12. Fake

 

17.12.2059, 11:00 Uhr, Isle of Man, UAW-Navy Center:

 

Hank und Fergus lachten Tränen, nachdem ihnen Paula berichtet hatte, wie sie mit diesem Liam Boldwin umgegangen war. Mittlerweile gab es ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen sexueller Nötigung. Damit war er zukünftig raus aus dem Geschäft bei Isle of Man. Offenbar sah Boldwin das anders, denn er stand wenige Minuten später mitten im Raum. „Ich bin der neue Chef hier“, verkündete er.

Fergus trat dicht an ihn heran und besah sich das geschwollene und blauviolette Kinn: „Au, das muss wehgetan haben. Wenn nicht jetzt noch.“ Fergus machte ein Gesicht, als würde er die Schwellung selbst im Gesicht tragen müssen.

„Maul halten“, bellte Boldwin und wandte sich an Paula: „Die Unter­stellung wirst du büßen. Sieh dich nach einem anderen Job um. Du bist gefeuert!“

„Ist sie nicht und sie bleibt genau dort sitzen“, sagte Hank langsam.

„Ich, ich bin hier der Chef“, Liam trommelte mit dem Finger auf seiner Brust herum.

„Wer sagt das?“

„Chief Salvatore Townsen!“, donnerte Liam ihnen entgegen.

Hank wandte sich an Fergus: „Kennst du den?“

Fergus schien zu überlegen: „War das nicht der Leiter des Geheim­dienstes?“

„Du meinst die Ratte?“, fragte Hank nach. „Richtig, wie dumm von mir. Ich kenne die Type nur nach dem hübschen Spitznamen.“

„Ihr bekommt das noch schriftlich von ihm“, trumpfte Liam Boldwin auf.

„Glaube ich nicht“, sagte Hank. Und besah sich ebenfalls beim Näher­kommen das Gesicht von Boldwin.

„Was ist?“

„Ich schaue gerade, ob ich es hinbekomme, etwas mehr Symmetrie ins Gesicht zu hauen.“

Mister Stiernacken hob drohend einen Finger: „Ihr werdet das alles be­reuen. Das werdet ihr. Die Macht des Geheimdienstes ist groß und ich werde mich so nicht behandeln lassen. Ihr werdet es merken, wenn es zu spät ist.“ Wutentbrannt verließ er das Vorzimmer.

Hank räusperte sich: „Wir sollten die Drohung ernst nehmen. Fergus?“

„Ich soll mich kümmern?“

„Ja, bitte.“

 

Drei Tage später wurde an der englischen Küste in Höhe von ehemals Liverpool eine männliche Leiche angespült – die von Liam Boldwin, und zwar mit einem Loch im Kopf.

 

15.01.2060, 11:00 Uhr, CYGNE-Zeit, Brücke:

 

„Sind wir im Fake nicht zu früh oder spät zurück?“, fragte Max Ander­brügge.

Tony Winter zuckte mit den Schultern: „Sollen sie dort rätseln. Aber das liegt im Zeitrahmen.“

Die Mission FAKE war erfolgreich gewesen. Sie hatten die Röhre mit dem aufgesetzten Habitatring ordentlich auf Schwung gebracht und waren schon seit fast 14 Tagen wieder an Bord der CYGNE.

Die Fake-STARHUNTER näherte sich jetzt auf ihrer Flugbahn der Erde und die Crew war gespannt, was weiterhin passieren würde. Eine aufge­setzte Kamera übertrug das Bild bis auf die Brücke der CYGNE. Die gesamte Crew war dort versammelt, denn heute war es so weit. Der Kontakt mit der ERDE würde wiederhergestellt. Sie hatten darüber diskutiert, ob man via Funk eventuell auch die Anwesenheit der Crew an Bord simulieren sollte. Tony hatte sich dagegen entschieden: „Treiben wir es nicht zu weit. Sie schießen uns ab, dann haben wir Ruhe. Es gibt zu viele Gebärdenleser und ich glaube nicht, dass sich hier jedermann so beherrschen kann, dass wir nicht durchschaut werden.“

Somit wartete die Crew auf ‚ihren‘ Abschuss.

