11.10.2059, 08:00 Uhr, STARHUNTER:
Wie der Zufall es wollte, gingen Ina Rott und Dr. Lara Horn nebeneinander vom Habitatring durch eine der Streben zum Kommandomodul. Für die letzten Tage vor dem Rendezvous hatte Emma angeordnet, dass die Checks wesentlich genauer sein mussten und das ging nur direkt vom eigenen Raumschiff aus.
„Habt ihr gestern den Ausblick genossen?“, fragte Ina ganz direkt.
Lara war das etwas unangenehm, aber sie hatte Ina das Erlebnis zu verdanken, also antwortete sie: „Ich bat ihn um Hilfe bei den Patientendateien und er kam auch.“
„Krass, du hast den da hingelockt“, frohlockte Ina.
Lara sah sich verstohlen um, aber sie waren allein in der Strebe: „Ja, habe ich.“ Irgendwie fand sie sich ganz cool dabei.
„Und habt ihr …?“, Ina wollte alles wissen.
„Was denn?“
„Na hör mal? Ficki-Ficki ... Bumsi-Bumsi!“
Lara wurde rot.
Ina sah sie entsetzt an: „Also nicht? Sag mal, wie alt bist du eigentlich?“
„45“, kam die in dieser Beziehung naive Aussage.
Ina winkte hektisch ab: „Das habe ich nicht gemeint. Du bist nicht mehr in der Pubertät und aus der Reproduktionsphase bist du auch raus, oder?“
„Äh, ja, doch.“
Ina warf in gespielter Verzweiflung beide Arme in die Luft: „Ja, dann muss man es doch krachen lassen! Jeder Tag ohne Sex ist ein verlorener Tag.“
Lara holte tief Luft und ging zur Gegenoffensive über: „Man sagt, Lars und du …“
Sie erhielt überhaupt keine Gegenwehr: „Ja, wir treiben’s – täglich. Das Geilste war in der Schwerelosigkeit. Der Hammer, auch wenn ich mich irgendwo festhalten musste und Lars sich an mir.“
Lara riss die Augen auf. Ihr Kopfkino lief auf einmal.
„Oha“, hörte sie Ina durch die wilden Bilder im Kopf sagen.
„Nippelalarm. Frigide biste schon mal nicht. Das ist eine gute Voraussetzung.“ Lara spürte ein kollegiales Schulterklopfen.
„Ina, jetzt ist aber gut“, sagte sie und hoffte, dass der restliche Weg ausreichte, um sich wieder zu beruhigen. Ina war aber auch derart direkt. Und das Kopfkino abzuschalten, war nicht einfach. Sie stellte sich vor, wie Max unbekleidet … Mist, wie lange hatte sie das denn schon nicht mehr gemacht?
11.10.2059, 15:00 Uhr, Isle of Man, UAW-Navy-Center:
Admiral Tony Winter saß an seinem Schreibtisch und ging die verschiedenen Meldungen am Schirm durch, als diese ausgeblendet wurden und das attraktive Gesicht seiner Assistentin erschien. Zunächst lächelte sie ihn an, dann zeigte sie ein ernstes Gesicht: „Ich habe die Präsidentin für dich in der Leitung, Tony.“
Er nickte ergeben. Wenn diese ihn anrief, dann war wieder etwas im Busch. Hanna war über alle Abläufe informiert und hatte die Berechtigung für die höchste Geheimhaltungsstufe.
„Hör mit auf Leitung zwei und stell durch“, gab er zur Antwort. Er wusste, dass das Hanna gefiel, zeigte er doch sein uneingeschränktes Vertrauen. Weiterhin konnte ihm etwas entgehen und Hanna war weitaus empathischer als er. Sie hörte auch zwischen den gesprochenen Worten.
Die Präsidentin erschien auf dem Monitor und Tony musste ihre Fähigkeit bewundern, so offen mit ihrer Mimik schlechte Laune darstellen zu können.
„Mir wurde zugetragen, dass Ihre Frau verstorben ist, Admiral. Wegen des kürzlich erlittenen Verlustes haben Sie mein Beileid.“
„Ich danke“, sagte Admiral Winter schlicht. Er machte um sein Privatleben ein Geheimnis. Es ging niemanden etwas an. Klar war aber auch, dass die Präsidentin ihre Kanäle hatte und Hellens Beerdigung bekam man schon mit.
Die Präsidentin ging auch nicht weiter darauf ein, sondern kam gleich auf den Grund ihrer schlechten Laune zu sprechen: „Ich hatte gestern, ich will nicht Vergnügen sagen, aber die doch sehr seltene Gelegenheit, mit Hu Xiao sprechen zu müssen. Ich habe Gregg Hemsworth dieses bereits mitgeteilt. Über den Inhalt weiß er noch nichts. Ich habe keine Lust, das ganze zweimal zu berichten. Ich schalte ihn jetzt zu.“
Das Monitorbild spaltete sich in der Mitte. Links war Rebecca Miller zu sehen, rechts der General.
„Hi Tony. Auch von mir ein herzliches Beileid“, sagte Hemsworth taktvoll und im Gegensatz zur Präsidentin kam bei ihm auch Mitgefühl rüber.
„Danke, Gregg.“
Rebecca Miller war so taktvoll, um einen Augenblick zu warten, ob Hemsworth noch etwas sagen wollte, und dem war auch so.
„Ich habe deine Frau kurz vor ihrer Krankheit kennenlernen und bewundern dürfen. Ich habe dich um sie beneidet. Das ist ein tragischer Verlust und ich fühle mit dir.“
„Danke, Gregg“, wiederholte Tony.
Die Präsidentin schien ungeduldig abzuwarten, dass man endlich fertig war mit diesem Thema, denn sie setzte sofort danach ein: „Das Gespräch war, sagen wir ... ätzend.“
‚Ätzend bist du jetzt gerade‘, dachte Tony Winter.
„Dieser Hu Dingens unterstellte uns, dass wir sein Raumschiff abgeschossen haben.“
„Und was hast du geantwortet?“, wollte der General wissen.
„Ich habe ihm geantwortet, dass wir seit dem 27.09. den Kontakt zu unserem Schiff verloren haben.“
„Und das hat er geglaubt?“, fragte Hemsworth.
„Nein, hat er nicht“, gab Rebecca Miller zurück. „Ist mir aber auch egal. Beweisen kann er es nicht.“
„Muss er das beweisen?“, fragte Admiral Winter leise.
„Hu muss gar nichts“, fiel auch Hemsworth ein. „Dieser Scheiß-Typ greift die UAW auch ohne Beweise an.“
„Dann hat sich ja nichts geändert. Wir warten doch Tag und Nacht auf den Angriff – oder?“
Hemsworth seufzte: „Wir sind vorbereitet.“
„Dann weiß ich nicht, was der Typ von mir wollte“, giftete die Präsidentin.
„Er wollte eine Information“, stellte Admiral Winter fest.
„Welche denn?“ Die Präsidentin fixierte ihn mit ihrem Blick.
„Ob es ein Schiff der UAW war und nicht eines der vielen privaten Schiffe, die irgendwo in Richtung Asteroidengürtel auf Schürfmission unterwegs sind“, gab Tony zurück.
„Und die hat er bekommen“, seufzte Hemsworth.
Die Präsidentin schaute wütend von einem zum anderen: „Scheiße.“
Nach diesem Kraftausdruck wurde der Bildschirm schwarz – die Verbindung war gekappt.
Tony Winter verdrehte die Augen und fasste sich an die Stirn.
