Der Mörder war vor seinem nächsten Opfer eingetroffen, das zehn Minuten später erschien als sonst. Er beobachtete, wie die Frau Richtung Check-in-Schalter lief, sie hatte den gleichen Trolley dabei wie immer, den sie dann als Gepäck für den Flug von Elmas, dem etwa zehn Kilometer von Cagliari entfernten Flughafen, nach Mailand Linate aufgeben würde. Nach der Ankunft würde sie ihren Wagen vom Flughafenparkplatz holen und dann die Autobahn nach Saronno nehmen, wo sie seit einigen Jahren die Hälfte der Woche lebte.

Er registrierte, dass die Frau erleichtert aufatmete, als sie sah, dass nur wenige Leute vor dem Schalter warteten. Er war mit ihren Gewohnheiten bis ins Detail vertraut, schließlich verfolgte er sie schon seit Monaten. Deshalb erhob er sich nun und ging ihr voraus in die Cagliari Airport Library, die erste Bibliothek in einem italienischen Flughafen und eine der wenigen in ganz Europa, die nicht nur dem Personal und den Reisenden, die hier ein- oder umstiegen, offenstand, sondern allen Passanten und Besuchern des Flughafens. In der Abflughalle hatte man Gelegenheit, in Büchern zu blättern, sie auszuleihen oder selbst eines in der Book-Crossing-Abteilung zu hinterlassen. Viele Reisende hatten sich angewöhnt, Bücher zu spenden, die sie im Urlaub oder auf der Geschäftsreise zu Ende gelesen hatten, inzwischen zählte die Bibliothek fast zweitausend Exemplare.

Der Mörder ging die Regale auf der Suche nach einem

Wie er vorhergesehen hatte, betrat die Frau die Bibliothek, bevor sie zum Sicherheitscheck ging, und begann die Buchtitel zu studieren. Der Mörder senkte die Lider ein wenig und hielt den Atem an, als sie ihn zufällig streifte und sich dafür entschuldigte. Er war ihr noch nie so nahe gekommen und fragte sich, ob dies ein Risiko darstellte. Doch dann lächelte er sie nur an und traf seine Wahl: ein rührseliger Thriller von Danielle Steel, den er in der Book-Crossing-Abteilung mitnahm, weil er dann nicht an der Ausleihtheke vorbeimusste. Während er die Bibliothek verließ, sah er, dass auch die Frau ihre Reiselektüre gefunden hatte: Grausame Nacht von Linda Castillo, einer amerikanischen Autorin, die viele ihrer Thriller in einer Gemeinschaft von Amischen ansiedelte.

Beide passierten den Sicherheitscheck und den Bodyscanner wenige Meter hintereinander, und als der Mörder seinem Opfer in der Warteschlange am Gate wiederbegegnete, erkannte er den Duft Coco Mademoiselle von Chanel, den sie sich meist in der Parfümerie kurz vor den

Der Zufall wollte es, dass sie auf dieser Reise in derselben Reihe genau nebeneinandersaßen. Der Mann konnte das Profil der Frau als Spiegelbild im Fenster sehen. Er beobachtete, wie sie immer tiefer atmete, ihr Körper sich entspannte und sie langsam in den Schlaf glitt.

Das Schicksal geht manchmal seltsame Wege, dachte er. Da schläft sie sanft und selig neben dem Mann, der sie vielleicht in einigen Tagen töten wird.

Er verzog die Lippen zu einem zufriedenen Lächeln. Dann schaltete er das Leselämpchen an und vertiefte sich in den Roman.