 

Gleiche Zeit, Salt Lake City, UAW-Tower:

 

„Frau Präsidentin, der Herr General bittet um einen Termin.“

Rebecca Miller schreckte hoch. Gerade heute – trotzdem, wie auch das letzte Treffen ausgefallen war, sie konnte es sich nicht offiziell mit dem General verscherzen.

„Ist er da?“

„Er hat einen Strauß Blumen mitgebracht.“

Rebecca zog die Augenbrauen hoch. Was hatte das denn jetzt zu be­deuten?

„Ich lasse bitten.“

Der Privatsekretär zog sich zurück und zwei Minuten später ging die Tür wieder auf und General Gregg Hemsworth stand im Rahmen.

Die Präsidentin stand auf und ging um ihren Schreibtisch herum: „Wie soll ich sagen. Etwas unerwartet, dein Besuch, Gregg.“

Etwas umständlich überreichte der General ihr die Blumen: „Ich wollte mich entschuldigen, Rebecca. Es war etwas heftig von mir. Admiral Tony Winter erschien mir immer als loyaler und verlässlicher Mitstreiter un­serer Sache. Ich schätzte ihn deswegen sehr.“

Rebecca senkte den Kopf und nahm die Blumen an: „Das tat ich auch, Gregg, wirklich. Bitte nimm doch Platz. Darf ich dir etwas zu trinken bringen lassen?“

Gregg Hemsworth atmete auf. Die erste Hürde schien genommen. Rebecca vermied es, allzu nachtragend zu sein: „Einen Kaffee bitte.“

„Und einen Whisky?“, Rebecca zwinkerte ihm zu und Gregg wurde schon fast argwöhnisch. Das lief zu gut.

„Gern.“

Die Präsidentin ging zu ihrem Schreibtisch zurück und bestellte per Sprechkontakt die entsprechenden Getränke. Als diese von einer weib­lichen Bedienung gebracht wurden, setzten sie sich auf die Couchgar­nitur. Zuerst nahmen beide einen Schluck Whisky.

„Darf ich wissen, wie es um Tony steht?“

Die Präsidentin verzog die Lippen: „Sagen wir so: Ich weiß es nicht, wo sich Tony Winter aufhält. Chief Townsen hat 13 seiner besten, auf den Admiral angesetzten Mitarbeiter in Leichensäcken nach Hause geholt. Er selbst lag mit Chauffeur und Leibwächtern tot im Kofferraum seines Fahrzeuges.“

„Die Ratte ist tot?“

„Sag jetzt bitte nicht, dass du Trauer empfindest.“

„Nein, ganz im Gegenteil. Ich mag keine Ratten. Sie heften sich an ande­re wie Parasiten und kochen letztlich ihre eigene Suppe“, gab Gregg Hemsworth zurück.

„Wie ich hörte, kam es zu einer Explosion, während du beim Golfen warst?“

Gregg hatte damit gerechnet, dass die Präsidentin informiert war. Daher hatte er die passende Antwort parat: „Mir war, nach unserem letzten Treffen, etwas langweilig und vielleicht wie du, brauchte ich ein Ventil. Wie du gerade geschildert hast, ist unser Geheimdienst nicht besonders effektiv unterwegs. Ich beschloss, den Lauf der Dinge etwas zu beschleu­nigen und beseitigte den Paten Flores.“

Der Name Flores sagte der Präsidentin natürlich was. Er sagte eigentlich jedem etwas. Sie zog die Brauen hoch: „Er wurde bisher nicht gefunden.“

Das war Gregg zwar unbekannt, aber auch da fand er schnell eine Ant­wort: „Noch mehr Unsicherheit unter diesen Leuten. Kommt er wieder, kommt er nicht wieder? Wir sollten sie entscheidend geschwächt haben. Beziehungsweise tun sie das jetzt selbst.“

„Ich brauche einen neuen Leiter des Geheimdienstes, lieber Gregg.“

Der General fühlte sich, als wenn ihm gerade etwas untergejubelt werden sollte. Daher machte er einen geschickten Rückzieher, ohne direkte Ab­sage: „Ich wünsche dir ein glückliches Händchen bei der Auswahl.“

Sie lächelte ihn an: „Schauen wir mal, was daraus wird.“

„Heute gibt es noch etwas Unerfreuliches“, sagte die Präsidentin betrübt.

