BEFREITE SEELE

Es ist ein wunderschöner spätsommerlicher Abend, und ich sitze mit einem Cappuccino auf meinem Balkon. Beobachte den Himmel in seinen strahlend bunten Farben und reflektiere. Hinter der Balkontür liegen meine zwei schwarzen Kater Johnny und Jack und sehen mir dabei zu, wie ich vor dem Laptop sitze und meinen Blick über den Horizont schweifen lasse. Friedvoll. Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt und hätte nie gedacht, dass mein Leben einmal so aussehen würde. Dass ich mit mir im Gleichgewicht sein und meine Lebensgeschichte aufschreiben würde. Ich denke nach über all das, was ich erlebt und was ich gelernt habe. Versuche, es in Worte zu fassen und mich zu erinnern. Vor sieben Jahren begann ich zu leben. Mein neues, mein echtes Leben. In diesen Jahren ist viel passiert. Anfangs war ich hilflos und unbeholfen wie ein Baby. Gerade geschlüpft und hatte die Welt zum ersten Mal gesehen.

Bedingungslose Liebe. Klingt gut, ist aber nicht wahr. Denn diese Liebe, von der ich immer dachte, sie wäre bedingungslos, war an die größte Bedingung, die existiert, geknüpft: mein Leben. Emotionale Erpressung ist schwer zu erkennen, aber wenn man erst einmal weiß, wie sie funktioniert, ist sie leicht zu durchschauen. Tu, was dir befohlen wird, und dann bekommst du Liebe, Freundschaft und das ewige Leben. Widersetzt du dich den Anforderungen, droht der Liebesentzug. Jeder Mensch hat Angst davor, nicht geliebt zu werden. Allein und einsam zu sein. Und diese Angst wird als Waffe eingesetzt, um Menschen gefügig zu machen. Der goldene Käfig. Ich wusste, worauf ich mich einließ, als ich die Entscheidung traf, die alles ändern sollte. Ich hatte die Wahl zwischen ewigem Leben und Tod. Ich wählte den angeblichen Tod. Und weißt du was? Ich habe mich noch nie so lebendig gefühlt.

Nach meinem Ausstieg hatte ich mit einem Schlag unendlich viel Zeit. Vorher hatte ich ständig unter Stress gestanden und hatte so gut wie keine Freizeit gehabt. Durch die stundenlangen theokratischen Vorbereitungen und Zusammenkünfte hatte ich mich ausgebrannt gefühlt. Ich war so jung und doch schon so erschöpft. Immer dieser Druck im Nacken. Immer diese Angst, zu versagen und nicht genug zu sein. Nun, endlich frei, musste ich Zeit mit mir selbst verbringen. Auch das Alleinsein muss gelernt sein, insbesondere dann, wenn man vorher sonst nur unter Menschen war. Ich musste lernen, meine Zeit mit Dingen und Personen zu verbringen, die mir guttun.

Amelie ist wieder in meinem Leben, wir reisen viel zusammen, und sie ist der einzige Mensch, der meine Erfahrungen teilt. Meine älteste Freundin. Die letzten fünfzehn Jahre durchlebten wir alle erdenklichen Phasen jenseits von normal. Aber wir sind noch da, stärker denn je. Amelie und Stiefel und seine Eltern sind die Einzigen, die mich in meinem alten Leben kennengelernt haben und mich auch heute noch auf meinem Lebensweg begleiten. Sie beweisen mir immer wieder, was Familie wirklich bedeutet. Liebe anstatt Blut. Ich habe mir immer eine Familie gewünscht, die mich unterstützt, für mich da ist und mit der ich alles teilen kann – ich habe sie endlich. Diese Menschen sind mehr für mich, als meine Glaubensfamilie es jemals war.

Zu meinem Vater habe ich ein sehr gutes Verhältnis, und ich bin froh, dass meine Stiefschwester auch wieder Teil meines Lebens ist.