„Tony?“
Der Admiral nahm die Hand runter und das Bild, was er sah, beruhigte ihn sofort. Hanna sah ihn an: „Die ist ja unverschämt. Geht die immer so mit euch um?“
„Gregg und ich sind bessere Dienstboten“, grinste Tony und zeigte damit, dass er das Verhältnis zur Präsidentin nicht ernst nahm.
„Wollte Gregg nicht …“, begann Hanna, die den General natürlich von verschiedenen dienstlichen Treffs her kannte.
„Ich glaube, der Gute hat mittlerweile etwas Abstand von seinem Wunsch genommen.“
Hanna seufzte: „Die braucht mal einen Kerl!“
Tony lachte aus vollem Hals: Den Spruch von seiner sanften Hanna – das hatte einiges zu bedeuten. Hanna lachten mit: „Kommst du heute Abend zu mir?“
„Gern.“
13.10.2059, 08:15 Uhr, STARHUNTER, Kommandomodul:
Jetzt wird es ernst, dachte Max Anderbrügge. Für ein paar Tage waren sie jetzt auf das Kommandomodul beschränkt. Die Enge hier sowie die nur winzigen sanitären Möglichkeiten, veränderte Schwerkräfte, das alles würde an den Nerven der Besatzung zerren. Wenn nicht jetzt, wann sollte er dann gefordert sein? Viel hing auch von der Commanderin ab. Aber dort machte sich Max keine Sorgen. Eine Verschärfung der Zustände würde von Emma eher nicht zu erwarten sein – eher im Gegenteil. Ihre ruhige und kompetente Art sorgte für eine ausgeglichene Mannschaft.
Sie hatten gestern eine leicht abweichende Flugroute eingerichtet, damit der zurückbleibende Habitatring nicht von Target touchiert wurde, was einer Katastrophe nahekäme.
„So“, sagte Emma, von vorn über die kleinen Monitore der Crew, die jeder vor sich hatte. „Die heiße Phase ‚Mission Target‘ beginnt.“
Die Crew jubelte und feuerte sich gegenseitig an.
„Guuut“, dachte Max und grinste dabei.
„Ina, entriegel den Habitatring.“
„Verstanden.“
Max lauschte. Er konnte das Surren von Motoren hören, denn der Habitatring war im vorderen Drittel der STARHUNTER angebracht.
„Habitatring ist gelöst“, meldete Ina.
„Steven, abkoppeln – langsam und vorsichtig“, verlangte die Commanderin.
„Ich bin die Vorsicht selbst und beginne – jetzt“, meldete Huxley.
Die Crew machte sich bereit und dann veränderten sich die Triebwerksgeräusche. Die konstante Beschleunigung mit einem Gravos wurde jetzt leicht unterschritten. Man fühlte sich leichter. Das kreischende Geräusch an der Außenhülle führte allerdings nicht dazu, dass man sich besonders wohlfühlte.
„Die Stellen, an denen der Habitatring jetzt entlangschrappt, sind extrem verstärkt“, beruhigte Emma McDoubt ihre Crew. Steven hatte die Beschleunigung nur ganz minimal verringert. Man musste sich langsam von der Wohneinheit, wenn man so will, lösen. Ein Verkanten und ein heftiger Ruck könnten katastrophale Folgen haben. So kreischte und schrappte das Metall noch gut eine Minute, dann sah die Crew auf dem vorderen Schirm so langsam, wie der Habitatring allein weiter durch die Unendlichkeit eilte.
„Du wartest, Steven, bis der Ring einen Kilometer weg ist, dann Kurskorrektur auf Linie Target und ein G-Beschleunigung“, ordnete Emma an. Langsam driftete die Wohneinheit vom Trägerschiff weg.
„Leite Kurskorrektur ein“, informierte Steven. Für die Crew sah das aus, als wandere der Habitatring aus dem Bild heraus. Den sollten sie nach dem Start von Target wieder anfliegen, andocken und dann ab nach Hause. Bis dahin, so dachte Max, sind sicherlich noch einige Hürden zu überwinden. Er schaute durch das Bullauge nach draußen. Ein Frösteln überlief ihn. Was wäre, wenn er hier draußen stirbt. Findet seine Seele zur Erde zurück? Würde sie hier draußen suchen und suchen? Was lief nach dem Tode ab? Gelangte er in eine andere Dimension? Würde er noch wissen, was in seinem Leben geschehen war? Wäre er noch Max Anderbrügge? Würde …
„Alter Kurs und Geschwindigkeit erreicht“, meldete Steven.
„Ich würde im Technikraum gern die Parameter überprüfen“, meldete Ina an.
Emma hob von vorn einen Daumen: „Nimm Lars mit!“
„Hatte ich vor.“
Die beiden verschwanden, umständlich kletternd, nach hinten.
Nach 45 Minuten waren sie zurück.
„Alles in Ordnung“, meldete Ina und Emma bedankte sich. Es war zwar eine Menge Zeit, aber davon hatten sie im Moment noch genug. Keiner wollte so unbedingt lange auf in seinem Sitz zubringen.
Ina beugte sich von hinten über den Sitz von Lara und zeigte ihr einen hochgereckten Daumen, dazu streckte sie die Zunge seitlich aus dem Mund. Lara riss die Augen auf. Ina hatte einen roten Hals und als Ärztin wusste Lara genau, woher das kam. Die beiden hatten es hinten getrieben. Ina ließ sich zurückfallen und Lara schaute nach Lars. Der Gute war etwas verschwitzt und offensichtlich geschafft, so wie er in seinem Sitz hing. Lara würde sich nicht wundern, wenn er gleich einschlafen würde. Und Lara konnte wieder nicht verhindern, dass das Kopfkino mit ihr machte, was es wollte.
Nach drei Stunden meldete sich Emma wieder: „Steven wird jetzt gleich den Antrieb abschalten. Wir warten dann darauf, dass uns Target einholt. Das wird in etwa anderthalb Tagen sein. Elana wird die Flugbahn von Target genau beobachten und Claire wird assistieren und vertreten.“
Im nächsten Augenblick wurden sie schwerelos.
Und Lara hatte sich immer noch nicht beruhigt. Das Landen auf Target bot einige Risiken, und wenn was schiefging, dann hatte sie Max nicht erlebt. Sie wählte eine Kommunikationsverbindung nur zwischen ihr und Emma an.
Emma meldete sich sofort: „Ja, Lara?“
„Mir ist nicht ganz wohl – psychisch. Ich würde mich ganz gern mit Max unterhalten.“
Emma reagierte sofort, denn dafür hatten sie den Psychiater dabei.
„Hinter dem Technikraum ist noch Platz frei. Da seid ihr ungestört.“
„Würdest du Max bitten …?“, fragte Lara schüchtern.
„Natürlich.“
Bei Max Anderbrügge kam eine schriftliche Nachricht auf dem Monitor von Emma an: ‚Lara braucht deine Hilfe. Begib dich in den Raum hinter der Technik und versuch sie zu therapieren.‘
Max war verwundert und gab ein: ‚O.K.‘ durch. Dann schnallte er sich los und löste sich aus dem Sitz. Über den Köpfen von Ina und Lars, der übrigens schlief, schwebte er nach hinten. Dicht darauf folgte Lara. Ina sah auf die Vorgänge um und über sich und reckte Lara begeistert einen Daumen hoch und flüsterte ihr zu: „ Let’s go! “
Max und Lara erreichten den Raum und verschlossen ihn hinter sich.
„Emma sagte, du hättest ein Problem und ich soll dir helfen?“, fragte er besorgt und sah die Frau verständnisvoll an.
„Ja“, sagte sie. „Der Höhepunkt unserer Reise steht bevor. Ich habe etwas Angst und brauche eine Umarmung“, sagte Lara.