„Die Observatorien haben gemeldet, dass von unserem Space-Objekt ein Raumschiff zurückkehrt. Und Tendenzen weisen darauf hin, dass es tat­sächlich die STARHUNTER ist“, eröffnete Gregg.

Die Präsidentin nickte betrübt: „Glaub bitte nicht, dass ich mich dabei wohlfühle.“

„Unter anderem bin ich deswegen hier“, sagte Gregg und sah die Frau so mitfühlend, wie ihm das möglich war, an. Die Entscheidung war hart und schwierig. Aber zwei Hand voll Leben gegen ein paar Milliarden?

„Dan Kowalski hat hingeworfen“, sagte Rebecca.

„Er hat gehört, was wir vorhaben. Ich verstehe ihn“, sagte Gregg.

„Ich auch, ich auch“, versicherte die Präsidentin. „Es ist nicht immer gut, die Verantwortung auf den Schultern zu tragen. Erst gestern erneuerte die chinesische Seite ihre Forderungen. Sie bestehen weiterhin auf den Ab­schuss.“

„Es war kaum damit zu rechnen, dass die Gelben einen Rückzieher ma­chen“, unkte Gregg.

Ein Rufsignal ertönte und Rebecca meldete sich: „Was gibt es?“

„Wir haben das Objekt fast in Sichtweite, Frau Präsidentin. Ich empfehle den Einsatz des Wandmonitors“, sagte eine männliche Stimme.

„Ist gut, danke“, sagte Rebecca, ging zum Schreibtisch und rückte auf eine Taste. Auf der gegenüberliegenden Seite zur Couch wurde aus einem Wandbild ein Monitor. Er zeigte nach einem gewissen Moment das Ster­nenmeer und einen roten Kreis. In der Mitte bewegte sich etwas – kaum sichtbar.

„Es ist das Raumschiff, welches auf die Erde zurückfällt, Frau Präsi­dentin“, sagte diese Stimme von außen. „Nach unserer Meinung ist es die STARHUNTER. Der Kreis wird zunächst gelb und die Waffensys­teme werden eingeloggt. Bei Grün geben Sie bitte das Feuerkommando, Frau Präsidentin.“

„Ja“, sagte Rebecca alles andere als selbstsicher. Gregg schaute sie prü­fend an. Sollte er sie unterschätzt haben und sie war nicht so abgebrüht und hart?

„Darf ich mich zu dir setzen, Gregg?“

Hatte sie soeben seitlich vom General gesessen, so fragte sie jetzt, ob sie auf der breiten Couch neben ihm sitzen durfte.

„Natürlich, Rebecca.“

Sie setzte sich dicht an ihn und lehnte sich an. ‚Unangenehm ist was an­deres‘, dachte Gregg, als er die Körperwärme durch das dünne Kleid spürte. Schweigend betrachteten sie den Monitor. Er spürte, dass Rebec­ca leicht anfing zu zittern, als der Kreis um das anvisierte Raumschiff gelb wurde. ‚Ja‘, dachte der General, ‚es ist leichter, eine Exekution zu befehlen und sich dann um etwas anderes zu kümmern, als den Befehl zum Schießen selbst zu geben und das Ergebnis unmittelbar mitzuver­folgen. Offenbar hatte sich Rebecca einigermaßen überschätzt.

Willst du gleich …? “, fragte sie leise.