Meine Mutter und mich verbindet nichts mehr. Kurz nach meinem Ausstieg hat sie erneut geheiratet. Ihr Ehemann ist ein treuer, braver Vorzeigezeuge, der bis zur Hochzeit mit seiner Mutter zusammenlebte. Enthaltsam, versteht sich. Ich war nicht bei der Hochzeit, da ein Teil der Zeremonie im Königreichssaal abgehalten wurde. Außerdem hätte wahrscheinlich sowieso niemand mit mir reden dürfen. Wahrscheinlich? Bis heute weiß ich nicht einmal, ob ich tatsächlich ausgeschlossen wurde. Aber das ist mir egal. All die anderen Menschen aus meinem früheren Leben existieren nicht mehr.

Es war ein langer Prozess, bis ich endlich der Mensch wurde, der ich heute bin. Es gab vieles zu begreifen und zu verarbeiten auf der Suche nach Glück. Kurz vor meinem dreiundzwanzigsten Geburtstag veröffentlichte ich mein allererstes Youtube-Video. Ich hatte keine Ahnung, was ich da tat, ob es gut oder richtig war und es sich überhaupt jemand ansehen würde. Aber ich tat es. Für mich. Selbst meine engsten Freunde kannten bisher nur Ausschnitte meiner Geschichte. Niemand kannte die ganze Story. Eigentlich hatte ich nur ein Video machen wollen, um mich selbst zu befreien. Aber die Möglichkeit, anderen, die Ähnliches wie ich erlebt hatten, zu helfen und einen aktiven Beitrag zur Aufklärung solch sensibler Themen zu leisten, gab mir genau das, was ich brauchte, um mich endlich selbst zu finden.

Im Zeitalter von Social Media bieten sich völlig neue Möglichkeiten. Als ich dreizehn war, gab es nur ein paar wenige Veröffentlichungen von Abtrünnigen, alles Männer, und an diese kam man als Kind sowieso nur schwer ran. Außerdem hatte ich furchtbare Angst, Dämonen würden in ihnen stecken und über mich herfallen, wenn ich sie lesen würde. Aber heute hat jeder Schüler ein Handy, kann googeln und sich auf Youtube meine Videos anschauen. Die Eltern oder die Glaubensbrüder in der Versammlung werden nie erfahren, was sie da tun. Die Anonymität des Internets bietet viele neue Gelegenheiten, mehr zu erfahren.

Meine Videos wurden inzwischen über 400 000 Mal angeklickt, ich hatte schon mehrere Fernsehauftritte und gebe Interviews. Fast täglich bekomme ich Nachrichten von Leuten, denen ich mit meiner Aufklärungsarbeit helfen konnte. Zeugen, die endlich den Mut finden, auszusteigen. Ehemalige, die wissen, dass sie nicht alleine sind. Angehörige, die ihre Liebsten nun besser verstehen. Oder Menschen, die rein gar nichts mit dieser Thematik verbindet, aber die mit offenen Augen durch die Welt gehen. Aber ich möchte noch viel mehr bewegen. Sämtliche Schandtaten sollten aufgedeckt und nicht mehr unter den Tisch gekehrt werden.

Religionen bieten einen idealen Deckmantel für Verbrechen. Durch die Isolation der Mitglieder nach außen, passiert es leider nur selten, dass solche Dinge an die Öffentlichkeit geraten. Besonders Kindesmissbrauch und Gewalt in der Familie werden oft vertuscht und bleiben jahrelang im Verborgenen. Schweigen um den Namen Gottes nicht zu beschmutzen? Durch meine Aufklärungsvideos und die Vereinsarbeit für JZ Help werde ich nicht nur von ehemaligen Zeugen Jehovas, sondern auch Aussteigern anderer religiöser Gruppierungen kontaktiert. Manche berichten von furchtbaren Dingen aus ihrer Vergangenheit oder ihrem Umfeld und mir wurde klar, dass sexueller Kindesmissbrauch durch religiöse Oberhäupter viel öfter geschieht, als ich je vermutet hätte. Ich wünsche mir, dass den Opfern Gerechtigkeit widerfährt und viel mehr davon an die Öffentlichkeit gerät. Dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden und die Gesellschaft ihre Augen nicht länger verschließt. Ich bekomme Nachrichten von Menschen, die seit Jahren oder gar Jahrzehnten stillschweigend leiden, aus Angst, ihre Erlebnisse könnten als Lügen von Abtrünnigen dargestellt werden. Aus Angst sich zu wehren und zu kämpfen. Auch wenn ich selbst zum Glück nie Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch innerhalb der Zeugen Jehovas wurde, gehen mir solche Erfahrungen unglaublich nahe. Weil ich weiß, es hätte mich treffen können. Weil solche Grausamkeiten vielleicht direkt in meinem Umfeld passierten und ich es nicht einmal bemerkt habe. Weil die 1800 vertuschten Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch bei Jehovas Zeugen in Australien vielleicht nur ein Teil sind. Weil die sogenannte »Zwei-Zeugen-Regel« besagt, dass zur Überführung eines Täters innerhalb der Gemeinschaft, was einen Ausschluss zur Folge haben kann, mindestens zwei Zeugen nötig sind. Es wird nur dann ein Rechtskomitee einberufen, wenn für die beschuldigte Sünde als Beweis entweder ein Geständnis oder mindestens zwei Augenzeugen vorhanden sind. Als Zeuge Jehovas verhält man sich politisch neutral und beteiligt sich auch nicht an Wahlen. Gott steht über dem Staat. Das könnten einige der Gründe sein, warum es so vielen Opfern schwerfällt, auch Jahre später noch, zur Polizei zu gehen.