Max hob eine Augenbraue: „Als Psychiater oder als Mann.“
„Du würdest mir als Mann mehr helfen“, sagte sie verschämt und schaute auf den Boden. Wo war der eigentlich? Das Gespräch lief auch nicht normal ab, denn Max drehte sich links herum und Lara rechts. Max hielt sich an einer Strebe fest und zog Lara passend, er musste sie ein wenig drehen, zu sich heran: „Das deckt sich ausgezeichnet mit meinen Wünschen.“ Er küsste Lara sanft und dann spürte er, wie sie den Reißverschluss ihrer Bordkombi aufzog.
Nach zwei Stunden kamen sie zurück. Lara, die über den Sitz von Ina herüberschwebte, sah in ein Gesicht voller Fragezeichen.
Verstohlen zeigte sie Ina einen hochgereckten Daumen – aber nur kurz. Ina reagierte mit zwei geballten Fäusten und einem geflüsterten: „ Ja! “
Ina schien sich tatsächlich für Lara zu freuen. Das warf ein ganz anders Bild auf diese Frau. Klopfte sie sonst zotige Sprüche, so hatte sie doch das Herz an der richtigen Stelle.
‚Problem gelöst – vorerst‘, gab Max an Emma schriftlich weiter. ‚Eventuell weitere Sitzungen nötig.‘
‚Sehr gut. Ich verlasse mich auf dich‘, kam es von der Commanderin zurück.
Max war sich nicht ganz sicher, ob Emma sie durchschaut hatte. Zuzutrauen war es der intelligenten Frau schon. Auf der anderen Seite war es völlig egal. Die Mission wurde dadurch nicht gefährdet. Es war ein Gewinn für ihn und für Lara sicherlich auch. Ein Blick zur Seite bestätigte seine Einschätzung. Lara schaute ihn mit leuchtenden Augen strahlend und lächelnd an.
15.10.2059 (zwei Tage später) 08:45 Uhr, STARHUNTER:
„Mon dieu – unmöglisch“, rief Claire Dumont aus und weckte damit die komplette Mannschaft aus der Lethargie. Heute sollte der Touchdown auf Target stattfinden, aber noch war es nicht so weit. Die Französin hatte Elana für einen Toilettengang an den Instrumenten abgelöst.
„Was ist los, Claire?“, fragte Emma alarmiert von vorn.
„Isch schalte auf Monitor“, meldete Claire.
Sie tat es und jeder konnte sehen, dass neben dem langsam näherkommenden Punkt, der das Target darstellte, seitlich ein Objekt zwischen der STARHUNTER und Target aufgetaucht war. Der Kurs war klar. Es setzte sich genau zwischen Target und den STARHUNTER.
„Unser einstiger Gegner hat aufgeholt“, bemerkte Elana, die von hinten angeschwebt kam.
„Sie werden vor uns auf Target landen“, befürchtete Steven.
„Ich weiß nicht, ob das eine Landung wird“, fügte Elana hinzu, die gerade wieder ihre Instrumente übernahm. „Es ist bekannt, dass ein Versagen keine Option ist im östlichen Reich. Dann können sie genauso gut hier sterben. Target ist um einiges schneller als sie.“
Emma verfluchte sich derweil. Ihre Fixierung auf Target hatte ermöglicht, dass sie das andere Raumschiff völlig aus den Augen und aus dem Sinn verloren hatten. Nur so hatte man sie jetzt überraschen können. Und nun setzte das Feindschiff eher als sie zur Landung auf Target an. Sie konnten sich an fünf Fingern abzählen, wie sie dann erwartet würden.
„Elana, ich brauche eine genaue Analyse. Wann landen sie dort?“
„In Arbeit, Emma“, bestätigte die Astrogatorin.
Emma überlegte fieberhaft. War es sinnvoll, das gegnerische Schiff schon vom All aus zu bekämpfen? Sie kam sich bei dem Gedanken völlig pervers vor. Sie waren so weit von zu Hause weg, da wäre Hilfeleistung bei Problemen eher angebracht als Waffengewalt. Wie würden die Chinesen reagieren? Da war sich Emma allerdings sicher. Bevor die überlegten, würden die abdrücken. Wirklich? Wie immer, wenn Emma sich nicht in der Lage sah, eine Entscheidung zu treffen, versuchte sie weitere Daten zu sammeln. Irgendwann kam sie dann immer auf eine gute Lösung – fast immer.
Die Minuten flossen dahin und das chinesische Schiff kam, genau wie sie, Target immer näher.
Emma fühlte, dass sie beobachtet wurde, sie erhob sich etwas aus dem Sitz. Genau, Felipe schaute sie an. Auch er hatte sich etwas von seinem Polster erhoben. Es war klar, wie die ungestellte Frage lautete.
Emma schüttelte leicht den Kopf und Felipe ließ sich in die Polster zurücksinken, wo er sich wieder fixierte. Nein, zurzeit wollte Emma (noch) nicht, dass der Portugiese die Waffenstation bemannte. Aber ausgeschlossen war das nicht.
Etwa 20 Minuten später meldete sich Elana zu Wort.
„Du hast ein Ergebnis für uns?“, fragte Emma nach und schaltete ihr Gespräch auf öffentlich. So waren ihre beiden Gesichter für alle Crewmitglieder zu sehen.
„Ich habe es dreimal nachgerechnet“, begann die Spanierin mit einem äußerst skeptischen Gesichtsausdruck. „Ich kann das nur als einen Akt der Verzweiflung werten. Sie müssen vor der Landung noch einmal sehr gut beschleunigen. Wenn sie das nicht tun, wird es keine Landung, sondern eine Kollision.“
Man sah Emma an der Mimik an, dass sie diese Antwort nicht zufriedenstellte.
Und Elana sah das auch: „Lass es mich so ausdrücken. Wenn sie es in der nächsten Stunde nicht schaffen, die 2,2-fache Höchstbeschleunigung der STARHUNTER ohne Habitat zu erreichen, sieht es schlecht aus für sie.“
„Wie wahrscheinlich ist das?“
„Sie müssen schon außerordentlich gut trainiert sein, um eine solche G-Beschleunigung aushalten zu können.“
„Ist das wahrscheinlich, dass ihre Technik so viel besser ist als unsere?“, fragte Steven dazwischen.
„Wir wissen so gut wie nichts über den anderen Teil der Erde“, streute Felipe ein.
„Ich schlage vor, den Landevorgang abzuwarten“, sagte Elana. „Das dürfte interessant werden.“
„Ich könnte dann ja auch die Kampfstation besetzen“, bot sich Felipe an.
„Wir warten zunächst ab. Wenn ich Elana richtig verstanden habe, sind wir noch weit voraus. Elana, sprich dich mit Steven ab. Ich will nach einer erfolgten Landung des Gegnerschiffes noch Zeit für mögliche Optionen haben.“ Emma hatte sich entschlossen und so wurde es auch gemacht.
Es dauerte eine halbe Stunde, bis Elana meldete: „Sie beschleunigen!“
Emma McDoubt wartete. Sobald Elana mehr Infos hatte, würde sie es kundtun.
„Sie beschleunigen mit dem 2,5-fachen dessen, was uns möglich ist.“
„Also reicht es doch“, schlussfolgerte Felipe und machte sich auf den Weg zu seiner Kampfstation.
Emma ließ ihn gewähren. Er würde mit Sicherheit den Feuerbefehl abwarten. Und ob er nun in seiner Station wartete oder hier, war dann egal.
Und wieder wurde eine gute Viertelstunde gewartet, bis man Weiteres entdecken konnte.
