.
»Alarmtauchen!«, brüllte er. »Torpedos eins und zwei abfeuern!«
Eine Sekunde später schleuderte eine Explosion an der Backbordseite des Bugs eine Wassersäule in die Höhe, und das U-Boot wurde von der Druckwelle durchgeschüttelt.
Die Mannschaft beeilte sich, seine Befehle zu befolgen, aber Yu erkannte, dass dies keine Bedeutung mehr hätte.
Ein zweiter Mündungsblitz bestätigte seine Vermutung, dass es zu spät war.
* * *
Juan verfolgte, wie die zweite Geschützgranate den Bug des Unterseeboots traf. Das panzerbrechende Geschoss musste bis in den Torpedoraum durchgeschlagen sein, denn der gesamte vordere Abschnitt des U-Boots wurde von einer enormen Explosion auseinandergerissen.
Der Rest des U-Boots sank allmählich tiefer, bis seine Schwanzflosse sich drehte und zum Himmel zeigte und es wie ein abtauchender Wal unter der Wasseroberfläche verschwand.
Im Operationszentrum herrschte für eine Minute Totenstille, da alle darauf warteten, dass ein Torpedo die Oregon traf. Als jedoch nichts dergleichen geschah, atmete jedermann erleichtert auf.
»Tut mir leid, dass der erste Schuss danebenging«, entschuldigte sich Murph bei den im Op-Zentrum Versammelten. »Ich glaube, ich muss das Zielsystem mal neu justieren.«
»Ja, das solltest du tun«, meinte Eric spöttisch. »Zwei ganze Schüsse, um ein feindliches U-Boot zu versenken!«
»Wenn du weiter so schlecht schießt«, sagte Max, »sieht es mit deinem diesjährigen Weihnachtsbonus düster aus.«
Juan wollte ihnen die Stimmung nicht verderben. Er wusste, dass dies nur ein kleiner Etappensieg war.
»Hali, konnten Sie irgendein Signal von dem U-Boot auffangen?«
Hali schüttelte den Kopf. »Nein, aber das hat nichts zu bedeuten. Sie könnten einen verschlüsselten Funkspruch gesendet haben.«
»Dann glaube ich nicht, dass wir schon feiern können«, stellte Juan in nüchternem Tonfall fest. »Es ist durchaus möglich, dass Tate jetzt genau weiß, wo wir sind.«