GESTOHLENE ERINNERUNGEN

In der darauffolgenden Zusammenkunft ging es um das Thema Blut. Wir lernten, dass Blut heilig ist. Nur Gott darf Leben geben und Leben nehmen. Blut symbolisiert das Leben. Jehovas Zeugen dürfen auch kein Blut essen. Keine Blutwurst. Das ist gegen Gottes Willen. Vampire sind sowieso Blödsinn. Man ist unrein, wenn man Blut zu sich nimmt. Eine Sünde. Wenn die Menschen das tun, verstoßen sie gegen Gottes Gebote.

Bei der Vorbereitung auf diesen Programmpunkt hatte ich meine Mutter gefragt: »Was passiert denn, wenn ich aus Versehen etwas esse, wo Blut drin ist? In rohem Fleisch ist doch manchmal auch noch etwas Blut zu sehen, oder nicht?«

Sie riet mir, dass ich es gut abwaschen oder wegschneiden und entsorgen solle.

»Und wenn ich am Finger blute und ihn aus Versehen ablutsche?«, fragte ich weiter.

Ich dürfe das eben nicht ablecken und müsse ein Pflaster draufmachen. Sollte mir das doch mal unabsichtlich passieren, hätte Gott schon Gnade mit mir.

Egal, wohin ich ging, ob zur Schule, in den Predigtdienst oder zu meinen Großeltern, ich hatte immer ein besonderes Dokument dabei. Entweder befand es sich im Schulranzen oder in meinem kleinen pinkfarbenen Beutel, der um meinen Hals baumelte. Ich hatte in meinem Alter noch keinen Personalausweis oder eine Versicherungskarte, aber ich besaß etwas, das viel wichtiger war als alles andere: ein Stück Papier, das im Ernstfall über mein Leben entscheiden konnte. Mein sogenannter Blutausweis. Als ich in die Schule kam, sagten mir meine Eltern, dass es wichtig sei, dieses Schriftstück immer bei mir zu tragen, und dass ich, falls ich mal einen Unfall haben sollte, auf gar keinen Fall Blut im Krankenhaus erhalten dürfte. Ein ernstes Thema für ein kleines Kind. Damals hatte ich die Bedeutung dieser Worte aber noch nicht richtig verstanden, hatte mir nichts dabei gedacht, sondern darauf vertraut, dass meine Eltern sicher wüssten, was am besten für mich sei. Bei jedem Schulausflug, jeder Unternehmung und jedem Schritt, den ich tat, war dieses Dokument dabei. Ich vergaß es nie. Immer griffbereit, es im Fall der Fälle zur Hand zu haben, um mein Leben zu retten. Mein ewiges Leben, nicht mein irdisches, wohlgemerkt! Ich wusste, falls mir etwas geschehen würde, dürfte ich auf gar keinen Fall, wirklich niemals eine Bluttransfusion bekommen. Auch wenn das bedeuten würde, dass ich sterben müsste. Kein Blut. Das hätte ich den Ärzten genau so gesagt. Lieber sterben, als etwas zu tun, was Gott verbietet. Lieber ein ewiges Leben im Paradies als ein kurzes und bedeutungsloses irdisches Leben in Ungnade, so war es mir gesagt worden. Blut ist heilig. Und nur Gott darf über Leben und Tod entscheiden. Ich lernte Bibeltexte auswendig, mit denen ich meine Entscheidung begründen konnte: »Nur Fleisch mit seiner Seele – seinem Blut – sollt ihr nicht essen« (1. Mose 9:3,4); »Enthaltet euch von Hurerei und von Erwürgtem und von Blut« (Apostelgeschichte 15:19–21). Ich zweifelte nie daran, dass diese Entscheidung richtig war. Ich hatte keine Angst. Nicht vor dem Tod.