„Sie kommen schneller an Target heran, als ich errechnet habe“, stellte Elana schuldbewusst fest. „Ich habe keine Idee, wo der Rechenfehler liegt“, beklagte sie sich.
Emmas Gedanken wirbelten. Wenn es keinen logischen Grund gab, dann musste man eben alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Sie war dicht dran, aber das war doch zu fantastisch.
„Raumanzüge anziehen“, ordnete Emma an. Max half Lara in ihren Anzug. Er befolgte den Befehl zwar, aber wenn hier draußen etwas mit ihrer Hülle passierte und diese leck wurde, dann konnten sie auch gleich sterben. Aber schließlich waren alle geschützt und Emma gab den Befehl, etwas mehr zu beschleunigen. Die STARHUNTER beschleunigte unter dem Piloten Steven Huxley anschließend mit 30% ihrer Möglichkeit.
„Sie kommen Target näher“, meldete Elana. „Nach den Wärmebildern beschleunigen sie recht ordentlich.“
Emma sah sich das entsprechende Bild an. Das Feindschiff senkte sich unaufhaltsam und langsam Richtung Target. Irgendetwas stimmte nicht.
„Nähern sie sich immer schneller an Target?“, fragte sie Elana.
Elana nahm neue Messungen vor. Die Rechnung war kompliziert. Target war höllisch schnell. Das Ziel einzuholen hatte man bei den Planungen sofort aufgegeben. Man konnte sich nur nähern, indem man voll beschleunigte und dann wartete, dass Target von hinten aufschloss.
„Stimmt“, sagte Elana. „Der Abstand verringert sich schneller werdend. Das gibt eine Bruchlandung, wenn sie nicht beschleunigen.“
„Ich habe ein ungutes Gefühl, Emma.“
„Das habe ich auch. Steven: 50% Beschleunigung“, ordnete die Missionschefin an.
Der Pilot tat das Verlangte und die Crew wurde langsam stärker werdend den Beschleunigungskräften ausgesetzt.
„Abstand etwa 50.000 Kilometer“, meldete Elana.
„Ich wäre feuerbereit“, brachte sich Felipe per Bordfunk vom Kampfstand aus in Erinnerung.
„Danke, wir warten noch, Felipe.“
„45.000 Kilometer.“
Man hörte das leise Dröhnen des Triebwerkes und zwischendurch die Angaben der Spanierin.
„40.000 Kilometer.“
Die Crew war mehr als gespannt. Dr. Lara Horn sah die unterschiedlichen Körperreaktionen auf die Umstände. Am schlimmsten war Claire Dumont dran. Sie atmete hechelnd und der Herzschlag stand auf 180. Bei einer Hyperventilation kommt es im Körper zu einem gestörten Säure-Basen-Gleichgewicht. In Extremfällen kann es da zur Bewusstlosigkeit kommen. Einer ohnmächtigen Person im Raumanzug zu helfen, ist schon sehr schwer und dazu kamen jetzt noch die Rahmenbedingungen wegen der Beschleunigungskräfte.
Lara sprach sie über den privaten Kanal an: „Claire, du hyperventilierst. Beruhige dich. Hörst du mich?“
„Oui, oui, oui.“
„35.000 Kilometer.“ Zwischenmeldung von Elana.
„Tu, was ich dir sage!“
„Oui, oui, oui.“
„Leg eine Hand auf deinen Bauch.“
„Oui, ’ab isch.“
„Jetzt atmest du gegen deine Hand. Langsame Bauchatmung. Konzentrier dich darauf und mach es langsam. Du hast ausreichend Luft zum Atmen, Claire. Werde ruhig, schließ die Augen und konzentrier dich auf deine Atmung.“
„Oui, oui.“
„30.000.“
Lara wartete etwas ab, und die Anzeigen von Claire waren zwar nicht wieder auf Normalwert, aber sie glichen sich den anderen an. Ihr selbst hatte die Konzentration auf ihre Patientin ebenfalls geholfen. So war sie von den Gefahren abgelenkt worden. Aber alle Crewmitglieder, abgesehen von Felipe und teils auch Emma, waren kurz vor dem roten Bereich.
„25.000.“
Lara sah zu Max hinüber. Er lächelte ihr krampfhaft zu. Seine kalkweiße Gesichtsfarbe verriet auch Nicht-Medizinern seinen psychischen Zustand. Allerdings schien er Techniken draufzuhaben, die ihn äußerlich ruhig erschienen ließen.
„20.000 Kilometer“, meldete Elana und sah weiterhin mit brennenden Augen auf ihre Anzeigen. Merkten die denn gar nicht, dass ihr Manöver zum Scheitern verurteilt war?
„Sie fallen noch schneller auf Target zu. Jetzt 15.000 Kilometer“, meldete sie mit erhobener Stimme.
Die gesamte Crew schaute auf den Bildschirm am eigenen Platz. Dort wurde das abgebildet, was ihnen Elana übertrug. Ein wabernder, feuerroter Punkt – das Raumschiff der Gegner und dahinter, etwas schattenhaft, das größer werdende Ziel ihrer Reise.
„10.000 Kilometer. Sie fallen noch schneller darauf zu. Also, ich … 5.000 Kilometer – sie beginnen …, sie versuchen auszuweichen. Sie … schaffen es nicht.“
Die Crew sah einen Feuerball. Das Schiff war explodiert. Die damit verbundene Lichterscheinung verflog schnell. Was übrigblieb, war Target, der unbeirrbar jetzt auf sie zuhielt.
„Was ist da passiert, Elana. Warum konnten sie nicht ausweichen?“ Emma war höchst alarmiert.
„Weil, weil … das Ding hat Anziehungskraft. Es hat ein Schwerefeld!“ Über Funk war zu hören, dass Elana schwer atmete.
Emma reagierte sofort: „ Felipe zurück, sofort und beeil dich! “
„Aye“, kam es keuchend zurück.
„Steven, sobald ich den Befehl gebe, haust du alles in den Antrieb, was geht, klar?“ Emmas Augen waren weit geöffnet. Sie hatten nur eine Chance und die wollte sie nutzen.
„Geht klar, Emma.“
„Elana, wie hoch ist die Anziehungskraft von Target?“
„Ich kann in der Kürze der Zeit nur schätzen“, gab sie an. „Recht ungenau.“
„Dann schätz!“
„Ich glaube, etwa 0,5 Gravos.“
Das müsste reichen, dachte Emma. Sie kniff die Lippen zusammen, bis sich Felipe am Platz meldete.
„Crew, Achtung, Beschleunigung. Steven – jetzt! “
Die Triebwerke des Raumschiffes brüllten.
Max bemerkte, dass die STARHUNTER beschleunigte. Die Mannschaft wurde immer stärker in die Sitze gepresst. Max sah aus den Augenwinkeln, dass Target näherkam. Aber noch war Zeit, den Geschwindigkeitsunterschied auszugleichen.
35 Minuten später war Target immer noch schneller.
Elana kalkulierte ein, dass die Wirkung ihrer Triebwerke erhöht würde, sobald sich der Antriebsstrahl an Target abstützen konnte. Aber auch das benötigte Zeit. Fieberhaft rechnete sie, aber die große Unbekannte war das Schwerefeld von Target. Wieso hatte ein so kleiner Körper überhaupt eine nennenswerte Anziehungskraft? Das konnte astro-physikalisch wohl kaum erklärt werden. Das Geheimnis um Target oder Oumuamua wurde immer größer. Elana hoffte, dass sie noch in der Lage sein würden, das Geheimnis zu lüften. Dann, nach einer weiteren Stunde, begann sie wieder herunterzuzählen.