„Bei aller Liebe, Rebecca. Nein. Das ist dein Job.“

Die Präsidentin seufzte: „Hättest du die Zusage nicht gegeben?“

„Nein. Unsere Streitkräfte sind in Alarmbereitschaft, Rebecca. Zwischen Drohen und Ausführen gibt es einen himmelweiten Unterschied.“

Die Präsidentin seufzte wieder.

Dann wurde der Kreis grün.

 

CYGNE, Brücke:

 

„Jetzt gleich sollten sie das Feuer aufnehmen“, sagte Tony Winter. Er las die Abstände vom Monitor ab und wusste natürlich genau, wie hoch die Reichweite der Abwehrforts war.

Auch sie warteten atemlos auf ‚ihr‘ Ende.

Die Zeit verstrich und die Nachbildung der STARHUNTER flog weiter­hin auf die Erde zu.

 

Arbeitsraum der Präsidentin:

 

„Geben Sie den Feuerbefehl, Frau Präsidentin“, sagte die männliche Stimme. „Wir haben alle Beobachtungsmöglichkeiten der westlichen Welt blockiert.“ Rebecca Miller zögerte. Mit einem Wort löschte sie das Leben von Menschen aus und sie sah es auch noch. Das war doch härter, als sie das geglaubt hatte. Mit Gewalt rief sie sich die Worte ihres chine­sischen Gesprächspartners ins Gedächtnis zurück.

„Wir werden mit Krieg antworten, wenn das Raumschiff nicht vernichtet wird. Wir wissen mittlerweile, dass es nicht das unsere ist. Entscheiden Sie weise, Frau Präsidentin. Das Wohl und Wehe der Erde liegt in Ihren Händen.“

Rebecca Miller zögerte weiterhin. Gregg sah ihr interessiert zu. In ihrem Gesicht arbeitete es unaufhörlich. Mal machte sie den Mund auf, dann wieder zu, holte Luft und ähnlich.

 

CYGNE, Brücke:

 

„Wenn unser Fake noch näher herankommt, sind sie später in der Lage, mit den Aufzeichnungen die Täuschung zu erkennen“, sorgte sich Ad­miral Tony Winter. „Warum schießen die nicht?“ Die Sorge von Tony war berechtigt. Auch diese Erkenntnis konnte dazu führen, dass man auf der Erde zu den Waffen griff.

„Felipe!“

„Admiral?“

„Du solltest Tony sagen.“

„Tony?“

„Sprengladung ab!“

„Okay“, der Soldat betätigte einen Schalter.

 

Arbeitsraum der Präsidentin:

 

„Die optimale Reichweite ist jetzt, Frau Präsidentin.“

Rebecca Miller bekam Schnappatmung und griff nach Greggs Hand. Der General hatte alle seine Einheiten in den Startlöchern. Die Chinesen brauchten nur zu zucken und der Tanz begann – der letzte Tanz, wahr­scheinlich.

„Feuer frei“, sagte in diesem Augenblick Rebecca ziemlich leise. Trotz­dem wurde sie verstanden.

„Zwei Raketen eingeloggt und abgeschossen“, sagte die unbekannte Stimme. Auf der Übersicht sah man den Anflug der Raketen auf das Ziel.

„Oh, nein“, schluchzte Rebecca und wandte ihr Gesicht dem General zu. Er spürte, wie sie ihr Gesicht an seiner Seite verbarg, um das Grauen auf dem Bildschirm nicht zu sehen. Er spürte es dort feucht werden. Offensichtlich weinte Rebecca.

Gregg achtete auf die Abstandsanzeige:

200.000 Kilometer

150.000 Kilometer

100.000 Kilometer

75.000 Kilometer

50.000 Kilometer

In diesem Augenblick detonierte die STARHUNTER. Gregg riss die Augen auf. Die Raketen hatten das Raumschiff noch nicht erreicht! Wie war das möglich? Gregg rechnete mit ein, dass das Licht doch schon eini­ge Sekunden bis zu ihnen brauchen würde. Aber das war keine Er­klärung.

„Ist es vorbei“, hörte Gregg die Präsidentin vorsichtig fragen.

