3. Isle of Man

 

05.08.2059, 11:00 Uhr, Isle of Man:

 

Lange vor dem Europäischen Krieg besaß die Insel in der Irischen See knapp 90.000 Einwohner, die sich auf übersichtliche 572 Quadrat­kilo­meter verteilten. Nach Anstieg des Meeresspiegels und der Auseinander­setzungen waren noch knapp 330qkm übrig und kaum noch Einwohner. Man hatte die paar Menschen umgesiedelt und Isle of Man, die sonst für ein paar Sonderrechte und umstrittene Motorradrennen bekannt war, kom­plett dem UAW Space Center, einem Teil der Space Navy, über­lassen. Das Trainings-Center befand sich in der Nähe des ehemaligen Städt­chens Foxdale im südlichen und mitten im höhergelegenen Teil der Insel. Den ehemaligen Hafen der ebenso ehemaligen Hauptstadt Dou­glas gab es nicht mehr – dort war jetzt Wasser, und zwar viel. Man hatte einen Ausweichhafen gebraucht und ihn in Laxey gefunden. Ein Städt­chen, etwas weiter im Norden, aber auch an der Ostküste. Die Insel hatte eine Menge Land an das Wasser verloren – fruchtbares Land, daher war es auch nicht so schwierig, darauf zu verzichten. Ortschaften und Land­striche, wie Calf of Man, Kitterland, Chicken Rock, Colby und Ballabeg gab es im Süden nicht mehr, im Norden fehlte praktisch das letzte Vier­tel, Sulby war zur Inselmitte hin die letzte Stadt, die vom Wasser über­flutet worden war; die Hafenstadt Ramsey war ebenfalls untergegangen. Und dann natürlich auch die tiefergelegenen Landstriche an der West- und Ostküste. Jetzt teilten sich die Männer und Frauen um Admiral Tony Winter die verkleinerte Insel lediglich mit Hunderten von Schafen und eine Handvoll gelernter Schafzüchter, die aber auch zur UAW gehörten. Niemand sonst hatte die Insel zu betreten. Morgens und abends dockte in Laxey ein Trawler an, der Bedienstete brachte und holte, die nicht auf der Insel wohnten, sowie Lebensmittel und Güter aller Art. Anbindungs­stelle war Whitehaven auf dem ehemals britischen Festland.

Und alle Leute wurden penibel kontrolliert.

 

Zum oben angegebenen Termin regnete es, wie der Brite sagt ‚cats and dogs‘. Die von Admiral Winter zusammengetrommelte Crew war teil­weise schon eingetroffen, aber einige kamen tatsächlich mit dem letzten Trawler am Morgen an. Die 17 Kilometer bis zum Trainingscenter fuhr sie ein Kleinbus. Zwar konnten sie im Trawler auch unter Deck, aber das Ein- und Ausschiffen, der Umstieg in den Kleinbus und anschließend das Aussteigen – man war nass. Treffpunkt für derlei Gelegenheiten war ein gläserner Pavillon, dessen einziger Raum, von zwei Toiletten abge­sehen, in der Mitte eben nicht einsehbar war. Man hatte also zwei Ein­gänge und den Flur um einen Raum herumgebaut, der zwei Dutzend Leu­te fassen konnte. Eine entsprechende Technik für Vorträge und Sonstiges war selbstverständlich vorhanden. Dieser Treffpunkt stand ganz im Osten des recht großen Geländes und an der höchsten Stelle. Man konnte gut in die westliche Irische See gucken, wenn es nicht so goss wie heute. Im weiteren Areal befanden sich verschiedene Hallen, auch Sporthallen, ein großes und tiefes Schwimmbad für die entspre­chenden Übungen, ein Gästehaus, welches man schnell mit einem Hotel verwechseln konnte, sowie ein opulentes Verwaltungsgebäude. Dazu ka­men verschiedene Schuppen und sonstige Häuser, auch zum Wohnen für das Personal.

Trotz des Hochsommers war von dieser Jahreszeit im Moment nicht viel zu spüren. Der Wind klatschte den Regen gegen die Gebäudewände. Es war 11:00 Uhr und man stand auf dem Flur.

Admiral Tony Winter war bereits anwesend und hatte alle freundlich mit Hand­schlag begrüßt. Alle hatten sie ein großes Fragezeichen im Gesicht stehen, aber jeder wusste auch, dass der Admiral keine Erklärung ab­geben würde, bis der Letzte der Crew anwesend war.

„Ist doch klar, wer fehlt, oder? Wundert mich das? Nein, tut es nicht“, maulte Steven Huxley.

„Du darfst nicht vergessen, lieber Steven, dass Daddy dem Space Center ein paar Milliarden zur Verfügung gestellt hat, damit wir seinem Sohn so etwas wie einen Sinn in seinem Leben geben“, bemerkte Lars Witte süffi­sant und mit einem breiten Grinsen.

Die Tatsache war allgemein bekannt, dass der alte Parker seinen Sohn mehr oder weniger in die Crew hineingekauft hatte.

Ina Rott, gekleidet in ein Achselshirt, was auch noch ein wenig nass ge­worden war und daher die ungestützte Brust recht ansehnlich abmalte, zog eine Augenbraue hoch: „Sollte der verehrte Wesley vielleicht seine Prüfung auch deswegen bestanden haben?“

Admiral Tony Winter hob beide Arme etwas an: „Halt, halt, bitte. Keine Unterstellungen. Ja, Parker Senior ist recht freigiebig. Aber ich habe ihm in die Hand versprechen müssen, dass er die Prüfungen genauso absol­viert wie ihr. Schließt bitte nicht von Wesley auf seinen Vater. Wir haben bei Wesley genau nachgesehen und hätten ihn gern nach Hause ge­schickt. Wir hätten keine Gelder zurückzahlen müssen – das war der Deal. Er hat die Prüfungen geschafft. Nicht gut, manchmal befriedigend, manchmal sogar darunter. Aber er ist durch und es gab keinen Grund, ihn nach Hause zu schicken.“

Der Admiral sah die platinblonde Emma McDoubt an: „Nicht jeder kann die Prüfungen so gut absolvieren wie Emma.“ Es war ebenfalls ein offenes Geheimnis, dass der Admiral Emma mit der Führung der Crew beauftragen würde, wenn sie sich in den Weltraum schwangen. Offiziell war das nicht, aber jeder wusste das. Ihre Beurteilungen waren nicht gut, sondern sehr gut. Das betraf nicht nur die Theorie, sondern sie konnte auch Beispiel geben und führen. Ihre ruhige und logische Art sicherte ihr die Sympathien aller Crewleute – bis auf die von Wesley natürlich. Aber Wesley konnte kaum jemand leiden.

„Meine ich das nur, oder ist der Regen weniger geworden?“ Dr. Lara Horn schaute skeptisch aus den bodentiefen Fenstern.

„Da kommt deine Antwort“, sagte Max Anderbrügge und lächelte.

Tatsächlich sah man, wie sich die Sonne durch die Wolken schob – und nicht nur die Sonne. Der Regen ließ nach und in 50 Metern Entfernung von den Beobachtern setzte ein moderner und ziviler Helikopter auf. Erst als die Rotorblätter stillstanden, öffnete sich eine Tür. In der Öff­nung erschien zunächst ein Schirm, der geöffnet wurde. Dann stieg eine Person aus und achtete peinlich darauf, nicht mit dem Regen in Kontakt zu kommen.

„Da ist ja der feine Pinkel“, sagte Lars Witte.

Wesley Parker hatte seinen Auftritt im eleganten weißen Anzug, dunkel­blauem Hemd und ebensolchen Turnschuhen. Hinter ihm schleppte ein Bediensteter zwei schwere Koffer durch den Regen.

„Seit wann dürfen hier Privathubschrauber landen?“, fragte Emma McDoubt.

„Er hat sich so angemeldet“, gab Toy Winter zu. „Hätte ich ihn abschie­ßen lassen sollen?“

„Wäre nicht die verkehrteste Maßnahme gewesen“, zischte Ina Rott.

„Es wären Unschuldige zu Tode gekommen“, warf Dr. Lara Horn ein.

„Ich bitte euch“, sagte Winter, „verhaltet euch eurer Ausbildung gemäß. Ich erwarte nicht, dass ihr ihn liebt, aber akzeptiert ihn.“

„Wir akzeptieren, dass sein Daddy ’ne Menge Geld hat“, grollte Lars Witte. Der breite Blonde mit dem Vollbart war sonst immer als humo­riger Sunnyboy unterwegs. Heute keine Spur davon.

„Ein Scheißwetter habt ihr hier!“

Ina Rott seufzte und dachte: ‚Hilf uns dabei, dich zu mögen. Diese Art von Begrüßung kannst du in die Tonne treten.‘

„Warum bleibst du dann nicht im sonnigen Kalifornien?“, fragte Steven Huxley gereizt.