„50.000 Kilometer.“
Ihre Meldungen im 5.000er-Abständen lagen aber zeitlich weiter auseinander als vorher. Aber trotzdem kamen auch sie in kürzeren Abständen. Bildete er sich das ein, fragte sich Max. Aber es war tatsächlich so.
„45.000 Kilometer.“
Eine Anfrage von Emma an den Piloten klärte die Sachlage: „Beschleunigst du voll, Steven?“
„Wie angeordnet, M’am.“
Die nächsten Minuten vergingen.
„40.000 Kilometer.“
Lara überwachte weiterhin die Crew. Die Werte des Piloten waren stark erhöht, aber der musste auch volle Konzentration aufbringen. Claire hatte sich in der Gewalt.
„35.000 Kilometer.“
Die immer noch anhaltende Beschleunigung wirkte sich ebenfalls negativ auf das Nervensystem der Menschen aus. Lara beobachtete überall erhöhte Stresswerte.
„30.000 Kilometer.“
Das Dröhnen der Triebwerke schien sich zu verstärken. Aber das war eine Täuschung. Die sonstige Ruhe an Bord ließ diese Geräuschkulisse hervortreten.
„25.000 Kilometer.“
Nun bekam Lara die Auswirkungen des Stresses zu spüren. Sie zwang ihren Kopf gegen die Schwerkraft zu Max hinüber. Aber dieser hatte die Augen geschlossen und hatte sich wohl seinem Schicksal ergeben.
„20.000 Kilometer.“
Es gab nichts, was sie tun konnten, dachte Lara. Sie mussten sich jetzt auf Emma, Elana und Steven verlassen.
„15.000 Kilometer.“
Hauptsächlich war es Steven, der einen Platz zum Landen finden und ansteuern musste. Der Pilot musste richtig reagieren. Befehle dazu, das wusste auch Emma, würden zu spät kommen.
„10.000 Kilometer.“ Die Stimme von Elana wirkte gepresst – kein Wunder bei den Beschleunigungskräften.
„Steven, du machst das“, rief Emma dem Piloten zu. Der hatte sämtliche Kameras nach hinten gerichtet und suchte bereits nach Landeoptionen.
„5.000 Kilometer“, rief Elana, dann: „Herrje, meine Schätzung stimmt nicht. Die Schwerkraft ist höher. Steven, aufpassen! “
Lara schloss die Augen. Sie konnte es einfach nicht sehen, wie Target mittlerweile gut zu sehen hinter ihnen herflog – wie eine düstere Drohung. So sah sie auch nicht eine Steinwüste, auf der Steven landen musste. Eigentlich hatte die Mission vorgesehen, dass die STARHUNTER flach mit dem Bauch auf Target landete. Diese Option konnte Steven sofort vergessen. Das würde voraussetzen, dass man ungefähr die gleiche Geschwindigkeit wie Target erreicht hatte. Da niemand davon ausgegangen war, dass Target über eine eigene Schwerkraft verfügte, musste der Pilot jetzt improvisieren. Ab einer Höhe von 1.000 Kilometern wusste Steven, dass es eine Bruchlandung würde.
Er hielt die STARHUNTER senkrecht, und sie würde dann landen, beziehungsweise auf den Boden kommen, mit dem Heck voran. Er machte sich keine Illusionen darüber, dass ihr Fluggerät anschließend umkippen würde. Es war nur die Frage, in welche Richtung. Konnte er mit den normal geplanten Landedüsen den Aufprall soweit abbremsen können, dass das Ding nicht zerbrach?
500 Kilometer! Die Landegeschwindigkeit verringerte sich. Der Abstoßeffekt machte sich bemerkbar. Steven schöpfte Hoffnung. Allerdings wurde der Flug ihres Beförderungsmittels auch unruhig dabei.
100 Kilometer! Die Schiffszelle zitterte ganz gewaltig. Elana konnte ihre Instrumente kaum noch ablesen, so hüpften die Zahlen vor ihren Augen herum.
50 Kilometer – 40 – 30 – 20 – 10 – 5 Kilometer.
Steven Huxley war ein Draufgänger, wie er im Buche stand, aber jetzt wünschte er sich überall hin, nur nicht an Bord der STARHUNTER.
Eintausend Meter, 800 – 600 – 400 – 200 – 100 …
Steven Huxley nahm auf den letzten 50 Metern den Antrieb weg und ließ den Zylinder des Schiffes zur Seite fallen. Claire schrie, als die Ausgleichdüsen zündeten und Steven so versuchte, die seitliche Landung der STARHUNTER etwas abzufedern.
‚Sie kommt zu schnell runter, sie kommt zu schnell runter‘, dachte der Pilot bestürzt, er sah auf einem der Monitore den steinernen Boden von Target viel zu schnell näherkommen. Er gab noch mal alle Kraft auf die entsprechenden Ausgleichsdüsen. Etwas konnte er verhindern, nämlich dass die STARHUNTER sofort in der Mitte auseinanderbrach. Es gab eine schwere Erschütterung, Metall kreischte und riss, als der längliche Körper ihres Gefährtes auf Target aufschlug. Die Passagiere wurden durcheinandergewirbelt, Aggregate und Monitore fielen aus den Wandhalterungen. Man hätte Ozon gerochen, wenn man nicht autark im leichten Raumanzug unterwegs gewesen wäre. Lichtbögen rauschten durch das Kommandomodul, irgendwo gab kleinere Explosionen, dann war Ruhe.
Emma hatte die Augen geschlossen. Totenstill, dachte sie. Im wahrsten Sinne des Wortes. Nach der harten Landung gab sie innerlich auf, jemals mit diesem Schiff wieder in den Weltraum starten zu können. Und ehrlich, bei dieser Anziehungskraft auch nicht. Dafür waren die Treibstoffberechnungen nicht ausgelegt. Hätte sie die Landung nicht versuchen sollen? Emma machte die Augen auf. Auf ihr lagen eine Reihe von Materialien und sogar ein Monitor. Sie räumte alles zur Seite.
„Ist jemand verletzt? Steven?“
„Bin soweit okay.“
„Elana?“
„Ich glaube auch.“
„Claire?“
Man hörte nur Schluchzen.
„Ich seh’ sie mir an“, sagte Elana.
„Ina?“
„Könnte kaum besser sein.“
„Hmm, Lars?“
„Keine erkennbaren Verletzungen. Ich habe Prellungen“, stöhnte der Techniker.
„Die habe ich auch – zählen nicht“, fuhr Steven dazwischen.
„Lara?“
„Mir geht es gut.“
„Max?“
„Bisher keine Verletzungen.“
„Felipe?“
„Einsatzbereit.“
„Claire hat einen Schock. Äußere Verletzungen kann ich nicht erkennen“, meldete Elana.
„Wir sind alle unverletzt“, stellte die Kommandantin fest. „Das ist schon mal gut. Lars, Ina, ich brauche einen Schadensbericht – so schnell es geht.“
Lars und Ina schnallten sich los und stiegen anschließend über demolierte Ausrüstungsgegenstände. Das Schott zum Technikraum ließ sich nur mit Gewalt und auch nur halb öffnen. Die Hülle ihres Schiffes hatte sich wohl etwas deformiert. Die beiden quetschten sich durch und ließen das Schott der Einfachheit halber so stehen.
Lars kam nach ein paar Minuten zurück: „Das Wichtigste zuerst. Wir sind nicht mehr dicht. Wir haben Druckverlust neben dem Verlust der Umweltkontrolle. Wir werden in zwei Stunden keine Luft mehr innerhalb der STARHUNTER haben.“
Emma musste durchatmen. Im Prinzip war das ihr Todesurteil. Aber sie musste die Crew motivieren und sich selbst dazu.