„Ja, ist es“, bestätigte er.

„Oh, Gott. Ich habe sie umgebracht.“

„Nein, hast du nicht“, gab er zurück.

Abrupt kam Rebecca hoch: „Wie das?“

Auf dem Monitor blinkte das Signal: ‚Target destroyed‘.

„Die STARHUNTER ist vor dem Eintreffen der Raketen explodiert“, er­klärte ihr Gregg.

Rebecca sah den General fragend an. Dieser zuckte mit den Achseln: „Ich weiß nicht warum. Keine Ahnung, aber du hast den Tod dieser Men­schen nicht verursacht.“

„Aber ich habe den Befehl gegeben, Gregg. Das ist genauso schlimm. Ich hatte den Willen, zu töten.“

Darauf hatte der General keine Antwort, denn Rebecca hatte recht. Ein paar Sekunden später den Befehl gegeben beziehungsweise noch gewar­tet und sie hätte auch vor sich behaupten können, es nicht gewollt zu haben.

„Was jetzt?“, fragte sie.

„Jetzt beginnt das große Rätselraten, warum unser Raumschiff explodiert ist. Die Chinesen dürften so oder so befriedigt sein – die Welt ist fürs Erste gerettet.“

„Gregg?“

„Ja, Rebecca?“

„Ich möchte den restlichen Tag nicht allein sein.“

„Ich werde bei dir bleiben.“

 

17.01.2060, Nordamerika, Kalifornien:

 

Spencer Parker saß im Wohnzimmer seiner Villa in Kalifornien und starr­te trübsinnig nach draußen. Seine komplette Welt war zusammen­gestürzt – sozusagen. Vorgestern hatte er erfahren, dass sein einziger Sohn bei der Explosion der STARHUNTER ums Leben gekommen war. (Anmerkung: Dass Wesley schon viel früher bei einem Unfall ge­stor­ben war, hatte ihm niemand erzählt und war in diesem Zusam­menhang auch nicht mehr wichtig.) Was nutzten ihm jetzt seine Mil­liarden – ohne Nachfolger? Vielleicht hätte er doch nicht so sehr drängen sollten, dass sich Wesley einen Job sucht. Sicher, er war bis dahin ein regelrechter Nichtsnutz gewesen, aber er würde jetzt noch leben. Spencer Parker haderte mit dem Schicksal.

Es klopfte.

„Herein“, rief der alte Mann mit brüchiger Stimme.

Robert, der Chef der Security-Mannschaft, betrat den Raum: „Sie haben mich rufen lassen, Mister Parker?“

Der alte Mann nickte.

„Was kann ich tun, Mister Parker?“

„Mein Leben ist ziemlich sinnlos geworden, Robert. Und damit ist es auch nicht nötig, dass es geschützt wird.“

Robert erschrak. So einen Job bekamen sie nicht wieder.

„Ich möchte, dass die Security-Mannschaft auf meine Firmen verteilt wird. Niemand wird entlassen, Robert. Hast du gehört?“

„Ich habe es zur Kenntnis genommen, Mister Parker. Das ist sehr ehren­wert, vielen Dank.“

Um Spencer Parkers Lippen spielte ein verächtlicher Zug: „Hehe, ehren­wert. Lieben Dank, Robert. Ich bin also ehrenwert. Ein ehrenwerter alter Mann ohne Nachfolger. Einer, der sein Leben lang geschuftet hat, um jetzt vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Ich hätte was anderes tun sollen, Robert. Ein paar Kinder hätte ich haben sollen, nicht nur Wesley.“

Robert wollte etwas erwidern, aber es klopfte.

„Soll ich gehen?“

„Nein, setz dich dorthin, Robert.“

Der Security-Chef setzte sich an den Rand des Zimmers, dorthin, wo es etwas dunkler war.

„Herein!“

Es kam Edwin herein, der Leibbuttler vom alten Parker.

„Störe ich, Sir?“

„Nein, Edwin, du störst nicht. Du störst nie, Edwin.“

Edwin schien Robert nicht zu bemerken und Robert tat seinerseits nichts, was ihn bemerkbar machte.