Ich lernte nach dem Veröffentlichen meiner Videos eine große Community von Aussteigern kennen, Menschen, die früher zu meiner riesigen geistigen Familie gehört und sich genau wie ich gegen sie entschieden hatten. Mit vielen habe ich mich in der Zwischenzeit getroffen, und wir haben uns über unsere Erfahrungen ausgetauscht. Ich war nicht mehr allein. Ich war eine von vielen, und mir wurde klar, dass es noch viel mehr Menschen gab, die gerettet werden mussten. Auf ganz andere Weise als früher.

Was ich möchte, ist Gerechtigkeit. Nicht nur für mich, sondern auch für all die anderen. Ich habe so viele ehemalige Zeugen kennengelernt, die teilweise noch Jahrzehnte nach ihrem Ausstieg psychische Probleme haben und sich in der »normalen« Welt nicht zurechtfinden können. Vor einer Weile traf ich eine Neunzehnjährige, die in eine Heroinabhängigkeit gerutscht war. Eine andere junge Frau wollte sich von ihrem Mann scheiden lassen, der weiterhin Zeuge ist, sie hatte aber so starke Depressionen und Suizidgedanken, dass sie nicht in der Lage war, ihr Leben zu ordnen. Sie hatte mit achtzehn geheiratet und nie eine Ausbildung gemacht. Immer nur war sie predigen gegangen, verstand sich als treue Ehefrau und Christin – und war dadurch finanziell und psychisch von ihrem Mann abhängig. Ein anderer Zeuge, der früher einmal Ältester war, kam nach dem Ausstieg nicht mit dem Erlebten klar und musste in eine Psychiatrie eingewiesen werden.

Die Liste dieser Beispiele lässt sich unendlich fortführen. So viele ehemalige Sektenanhänger können keine Beziehungen führen, einer Arbeit nachgehen oder einfach nur glücklich sein. Sie sind seit Jahren allein und haltlos in einer Welt, die sie nicht verstehen. In der sie nicht leben können. Weil sie einer Illusion nachgejagt sind. Sie wurden gebrochen und sind nun sich selbst und ihrer geschundenen Seele überlassen. Geächtet, verstoßen, missbraucht, manipuliert, verraten.

Aber auch ich habe meine Probleme. Es fällt mir heute manchmal noch schwer, die »normalen« Menschen zu verstehen. Manche erscheinen mir halb tot. Menschen, die stumpf und unerfüllt vor sich hin vegetieren, ohne es zu merken. Beschäftigen sich zu sehr mit Nichtigkeiten. Eigentlich könnten sie mir leidtun. Aber oft beneide ich sie. Um ihre Naivität, ihren Egoismus und ihre Unbeschwertheit. Wie sie in den Tag hineinleben, sich über Unwichtiges zu sehr aufregen und nicht das große Ganze sehen. Nur sich selbst. Nichts weiter nachjagen als Illusionen und Trieben. Falschen Zielen. Sie suchen Befriedigung in wertlosen Dingen. Viele Weltmenschen, denen ich begegnete, sagten mir, ich würde zu viel nachdenken. Ich wünschte, es gäbe mehr Menschen, die nachdenken. Ich habe manchmal versucht, zu sein wie sie. Habe mir ihr Verhalten abgeschaut und imitiert. Mich genauso von dem Sog der Sinnlosigkeit infizieren und betäuben lassen. Habe mir falsche Freunde gesucht und mit ihnen sehr viel Spaß gehabt. So viel Spaß, dass die wichtigen Dinge in Vergessenheit gerieten.