Wesley brauchte sich nicht zu wundern, dass ihn kaum einer anschaute – von einer Begrüßung ganz zu schweigen.

„Lasst uns anfangen“, brummte Winter. „Vielleicht seht ihr dann den Ernst der Lage und hackt nicht mehr aufeinander rum.“

Emma wurde hellhörig und Felipe ebenfalls. Sie gingen in den Bespre­chungsraum und waren überrascht, dass dort schon jemand saß.

Allerdings passte dieser Typ so gar nicht in das Schema der sonstigen Be­schäftigten der UAW Navy. Er war fett und sah mit langen schwar­zen Haaren ziemlich ungepflegt aus. Er saß am Kopfende des leicht ovalen Tisches. Vor dem Stuhl, direkt neben ihm lag die Mappe des Admirals. Dieser Stuhl war also schon belegt. Man verteilte sich auf die übrigen Stühle.

„Wir haben schon zu viel Zeit verloren, darum Vorstellungsrunde, unser Kollege hier fängt an“, ordnete der Admiral an.

Der Dicke räusperte sich und hielt seine Faust dazu vor den Mund. Man sah einen fleischigen Unterarm aus dem schwarzen T-Shirt herausragen.

„Mein Name ist Omal Tarawex. Ihr könnt mich Ozzy nennen. Ich war bis zum 02.08. dieses Jahres Operator im Space Observer Europe und wurde zum 03.08. hierhin versetzt. Ich lebe mich im Moment noch ein.“

Ozzy sah sich um. Es war bei derlei Vorstellungsrunden üblich, dass der­jenige, der sich vorgestellt hatte, irgendeinen anderen aufforderte, es ihm nachzutun. So war man sicher, dass der Betreffende mit seinen Ausfüh­rungen zum Ende gekommen war.

„Möchtest du weitermachen?“ Ozzy sprach die blonde Frau mit den grau/blauen Augen an, die direkt neben ihm saß.

Die Angesprochene nickte: „Isch bin Claire Dumont und komme aus Paris.“ Die 166cm große oder kleine Person redete weiter. „Isch beschäf­tige misch mit der IT und der Kommunikation, bin 33 Jahre alt und bin sehr gespannt, warum wir hier zusammengekommen sind.“

Sie berührte mit der Hand den neben ihr sitzenden 180cm großen Mann mit braunen, gewellten Haaren, kurzem Vollbart und grünen Augen.

Er lächelte Claire zu: „Ich bin Amerikaner, 32 Jahre alt und heiße Steven Huxley. Ich bin ausgebildeter Pilot für Raumfahrzeuge. Und ich bin ver­dammt gespannt, was uns hier gleich erwartet. Du!“

Steven hielt die Reihenfolge ein und die nächste Dame war dran.

„Ich bin Dr. Lara Horn“, sagte die ausgeprägt weibliche Dame mit den halblangen dunklen Haaren. Ihre braunen Augen schauten einmal im Kreis. „Ich bin Südamerikanerin, bin pfstghutstzig Jahre alt und …“

Sie musste eine Pause machen, weil sie ihr Alter betont unverständlich ausgedrückt hatte und fast alle darüber lachten. Admiral Winter war ihr dafür dankbar, denn der kleine Gag war auch ein Ventil, sich etwas zu entspannen. Die Situation löste sich etwas.

„Also gut, ich bin 45 Jahre alt und bin Ärztin. Zuletzt arbeitete ich in einem Krankenhaus in Bolivien. Und ich bin neugierig – zumindest was unsere Zusammenkunft anbetrifft. Max?“

Der neben ihr sitzende, etwas bullig wirkende Mann, 179cm, mit raspel­kurzem Haar, Geheimratsecken und Dreitagebart, beugte sich vor. Er richtete seine dunkelblauen Augen auf Ozzy: „Ich bin sogar noch älter, nämlich 47 Jahre. Mein Name ist Max Anderbrügge und ich komme aus Benelux. Meine Passion ist die Psychologie.“

Max sah den neben ihm sitzenden Mann an. Dieser räusperte sich und Ozzy sah einen sehr dunklen und düster wirkenden Mann, 184cm groß, schwarze Haare und fein rasierter Vollbart und dunkle Augen.

„Felipe Gonzo, Portugal, 44 Jahre, Soldat.“

Ozzy schluckte. Das war so ziemlich die kürzeste Vorstellung, die er je gehört hatte.

Dann kam nichts mehr und ohne aufgefordert worden zu sein, ergriff die Kleinste im Bunde (160), die platinblonde Frau mit braunen Augen, kurzen Haaren und der knabenhaften Figur das Wort.

„Ich bin Emma McDoubt, 31 Jahre alt und komme aus England. Ich bin ausgebildet als Kommandooffizier.“ Sie zeigte mit dem Finger auf ihren Nebenmann.

Dieser, ein 190cm großer Hüne, schien ein Sunnyboy zu sein. Die gute Laune schien bei ihm aus jedem Knopfloch heraus. Blond, Vollbart, blitzende grüne Augen und breite Schultern.

„Ich bin der Lars, also Lars Witte. 43 Jahre lebe ich bereits auf dieser Welt und komme aus Deutschland. Und ich bin Techniker. Macht ihr was kaputt, dann kann ich es reparieren.“ Er lachte selbst darüber und die anderen schmunzelten.

„Machst du weiter?“

Ozzy sah auf die Sitznachbarin von Lars Witte. Eine Frau mit kurzen braunen Haaren, Seitenscheitel, braune Augen, ovales Gesicht und 168cm groß – keine Mimik.

„Ich bin Spanierin“, sagte sie mit wenig Betonung. „Mein Name ist Elena Gomez. Ich bin 37 Jahre alt und ausgebildete Astrogatorin. Im zivilen Leben bin ich Comisaria bei der Policia Nacional in Toledo.“

Elana hob eine Hand in Richtung ihrer Sitznachbarin.

Was Ozzy sofort schon beim Reinkommen aufgefallen war, steckte im T-Shirt der Trägerin. Dem sexuellen Selbstversorger Ozzy war der Nip­pel­alarm sofort aufgefallen. Ina hatte das wohl bemerkt, aber es störte sie kein bisschen. Waren ihre Brüste auch klein, die Nippel konnte man in diesem Zustand kaum übersehen.

„Ich will endlich wissen, warum wir hier zusammenhocken“, leitete sie ihre Vorstellung ein. Ozzy riss sich vom Anblick los und sah der sehr schlanken, 176cm großen Frau mit halblangen dackelblonden Haaren in die grünen Augen.

„Ich bin Ina Rott, Deutsche und Ingenieurin. Mit Lars werde ich das zu­sammenflicken, was ihr möglicherweise kaputtmachen werdet. Ich kenne das fliegende Material der UAW Space Navy in- und auswendig. Wenn ihr Fragen habt, dann redet mit mir. So, jetzt könnten wir vielleicht endlich mal zum Thema kommen?“ Ina Rott schien temperamentvoll und auch launisch zu sein. Sie stellte im Moment den Gegenpart zu dem von ihr erwähnten Lars Witte dar.

„Einer fehlt noch“, warf Admiral Toy Winter ein.

Ina knurrt nur leise, sagte aber nichts mehr. Sie schien etwas redselig, so kam es Ozzy vor und so Unrecht hatte er damit nicht.

Dann rückte sich jemand zurecht, der Ozzy auf den ersten Blick nicht gefiel. Und Ozzy ging zunächst vom Äußeren aus. Der Typ hatte alles das, was Ozzy nicht hatte: nämlich Aussehen und hin und wieder Sex.

„Ich bin Wesley Parker“, warf sich der blonde Schönling mit blonder Föhnwelle und tatsächlich Strähnchen in die Brust. Dabei betonte er den Nachnamen ausdrücklich. Bei Ozzy war das aber vergebliche Mühe. Ein Pizza-futternder Sternegucker interessierte sich grundsätzlich nicht für die Gegebenheiten auf der Erde. Das Parker-Imperium war Ozzy gänz­lich unbekannt.

Wesley verfügte über blaue Augen, war 180cm groß und verfügte eben­falls über einen Dreitagebart und ein Zahnpastalächeln – strahlend wie falsch.

„Ich bin 35 Jahre alt und als Commandooffizier ausgebildet.“ 

„Vielen Dank“, sagte Admiral Tony Winter. „Ich kann verstehen, dass ihr wissen wollt, warum ich euch holen ließ. Nun, Ozzy wird uns be­richten, was er am 01.08. dieses Jahrs beobachtet hatte, und dann wird, so denke ich, sehr schnell klar, was wir wollen und wo unser Problem liegt. Ozzy, bitte.“

Der Dicke stand schnaufend auf und griff sich eine Fernsteuerung. Der Riesenmonitor hinter ihm begann zu flacken. Ozzy regelte die Lichtstär­ke im Raum herunter, sodass das, was aus dem Schirm war, auch erkannt werden konnte.