„Es tut mir unter den Umständen sehr leid, Sir, aber ich möchte meine Kündigung überbringen, Sir. Und Winny nehme ich auch mit.“

Der alte Parker senkte den Kopf und atmete heftig aus: „Jetzt verlässt du mich, Edwin. In meiner schwersten Zeit? Erst kommt die Nachricht vom Tode meines Sohnes und nun gehst du? Wie lange warst du bei mir?“

„37 Jahre, Sir.“

„Und du willst jetzt gehen?“

„Ja, Sir. Ich kann nicht bleiben.“

„Warum?“

„Es ist eine sehr private Sache. Ich möchte darüber schweigen.“

„Und Winny. In welchem Verhältnis stehst du überhaupt zu ihr? Ja, du hast sie mal mitgebracht, aber jetzt … vielleicht hätte ich mich eher dafür interessieren sollen. Aber ich hatte ja so viel Wichtigeres zu tun“, brachte er bitter hervor.

„Ich habe Winny aufgelesen, als sie auf der Straße fremde Leute um Es­sen anbettelte, Sir. Eine Waise, die auf der Straße lebte, Sir. Ich fühle mich für sie verantwortlich. Als wenn ich ihr letzter lebender Verwandter wäre. Eine Art Großvater, wenn Sie so wollen, Sir.“

„Ein wahrer Akt der Barmherzigkeit, Edwin. Damit bist du wesentlich besser als ich. Und ihr wollt gehen?“

„Ja, Sir.“

„Dann kann ich euch nicht aufhalten. Ich werde auf dein Konto eine großzügige Abfindung einzahlen, Edwin. Hab’ Dank für die Zeit, die du bei mir gewesen bist und leb wohl. Die Tür dieses Hauses steht dir jeder­zeit offen. Unser Fahrdienst soll euch dorthin bringen, wo ihr hinwollt.“ Spencer Parker war tief betroffen und zeigte das auch.

„Danke, Sir.“ Edwin machte einen letzten Diener, dann verließ er das Zimmer.

Spencer erinnerte sich an Robert, der noch im Halbdunkeln auf einem Stuhl saß: „Robert?“

„Ja, Mister Parker?“

„Hast du eine Ahnung, warum Edwin und Winny gehen?“

„Ich denke schon, Mister Parker.“

„Los, heraus damit. Was ist es?“ Spencer Parker war überrascht und neu­gierig.

„Winny ist schwanger, Sir.“

„Sie ist noch sehr jung, aber das ist doch nicht schlimm. Darüber kann man doch reden. Wir haben doch Platz genug.“

„Offensichtlich nicht, Mister Parker.“ Robert war aufgestanden und fum­melte an seiner Dienstmütze herum.

„Warum nicht? Wer ist der Vater?“

„Ihr Sohn, Mister Parker.“

Jetzt kam Leben in den alten Mann: „Was? Mein Sohn hat eine Liaison mit Winny gehabt?“

Robert atmete tief durch und machte sich darauf gefasst, gleich seinen Job zu verlieren, aber im Grunde war er ein ehrlicher Kerl und viel zu lange schon hatte er geschwiegen: „Nein, hatte er nicht, Mister Parker. Wesley hat Winny vergewaltigt.“

Was?

„Am 03.08.2059, als er seine Einberufung zum Training bekam. Er warf seine Bekannten hier aus dem Haus und war sehr aufgebracht. Dann machte Winny wohl den Fehler, ihm zu begegnen.“

„Du warst Zeuge?“

„Ich habe sie anschließend mit zerschlagenem Gesicht und mit zerrisse­nen Kleidern gesehen, aber da war es schon zu spät. Ich war immer drauf und dran, Ihnen das zu beichten, Mister Parker. Aber offenbar war ich zu feige dazu.“

Parker wandte sich schwer atmend ab: „Was für ein Tag, was für Tage! Mein einziger Sohn tot, Edwin kündigt und ich erfahre, dass Wesley ein Vergewaltiger ist.“