Was sind falsche Freunde? Diese Bezeichnung habe ich früher sehr oft gehört. Es sind Menschen, die nicht dieselben Ziele verfolgen wie ich und mich in meinen nicht bestärken. Menschen, die mich zurückwerfen, die blenden und mir nicht guttun. Weil es sie möglicherweise gar nicht interessiert, was mir guttut. Sie denken nur an sich selbst und ihre Bedürfnisse. Benutzen mich, um sie zu erfüllen. Aber sind wir nicht alle irgendwo so? Jeder Mensch ist egoistisch. Jeder Mensch will glücklich sein. Doch jeden Menschen macht etwas anderes glücklich. Also, wie unterscheide ich die Spreu vom Weizen? Den guten Freund vom falschen? »Er oder sie nimmt mich, wie ich bin«, das vernahm ich oft von anderen. »Diese Person versucht nicht, mich zu ändern oder mir Vorschriften zu machen.« Aber eigentlich sollte sich jeder ändern. Jeder hat Fehler und Schwächen, an denen es sich zu arbeiten lohnt. Nicht für andere, sondern für sich selbst. Man sollte immer in Bewegung sein, nicht auf der Stelle treten. Entwicklung und Wachsen. Und manche Menschen begleiten einen nur eine Weile. Manchmal trennen sich die Wege. Oder sie versuchen, bewusst oder unbewusst, etwas aus dir zu machen, was du nicht bist. Am Ende bleibt nur die Frage: Was bist du? Oder: Was möchtest du sein?

Lektionen sind dazu da, gelernt zu werden. Ich verlor schließlich die letzten Hemmungen, Schuldgefühle und Gewissensbisse, die von meinem alten Ich übrig waren. Ich machte Fehler, war sehr oft unvernünftig, enttäuschte meine Freunde. Probierte mich aus. Doch am Ende bin ich nicht hängen geblieben in der Welt der Versuchung. Hätte ich sie nicht kennengelernt, vielleicht hätte ich mich immer gefragt, was passiert wäre, wenn ich nicht alles ausprobiert hätte. So konnte ich mich bewusst entscheiden, welches Leben ich führen wollte. Optionen zu haben und zu schauen, wobei man sich wohlfühlt, ist unglaublich wichtig. Die Stärke und den Mut haben zu erkennen, was einem nicht guttut, auch wenn es im ersten Moment Spaß macht, noch wichtiger.

Ich hänge an meinem neuen Leben und denke über Konsequenzen nach. Weil es jetzt etwas zu verlieren gibt. Weil das Leben jetzt für mich sehr lebenswert ist. Diesen Kick, Grenzen zu überschreiten und etwas Verbotenes zu tun, habe ich sehr genossen. Ich brauchte ihn damals, aber jetzt nicht mehr. Zwischen all den Möglichkeiten und zwischen all den Menschen, die ich traf, habe ich mich selbst gefunden.

Es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich wirklich begriffen habe, dass die Gemeinschaft, in der ich aufwuchs, im Grunde eine Sekte ist. Jehovas Zeugen verteidigen sich in Deutschland mit ihrem Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts gegen diese Anschuldigung. Aber ich meine, dass das damit nichts zu tun hat. Eine Sekte zeichnet sich durch verschiedene Merkmale aus, die von Beratungsstellen und Experten genau bezeichnet werden. Isolation, Schwarz-Weiß-Denken, Absolutheitsanspruch, Endzeiterwartung, Heilsversprechen, Kontrolle des persönlichen und sozialen Lebens sowie Überwachung sind nur ein paar davon. Auch die strikte hierarchische Struktur und die autoritäre Führung sind ein eindeutiges Merkmal. Aber am schlimmsten erscheint mir die Kontrolle von Gedanken und Gefühlen. Man ist so indoktriniert und manipuliert, dass man in eine psychische Abhängigkeit gezwungen wird, aus der man sich scheinbar unmöglich lösen kann. Dadurch, dass der Glaube zum Lebensinhalt erklärt wird, hat man sonst nichts. Wie stark muss eine Manipulation sein, dass sie Eltern dazu befähigt, ihre Kinder zu verstoßen, nur weil sie etwas anderes glauben? Wie stark muss eine Manipulation sein, dass Menschen freiwillig auf eine lebensrettende Bluttransfusion verzichten und lieber sterben?

