»Ehrlich gesagt habe ich mich nie sehr für Kriminalromane begeistert. Die waren mir gleichgültig. So seltsam Ihnen das erscheinen mag, ich habe immer Liebesromane bevorzugt«, begann Scalabrini, wohl wissend, dass die Beweise, die seine Leseklubgefährten zusammengetragen hatten, unwiderlegbar waren und es keinen Sinn hatte zu leugnen. Er wirkte ruhig wie immer, und schon seinen ersten Worten merkte man ein tiefes Gefühl der Befreiung an.

»Aber meine Tochter las sie sehr gern. Zumindest vor jenem Unglückstag … Sie studierte Jura, war eine hervorragende Studentin und träumte davon, Richterin zu werden. Das wäre ihr auch gelungen, alle waren davon überzeugt, angefangen bei ihren Professoren, die sie unglaublich schätzten. Dann, kurz vor dem Examen, ist etwas passiert … Eines Abends ist sie mit einigen Kommilitonen ausgegangen. Eine rare Ausnahme, denn eigentlich war sie schüchtern und introvertiert, vielleicht sogar ein wenig zu streng mit sich selbst, würde ich sagen. Sie hatte kaum Freunde und gönnte sich nur selten einmal einen freien Abend und eine Pause vom Studium. Um es ganz klar zu sagen, sie war in ihrem ganzen Leben höchstens zwei oder drei Mal in einer Diskothek gewesen. Das war nichts für sie. Wie auch immer, an jenem Abend ist sie ausgegangen. Es wurde halb zwei, zwei Uhr, und sie war noch nicht zurück. An und für sich nichts Besorgniserregendes für ein Mädchen ihres Alters. Aber ich wiederhole: Sabrina

Scalabrini nahm seinen Hut in die Hand und drehte ihn zwischen den Fingern.

»Und während die Polizei aufgegeben hatte und die Ärzte ebenfalls, vegetierte Sabrina vor sich hin. Tag für Tag wurde sie schwächer wie eine Pflanze, der man die Ernährungsgrundlage entzogen hat. Versuchen Sie sich einmal vorzustellen, wie grundlegend und bis ins Innerste dieser Schicksalsschlag mein Leben und das meiner Frau erschüttert hat. Von einem Tag auf den anderen war es, als existierte unsere Tochter nicht mehr. Als wäre sie für immer eingeschlafen … Sämtliche Therapien, auch die neuesten und selbst jene, die sich noch in der Erprobungsphase klinischer Studien befanden, erwiesen sich als erfolglos. Ihr Zustand schien irreversibel zu sein … Man riet mir, ich solle mit ihr sprechen und es auch mit Vorlesen versuchen, selbst wenn nichts vermuten ließ, dass man sie mit Worten erreichen konnte.«

Miss Marple kam auf Scalabrini zu und machte einen auffordernden Buckel, dass er sie jetzt streicheln sollte. Er nahm die Einladung an, und bei dieser Geste schien er sich zu entspannen.

»Oft geht das Schicksal seltsame und unwahrscheinliche Wege, manchmal auch sehr absurde«, fuhr Scalabrini fort. »Jahre nach dem Unglück kam ich auf der Suche nach Kriminalromanen, die ich meiner Tochter vorlesen konnte, in diese Buchhandlung hier, damals hieß sie noch La Libreria del Mistero. Ich gehörte zu den Kunden der ersten Stunde. Eines Tages, ich stöberte mal wieder in den Regalen, lernte ich Nunzia kennen. Als sie den Leseklub ins Leben rief,

Nun näherte sich auch Poirot eifersüchtig auf der Suche nach Streicheleinheiten. Scalabrini legte den Hut aus der Hand und strich über das glänzende Fell des Katers. Mit den beiden Katzen auf dem Schoß wirkte er wie der unschuldigste Mensch auf der ganzen Welt. Montecristo und die anderen Anwesenden konnten kaum glauben, dass er wirklich sechs Menschen kaltblütig umgebracht hatte.

»Meine Frau wurde krank und ließ mich schließlich allein mit Sabrina zurück. Ich zog es vor, meine Tochter in eine Privatklinik zu verlegen. Jeden Tag besuchte ich sie und hatte mich schon dem Schmerz und dem düsteren Los ergeben, dass ich nie erfahren würde, was ihr zugestoßen war, was man ihr so Furchtbares angetan hatte, um sie in diese ewige Dunkelheit zu stoßen. In diese »endlose Nacht«, um aus einem der letzten Romane von Agatha Christie zu zitieren, die wir gelesen haben … Der zweite Schock traf mich, als ich dieses verdammte Tagebuch erhalten habe.«

Die bernsteinfarbenen Augen der Katzen richteten sich nun gespannt auf ihn.