„Sie glauben mir, Mister Parker?“

Der alte Mann drehte sich mit Schwung um: „Ja, ich traue ihm das zu, und von dir habe ich noch keine Unwahrheiten gehört. Ich habe ein gutes Gefühl für rechtschaffene Menschen. Das hat mir bisher im Leben immer weitergeholfen. Du bist so einer, Robert.“

„Danke, Mister Parker.“

Parker Senior war aufgestanden und stützte sich schwer auf seinen Geh­stock, den er erst seit ein paar Tagen nutzte. Er richtete sich etwas auf, hob den Stock hoch und betrachtete ihn missmutig. Dann warf er ihn krachend an die nächste Wand: „Wie kann man sich nur so gehen lassen! Robert, wir müssen zur Tiefgarage. Pass ein wenig auf, falls ich mich überschätze.“

„Ja, Mister Parker.“

Robert beeilte sich in die Nähe seines Arbeitgebers zu kommen. Eine Hilfestellung war aber nicht nötig. Nach zwei Etagen und etwa 100 Me­tern waren sie in der Tiefgarage angelangt. Eine Limousine stand dort abfahrbereit und der Chauffeur schlug gerade die Heckklappe zu. Und dort stand Winny. Als sie Spencer Parker sah, begann sie zu weinen. Edwin eilte zu ihr und nahm sie in den Arm.

„Bitte, machen Sie es uns nicht noch schwerer, Sir“, bat Edwin.

„Lass mal den Sir weg, bitte. Ich möchte ein paar Worte mit Winny wech­seln. Es wird nicht lange dauern und vielleicht ist es von Vorteil für euch.“

„Äh … soll ich verschwinden, Mister Parker?“, fragte Robert von der Seite.

„Du bleibst!“

„Sehr wohl, Mister Parker.“ Man sah Robert aber an, dass es ihm alles andere als wohl war.

„Winny, mein Mädchen. Bitte sieh mich an“, bat Spencer Parker.

Winny löste sich von Edwin und nahm die Hände vom Gesicht.  Sie mochte den alten Parker. Er war immer ausnehmend nett zu ihr gewesen. Und das schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Spencer sah in weinende Augen. Als sein Blick etwas tiefer wanderte, war ein kleines Bäuchlein zu sehen.

„Hör zu, Winny und du bitte auch, Edwin. Robert hat mir eben erzählt, was passiert ist. Mein Sohn hat dir Gewalt angetan. Stimmt das, Winny?“

Das junge Mädchen konnte nicht reden. Sie weinte, nickte aber.

„Hmm, ja“, machte der alte Parker. „Ein Kind zu bekommen, ist nicht so schlimm, Winny, wenn man es aufziehen kann. Wie du sicherlich weißt, ist Wesley tödlich verunglückt. Ich habe meinen einzigen Sohn verloren. Und du, meine liebe Winny, trägst mein Enkelkind unter dem Herzen. Auch wenn es kein Wunschkind war, wirst du wie eine richtige Mutter handeln und das Kind lieben.“

Winny nickte heftig und die Tränen flossen weiter.

Spencer wandte sich an Edwin: „Unter diesen Umständen kann ich euch nicht gehen lassen, Edwin. Mit euch geht mein Erbe. Ich habe in den letzten zwei Tagen überlegt, was ich mit den Reichtümern anfange, bevor ich selbst sterbe. Und mithilfe von Robert weiß ich das heute. Ich bitte euch zu bleiben. Ich werde, wenn sie zustimmt, Winny adoptieren. Sie wird meine Tochter werden und kann dann hier im Haus meinen Enkel großziehen. Aber das wird nicht alles sein. Du kannst mir bitte weiterhin als Freund zur Verfügung stehen. Ich werde dir eine Rente ausbezahlen und davon kannst du dir Wünsche erfüllen. Lass uns junge Frauen finden wie Winny. Und lass sie uns hier ein Zuhause geben. Ich will in diesen düsteren Hallen Kindergeschrei hören. Ich will über Spielzeug stolpern und ich will in glückliche und lachende Gesichter sehen. Das will ich. Hier wird auf dem Grundstück gebaut. Ein größeres Haus und mindes­tens ein Spielplatz müssen her. Warum ein Pool, wenn keiner darin badet. Wir brauchen einen Schwimmlehrer. Seid ihr dabei?“