Ein weiterer Grund, den Jehovas Zeugen als Begründung dafür anführen, dass sie keine Sekte sind, ist, dass sie keine Abspaltung sind, sondern die einzig wahre Religion. Aber welche Religion behauptet nicht von sich, den wahren Glauben zu haben? Jehovas Zeugen wurden Ende des 19. Jahrhunderts von Charles Taze Russell in Pennsylvania gegründet, der auch den ersten Wachtturm herausgab. Wenn man all das weiß, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass Jehovas Zeugen eine US-amerikanische Sekte sind, oder? Für mich sind Jehovas Zeugen gleichwohl – auch auf Grund ihrer weltweiten Ausbreitung – eine der größten und gefährlichsten Sekten der Welt.

Ja, wenn Harmagedon, der Weltuntergang, doch kommt, werde ich sterben. Aber ich habe jahrelang gehört, ich würde in der Zeit des Endes leben, mir wurde das Gefühl gegeben, als könnte jede Sekunde der Weltuntergang ausbrechen. Und dann? Dann ist nichts passiert. 1975 hatten die Zeugen bereits einen Weltuntergang prophezeit, viele kündigten ihre Jobs, verkauften ihre Häuser, spendeten den Erlös der Organisation, in der Annahme, dass das Ende da sei. Und was passierte? Gar nichts. Nichts. Sie alle standen vor dem Nichts. Nach dieser riesigen Enttäuschung verließen viele die Gemeinschaft. Die Organisation rechtfertigte ihren »Fehler« oder ihre »Falschinformation« mit der Aussage: »Das Licht wird immer heller«, angelehnt an eine Bibelstelle in Sprüche 4:18. Das bedeutete, dass die Erkenntnis über die Heilige Schrift ständig zunehmen würde. Aha.

Wie fühlst du dich, wenn dir eine Person, der du vertraut hast, sagt: »Sorry, da habe ich mich wohl geirrt«? Wenn es nur darum geht, wo die nächste Tankstelle ist oder wie das Wetter wird, ist das nicht weiter schlimm. Aber wenn du durch diese Person dein komplettes Leben geändert hast und jetzt vor dem Nichts stehst? Alles aufgegeben und verloren hast? Familie, Freunde und dein Leben? All das für ein »Hoppla, da habe ich mich wohl verrechnet«? Shit happens? Wenn ich mein Leben für das große Ganze opfere – was habe ich davon? Nein danke. Gott ist doch stark genug, um sich selbst zu helfen. Wozu benötigt er uns? Will Gott nicht, dass wir glücklich sind? In meiner Version hat er uns nicht erschaffen, damit wir wie willenlose Sklaven seinen Willen erfüllen.

Er hat uns geschaffen und uns einen eigenen Willen gegeben, damit wir glücklich sind und unser kurzes Leben genießen können. Ja, das ist egoistisch. Nächstenliebe, Selbstlosigkeit, Demut, Gehorsam und die ganzen anderen gottgefälligen Eigenschaften, die mir jahrelang eingetrichtert wurden, sind essenziell und wichtig, um ein guter Mensch zu sein. Aber machen sie dich auch zu einem glücklichen Menschen? Die wichtigste Person im Leben sollte immer man selbst sein. Das schließt nicht aus, sich um andere zu kümmern. Aber es ist wichtig, sich dabei nicht ausnutzen zu lassen. Ich habe nur dieses eine Leben. Du auch.

