Zum x-ten Mal überflog Sovrintendente Dimase die Liste der Opfer: Laut Montecristo musste die Lösung des Falles hier zu finden sein.

»Ich geb auf«, schnaubte sie schließlich entnervt. »Ich kann hier nichts Ungewöhnliches entdecken. Sag mir einfach, was ihr herausgefunden habt.«

Aus der Innentasche seiner Sportjacke holte Montecristo einen Rotstift und umkreiste die Geburtsdaten von Nicola Vincis, Silvana Atzori und Elena und Riccardo Patteri. »Was fällt dir jetzt auf?«

»Sie sind alle in etwa gleich alt.«

»Ganz genau. Sie sind alle in Cagliari geboren und haben dasselbe Alter. Und nicht nur das …«

»Muss ich erst meine Waffe rausholen und sie dir auf die Brust setzen, damit du endlich mit der Sprache herausrückst?«

Montecristo grinste und schob sich die Haare hinter die Ohren. »Der Schlüssel zu dem Rätsel liegt hier, Angie: bei den Opfern. Beziehungsweise bei etwas, das sie gemacht haben und womit sie den Rachedurst des Killers ausgelöst haben.«

Schlagartig schienen alle Menschen, die eben noch fröhlich um sie herum gelärmt hatten, verschwunden zu sein: Es gab nur noch sie beide. Angela Dimase hing an seinen Lippen, und Montecristo hätte seine Seele an den Teufel verkauft, nur um dieses betörende Gefühl in die Länge zu ziehen.

»Wir haben uns stundenlang das Hirn zermartert, um die Verbindung zwischen ihnen allen zu entdecken, und schließlich haben wir sie gefunden. Die Uni.«

»Unmöglich. Sie haben alle unterschiedliche Universitätsabschlüsse«, widersprach Dimase. »Das war mit das Erste, was wir überprüft haben.«

»Das will ich ja gar nicht in Abrede stellen. Aber ich meine gar nicht die Studiengänge, die sie abgeschlossen haben …«

Die Polizeibeamtin sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. »Ich bin kurz davor, die Geduld zu verlieren, Marzio.«

Montecristo zog aus der Tasche eine Liste, die er und Maina von der Website der Universität von Cagliari heruntergeladen hatten, und hielt sie seiner Freundin hin. »Etwa drei Jahre lang waren die drei Studienkolleginnen und -kollegen am selben Institut. Sie haben dieselbe Fakultät, dieselben Vorlesungen besucht und haben dieselben Examen abgelegt. Dann haben alle vier kurz vor dem Abschluss hingeschmissen, sich an anderen Fakultäten eingeschrieben und eben unterschiedliche Abschlüsse gemacht. Ich wiederhole: alle vier. Die Familie Patteri ist sogar in eine andere Region auf dem Festland umgezogen.«

»Du willst mir doch nicht erzählen, dass Silvana Atzori und Nicola Vincis Kommilitonen waren?«

»Das habe ich mir nicht aus den Fingern gesogen, es ist eine unbestreitbare Tatsache. Schau hier.« Montecristo deutete auf das Dokument der Uni über einen Prüfungstermin, an dem alle vier Opfer teilgenommen hatten. »Und falls dir das nicht genügt, dann guck dir das an.«

Jeder von ihnen hatte ein Seminar mit dem Titel Römisches Recht in Sardinien im Spiegel von Rechtsgeschichte besucht. Dieser Beweis wischte die letzten Zweifel Dimases vom Tisch.

»Warum hat uns diese blöde Schnepfe angelogen?«, fragte Dimase mit zornerstickter Stimme.

»Vielleicht verbirgt Silvana Atzori etwas oder schützt jemanden … Unsere Hypothese ist ja, dass zwischen ihnen in diesem Jahr etwas vorgefallen ist, das sie veranlasst hat, zu einem so späten Zeitpunkt im Studium noch das Fach zu wechseln. Und vielleicht hat dieses Etwas dazu geführt, dass sie ins Visier des Killers geraten sind.«

»Was denn zum Beispiel?«

»Das weiß ich noch nicht. Aber wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass diese Leute nicht so unschuldig sind, wie wir gedacht haben.«

Angela Dimase fühlte, wie es ihr eiskalt den Rücken hinablief.

»Denk auch an den Satz, den Lorenzo, Nicolas Sohn, gesagt hat: ›Du weißt, warum ich das getan habe. Denk immer daran, dass nicht ich sie umgebracht habe. Das warst du‹«, wiederholte Montecristo noch einmal. »Diese Interpretation würde allem einen deutlich anderen Sinn geben, meinst du nicht auch? Vielleicht haben sie als Studenten ein Verbrechen begangen, und jetzt rächt sich jemand.«

»Ach du Scheiße … Was machen wir denn jetzt?«

»Na ja, wenn du den nächsten Mord verhindern willst, müssen wir uns sofort eine Liste aller Studenten dieses Jahrgangs besorgen. Das nächste Opfer könnte darunter sein …«