Nach der Zusammenkunft unterhielten sich die Erwachsenen wieder einmal über Dämonen. Gespannt lauschte ich. Meine Brüder und Schwestern erzählten manchmal Geschichten, wie Dämonen aus Gegenständen in Menschen einfuhren und von ihnen Besitz ergriffen. Am Ende würden diese Menschen immer tot sein. Schwester Marianne, die Freundin meiner Mutter, hatte mir von einem Buch berichtet, dass eine Frau auf einem Flohmarkt gekauft habe. In ihm sei ein Dämon gewesen. Aber das hatte die Frau nicht gewusst. In ihrem Haus geschahen dann immer mehr seltsame Dinge. Spiegel zerbrachen, Glühbirnen platzten und manche Gegenstände fingen auf unerklärliche Weise Feuer. Marianne erzählte, die Frau habe sich ebenfalls total verändert und dachte, man würde sie beobachten und verfolgen. Sie wurde manisch. Sah die Dämonen als Schatten und erzählte anderen davon. Weil sie pausenlos zu ihr gesprochen hätten, konnte sie es nicht mehr ertragen und sprang schließlich aus dem Fenster. Erschreckend. Gänsehaut machte sich auf meinem ganzen Körper breit, als ich diese Geschichte hörte oder später auch nur daran dachte. Ich zweifelte nicht daran: Geschichten wie diese waren wahr. Sie waren kein Märchen, sondern Realität. Meine blühende Fantasie half mir bei dieser Vorstellung. Dämonen lauerten einfach überall, das sagten schließlich auch die Erwachsenen nach der Versammlung. Sie warteten nur darauf, ihr Spiel mit uns zu spielen. Erfreuten sich am Bösen und daran, Menschen zu quälen. Und niemand sei in der Lage, sie zu kontrollieren. Man könne sich nur mit einem starken Glauben vor ihnen schützen. Das war auch ein Hinweis in meine Richtung, auch ich konnte mich nur so schützen, indem ich fest in meinem Glauben war.

Wie schon ein Bruder während der Versammlung gesagt hatte: »Ein starker Glaube ist die einzige Waffe im Kampf gegen den Teufel. Jeder Einzelne von uns muss die Waffenrüstung Gottes anlegen. Wir alle sind eine große Familie und müssen gegenseitig aufeinander achten. Überall lauern Gefahren. Deswegen dürfen wir auch nicht versäumen, die geistige Speise zu uns zu nehmen, die Jehova uns zur Verfügung stellt. Regelmäßiges Bibellesen, der Predigtdienst und der Besuch der Versammlungen sind zwar ein guter Anfang, aber das kann uns noch lange nicht vor Satan und seinen Dämonen retten. Das Wichtigste ist, die geistige Waffenrüstung Gottes anzulegen. Sein Wort, die Bibel, zu verinnerlichen und so zu sein, wie Gott es von uns erwartet. Dann erhalten wir seinen Segen und Schutz. Es ist wichtig, ihn und seine Organisation im Leben an die oberste Stelle zu setzen. Über Allem und Jedem steht nur Jehova.

Genau, dachte ich, er kann in mein Herz sehen. Er kann sehen, ob ich wirklich seiner würdig oder eine elende Sünderin ohne Reue bin und den Tod in Harmagedon verdiene, nicht anders als die ahnungslosen Weltmenschen.

Publikationen wie der Wachtturm, Erwachet! und die Bücher, die ich lesen musste, waren mit vielen leuchtenden und verstörenden Illustrationen versehen. Von Harmagedon, dem Weltuntergang, von entsetzlichen Gewalttaten und schreienden Menschen. Am allerschlimmsten war das Buch Die Offenbarung. Ihr großartiger Höhepunkt ist nahe! Noch nie hatte ich so furchtbare Bilder gesehen! Babylon, die Hure, ritt auf einem Tier mit sieben Köpfen. Menschen inmitten einer Feuersbrunst, verheerende Kriege und gruselige Fantasiewesen. Der abgetrennte Kopf von Johannes dem Täufer auf dem Silbertablett oder der gesteinigte Paulus. So viele schockierende Szenen hatten sich in meinen Geist eingebrannt. Auch sie waren für mich absolute Realität. Die Engel waren echt. Die Dämonen waren echt. Satan, der Teufel, war echt. Und wilde Tiere mit mehreren Köpfen waren ebenfalls echt. Was ich nicht auf den Bildern sah, wurde von meiner Fantasie ergänzt. Meine größte Angst galt tatsächlich dem Verlust der Wahrheit, also meines Glaubens. Denn mein Glaube war die Wahrheit und schützte mich vor allem, was da kommen konnte: vor ungläubigen Menschen, dem Weltuntergang und sogar vor dem Tod. All das konnte nichts bewirken, wenn man zu Jehova Gott hielt. Dieses Bewusstsein der Erhabenheit gab mir trotz aller Furcht ein Gefühl von Allmacht. Ich wusste ja, ich war von Gott auserwählt, um ihm zu dienen. Und Gott war allmächtig, also konnte mir niemand etwas anhaben. Mein Glaube und meine Kraft waren grenzenlos. Ich hatte Hoffnung. Und Hoffnung und Wahrheit waren die Grundpfeiler meines Glaubens.

