Montecristos Buchhandlung war nicht gerade gut angelaufen. Er hatte zwar nicht erwartet, dass sein Leben nun eine Wende nehmen und er Geld scheffeln würde, aber er hatte zumindest gehofft, damit sein anständiges und gesichertes Auskommen zu haben. Dabei hatte ihm jeder abgeraten, in den Buchhandel einzusteigen, angefangen bei seinem Steuerberater. Als dieser seinen Businessplan gelesen hatte, konnte er sich nicht mehr halten vor Lachen.
»Eine unabhängige Buchhandlung für Krimis? In Italien? Ausgerechnet in Cagliari? Dort, wo niemand liest? Vergiss es, mein Guter. Hör auf mich, bevor du dich selbst ruinierst. Investiere dein bisschen Geld in etwas Handfesteres. In eine Pizzeria zum Beispiel. Etwas, was mehr deinen Möglichkeiten entspricht und dir ein sicheres Einkommen garantiert. Ja, bei deinem geringen Kapital würde ich eine Pizzeria eröffnen.«
»Eine Pizzeria?«, hatte Montecristo angewidert zurückgefragt.
»Genau. Ja, stimmt, die Konkurrenz ist groß, und du wirst bestimmt nicht reich dabei, aber du wirst auch keine Verluste machen. Denk dir doch so was aus wie ›Aperitif mit Fingerfood‹, Aperol Spritz und Bier für zehn Euro, dann wird der Rubel rollen …«
»Leck mich«, hatte Montecristo ihm geantwortet, seinen Businessplan mitgenommen und so eine jahrzehntelange Freundschaft beendet. Er hatte einen neuen Steuerberater gefunden und seine Buchhandlung eröffnet, die er zunächst »La Libreria del Mistero« nannte. Ein ausgesprochen wohlklingender Name, obwohl das Geheimnis, das Rätsel im Namen dieser Buchhandlung darin bestand zu begreifen, warum kein Kunde in sein Geschäft kam. Und die wenigen Menschen, die seinen Laden betraten, waren Touristen aus dem Ausland, Neugierige oder Tagediebe, mit denen Montecristo am Ende immer Streit anfing. Die gefürchteten Lastschriften mussten schließlich bezahlt werden und bluteten sein Konto weiter aus, das sowieso schon schwach auf der Brust war. Nach dem ersten halben Jahr schrieb sein Laden beunruhigend rote Zahlen. Die Buchhaltungen der Verlage bombardierten ihn mit Anrufen und überhäuften ihn mit Zahlungsaufforderungen. Um sich nicht komplett zu ruinieren, hatte Montecristo seine kleine Mietwohnung gekündigt und schlief in einem Hinterzimmer seiner Buchhandlung, das bis dahin als Lager gedient hatte. Aufgrund der Geldsorgen und weil die Luftfeuchtigkeit und der Staub von den Büchern sein Asthma verschlimmerten, war für ihn an Schlaf kaum zu denken. Und dass er so wenig schlief, machte ihn noch reizbarer als ohnehin schon.
Am Ende dieses halben Jahres hätte er den Laden sicher geschlossen, wäre da nicht Nunzia gewesen. Seit der Eröffnung hatte sie als Einzige an ihn und sein seltsames Projekt geglaubt und war zudem seine beste Kundin: Sie liebte Krimis über alles – besonders die Klassiker aus der guten alten Zeit – und kaufte und las sie en masse. Wenn Montecristo überhaupt etwas zu beißen hatte, dann verdankte er das allein ihr. Nunzia war achtundsiebzig Jahre alt: Dem äußeren Anschein nach eine zerbrechliche alte Dame, immer gut angezogen und von Lavendelduft umgeben, aber hinter dieser Fassade einer freundlichen und sympathischen Seniorin verbargen sich eine unglaubliche Willenskraft und Entschiedenheit. Bei jedem Besuch brachte sie Montecristo einen frisch gebackenen Kuchen mit, und nachdem sie ihn aufgemuntert hatte, verließ sie den Laden immer mit mindestens fünf oder sechs neuen Büchern.
»Leute, die Krimis lieben, sind anders als normale Leser«, hatte sie ihm eines Tages gesagt, um ihn zu ermutigen, als er wieder einmal am Boden war. Bis auf sie beide war niemand in der Buchhandlung. »Man könnte sie fast als manisch bezeichnen, so tief ist ihre Treue zum Genre. Sie sind wie eine Sekte.«
»Und ich wäre so gern ihr Guru. Aber du siehst ja, die Kunden bleiben aus.«
»Ich weiß, was es hier braucht«, hatte sie mit Befriedigung erklärt.
»Und was wäre das?«, hatte er misstrauisch gefragt.
»An welchem Tag ist hier am wenigsten los?«
»Das ist jeden Tag gleich.«
»Dann rate ich dir, mal ein wenig mehr an deinen zwischenmenschlichen Kompetenzen zu arbeiten, mein Sohn … Na, wir nehmen am besten den Dienstag.«
»Und was soll am Dienstag passieren?«
Da hatte Nunzia gelächelt: »Der Dienstagskrimi.«