„Ich hatte mit meinem Arbeitskollegen Fitz Ahinger Nachtbereitschaft vom 31.07. auf den 01.08.2059 in unserem Observatorium in Europa. Um kurz nach zwei Uhr machte ich dann eine Entdeckung.“

Auf dem Bildschirm erschien ein diffuses Objekt. Ozzy überzeugte sich davon, dass ihm alle zusahen. 

„Was ist das?“, wollte Ina Rott wissen.

„Ein intergalaktischer Besucher“, erklärte Ozzy und nutzte die Gelegen­heit, bei Ina noch mal genau hinzusehen. „Er kommt aus den Tiefen des Raumes und stammt nicht aus unserem Sonnensystem.“

Emma McDoubt war in diesem Bereich halbwegs gut informiert: „Wo sind wir da denn jetzt, bei 7I, 8I oder schon bei 9I?“

Ozzy seufzte: „Nach meinem Wunsch sollte das Ding 8I OZZY heißen, aber wir haben Hinweise darauf, dass es sich um 1I handelt.“

Elana Gomez bekam große Augen: „1I Oumuamua? Das ist unmöglich!“

„Leider nein“, warf Admiral Tony Winter ein. „Und das ist damit auch ganz grob unser Problem.“

„Ausgeschlossen, dass das 1I ist“, warf Wesley Parker ein und jeder, der ein bisschen von der Materie verstand, pflichtete ihm bei – unbeliebt oder nicht.

Ozzy sah den Admiral unsicher an, aber dieser lächelte nur.

„Äh, muss ich diesen ‚Aumauma‘ kennen?“, fragte Lars Witte.

„Als Techniker hast du da keine Bildungslücke“, gab Wesley zurück. Es sollte vielleicht beruhigend klingen. Aber mit der Tonart und dem Spre­cher selbst kam das natürlich anders rüber. Lars ballte die Fäuste.

Emma McDoubt sprang schnell ein: „1I Oumuamua kam irgendwann 2017, wenn man so will, von oben in unser Sonnensystem, flog ziemlich dicht an der Sonne vorbei, wurde herumgeschwenkt und verließ unser System dann zwischen Erd- und Marsbahn wieder in Richtung All.  2020 muss er unser Sonnensystem schon wieder verlassen haben. In Richtung äh …“

„Pegasus“, vervollständigte Ozzy.

„Danke.“

Ozzy redete weiter: „Er müsste jetzt, ungefähr, 35 Milliarden Kilometer entfernt sein. Und wir haben keine Idee, jedenfalls keine astrophysi­ka­lische, warum das Ding zurückkommt.“

„Ist das ganz sicher, dass es 1I Oumuamua ist?“, fragte Emma weiter.

Ozzy sah wieder den Admiral an und dieser sprang auch ein: „Die Mess­daten von 2017 sind nicht so präzise gewesen wie unsere heutigen. Es gibt tatsächlich Abweichungen.“

„Wie hoch sind die Abweichungen?“, wollte Elana Gomez wissen. As­tro­ga­tion war ihre Domäne.

„Fifty/Fifty“, gab der Admiral zu.

Sie wiegte ihren Kopf.

„Wir hätten da einige Gegenspieler auf der Erde“, gab der Admiral zu bedenken, „die sich das Ding gerne unter den Nagel reißen würden. Und selbst bei einer nur 10%igen Chance, dass es sich um 1I aus 2017 handelt, würde eine Mission rechtfertigen.“

Der Admiral bemerkte, dass ihm die Crew aufmerksam zuhörte.

„Aber es gibt einen Hinweis, der jenseits aller Berechnungen stark ver­mu­ten lässt, dass es sich um den erwähnten 1I handelt“, lächelte Tony Winter.

„Jetzt bin ich gespannt“, grummelte Steven Huxley.

Admiral Tony Winter sah ihn an: „Der I kommt auf der gleichen Bahn, in etwa, zurück.“

Emma machte beide Augen weit auf: „Er ist es.“

„Kann nicht schaden, wenn wir davon ausgehen“, stimmte Wesley zu.

„Was bedeutet das für uns?“, fragte Steven Huxley.

„Hinfliegen, nachgucken und zurück“, vermutete Lars Witte.

Der Admiral schmunzelte: „Der gute Lars hat es etwas vereinfacht ausge­drückt, aber so ist es. Dabei müssen wir ihn weit genug vor der Sonne abfangen. Die Mission ist zu Ende, wenn er der Sonne zu nahekommt. Das würde unser Raumschiff nicht überstehen.“

„Zeitrahmen?“, fragte Claire Dumont.

„Ab sofort Training und Vorbereitung auf die Mission. Ab 05.09. habt ihr eine Woche, um persönliche Belange zu regeln, Pressekonferenz am 15.09. und Start zur STARHUNTER am 17.09.2059“, gab der Admiral bekannt. „Und jetzt in die Kantine zum Essen, Quartier machen und um 14:00 Uhr sprechen wir die Mission theoretisch durch. Wenn im Moment keine weiteren Fragen sind, dann treffen wir uns hier um 14:00 Uhr wie­der. Ich wünsche guten Appetit.“

Etwas nachdenklich stand die zehnköpfige Crew auf.

 

Etwas später in der großen, allerdings wenig frequentierten Kantine saßen Claire Dumont, Lars Witte, Elana Gomez und Emma McDoubt an einem Vierertisch.

„Am 15.09. ist Pressekonferenz“, stellte Lars fest. „Dann wird er dich der staunenden Öffentlichkeit als Kommandantin vorstelle, Emma.“

Die zierliche Britin zuckte mit den Schultern.

„Natürlich“, sagte Claire. „Man sieht das doch, dass du in seiner Gunst ziemlich weit oben stehst. Davon abgesehen hast du die besseren Vo­raus­setzungen.“

„Das ist alles Theorie“, wiegelte Emma ab.

„Du willst uns doch jetzt nicht erzählen, dass Tony uns der Willkür dieses Taugenichts überlässt“, schritt Elana Gomez mit tiefster Überzeugung ein.

„Naja“, gab Emma zurück. „Ich rechne schon damit.“

„Darauf sollten wir nach dem Essen mit einem Kaffee anstoßen“, lachte Lars über das ganze Gesicht.

 

Die nachfolgenden Wochen waren für das gesamte Team, einschließlich Wesley Parker, anstrengend. Und weil Wesley körperliche Anstrengun­gen hasste, was es für ihn besonders schlimm. Er geriet mit Steven Hux­ley und Lars Witte aneinander. Es blieb aber bei verbalen Unfreund­lichkeiten. Felipe Gonzo sah den Milliardenerben nur einmal an und der Schönling machte einen großen Bogen um ihn.

Die erwähnten Wochen bestanden aus Sport, Übungen und theore­tischem Wissen. Am 05.09.2059 fuhr die Crew mit dem Trawler zum Festland, Wesley wurde mit dem Heli abgeholt. Keine Aktion, mit der er sich Freunde machte.

 

11.09.2059, 15:00 Uhr, London-Brentwood:

 

Space Navy Admiral Tony Winter nutzte die Zeit, um nach seiner Familie zu sehen. Als einer der höchsten Militärs bekam er nicht nur einen Sold in nicht geringer Höhe, sondern dazu ein dem Stand entsprechendes Anwesen, welches sich nordöstlich vom Zentrum Londons in der nun besten Gegend befand: in Brentwood. Zur Seite standen dem Admiral zu jeder Zeit die schon erwähnten Bediensteten zur Verfügung, und se­pa­rat, für seine pflegebedürftige Frau Hellen, eine weitere Kraft.

Der Admiral saß auf der Terrasse seines Anwesens und schaute den vier Enkelkindern beim Spielen und teilweise Plantschen im hauseigenen Pool zu. Seine beiden Kinder waren mit Partnern ebenfalls anwesend, und Tony wusste, dass seine Frau Hellen dabei aufblühte. Die Enkel­kinder waren ihr Ein und Alles.

Zu späterer Stunde wollte der Admiral selbst den Grill und damit seine Gäste bedienen.

Es sah alles so friedlich aus, aber was mochte die Zukunft bringen? Was war mit 1I? Tony Winter saß in seinem gemütlichen Gartensessel und las nebenbei in einer Illustrierten. Auf seinem Schoß hatte er ein paar Aus­drucke über 1I/2017 Oumuamua liegen. Die Sache war als geheim ein­gestuft und die Reise der STARHUNTER-Crew als Probe für einen der bemannten Raumflüge in den Asteroidengürtel. Auch gegenüber seinen Angehörigen schwieg Tony. Er wurde von seiner Familie auch nichts über seine Arbeit gefragt, weil man eben wusste, dass manche Dinge geheim waren. Und wahrscheinlich wollte man das auch gar nicht wissen. Alles hat seinen Preis, dachte Tony Winter.