Bei Jehovas Zeugen unterscheidet man zwischen einer irdischen und einer himmlischen Hoffnung. Die irdische Hoffnung bedeutet, dass man nach dem Tod in einem Paradies auf der Erde aufersteht und ein ewiges, glückliches und erfülltes Leben führt. Vorausgesetzt natürlich, man hat sich vorher Jehova Gott durch die Taufe hingegeben und als vollwertiger Christ bekannt, der sein ganzes Leben in den Dienst Gottes stellen will. Die himmlische Hoffnung haben wiederum nur sehr wenige Christen. Und zwar genau 144 000. Keiner mehr und keiner weniger. Diese 144 000 haben die Ehre, nach Harmagedon mit Jesus Christus im Himmel, im tausendjährigen Königreich, zu regieren und über die Erde zu herrschen. Diese Auserwählten nennt man auch die Gesalbten, denn sie als Einzige sind mit Gottes heiligem Geist gesalbt.

Als ich meine Mutter einmal fragte, wer denn gesalbt werde, sagte sie, dass das Jehova entscheide. Der gesalbte Diener Gottes würde es tief in sich spüren, dass er auserwählt und etwas ganz Besonderes sei.

»Aber wenn ich es nun auch spüre? Wie kann ich wissen, ob ich zu den 144 000 gehöre?«

Darauf erklärte sie mir, dass Gott und seine Gesalbten eine sehr tiefe Verbindung miteinander hätten. Und wenn ich gesalbt wäre, würde ich dies wissen und nicht solche Fragen stellen.

Ich war also keine der Gesalbten, aber wahrscheinlich wünschte sich jeder Christ in seinem Innersten, einer dieser ausgewählten Diener Gottes zu sein. Ich war jedoch nichts weiter als ein normales Mädchen, das in der Wahrheit erzogen wurde. Aber auch das war eine große Ehre. Denn alle anderen Menschen würden in Harmagedon sterben, wenn sie sich gegen Jehova entschieden. Mir wurde gesagt, ich würde in der »Zeit des Endes« leben. Die Zeit des Endes ist eine kurze Periode, die dem Weltuntergang vorangeht. Mit einem Wimpernschlag konnte es so weit sein.

Diese eher metaphorisch gedachte Äußerung vom Weltuntergang nahm ich als Kind wörtlich. Lange bestand mein morgendliches Ritual darin, nach dem Aufwachen aus dem Fenster zu schauen. Ich wollte überprüfen, ob Harmagedon schon gekommen war. In meinem Kopf hatte ich das Bild einer verwüsteten Welt vor Augen, brennende Häuser, sterbende Menschen, es krachte, und es regnete Feuer vom Himmel. Und mittendrin meine quicklebendige geistige Familie. Dass Gott so, in dieser Brutalität, ein Massenmörder wäre, dieser Gedanke kam mir nicht. Nein, stattdessen war da ein anderer: Endlich greift er ein!