„Danke. Die schweren Raumanzüge anziehen, sofort. Dann haben wir noch sechs Stunden Luft. Lars, nimm den von Ina mit.“
„Aye, Commanderin.“
„Warum das noch?“, musste Emma die mit Grabesstimme vorgetragene Frage von Steven Huxley zur Kenntnis nehmen. „Ich hab’s verbockt.“
„Und ich habe das Schwerefeld von Target verkehrt berechnet“, gab Elana zerknirscht zu.
„Ich will sowas nicht mehr hören hier. Die Hoffnung stirbt zum Schluss – oder?“, Emma sah sich um. Max bemühte sich um Claire; er tat wenigstens etwas.
„Was wissen wir?“
Elana übernahm die Antwort: „Dieser kosmische Körper ist 750 Meter lang, 280 Meter breit und 100 hoch. Dazu herrscht hier eine Schwerkraft von 1,2 Gravos.“
Emma sah sich um: „Das – ist – nicht – normal, oder? Ich will wissen, welches Geheimnis Target hat. Vielleicht finden wir damit eine Lösung.“
Die Crew war einverstanden. Immer noch besser, als sechs Stunden tatenlos auf den Tod zu warten.
Innerhalb der ganzen Trümmer war das ein fast hoffnungsloses Unterfangen. Mit vereinten Kräften, Claire fiel aus, räumten sie den Schrott in eine Ecke, dann halfen sie sich gegenseitig beim Anziehen der schweren Anzüge. 15 Minuten später öffnete Lars mit einem Hebel das Schott zum Technikraum. Als Emma dort hineinsah, gab sie alle Hoffnungen auf. Dort sah es noch schlimmer aus als im eigentlichen Kommandomodul.
„Ich habe versucht, eine Okay-Liste anzufertigen“, sagte Ina. „Erfolglos. Es funktioniert nichts mehr.“
Emma seufzte: „Sag ich doch. Die Antwort liegt draußen. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dann gibt es hinter dem Technikraum ein Notschott. Bekommen wir es auf?“ Hinter der dicken Helmscheibe konnte Emma kaum die Crewmitglieder auseinanderhalten. Der Funk funktionierte einwandfrei.
„Ich schaue.“ Nach der Stimme war es Lars, der sich auf den Weg machte. Kurz darauf meldete er, dass der Weg nach draußen frei sei.
Die Crew ließ zuerst Emma vorbei. Diese stellte erfreut fest, dass Lars das Schott zwar geöffnet hatte, aber innen wartete.
„Das hat was“, sagte sie zu ihm. „Vielen Dank für diese Ehre.“
Lars war so taktvoll gewesen und ließ Emma als Erste den fremden Boden betreten. Allerdings musste er ihr helfen, denn der Boden lag in einem Meter Tiefe. Sie ließ sich an seiner Hand hinab. Sie hatten Glück: Die Sonne beschien gerade die andere Seite von Target, sonst hätten sie wegen der Helligkeit kaum etwas erkennen können. Die getönten Zwischenscheiben der Helme konnten sie zwar herunterfahren, aber dann waren nur relativ kontrastreiche Dinge mit harten Schlagschatten zu sehen. Hier beleuchtete das restliche Firmament zwar diffus, aber ausreichend ihren Landeplatz. Während die Crew wartete, prüfte Emma den Untergrund. Er fühlte sich steinig und uneben an und war es auch. Sie sah sich um. Offenbar war die STARHUNTER mitten auf Target gelandet. Rechts und links waren es noch jeweils 120 Meter bis zum Rand, nach vorn und hinten, die lange Seite, mehr als 350 Meter.
„Alle rauskommen“, ordnete Emma an. Man half sich gegenseitig und mittendrin wurde auch Claire heruntergereicht.
Emma hielt ihren Helm dicht vor dem der Französin: „Bist du ansprechbar, Claire?“
„Oui, madame.“
Emma verfiel in einen Kommandoton und zeigte die Richtung dabei unmissverständlich an: „Max und Lara – dorthin.“
„Elana und Felipe …, was machst du mit den Waffen hier?“ Emma war gerade aufgefallen, dass Felipe Waffen mitschleppte.
„Ich fühle mich nackt – ohne“, gab der Soldat zurück.
„Meinetwegen, diese Richtung. Die kurze Strecke, schaut nach, was passiert, wenn ihr über den Rand geht.“
Sie sah sich suchend um: „Claire und Steven – dort lang.“
„Okay“, bestätigte der Pilot.
„Lars und Ina – da geht’s für euch lang.“
„Sind unterwegs“, meldete Ina.
„Steven und Claire – da lang. Ich bleibe hier. Ruft mich, wenn ihr etwas gefunden habt.“
Die vier Pärchen gingen los.
Max und Lara hatten eine lange Strecke zugewiesen bekommen. Zusätzlich schien genau das Teil des kosmisch Reisenden etwas dicker zu werden. Max registrierte, dass sich Lara an seinem Raumanzug anstöpselte. Das ließ ihnen eine private Kommunikation zu.
„Jetzt habe ich jemanden gefunden und das Leben ist zu Ende, Max. Ist das nicht traurig?“
Max vergewisserte sich, dass er auch nur per Draht kommunizierte: „Bis vor ein paar Tagen wäre es nicht so schlimm für mich gewesen“, gab er zu. „Aber jetzt …“
Wie tragisch, dachte Max Anderbrügge. Hier, so weit draußen, einen lieben Menschen zu finden und dann in wenigen Stunden zu sterben. Sie gingen, wie es schien, über eine sehr breite Schanze in die Unendlichkeit hinaus.
Bei Felipe und Elana lief die Erkundung relativ nüchtern aus. Die Spanierin fragte sich zwar die ganze Zeit, warum Felipe mit einem Gewehr bewaffnet war, aber so wie er sich verhielt, schien er Feinde zu suchen.
Auch sie erfasste eine gewisse Endzeitstimmung. Das Leben war hier zu Ende. Hatte es sich gelohnt? Ihr Leben und diese Mission hier? Dieser Ausflug in die Unendlichkeit sicherlich nicht. Alle Hoffnungen, die damit verbunden waren, hatten sich nicht erfüllt. Sie erreichten den Rand, der in einer Wulst überging.
„Was passiert, wenn wir den Rand erreichen und weitergehen?“, wollte Felipe wissen.
„Wir werden wohl kaum herunterfallen“, gab Elana zurück. „Das Ding hier produziert, wie auch immer, Schwerkraft. Wir werden uns immer noch einbilden, dass dort, wo unsere Füße sind, es unten ist.“
„Das wird interessant“, meinte Felipe.
„Du wirst es kaum bemerken. Dieser Ringwulst ist groß genug. Wir marschieren ja nicht um eine Ecke herum.“
Es war so, wie Elana es vorausgesagt hatte. Felipe musste schon nach rechts oder links schauen, sonst hätte er den Übergang zur immerhin 100 Meter dicken Seite überhaupt nicht bemerkt. Sie marschierten, wie Elana es vorausgesagt hatte, einfach weiter. In der Mitte trennten sie sich und gingen jeweils zum langen Ende. Dann ging es zur sogenannten Unterseite. Hier mussten sie allerdings die stark beschichteten Scheiben vor die Helme stülpen. Eine direkte Sicht in die Sonne bekam den Augen nicht. Target war auf dem Weg zur Sonne. Seine Bahn führte ihn knapp an der Merkurbahn vorbei. Das würde heiß werden. Aber das wäre dann nicht mehr ihr Problem, fiel es Elana wieder ein. Die Aussicht hier oben hatte sie vergessen lassen, dass sie noch fünfeinhalb Stunden zu leben hatte.