Der Admiral klappte die Illustrierte zu, als er jemanden sich räuspern hörte. So machten die Bediensteten in der Regel auf sich aufmerksam, wenn sie nicht sofort bemerkt wurden.

Er sah hoch und erkannte Rosanne, eine der jüngeren Mitarbeiterinnen im Haus. Das Mädchen war bildhübsch und schüchtern. Jetzt hatte sie einen knallroten Kopf.

„Entschuldigung, Sir, aber wir haben einen Besucher. Ein Herr Wesley Parker wünscht den Admiral zu sprechen.“

Winter zog die Augenbrauen hoch: „Er ist vor der Tür? Nicht am Tele­fon?“

„Er ist im Salon, Sir.“

Winter sah das Dienstmädchen genau an. Sie wirkte etwas verunsichert. Er war sich ziemlich sicher, dass er nicht der Grund für diese Erregung war. Ihr Gesicht war rot bis hinter den Ohren.

„Warum hast du einen so roten Kopf, Rosanne?“

„Ähm, ich äh …“

„Bitte, sag es mir.“

„Also, also, dieser Parker, dieser Wesley Parker, der ist unverschämt“, sprudelte es aus ihr heraus.

„Kann ich mir vorstellen, aber warum bist du so aufgeregt.“

„Er gab mir einen Klaps, Sir!“

„Klaps?“

„Ja.“

„Wo?“

Rosanne zierte sich.

„Rosanne?“

„Auf den, äh ... Po, Sir.“

„Das ist wirklich unverschämt.“

„Das sagte ich doch.“

„Ja, ich hörte es.“ Winter musste innerlich leicht schmunzeln. Es gehörte sich nicht und er würde Wesley kräftig die Meinung geigen, aber Rosanne war so süß entrüstet. Wahrscheinlich hing ihr Weltbild gerade etwas schief.

„Ich werde deine Ehre wiederherstellen, Rosanne.“

„Ich danke, Sir. Was machen wir …?“

„Ich kümmere mich. Vielen Dank, Rosanne.“

Das Dienstmädchen zog sich zurück und Winter rollte die Illustrierte unter dem Arm zusammen. Während er aufstand, überlegte er sich ein paar passende Worte für den Ami. Was wollte der eigentlich hier? Wesley hatte doch sonst keinen Drang, sich körperlich anstrengenden Reisen aus­zusetzen. Man hätte über Telefon oder andere Kanäle sich austau­schen können. Vielleicht wollte er jetzt schon wissen, wen der Admiral zum Crew-Chef machte, zum Mission-Commander. Na, dann sollte er die Antwort eben jetzt schon haben. Es unterlag dann der Schweige­pflicht.

Tony Winter eilte durchs Haus und traf auf Wesley.

„Guten Tag, Admiral!“

Winter grüßte zurück und bat Wesley, ihm in sein abhörsicheres Büro zu folgen. Er verschloss die Tür und bot Wesley einen Platz in der Sitzecke seines geräumigen Büros an.

„Ich stehe lieber“, antwortete Wesley und machte auch keine Anstalten, sich einen Platz zu suchen.

„Was kann ich tun?“

„Ich bin gekommen, um herauszufinden, wer der Mission-Commander der STARHUNTER-Crew wird.“ Wesley schaute den Admiral geradezu arrogant an.

„Du bist es nicht, Wesley“, antwortete der Admiral und er bemerkte, dass er langsam sauer auf den jungen Mann wurde. Was bildete der sich ein? Kam einfach hierhin und versuchte, ihn unter Druck zu setzen.

„Ich möchte das bezweifeln“, sagte Wesley bestimmt. Er holte sein Mini-Pad aus der Westentasche und nahm eine Einstellung vor. „Ich bekom­me immer, was ich will, Admiral. Und ich will dieses Kommando. Ich habe Ihnen gerade eine persönliche Nachricht geschickt, Admiral. Ich empfehle Ihnen das Studium derselben. Ich finde allein heraus.“

Tatsächlich drehte sich Wesley Parker auf dem Absatz um und verließ das Büro, bevor Tony Winter reagieren konnte. Admiral Tony Winter schien wie vor den Kopf geschlagen. Was hatte Wesley gesagt? Persön­liche Nachricht? Tony Winter setzte sich vor seinen Rechner und schal­tete ihn ein. Dann rief er seine Nachrichten ab.

Ja, da war eine Nachricht von Wesley Parker, Mission-Commander STAR­HUNTER. Admiral Tony Winter schwoll der Kamm, wie man so schön sagt. Das war eine Frechheit.

Er öffnete die Nachricht und las:

„Sehr geehrter Admiral, ich habe mir gedacht, dass Sie mir Emma vor­ziehen würden. Daher habe ich da etwas vorbereitet. Sollten Sie meinem Wunsch nach dem Kommando nicht nachkommen, werden die Bilder in der Anlage ihrer Frau zugänglich gemacht. Ich erwarte meine Ernen­nung zum Commander auf der Pressekonferenz.

Mit freundlichen Grüßen, Ihr STARHUNTER-Captain Wesley Parker.“

Als Tony Winter anschließend die gestochen scharfen Fotos sah, wurde ihm deutlich, dass der Klaps auf Rosannes Po jetzt das kleinste Problem war. Er und seine Assistentin Hanna Luca in sehr eindeutigen Posen und unter Perspektiven, die für einen Hardcore-Porno gereicht hätten. Vor drei Monaten in einem Hotel. Sie hatten sich verabredet und jemand hatte das Zimmer mit Mini-Kameras ausgestattet. Das waren Spezialisten gewesen und Tony konnte sich ausrechnen, was das gekostet hatte. Er und Hanna waren aus verschiedenen Perspektiven zu sehen. Darunter befand sich jeweils ein Echtheitssiegel – kein Fake.  Hellen war jetzt seit fast zehn Jahren nicht mehr in der Lage, ihm eine Partnerin zu sein.  Er liebte Hellen noch immer, aber ein Mann hat auch noch andere Be­dürfnisse. Hanna war geschieden und hatte drei Kinder, die bereits auf eigenen Füßen standen. Sie war sehr sanft, unaufdringlich und wollte keine stationären Männerbindungen mehr. Ambulant, hatte sie ihn lä­chelnd wissen lassen, reiche es ihr. Sie wusste von Hellen. Sie genoss die heimlichen Treffen mit ihm und das langte ihr für den Augenblick. Ob sie ihm das Jawort geben würde, wenn Hellen, es war abzusehen, nicht mehr lebte, er wusste es nicht.

Die Polin hatte schwarze lange Haare, blaue Augen – welch ein Kontrast, 53 Jahre alt und eine Traumfigur. Dabei war sie, das war Tony wichtig, eine im wahrsten Sinne des Wortes liebenswerte Person. Tony konnte sich fallenlassen, wenn er bei ihr war. Er konnte Kraft schöpfen für das Aufrechterhalten eines Familienlebens um Hellens Willen. Er wollte die letzten Jahre seiner Frau nicht kaputtmachen. Und jetzt kam dieser auf­ge­blasene Ami und drohte, alles zu zerstören. Hellen war geistig fit und er bemühte sich, sie mit so viel Aufmerksamkeit wie möglich zu be­denken. Alles was ging, machte Tony für sie und Hanna unterstützte ihn hin und wieder dabei. Tony befürchtete, dass Hellen an der Wahrheit zerbrechen würde. Das konnte er ihr kaum zumuten. Aber Wesley das Kommando anzuvertrauen, ging auch nicht. Da musste eine Lösung her. Seine Familie kannte Tony Winter als einen fürsorglichen Mann voller Güte und Weisheit. Aber manchmal war Tony Winter auch nur ein Navy General, der eben das alles nicht war. Also nicht fürsorglich, gütig und weise – sondern knallhart. Und man wird auch nicht General, in dem man so sozial vorgeht.

Space Navy General Tony Winter traf eine Entscheidung.

Er wählte auf seinem kombinierten Rechner eine Nummer und kurz da­rauf erschien das bekannt düstere Gesicht von Felipe Gonzo.

„Felipe, ich brauche einen Gefallen von dir.“

„Jeden, Admiral. Was kann ich tun?“

Tony Winter hatte diese Antwort erwartet. Felipe war dem Admiral sehr verpflichtet und er war noch etwas: ein Soldat im Profi-Format. Der Ad­miral befahl und Felipe führte aus.

„Ähm, Wesley Parker, äh …“

„Macht er Schwierigkeiten?“, fragte Felipe nach.