Mit den Jahren wurde aus meinem morgendlichen Sprint ans Fenster ein schleppender, langsamer Gang. Nach endlosen enttäuschenden Blicken nach draußen sparte ich mir irgendwann diese Routine und warf der Welt jenseits meines Zimmers keinen Blick mehr zu. Warum Enttäuschung? Jeder vernünftige Mensch sollte sich doch freuen, wenn der Untergang der Welt ausgeblieben war. Aber ich wurde bei dem Anblick der grünen Bäume, der Sonne und der Häuser nur traurig. Schließlich schlug die Trauer in Verbitterung um. Harmagedon und die Zeit danach waren das, wofür ich lebte. Meine Erlösung. Denn in Harmagedon würden endlich alle bösen Menschen umkommen, danach gäbe es nur noch gute Menschen, Zeugen Gottes wie uns, mit rechtschaffenem Herzen, loyale Diener des Herrn. Die Erde, auf der ich lebte, war ein böser Ort und wurde vom Teufel regiert. Wir waren seine Gefangenen und mussten ausharren, bis Gott bestimmte, dass nun die Zeit gekommen war.

Aber ich war ungeduldig. Ständig wurde mir das Gefühl gegeben, alles könnte morgen schon zu Ende sein und ich müsste mich beeilen.

»Also warum dauert das so lange?« Natürlich hatte ich nachgefragt.

Die Antwort, die ich erhielt: »Jehova will so vielen Menschen wie möglich die Chance auf ein ewiges Leben im Paradies geben. Deswegen predigen wir.«

Und da nur Jehovas Diener gerettet werden, wollte ich vor Harmagedon noch so viele Menschen wie möglich erlösen. Meine Großeltern, meine Klassenkameraden, meine Lehrer. Der Gedanke, sie alle könnten bald sterben, machte mich traurig. Plötzlich war ich froh, dass Harmagedon noch nicht da war und ich etwas Zeit hatte, die Menschen, die ich liebte, von der Wahrheit zu überzeugen. Also versuchte ich, ihnen zu predigen und sie vor dem Tod zu beschützen. Ich zog los, um mit meiner Mutter und Marianne die frohe Botschaft zu verkünden.

In meinem Kinderkopf machte das Sinn, und ich war Feuer und Flamme. Mein Vater durfte nicht sterben, weil er sich gegen die Wahrheit entschieden hatte.

Mehrmals hatte ich meinen Vater gefragt: »Papa, kannst du nicht wieder zurückkommen?«

Sanft hatte er jedes Mal über meine Haare gestrichen und gesagt: »Sophie, das geht leider nicht. Man kann nicht einfach so zurückkehren. Ich wollte ja auch gar nicht unseren Glauben verlassen, aber die Regeln haben mir damals keinen anderen Ausweg gelassen. Und mittlerweile sehe ich das Ganze mit anderen Augen.«

»Aber dann wirst du sterben!«

»Ich werde nicht sterben, mach dir keine Sorgen«, hatte er mich dann zu trösten versucht. Ich bemerkte nach und nach, dass er nicht mehr an die Wahrheit glaubte.

Aber auch meine Mitschüler hatte ich versucht zu überzeugen.

»Lara, du musst dich taufen lassen, so wird dich Jehova retten, und du wirst nicht sterben müssen.«

Lara hatte mit dem Kopf geschüttelt. »Ich glaube nicht, dass Jehova existiert. Meine Eltern sind aus der Kirche ausgetreten und haben mir gesagt, dass das mit den Zeugen Jehovas nur Unfug sei.«

»Aber du kommst dann nicht ins Paradies, es ist wirklich dringend. Ich meine das ganz ernst«, hatte ich verzweifelt in meinem Wunsch, alle retten zu wollen, geantwortet.

»Sophie, ich lebe schon in einem Paradies. Du hast es nur noch nicht bemerkt. Du redest nichts als Blödsinn.«

Blödsinn? Das Wort hatte mich aufgewühlt. Ich hatte gehofft, Lara würde mir für meine Warnung danken und verstehen, dass Jehova der einzig wahre Gott ist. Aber das hatte sie nicht getan.

Und jetzt vernahm ich in der Zusammenkunft auch, warum meine Bemühungen vergebens waren: »Die meisten Menschen sind blind für die Wahrheit. Wollen sie nicht hören. Sie wollen nicht erweckt werden. Wollen lieber sterben.«

Ein unglaublicher Schmerz packte mich. Mir wurde plötzlich klar: Die Menschen, die ich liebe und die nicht Zeugen Jehovas sind, werden sterben. Ich betete zu Gott, bat ihn, er möge ihnen doch Einsicht und Verständnis schenken. Es gab noch einen Silberstreif am Horizont, Harmagedon war noch nicht da. Es konnten noch Menschen erwachen und gerettet werden. Zugleich erfasste mich tiefe Trauer, denn wer sich bewusst gegen Gott stellte, so begriff ich, hatte sich offenbar endgültig entschieden. Der wollte nicht gerettet werden.