Claire marschierte wie aufgezogen neben Steven her. Von ihr kam gar keine Reaktion. Steven hätte sich gern näher mit dieser ‚Maus‘ beschäftigt, wie er sie in Gedanken nannte. Sie war hübsch anzusehen und ihr französischer Akzent brachte sein Kopfkino regelmäßig auf Trab. Allerdings fragte er sich auch, was eine solche Frau auf einer Weltraummission machte. Warum schleppten sie das ‚Mäuschen‘ mit?
Auch Steven steckte das private Verbindungskabel in den Anzug von Claire: „Hast du heute Abend schon etwas vor, Cherie?“
Es kam keine Antwort und Steven redete weiter: „Ich kenne ein gemütliches Restaurant. Dort könnten wir zunächst etwas essen und einen schönen Wein trinken.“
Steven bekam auf seine Avancen keine Antwort.
„Ich habe ein recht schönes Apartment mit einem breiten Bett“, fuhr er fort. Irgendwie musste Claire doch zu locken sein.
Es blieb still im privaten Funk zwischen Claire und dem Piloten.
„Ich verstehe“, seufzte Steven. „Die Dame will erst tanzen.“
Steven und Claire, Letztere sowieso nicht, entdeckten nichts.
Max und Lara hatten noch etwa 50 Meter bis zum langen Ende zu gehen, als Max stolperte und hinfiel. Er stützte sich auf den Armen ab und stöhnte laut. Der Verbindung des privaten Kanals war aus der Halterung gerissen worden und somit war sein Klagelaut für alle empfänglich gewesen.
„Was ist passiert?“, kam die alarmierte Frage über Funk von Emma.
„Lars ist gestürzt“, antwortete Lara.
„Verletzungen? Anzug okay? Lars, melde dich!“
Die 1,2 Gravos hatten den kräftigen Mann mehr hingeworfen als sonst üblich. Allerdings war Max Anderbrügge kräftig und außer ein paar Prellungen war nichts passiert. Er lag mit dem Bauch auf dem Boden und wollte gerade aufstehen, als er mit seinem dicken Handschuh etwas losen Sand und ein paar lockere Steine zur Seite wischte. Ungläubig blieb er liegen. Was er sah, war eine Fuge. Eine exakte und geradlinige Fuge. Daran entlang wischte er weiter. Die Fuge verlief weiter.
„Lars, kannst du aufstehen? Tun dir die Arme weh?“, Laras Stimme klang besorgt.
Statt Lara eine Antwort zu geben, funkte Lars: „Emma, du kommst besser her. Ich habe etwas entdeckt.“
(Anmerkung des Berichtenden: Gehen wir an dieser Stelle zwei Tage weiter.)
17.10.2059, 15:00 Uhr, Isle of Man:
„Tony, ich kann es dir nicht ersparen“, meldete sich Hanna Luca bei Admiral Winter via Monitor. „Aber ich habe die Präsidentin für dich.“
Tony Winter nickte: „Wie üblich, du auf Leitung zwei.“
Hanna nickte und statt des schönen Gesichtes der Polin erschien das mittlerweile verhärmte der Präsidentin.
„Ich schalte Gregg hinzu“, war die Begrüßung. Tony sparte sich jeglichen Kommentar. Das Verhältnis vom General zur Präsidentin war allein aufgrund der Ortsnähe besser als seins zu Rebecca Miller.
Der Monitor zeigte anschließend Hemsworth und Miller.
„Hallo Tony“, begrüßte ihn der General.
„Hi Gregg“, wenn die Präsidentin keine höfliche Gesprächseröffnung wollte, dann sollte sie auch keine bekommen.
„Ich habe wieder mit diesem Oberhaupt aller Schlitzaugen sprechen müssen. Ich kann mir den Namen einfach nicht merken“, stieß die Präsidentin hervor.
„Hu Xiao“, half Gregg Hemsworth aus.
„Ja, dieser eben“, fauchte Rebecca Miller. „Er war selten ehrlich zu mir.“
„Die Chinesen, ehrlich?“, warf Hemsworth ein. „Wieso das auf einmal?“
„Unterbrich mich nicht“, wurde der General unfreundlich wie ein Schüler zurückgewiesen.
Gregg Hemsworth lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
Offensichtlich hatte die Präsidentin den General arg düpiert.
„Wenn ich jetzt ungestört weitersprechen darf?“
Niemand sagte etwas und Winter stellte fest, dass dieser Auftritt bisher das Highlight an schlechter Laune darstellte. Wenn sie den Job so ungern machte, konnte sie auch zurücktreten.
„Dieser Hu teilte mir mit, dass eines der Raumschiffe diese, dieses …“
„Target“, half Winter aus.
„Ja, meinetwegen Target“, blaffte die Präsidentin, „erreicht hat. Das andere ist explodiert.“
„Das deckt sich mit unseren Beobachtungen“, warf Winter ein.
„Das weiß ich“, wurde Winter in einem Ton angefahren, der ihn dieselbe Haltung einnehmen ließ wie Hemsworth.
„Hu führte aus, dass man in China nicht weiß, welchem Schiff die Landung gelungen ist.“
Weder Gregg Hemsworth noch Tony Winter sagten etwas dazu.
„Herrje, wenn ihr reden sollt, dann tut ihr’s nicht. Wie soll ich denn mit solchen Leuten arbeiten?“, wurden die höchsten Militärs von der Präsidentin angefahren.
Winter stufte die Frage in sein Ressort ein, daher antwortete er: „Wir wissen das auch nicht.“
„Danke für die Antwort“, fauchte Frau Präsidentin.
„Hu verlangt, um das Gleichgewischt wiederherzustellen, dass wir ein eventuell von dort kommendes Schiff weit vor der Erde durch unsere Forts vernichten – egal ob es unseres ist oder das der Chinesen.“
Jetzt kam Admiral Tony Winter in Wallung: „Was? Wir sollen auf ein Schiff schießen, wo möglicherweise unsere Leute drinsitzen?“
„Es freut mich, dass der Admiral meinen Ausführungen zugehört und sie offensichtlich auch verstanden hat“, zischte Rebecca Miller.
„Das können wir nicht tun! Wir haben unsere besten Leute dort hochgeschickt. Sie riskieren für unsere Sache ihr Leben und ich bin nicht bereit dieses einfach so zu beenden.“
„Anderenfalls droht Hu mit einem Krieg“, führte die Präsidentin aus. „Er befürchtet Vor- und Nachteile und eine Verschiebung des status quo.“
„Es gibt andere Möglichkeiten“, forderte Winter. „Wir könnten zusammen mit den Chinesen gemeinsam die Rückkehrer empfangen und gemeinsam die Erkenntnisse auswerten.“
„Nein“, sagte die Präsidentin. „Es geht hier um zehn oder meinetwegen nur neun Personen. Dafür riskiere ich nichts.“
„Gibt es denn einen entsprechenden Vorschlag, den die Chinesen abgelehnt haben?“, wollte Admiral Tony Winter wissen.
„Ich habe zugestimmt“, sagte die Präsidentin eiskalt.
Tony Winter blieb die Sprache weg. Die Frau war derart lebensverachtend. Sie hatte das nicht einmal vorgeschlagen.