„Lass es wie einen Unfall aussehen, Felipe.“

„Verstanden, Admiral. Noch vor dem Start?“

„Nein, unterwegs. Ich will niemanden nachnominieren. Das wäre eine unbekannte Größe. Ihr kommt auch mit neun Crewleuten klar, wenn Emma dann das Kommando hat.“

„Ich verstehe, Admiral. Also nach dem Start. Ich werde eine passende Lösung finden.“

„Ich danke dir, Felipe.“

Admiral Tony Winter brach die abhörsichere Verbindung ab und verließ sein Büro. Auf dem Weg zur Terrasse stieß er auf Rosanne.

„Äh, Sir, äh ... darf ich fragen, ob …?“ Rosanne zierte sich etwas, aber es schien ihr wichtig. Also war es das auch für den Hausherrn.

„Er wird es spüren, Rosanne. Nicht sofort, aber dafür umso heftiger. Sei unbesorgt, er bekommt seine Strafe.“

Rosanne strahlte über das ganze Gesicht: „Ich bin sehr dankbar, Sir. Vielen Dank.“ Das Dienstmädchen machte sogar einen leichten Knicks und huschte davon. Tony Winter sah ihr nachdenklich hinterher. Anschließend warf er einen Blick auf die Uhr. Es wurde Zeit, die Gäste zu versorgen. Es war das ziemlich unbekannte Hobby des Admirals – seine Gäste höchst­selbst zu bekochen. Er eilte also zur geräumigen Küche und kontrollierte, ob alle von ihm bestellten Zutaten eingekauft worden waren. Dann mach­te sich der Admiral ans Fleisch vorbereiten, dann Schnippeln – Sa­late für zehn Personen. Er deckte alles gut ab, schnappte sich das Fleisch und war damit auf der Terrasse unterwegs.

„In 30 Minuten wird gegessen“, verkündete er.

Die Enkelkinder riefen, dass sie aber jetzt schon Hunger hätten. Hellen klatschte mit Mühe und hoher Konzentration kaum zu hörendem Beifall und sah ihn strahlend an.

Ja, das war die richtige Entscheidung gewesen. Wesley konnte viel mit Geld kaufen – aber nicht alles.

Space Navy Admiral Tony Winter klappte den Grill auf …

 

15.09.2059, 11:00 Uhr, Isle of Man:

 

Die Begrüßung zwischen Admiral Tony Winter und Wesley Parker war etwas zurückhaltender ausgefallen, aber beide Männer waren im Sinne ihrer Sache bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Allein Felipe Gonzo registrierte die Distanz zwischen ihnen. Es hatte eine kurze Vieraugen-Unterredung zwischen ihnen stattgefunden.

„Du hältst daran fest, Wesley?“, hatte ihn der Admiral gefragt.

„Warum sollte ich einen solchen Aufwand betreiben und mich dann zurückziehen? Das macht keinen Sinn. Warum sollte ich das tun, Ad­miral?“ Wesleys Miene drückte Unverständnis und Arroganz aus.

„Weil du mit der Crew dort draußen allein bist, Wesley“, sagte Tony leise.

Trotz leuchtete aus den Augen des Milliardärssohns: „Es bleibt dabei.“

Admiral Tony Winter zuckte mit den Schultern.

 

Heute war eine Pressekonferenz angesetzt und die STARHUNTER-Crew war selbstverständlich anwesend. Sie war es ja, die der Öffent­lich­keit vorgestellt werden sollte und das bis dahin geheime Ziel der Mission. Seitens der Presse war man etwas irritiert, waren die Einladungen doch erst gestern Nachmittag in den Redaktionen eingetroffen. Diese waren umso wertvoller, weil das Treffen auf Isle of Man stattfinden sollte, dort also, wo noch kein Fuß eines Reporters je den Boden berührt hatte. Jeder witterte die Sensation und nahm entsprechend Ausrüstung mit.

Dementsprechend gespannt war man. Die Reporter waren mit einem großen UAW-Helikopter auf einem Flughafen in London abgeholt wor­den. Der Flug führte in einem großen Bogen eben nicht direkt über Isle of Man, was man mit schussbereiten Kameras erhofft hatte, sondern in einem extremen Tiefflug auf die Westseite der Insel. Dort stand eine provisorische Halle – der Veranstaltungsort. Von dort war natürlich, sehr zum Ärger der Journalisten, nichts zu sehen, zu filmen oder zu fotogra­fieren. Die Einöde der an sich schönen Insel interessierte niemanden.

Und zu der Zeit, wie auch in den Jahrzehnten zuvor, würden Fotojourna­listen ihre Seele für ein Bild verkaufen, egal, was später für Konsequen­zen drohen würden. Daher hatte man vorgesorgt. Ein paar Dutzend Re­porter waren schwerer zu hüten als ein Sack Flöhe.

Nachdem der Heli gelandet war, richtete der Pilot ein paar, aber sehr wir­kungsvolle Worte per Bordfunk an die neugierigen Damen und Her­ren der Presse. „Mal herhören, bitte, es ist wichtig. Wir haben den für euch öffentlich zugänglichen Bereich mit einem Flatterband abgesperrt. Überquert ihr diese Linie, seid ihr tot. Es sind bewaffnete Wachroboter im Einsatz. Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt.“

Es wurde nicht mal gemurrt unter den Eingeladenen. Der Hinweis auf die bewaffneten Automaten wirkte mehr als alles andere. Bei einem Sol­daten aus Fleisch und Blut konnte man vielleicht auf Mitleid hoffen – derartige Hemmnisse kannten die Schießautomaten nicht. Konnten sie keinen entsprechenden Ausweis mit Sender registrieren, würden sie das Feuer eröffnen. Soldaten geleiteten die Journalisten in den aufgestellten Pavillon.

„Der Admiral und die Crew werden gleich kommen“, wurde ihnen gesagt und dann waren sie mehrere Minuten allein. Sie saßen auf Stühlen gegenüber einem langen Tisch mit elf Stühlen. Ganz Fixe konnten sich ausrechnen, dass dort Admiral Tony Winter und zehn Crewmitglieder der STARHUNTER sitzen würden. Und schließlich war es so weit. Sie zogen ein wie die Gladiatoren, allerdings ohne Musik. Der Admiral an der Spitze, dann die Crew. Tony Winter setzte sich in die Mitte, Wesley Parker und Emma McDoubt rechts und links neben ihn, dann verteilte sich die Mannschaft auf die restlichen Plätze.

Es trat gespannte Ruhe ein.

Tony Winter lächelte die Presseleute an: „Ich darf Sie, zum ersten Mal übrigens, auf Isle of Man begrüßen – herzlich willkommen.“

Es wurde etwas gemurmelt im Publikum und der Admiral redete weiter.

„Ich darf Ihnen hier die STARHUNTER-Crew vorstellen“, sagte Tony Winter und er begann ganz außen und stellte die Crew mit den Tätigkeits­feldern ausgiebig vor. Er benötigte dazu fast eine halbe Stunde.

„Der Start der Crew wird übermorgen vom Flughafen um 11:00 Uhr auf die bisher bewährte Art und Weise stattfinden. Ein Trägerflugzeug bringt die Crew in die Höhe, wo das Shuttle dann abgekoppelt wird und mit eigener Kraft die Mondumlaufbahn erreichen wird. Die STARHUNTER wartet dort bereits abflugfertig.“

Das war der Hammer: Pressekonferenz und zwei Tage später der Start – unglaublich. Die Presseleute glaubten, sich verhört zu haben. Da musste mehr dahinterstecken. Es wurde laut im Publikum und Fragen wurden laut geäußert.

Ruhe, bitte, Ruhe “, verlangte der Admiral. „ Entweder, es ist Ruhe oder die Konferenz ist jetzt zu Ende!

Es wurde tatsächlich ruhig.

„Danke“, sagte Tony Winter. „Ich hatte das zwar erst später vor, aber Sie wollen eventuell jetzt schon Fragen stellen. Dann bitte.“

Tony Winter wies auf eine Frau ganz vorn. Diese stand auf und fragte laut und deutlich: „Welches ist das Ziel der STARHUNTER?“

Sie setzte sich wieder hin, und bevor Admiral Tony Winter reagieren konnte, schob ihr Nebenmann noch eine Frage hinterher: „Hat das was zu tun mit dem neuerlich aufgetauchten intergalaktischen Besucher?“

Admiral Tony Winter hatte nicht wirklich daran geglaubt, dieses Ge­heim­nis bis nach der Pressekonferenz bewahren zu können. Jeder gut ausgerüstete Hobbyastronom war mittlerweile in der Lage, 1I zu sehen, wenn er sein Fernrohr in die richtige Richtung schwenkte. Dazu gab es noch reichlich andere und offizielle Sternwarten, die ebenfalls sichten konnten. Sie hatten jetzt einen Vorsprung, wenn sie positiv dachten, von etwa sechs Wochen. Das sollte doch ausreichen, um vor den Chinesen am Ziel zu sein – wenn diese nicht zuvor schon darauf aufmerksam ge­worden waren.