Nun wurde wieder aus der Bibel gelesen, aus dem ersten Buch Mose. Dazu hieß es: »Hirte im alten Israel zu sein, war anstrengend. Er war Hitze und Kälte ausgesetzt und musste die Herde vor Räubern und wilden Tieren schützen. Er untersuchte die Schafe regelmäßig und versorgte kranke und verletzte. Besonders achtete er auf die Lämmer, denn sie waren anfällig und nicht so kräftig wie ausgewachsene Schafe. In mancher Hinsicht gleichen christliche Eltern Hirten. Sie müssen die Eigenschaften eines guten Hirten haben und tragen die Verantwortung, ihre Kinder in der Zucht und in der ernsten Ermahnung Jehovas aufzuziehen. Das ist keine leichte Aufgabe! Kinder sind satanischen Einflüssen ausgesetzt und haben unvollkommene Neigungen. Wie könnt ihr als Eltern euren Kindern helfen? Es gibt drei Bereiche, auf denen ihr euch als Hirten eurer Kinder erweisen könnt: sie kennen, sie geistig ernähren und sie anleiten.«

Danach wurde abermals gesungen, was bedeutete, dass die Zusammenkunft beendet war, in drei Tagen würden wir uns alle wieder treffen. Ich sang aus tiefstem Herzen mit.

Anfangs hatte ich zu dem Glauben meiner Eltern noch keine eigene Meinung gehabt. Ich hatte meine Mutter als zu streng empfunden, hatte nicht nachvollziehen können, warum man meinen Vater nach der Trennung verstoßen und isoliert hatte. In meinen Augen war er ungerecht behandelt worden. Aber von einer Zusammenkunft zur nächsten änderte sich meine Haltung. Ich dachte daran, wie meine Mutter zu diesem Glauben gefunden hatte, denn ihre Mutter, meine Balloma, hatte nicht den Zeugen Jehovas angehört. Sie musste eine Erleuchtung gehabt haben, überlegte ich. Und dann war sie von dem Glauben fasziniert gewesen, von Gott und seiner Macht – und verängstigt von dem Teufel. So wie ich. Irgendwann war ich regelrecht besessen von unserem Glauben. Ich fühlte mich auserwählt und gesegnet, als würde ich als Teil von Gottes Nation über allen anderen stehen. Ich hatte eine Einsicht, hatte ein Verständnis, das andere Menschen nicht hatten. Dachte ich. Aber eigentlich war ich nur indoktriniert und manipuliert. Gehirnwäsche. Alle um mich herum hatten es gemerkt, nur ich nicht.

Jeder in meiner Familie, bis auf meine Mutter, war ein »normaler« Mensch, niemand ein Zeuge. Meine Mutter wurde für ihren Glauben von meiner Familie belächelt und nicht ernst genommen, doch ich wurde von ihr und dem Umfeld der Glaubensfamilie sehr stark beeinflusst, nicht von den »Normalen«. Meine Großeltern und andere Verwandte, meine Lehrer und die Eltern meiner Klassenkameraden hatten oft Mitleid mit mir, wenn sie erfuhren, dass mich meine Mutter mit in die Zusammenkünfte und den Predigtdienst schleifte. Da ich als leicht zu beeinflussendes Kind vom Glauben meiner Mutter überzeugt war, konnte ich das nicht nachvollziehen. Die anderen Brüder und Schwestern glaubten schließlich auch an Jehova. Auf der ganzen Welt gab es über acht Millionen Mitglieder unserer Religionsgemeinschaft, eine riesige Familie. So viele Menschen konnten doch unmöglich falschliegen. Sicher, diese anderen Menschen hatten Mitleid mit mir, aber ich hatte Mitleid mit ihnen, weil sie nicht die Wahrheit hatten.