„Aufgrund der Reaktion des Admirals ist mein Vertrauen in seine Person arg gesunken“, keifte die Präsidentin weiter. „Um sicher zu sein, dass meine Anordnungen auch ausgeführt werden, enthebe ich Admiral Tony Winter hiermit für eine unbestimmte Dauer seines Dienstauftrages der UAW-Space Navy. Die üblichen Zuwendungen bleiben bestehen. Admiral Tony Winter hat Isle of Man innerhalb von drei Stunden zu verlassen. Ich beauftrage General Gregg Hemsworth mit den Dienstpflichten von Admiral Tony Winter. Diese Anordnung gilt, bis das entsprechende Schiff abgeschossen wurde, spätestens nach sechs Monaten, wenn die Mission als gescheitert betrachtet werden muss. Ich verlasse mich darauf, dass General Gregg Hemsworth meine Anordnung notfalls auch durchsetzt – egal wie. Die Besprechung ist zu Ende.“
Der Bildschirm wurde schwarz.
Tony Winter war wie vor den Kopf geschlagen.
Der Monitor zeigte wieder ein Bild und dieses Mal das bestürzte Gesicht von Hanna Luca: „Das kann sie nicht machen – diese Furie!“
Doch, dachte Tony Winter. Sie kann das machen und er hätte vorsichtiger agieren müssen. Aber die Sorgen um seine Leute hatte alles andere überlagert.
Hanna wollte weitersprechen, als ein Rufzeichen aus dem Vorzimmer ertönte.
„Der General für dich“, unterbrach sich Hanna selbst. „Soll ich …“
„Ja, wie üblich“, antwortete Tony. Sie sollte mithören.
Gleich darauf war das schuldbewusste Gesicht von General Hemsworth zu sehen.
„Tony, bitte. Das war nicht meine Idee.“
„Was jetzt? Die Sache mit dem Abschuss unserer Leute oder meine Absetzung?“
„Beides nicht, Tony. Ich schätzte dich als kühlen Analytiker und Profi. Unsere Madame ist mittlerweile meilenweit davon entfernt.“
„Und trotzdem unterstützt du sie?“
„Statt Blut fließt Loyalität durch meine Adern, Tony. Sie befiehlt und ich gehorche. Auch wenn es mir schwerfällt und ich deswegen nicht schlafen kann. Und sie weiß das, Tony.“
„Ich gehe davon aus, dass unsere Leute im Schiff sitzen, wenn eins zurückkommt, Gregg.“
„Ich auch, Tony.“
„Umso schlimmer, Gregg.“
„Ich weiß, Tony.“ Der General fuhr sich in einem Anflug von Verzweiflung mit der Hand durch die raspelkurzen Haare. Hör zu, Tony: „Warum nimmst du nicht Hanna und machst Urlaub, bis die Sache hier erledigt ist?“
„Hanna?“ Tony schaute den General mit großen Augen an. Er hielt ihn fast für einen Freund, aber was sollte das jetzt?
„Sie lässt dich beobachten, Tony. Schon eine ganze Weile. Lass es dir durch den Kopf gehen. Vielleicht kommt gar kein Schiff zurück und unsere Aufregung war umsonst. Schalt einfach mal ab und genieß dein Leben. Hanna ist eine tolle Frau. Bis bald, Tony.“
Der Bildschirm wurde dunkel und Tony überlegte, ob er da gerade richtig gehört hatte. Der Bildschirm blieb naturgemäß nicht lange dunkel. Wer Frauen kennt, der weiß auch, wer jetzt auf der Gegenseite saß.
Hanna atmete erkennbar heftig und ihre Wangen waren gerötet: „Das ist …, das ist …“
‚Sie ist schön, selbst wenn sie entrüstet ist‘, dachte Tony und schaute verliebt auf das Bild, welches sich ihm bot.
„Du beruhigst dich bitte und stellst das Telefon auf Hemsworth um. Unser Büro ist bis auf Weiteres nicht zu erreichen und der General übernimmt die Vertretung. Dann bringst du uns zwei Tassen Kaffee bitte in mein Büro.“
„Ja, ja, selbstverständlich.“ Die nüchterne Anweisung vom Admiral erdeten die Assistentin wieder.
Kaum war der Monitor aus, als Tony Winter eine nur ihm bekannte Nummer anrief. Es meldete sich sofort jemand aus Mittelamerika.
„Sancho, alter Freund. Ich grüße dich.“
„Oh, mein Gönner, der Admiral. Kann ich was für dich tun, mein Freund?“
„Besteht dein Angebot noch, Sancho?“
„Oh, der Admiral will endlich mal Urlaub machen. Wie schön. Und selbstverständlich, Tony.“
„Dann richte dich auf die Ankunft von zwei Personen ein.“
„Ich bereite vor, Tony. Und ich freue mich.“
Das nächste Gespräch führte er mit Henry. Henry war mehr als sein Fahrer. Was das Haus anbetraf und die Bediensteten, war er sogar seine rechte Hand.
„Henry, ich werde für unbestimmte Zeit verreisen. Du vertrittst mich, wie in solchen Fällen üblich.“
„Selbstverständlich, Sir. Ich wünsche gute Erholung.“
„Danke und dieses Mal kann es länger dauern. In dringenden Fällen kannst du mich erreichen.“
„Ich weiß Bescheid, Sir. Was ist, wenn jemand Urlaub haben will?“
„Genehmige ihn, Henry.“
Kurz darauf kam Hanna mit einem Tablett und zwei Tassen Kaffee darauf zur Tür herein.
Tony wechselte zur Sitzcouch: „Setz dich zu mir.“
Sie tat es und stellte zunächst die Tassen ab: „Was tun wir jetzt, Tony?“
„Zunächst trinken wir diesen Kaffee, Hanna. Es dürfte für längere Zeit der letzte in diesen Räumen gewesen sein.“
„Ja, äh ... und dann?“
Tony sah, dass seine Freundin immer noch mit hektisch geröteten Wangen neben ihm saß.
„Dann machen wir Urlaub. Wie du mitbekommen hast, wurde dein nicht gestellter Urlaubsantrag ebenfalls genehmigt – von Gregg.“
„Ja, aber …“
Tonys Blick wanderte an die Decke: „Kuba, Port Au Prince, Santo Domingo, Haiti, Santa Lucia, Barbados. Ich denke, du wirst dich ausnehmend gut machen auf dem Sonnendeck der Yacht meines Freundes Sancho. Dabei fällt mir ein, dass ich dich noch nie im Bikini gesehen habe.“
Tony erreichte damit, was er wollte: Das skeptisch/entrüstete Gesicht von Hanna verschwand und er sah ihr strahlendes Lächeln.
„Wie kommen wir dorthin?“
„Ich bin immer noch Admiral der Navy. Daran hat die Präsidentin nichts geändert. Ich bin nur die Verantwortung für die Mission Target los.“
„Das fällt dir schwer“, stellte Hanna fest.
„Ja“, bestätigte Tony Winter. „Aber du wirst es nicht bemerken und bei den Ausflugszielen komme ich auf andere Gedanken.“
„Aber drei Stunden und …“
„Ich bestelle uns ein extra Boot, was uns ans Festland bringt. Du packst Koffer und meiner muss erst einmal reichen. Wir kaufen im Zielgebiet ein paar Sachen für mich. Viel braucht man ja in der Sonne nicht.“
Knappe vier Stunden später saßen Tony und Hanna im Jet des Admirals mit Ziel Zentralflughafen auf Kuba. Sie wurden von Sancho persönlich abgeholt, der nicht müde wurde, die Schönheit seines weiblichen Gastes zu betonen. Er fuhr das Paar zum Hafen. Hanna staunte nicht schlecht, als sie eine 40-Meter-Yacht mit allen Schikanen sah. Insbesondere der installierte Autopilot erlaubte es auch Ungeübten, die Weltmeere zu bereisen.
„Ich wünsche einen schönen Urlaub. Kommt wieder, wann ihr wollt.“ Sancho stand winkend am Kai, als sie ablegten.