Admiral Winter lächelte ohne Humor: „Das Ziel ist der intergalaktische Besucher. Wir wollen Forschungsarbeit darauf verrichten.“

„Deswegen so geheimnisvoll?“, fragte einer aus dem Publikum. „Oder liegt es daran, dass der erste bekannte Besucher dieser Art zurückgekehrt ist?“

Auch damit hatte Winter gerechnet: „Wir sind ebenfalls auf Gleichheiten gestoßen, sind aber keinesfalls sicher. Es könnte sich um einen Zufall handeln.“

Eisiges Schweigen im Zuschauerraum machte sich breit. Jetzt fehlte nur noch die Frage, ob der Admiral seine Zuhörer verarschen wollte. Die kam aber aus nachvollziehbaren Gründen nicht, dafür eine andere.

„Sie haben die Crew vorgestellt, aber nicht, wer diese anführen soll, Ad­miral. Wer wird es sein?“

Eine weitere Fragestellerin setzte sich wieder hin.

„Nun“, sagte der Admiral und sah kurz nach rechts und links. „Das Kom­mando wird Wesley Parker haben.“ Admiral Tony Winter schaffte es nicht, anschließend in die Augen seiner Leute, war ja von der Seite auch schwer, oder in die der Presseleute zu schauen. Emma McDoubt schaffte es als Einzige, nicht im Ansatz eine Reaktion zu zeigen. Steven Huxley sah aus, als wolle er gleich aufspringen, Lars Witte seufzte unhör­bar. Felipe Gonzo beobachtete die Reaktionen seiner Teammitglieder, soweit das möglich war.

„Ich danke dem Admiral für das Vertrauen. Ich werde diese Crew zum Erfolg führen“, sagte in diesem Augenblick Wesley Parker und zeigte den Kameras sein strahlendstes Lächeln.

Das war ein Startsignal. Alle Kameras richteten sich auf Wesley und es wurden Fotos geschossen.

Ich kotze gleich “, flüsterte Lars Witte seiner Nachbarin, Ina Rott, zu.

Beherrsch dich “, mahnte sie ebenso leise zurück. „ Ich koche auch .“

Admiral Tony Winter sah Emma von der Seite an. Diese richtete ihren Blick starr geradeaus.

„Eine Frage, Admiral“, kam es wieder aus dem Publikum.

„Ja, bitte.“

„Hat die Ernennung von Wesley Parker zum Kommandanten etwas da­mit zu tun, dass sein Vater so quasi Hauptsponsor dieser Veranstaltung ist?“

Die Frage saß, zweifellos.

„Ich darf hier versichern, dass der Löwenanteil der Kosten dieses Pro­jektes von der UAW getragen wird. Dennoch sind wir Mr. Spencer Par­ker sehr dankbar für die Tatsache, dass er hilft, die weitere Entwicklung der Menschheit in Richtung All zu beschleunigen.“

„Das war keine Antwort auf die Frage, Admiral“, rief ein anderer in den Raum.

„Gut“, gestand Toy Winter ein, „dann drücke ich es anders aus: Wesley Parker hat alle Prüfungen bestanden und meine Wahl ist auf ihn gefallen. Reicht Ihnen das?“

„Ist er auch der Beste gewesen?“, beharrte eine Frau.

Die Anwesenden wurden kurz irritiert, als Steven Huxley aufstand und den Raum verließ.

„Äh“, der Admiral sah kurz hinter ihm her. Emma stand auf und folgte ihm.

„Zwischen Theorie und Praxis ist ein großer Unterschied. Ich kann mich natürlich irren, aber einer von beiden kann es nur werden, und ich habe so entschieden.“

Das Thema schien zur großen Erleichterung von Admiral Winter erledigt zu sein, denn es wurde eine andere, ebenfalls heikle, Frage gestellt: „Sind die Chinesen ebenfalls nach dorthin unterwegs?“

Admiral Winter atmete tief durch und suchte nach Worten.

 

Draußen ging es ganz anders ab. Emma war auf den Piloten Steven ge­troffen. Die 160cm und zierliche Person stauchte gerade den 20cm grö­ßeren Mann zusammen: „Meine Güte, Steven! Wenn einer protestie­ren sollte, dann doch wohl ich, oder? Hier gibt es Befehl und Gehorsam. Der Admiral hat sich nicht für mich entschieden.“

„Du bist aber die Beste für den Job“, schaltete Huxley auf stur.

„Steven, du wirst dich jetzt wie ein Profi verhalten und mich wieder hineinbegleiten!“

„Ich weiß nicht, ob ich noch mitfliege.“

Die zarte Emma schien 50cm größer zu werden – und entsprechend größer: „Ich ...“, sie pochte mit ihrem Zeigefinger zwischen ihre kleinen Rundungen auf der Brust, „... möchte mein Leben keinem anderen an­vertrauen als dem besten Piloten der UAW. Und das bist du, verdammt noch mal.“ Ihre Augen sprühten Feuer und das verfehlte seine Wirkung auf den Ami nicht.

„Aber ich soll mein Leben diesem Prahlhans anvertrauen?“

„Das ist was anderes“, beruhigte sich Emma wieder.

„Wieso?“

„Ich werde handeln, wenn er unsinnige oder gefährliche Kommandos gibt.“

„Ich kann mich darauf verlassen?“

„Absolut. Ich will auch nicht sterben“, versprach Emma.

„In Ordnung. Lass uns wieder reingehen.“

Die beiden betraten wieder das Provisorium. Admiral Tony Winter blick­te ihnen erleichtert entgegen und sprach weiter: „… haben wir leider keine Einblicke in das, was auf dem chinesischen Boden abgeht. Rake­ten­starts dort sind fast wöchentlich üblich und wo die hinführen, ist sel­ten ersichtlich. Zu meinem großen Bedauern wissen wir das nicht. Man hat sich hermetisch abgeriegelt.“

Nächste Frage: „Warum ist Mr. Huxley gerade rausgegangen?“

Steven Huxley stand kurz auf: „Ich war schlecht vorbereitet, Toiletten­gang, Entschuldigung.“

Alle lachten und die Situation schien entspannt, bis jemand fragte: „Und warum ist Emma McDoubt mitgegangen?“

Wiederum Schweigen.

„Training“, sagte Emma eiskalt. „Niemand geht allein irgendwohin auf der STARHUNTER. Muss unsere Ingenieurin in einen entlegenen Teil, wird sie vom Lars begleitet und so weiter. Ich habe hier schon damit angefangen, damit es in Fleisch und Blut übergeht. Auch sorry. In die Kabine ist er aber allein gegangen.“

Die Erklärung schien plausibel und es wurde wegen des Zusatzes gelacht. Es gab dann noch ein paar Fragen betreffend der STARHUNTER, aber der Hauptteil war erledigt.

 

„Dann, wenn keine Fragen mehr sind …“, Admiral Winter schaute sich um, „… ist die Pressekonferenz hiermit beendet. Die Helis bringen Sie auf das Festland zurück. Vielen Dank und guten Flug.“ Der Admiral begleitete seine Gäste persönlich zum Startplatz.

Zurück blieben Wesley und mittlerweile ‚seine‘ Crew.

„So, Leute. Jetzt habe ich das Sagen“, grinste Wesley höhnisch.

Das war ein kleines Bisschen zu viel für Lars Witte. Emma konzentrierte sich darauf, Steven Huxley zurückzuhalten. Der Pilot hatte eine ver­dammt kurze Zündschnur.

Lars Witte ging auf Wesley zu: „Ein Kommando, was mir nicht passt, und ich haue dir den Kopf zwischen den Ohren weg.“

„Ruhe jetzt, verdammt noch mal. Wir sind Profis und so werden wir uns auch verhalten. Ist das klar?“

Emma McDoubt war recht sauer und das sah man ihrer Miene auch an. Wie weit dafür das Verhalten der Crew verantwortlich war oder die Ent­scheidung des Admirals, sei mal dahingestellt.

„Die Commanderin der Herzen hat gesprochen“, sagte Ina Rott und dann mischte sich jemand ein, der sich bis dahin zurückgehalten hatte: Max Anderbrügge.

„Wenn du glaubst, das Sagen zu haben, so irrst du, Wesley. Du hast die Verantwortung. Du hast die Verantwortung, uns alle heil nach Hause zu bringen. Das ist ein Riesenunterschied.“

Urplötzlich stand der Admiral wieder neben ihnen. Eigentlich musste er doch bemerken, dass es Spannungen innerhalb der Truppe gab. Da waren sicherlich Claire Dumont und auch Lara Horn, die eine gewisse Neutralität wahrten, ein bisschen auch Elana Gomez, aber der Rest war mit der Entscheidung des Admirals ganz und gar nicht einverstanden.