Die Welt ist ein wunderbarer und gleichermaßen grausamer Ort. Mein ganzes Leben wurde ich gewarnt vor ihr und ihrer magisch-teuflischen Anziehungskraft. Diese Gefahr war für mich immer real, und ich war erfüllt von Angst und Respekt vor Satan und seinen dunklen Verführungskünsten. Ich wurde verführt. Und was habe ich verloren? Nicht mein ewiges Leben. Sondern eine Illusion. Meine Augen haben sich geöffnet, und jetzt sehe ich die Welt, wie sie wirklich ist. Nicht immer schön, aber auch nicht nur schlecht. Eben Realität. Und was habe ich gewonnen? Das, was ich immer wollte. Leben. Ich lebe. Endlich. Mir wurde jahrelang eingeredet, ich müsste mich vor dem Freisein fürchten. Freiheit sei verbunden mit Schutzlosigkeit. Aber so ist es nicht. Ich bin ein Risiko eingegangen – und habe mein Leben gewonnen. Nichts wird mir mehr vorgeschrieben, ich trage selbst die Verantwortung.

Früher hatte ich die Verantwortung für mein Leben abgegeben, konnte keine Entscheidungen treffen und hatte versucht, mich der Form anzupassen, in die ich gepresst wurde. Ich war eine leere Hülle, eine Marionette, abhängig vom Puppenspieler. So bin ich nicht mehr. Manchmal erscheint mir meine Vergangenheit wie ein Albtraum. Als wäre das alles nicht mir passiert, sondern einer völlig fremden Person. Damals war ich auch nur ein Abzug, eine Kopie, austauschbar und ersetzbar. Erst als ich mich entschloss, ein Risiko einzugehen, konnte ich mein Leben selbst gestalten, eine weiße Leinwand, auf der ich malen kann, was immer ich möchte.

Es wird immer Menschen geben, die einen nicht verstehen. Es wird immer Augenblicke geben, in denen man Schmerz fühlt. Es wird immer Enttäuschung und Wut und Trauer geben. Aber das ist nicht schlimm. Denn diese Gefühle sind echt. Und was ist schon echt? Früher war ich das Resultat einer Manipulation, nichts war wirklich wahrhaftig. Doch jetzt freue ich mich über jede kleine Emotion, die in mir aufflammt. Über jeden echten, unvollkommenen Weltmenschen, der mir einen Kieselstein in den Weg legt. Diese Kieselsteine erschüttern mich kurz, aber zeigen mir auch, dass ich wirklich lebe. Es gab viele Momente, in denen ich am liebsten aufgegeben hätte. Aber es gab kein Zurück. Denn das war nie eine Option. Ich sage nicht, dass der Kampf leicht war. Es war hart. Noch jetzt ist es manchmal hart. Aber jetzt weiß ich, wofür ich kämpfe. Es ist jede Anstrengung wert. Denn ich kämpfe für mich. Nicht für jemand anderes. Für keine Organisation, für keine Brüder und Schwestern, die am Ende nur fremde Menschen sind, die mich verleugnen, und ebenso wenig für einen Gott, von dem mir Menschen sagen, was er sich wünscht. Nur für mich. Und ich bin den Kampf wert. Und du bist es auch. Nie habe ich eine konkrete Wunschvorstellung verfolgt, das Einzige, was zählte, war, dieses alte Leben hinter mir zu lassen. Alles war besser als das, was ich aufgegeben hatte. Ich hatte keine großen Ansprüche an mein neues Leben. Nur leben. Frei sein. Einen eigenen Willen haben. Mensch sein. Unvollkommen und ohne Druck.

Bist du glücklich? Willst du wissen, was der Schlüssel zum Glücklichsein ist? Ich werde es dir sagen. Der Schlüssel ist Akzeptanz und nicht Resonanz. Dinge und Menschen akzeptieren, so wie sie sind – und das Beste daraus zu machen. Es ist leicht, sich vor dem eigenen Leben zu drücken, indem man anderen die Schuld gibt. Was bringt es aber, einen Schuldigen zu haben? Das Unglück bleibt bestehen. Der Schlüssel für dein Glück liegt also in dir selbst. Du allein hast die Kontrolle über dein Leben. Niemand sonst. Also nimm dein Leben in die Hand, und kontrolliere dein Glück. Wenn ich das kann, kannst du es auch.