„Wer schon hierbleiben will, kann das gern tun, sonst Treffen übermor­gen zum Start“, sagte er.

„Ich fliege noch nach Kalifornien“, gab Wesley bekannt und verließ die provisorische Halle.

„Der Kommandant verlässt die Truppe – wie bezeichnend“, ätzte Steven Huxley.

„Das habe ich nicht gehört“, sagte Admiral Tony Winter scharf.

„Stimmt etwas mit Ihren Ohren nicht, Sir?“

Admiral Tony Winter schoss die Röte ins Gesicht. Bevor er aber reagie­ren konnte, griff Emma ein: „Steven, raus hier. Der Rest auch. Treff­punkt Kantine.“

Elana und Felipe konnten sich ausrechnen, dass Emma mit dem Admiral sprechen wollte, und zwar unter vier Augen. Also griffen sie sich ihre Kameraden und drängten sie hinaus.

Schließlich waren Emma McDoubt und der Admiral allein. Emma sagte kein Wort und sah Admiral Winter lediglich an. Das hatte schon aus­reichend Wirkung und Admiral Winter sah die Britin fast entschuldigend an und lehnte sich weit aus dem Fenster: „Emma, ich kann meine Ent­scheidung nicht begründen. Aber ich verlasse mich auf dich .“

Die zierliche Frau nahm so etwas wie Haltung an: „Verstanden, Sir.“ Danach drehte sie sich auf dem Absatz um und nahm Kurs auf die Kantine.

 

Es ging hoch her am Kantinentisch und dass es nicht zu laut wurde, war der Tatsache zu verdanken, dass auch andere die Kantine nutzten.

Schließlich, nach einer mehr als deutlichen Aussprache, nahm Emma von allen das Versprechen ab, Wesley als Commander zu akzeptieren.

 

Als Felipe Gonzo am Abend seine Unterkunft aufsuchte, erreichte ihn dort die schriftliche Einladung zum Admiral. Der Portugiese folgte dem sofort und saß wenig später Admiral Tony Winter in dessen Unterkunft gegenüber.

„Ich will nicht mit dir über die Personalie Parker sprechen“, sagte Winter.

Felipe nickte. Sein Auftrag diesbezüglich war mehr als klar.

„Ich muss dir leider einen weiteren Auftrag erteilen, Felipe. Aber ich habe die größten Befürchtungen, dass unsere Freunde von der anderen Seite der Welt ebenfalls auf der Jagd nach 1I sind. Du hast die Freigabe für eine Tonne Waffen. Du bist der Fachmann. Such morgen aus, was dir nützlich erscheint. Ich gebe dir zwei Adjutanten mit, die dafür sorgen, dass die Sachen auch auf der STARHUNTER ankommen.“

Felipe bestätigte. Er hätte sowieso nicht gewusst, wie er seinen freien Tag morgen verbringen sollte. So war er wenigstens sinnvoll beschäftigt.

Als Felipe ging, schaute ihm Admiral Winter nach. Er hätte lieber eine ganze Garnison Soldaten mitgegeben, aber das war leider nicht möglich. So musste der Beste die ganze Gruppe von Soldaten ersetzen.

 

17.09.2059, 10:00 Uhr, London, UAW-Flughafen:

 

Der Flight Director war ein bulliger Mann mit Glatze und hörte auf den Namen Dan Kowalski. Den Geburtsort gab er mit UAW an – irgendwo. Seine Mutter war schon aus verschiedenen Teilen Europas zusammen­gesetzt (Oma und Opa) und sein Vater aus Nord- und Südamerika und ein bisschen aus Afrika. Geboren war er in einem Flugzeug – wie witzig. Dan hockte auf Isle of Man im Gegensatz zur Crew, die sich in einem speziellen Raum des UAW-Flughafens am Rande Londons befanden. Man sah den hemdsärmeligen Dan via Monitor in Lebensgröße.

Dan winkte im Vorhinein schon etwaige Einsprüche ab: „Wisst ihr, trotz­­dem bete ich euch den Mist vor – ist Vorschrift.“

Grinsend hörte er sich das Gestöhn der Crew an.

„Der Kran hievt euch gleich in die FERRY, die selbst auf einem Lasten­flugzeug aufgesattelt ist. Dann startet ihr in die erste Phase. In einer Höhe von 20.000 Metern wird die Pilotin, übrigens meine Tochter Arabella – seid gefälligst nett zu ihr, den Start der FERRY einleiten und euch in Phase zwei zum Mond transportieren. Kurz vor Ankunft habt ihr die Gelegenheit, Raumanzüge anzuziehen und dann in die STARHUNTER umzusteigen. Wie mir die Leute auf Luna sagten, ist das Schiff fertig zum Abflug. Ihr und euer Gepäck steigt um, und dann fliegt ihr selbst mit Phase drei weiter. Fragen?“

Es gab keine. Die Crew kannte das Prozedere in- und auswendig. Sie waren Dan schon dankbar, dass er die Einweisung knapp und locker hielt. Dan hatte eine Tochter? Das wussten sie gar nicht. Zumindest die Herren waren gespannt, um wen es sich da handelte, und die Damen wa­ren neugierig.

„Dann los und viel Glück!“

Dan winkte noch mal, dann wurde der Bildschirm schwarz.

„Na los“, verlangte Wesley unwirsch und sah die Crew auffordernd an.

„Na, wenn der Herr so lieb bittet“, ätzte Lars Witte und stand von seinem Stuhl auf. Betont langsam waren einige andere ebenfalls dabei.

Sie verließen den Raum und draußen erwartete sie eine Überraschung: Admiral Tony Winter wartete auf sie und verabschiedete sich von ihnen. Als Letzter kam Wesley Parker heraus. Admiral Winter überzeugte sich davon, dass sie niemand sah und verweigerte Wesley anschließend den Händedruck: „Wenn du mir einen dieser Leute nicht heil zurückbringst, Wesley und ich dir einen Fehler nachweisen kann, verbringst du den Rest deines Lebens hinter Gittern.“

Wesley grinste arrogant: „Und sollte mir etwas geschehen, habe ich in Auf­trag gegeben, dass Ihre Frau alles erfährt, Admiral.“

Admiral Tony Winter presste die Lippen aufeinander, als Wesley seine Hellen erwähnte.

Grußlos folgte Wesley seinem Team zu einem Transportfahrzeug. Der Kleinbus fuhr die Crew anschließend zu einem Flieger mit ungewöhn­lichem Aussehen. Unten stand eine Maschine, die wie eine normale Pas­sagier- oder Frachtmaschine aussah, huckepack trug diese den kleineren Raumgleiter. Vor der Maschine stand eine schlanke Person im Flieger­dress der UAW. Der Bus fuhr die vielleicht 800 Meter und hielt an. Die Crew stieg aus und sahen ihre Pilotin.

„Ich bin Arabella Kowalski und eure Pilotin. Herzlich willkommen, ich freue mich auf den Flug.“

Arabella zeigte ein schönes Lächeln und sie schien sich tatsächlich zu freuen. Die Crew war etwas irritiert. Bei Arabella handelte es sich um eine ebenholzschwarze Schönheit aus dem tiefsten Afrika, so würde man vermuten. Wie war denn Dan an diese Tochter gekommen? So zumin­dest dachten die Frauen der Crew. Den Herren gefiel die hübsche Pilotin – sie dachten da einfacher.

Sie stiegen zusammen in einen Käfig, in dem sie per Kran zum seitlichen Einstieg in den Raumgleiter gehievt wurden. Der Gleiter war ein etwas klobiges Ding mit reichlich Platz für Tanks und Ausrüstung. Die Crew saß weit auseinander rechts und links an den Bullaugen und hatte freie Sicht nach vorn auf ihre Pilotin und deren Arbeitsplatz.

Arabella stand vorn, mit dem Gesicht zum Heck und wies die STAR­HUNTER-Crew ein: „Beim Start bitte sitzenbleiben. Anschnallen müs­sen wir uns erst, wenn Phase zwei beginnt. Ich sage euch dann Bescheid. Wir werden dann mit etwa sechs G beschleunigen für eine ganze Weile. Den letzten Teil des Fluges Phase zwei sind wir im freien Fall, bis wir die STARHUNTER erreichen. Ich wünsche uns einen guten Flug.“

„Du machst das“, rief Lars Witte und reckte begeistert einen Daumen hoch.

„Krieg dich ein“, grummelte Ina Rott von gegenüber.

Lars sah sie mit großen Augen an und Arabella setzte sich auf ihren Platz. Sicherheitshalber schnallte sie sich an und schaltete den Bordfunk ein, damit ihre Passagiere mitbekamen, was gerade geschah.

„Bitte alle hinsetzen und sitzenbleiben.“

„Ja, Chef“, brummte Steven grinsend.

„FERRY an CARRIER. Wir sind so weit.“

Es dauerte nur kurz, dann sagte eine männliche Stimme: „CARRIER ver­standen. Wir starten in ein paar Minuten.“

Die Crew wartete und bei Felipe Gonzo vibrierte das persönliche Pad. Er zog es hervor und hielt sich die Iriserkennung vor das linke Auge. Es gab nur eine Nachricht von einer Person: Die von Admiral Tony Winter: ‚WARTEN‘. Der Bezug war Felipe klar und daher tippte er ein ‚O.K.‘ und schickte es ab. Felipe war gespannt, wann und wie der Admiral seinen ursprünglichen Befehl wieder aktivieren würde. Es gab da eine Reihe von Geheimzeichen zwischen ihnen.

Die Crew bemerkte, dass die CARRIER anruckte. Sie befuhren anschlie­ßend mit mäßiger Geschwindigkeit die seitlichen Verbindungsstraßen der Landebahnen. Es war klar, dass sie jeden Meter der Startbahn brau­chen würden, um die schwere FERRY überhaupt in die Luft zu bekom­men. Emma sah einige aufgebaute Kameras und Personen dahinter.

Klar, die Öffentlichkeit musste von diesem Ereignis informiert werden. Sie war froh, dass man sie nicht noch kurz vor dem Start der Presse aus­gesetzt hatte. Auch das war schon mal vorgekommen. Es schien endlos zu dauern, bis sie nach mehreren Abbiegevorgängen und einer 180 Grad-Drehung die optimale Anlaufposition erreicht hatten. Sie wippten kurz nach vorn, als der Pilot unter ihnen auf die Bremse trat und das Okay für den Start abwartete.

„CARRIER startet – jetzt!“

Die Passagiere in der oberen Etage wurden in die Sitze gepresst, als die CARRIER vollen Schub auf die Triebwerke gab. Die Crew konnte je­weils rechts und links an Arabella vorbei auf die deutlich tiefer liegende Startbahn schauen – und auf deren Ende. Und es war wie jedes Mal: Man glaubte kaum, dass es zu schaffen war. Und dann verschob sich der Hori­zont nach unten und 100 Meter vor Ende der Startbahn hoben auch die hinteren Räder des Trägerflugzeugs ab.

„Wir sind unterwegs und brauchen etwa 50 Minuten bis zum Lösen“, funkte der Pilot von unten durch. Arabella legte einen deutlich sichtbaren Countdown auf den Monitor über ihrem Sitz.

„Macht es euch gemütlich, bevor es ungemütlich wird“, gab die Pilotin der FERRY über Bordfunk durch. Es war ausreichend Platz vorhanden und man konnte die Rücklehnen der Sitze auch nach hinten stellen.

Felipe nutzte diese Gelegenheit. Als Soldat schlief man, wenn Zeit dafür war. Steven Huxley schaute ungeduldig aus dem Fenster und sah immer mehr vom Land unter ihnen. Die Häuser wirkten schon recht klein.

Emmas Pad meldete sich per Vibration und sie aktivierte es, wie Felipe zuvor. Es war der Admiral mit einer schriftlichen Nachricht: ‚Wir haben den Hinweis, dass die Chinesen ebenfalls eine Crew zu 1I schicken. Be­sprich dich mit Felipe. Die STARHUNTER ist leicht bewaffnet. Diese Nachricht erhältst nur du. Viel Glück!‘

Emma schaltete nach einer Bestätigung das Pad aus. Schlimmer ging es kaum. Sie hatten einen Commander, der vom Admiral offenbar nicht anerkannt wurde. Sie wurde mit wichtigen Informationen versorgt, die dieser Commander nicht bekam. Dazu kam, dass es eventuell ein Wett­rennen mit den Chinesen gab. Der Hinweis auf Waffen war nur zu deut­lich: Nutzt sie!

Sie überlegte, wann sie mit Felipe reden sollte. Sie beschloss, auf eine günstige Gelegenheit beim Umstieg auf die STARHUNTER zu warten.

Nach ein paar Minuten stand Steven auf und ging nach vorn und sprach mit Arabella. Sie schienen Spaß zu haben, denn es wurde viel gelacht.

Dr. Lara Horn schaute melancholisch aus dem Bullauge und fragte sich, was sie wohl erleben und ob sie überleben würde.

Der hinter ihr sitzende Max Anderbrügge hing ähnlichen Gedanken nach. Allerdings war es ihm egal, ob er zurückkehren würde – noch. Er war geistig bei seinem letzten Patienten. Er hatte ihm nicht helfen kön­nen und das lag ihm schwer auf der Seele. Fünf Minuten vor dem Ende des Countdowns gab Arabella bekannt, dass Phase zwei in Kürze anste­hen würde. Mit einem Lachen und herrischen Handbewegungen scheuch­te sie Steven von ihrer Seite und begann mit dem letzten Check der FERRY.

„Bitte schnallt euch an und stellt die Sitze aufrecht. Macht euch auf eini­ges an Gravos gefasst, die beim Start gleich durchkommen werden. Denkt an eure Atmung und pumpt die Hosen auf!“

Claire wurde leicht nervös, als sie die Pumpe an ihrer Druckhose nicht sofort fand. Dann erspürte sie den Aktivierungsknopf und schon wurden ihre Beine von allen Seiten zusammengepresst. Es unterstützte das Herz und verhinderte, dass das Blut in die Beine absackte. Ohne Druckhosen würden sicherlich einige von ihnen ohnmächtig. Und während der Be­schleu­nigungsphase konnte niemand helfen.

„Habt ihr alle die Hosen voll?“, erkundigte sich Arabella lachend und sie bekam launige Bestätigungen.

„Noch 60 Sekunden bis Phase zwei“, funkte der Pilot der CARRIER.

„Kabinendruck, Triebwerke, Pumpsystem für Treibstoff, Primär- und Sekundärsysteme auf Grün. Ihr habt ein GO“, funkte Arabella zurück.

„Wir übernehmen den Countdown und lösen uns auf 0. Nach zwei Sekunden dann Zündung euerer Triebwerke.“

„Ich verbrenn euch schon nicht den Arsch“, flachste Arabella.

Es war verständlich, dass die FERRY den Antrieb nicht zünden konnte, solange die CARRIER noch in der Nähe war. Man spürte eine weitere Beschleunigung des Trägerflugzeugs, dann kam der Zeitpunkt näher.

10 – 9 – 8 – 7 – 6 – 5 – 4 – 3 – 2 – 1 – 0

„Und ab!“, sagte der CARRIER-Pilot.

Es gab einen Ruck und man spürte einen kleinen Augenblick Haltlosig­keit, während das Lastenflugzeug scharf nach unten zog.

Kopf anlehnen, starte Triebwerke, JETZT! “, rief Arabella, dann gab es einen Knall und einen mörderischen Ruck. Wer seinen Kopf nicht sofort hinten an die Nacken- und Kopfstütze angelehnt hatte, bei dem half jetzt die Beschleunigung von über sechs Gravos nach. Sah man zunächst noch, verschwommen natürlich, den gebogenen Horizont der Erde, so wich dem jetzt das Schwarz des Weltraums. Aber alle hatten ausreichend damit zu tun, ihre Körper mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen. Lars Witte schwitzte erheblich dabei, und er war der Einzige, der leicht dabei stöhnte. Die Zeit schien endlos, dann fiel der Druck auf nur noch drei Gravos und Arabella presste sich eine Information raus: „15 Minuten Erholung, dann geht es weiter.“

Lediglich drei Gravos, für einen untrainierten Menschen schon sehr viel, ein 80kg-Mensch würde 240 Kilogramm wiegen, war hier locker durch­zustehen und wurde als Erholungsphase betitelt.

Diese Tortur mutete Arabella Kowalski ihren Fluggästen ein paar Mal zu, bis sie bekanntgab, dass die entsprechende Fallgeschwindigkeit auf den Mond zu, erreicht sei. Die entsprechende Schwerelosigkeit wirkte, nach einer kurzen Phase der Übelkeit, wie Watte, in die man die Passa­giere samt Pilotin einpackte. Sie alle waren erschöpft und müde.

„Sitze runter und schlafen“, waren Arabellas Worte, denen die Erschöp­fung anzumerken war. Es gab keinen Widerspruch. Alle bewegten sie die Sitze in die entsprechende Position. Die Pilotin stellte sich noch einen Wecker und startete ein Kontrollprogramm, dann legte sie sich ebenfalls zurück.