Edwin hatte Tränen in den Augen. Er wandte sich an Winny: „Bitte, mein Mädchen, vertraue mir noch mal. Lass uns hierbleiben. Mister Par­ker bietet uns ein gutes Leben.“

„Ja“, ergriff wieder Spencer das Wort. „Und einen Mann bekommen wir auch für dich, Winny. So einen wie Robert hier. Das ist ein anständiger Kerl.“

„Aber, aber, Sir“, stotterte Robert.

Spencer wandte sich an Robert: „Du sagst doch sonst auch wenig. Bleib dabei, Robert. Sonst stehst du deiner Zukunft im Wege. Und natürlich brauchen wir die Securitys jetzt wieder. Such mal Zusatzlehrgänge als Kinderbetreuer raus und lass die Leute schulen.“

„Ja, Mister Parker.“

Spencer grinste: „Das wollte ich hören. Und was ist mit dir, meine liebe Winny. Möchtest du mir eine Chance geben?“

Winny nickte.

„Wir nehmen an, Mister Parker“, sagte Edwin.

„Das heißt ab sofort Spencer.“

„Gern, äh … Spencer.“   

 

19.01.2060, 09:50 Uhr, Isle of Man, Büro Hank Smith:

 

Hank hatte einen kurzen Termin außerhalb seines Büros gehabt und kam jetzt zurück. „War was, Paula?“

Die Blondine machte ein betretenes Gesicht und zeigte auf Hanks Büro­tür: „Den Gast konnte ich nicht abwimmeln. Du hast hohen Besuch, Hank.“

Hank war leicht irritiert, aber dann ging er mit Schwung in sein Büro. Dort erhob sich sein Besucher und sah ihm lächelnd entgegen: „Ich darf doch Hank sagen, oder?“

Hank schmunzelte: „Hallo Gregg. Was verschafft mir die Ehre?“

Der General sah sich demonstrativ um.

Hank hob eine Hand: „Okay, Augenblick!“

Hank stellte einen Verschlusszustand und eine Abhörsicherung ein, erst dann war der General bereit, weiterzureden.

„Bitte Gregg, nimm Platz. Möchtest du etwas trinken?“

Der General wies auf ein Glas Wasser: „Deine bezaubernde Sekretärin hat mich bereits versorgt, Hank.“

Die beiden Männer setzten sich auf die Couchgarnitur in einer Ecke des Büros.

„Was kann ich für dich tun, Gregg. Du machst doch nicht den weiten Weg, nur um Hallo zu sagen?“

„Lass mich etwas weiter ausholen und vielleicht auch zusammenfassen“, sagte der General.

„Admiral Tony Winter wurde temporär aus dem Dienst genommen und mir wurde die Leitung des MI7 hier auf Isle of Man übertragen. Lass mich bitte an dieser Stelle sagen, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt den Admiral als loyalen Mitstreiter gesehen habe, auf den ich mich verlassen konnte. Die Anordnung der Präsidentin in diesem Falle fand ausdrück­lich nicht meine Zustimmung. Gleichzeitig wurden wir von den Chine­sen unter Druck gesetzt, das zurückkommende Raumschiff zu vernich­ten, bevor es die Erde errichte.“

Hank kam etwas im Sitz hoch: „Aber es ist doch eindeutig von selbst explodiert.“

„Ja, das stimmt“, sagte der General, ging aber nicht weiter darauf ein.

„Lassen wir den Auftraggeber mal bitte weg: Salvatore Townsen stellt Tony nach, der urplötzlich von der Bildfläche verschwindet. Townsens Leute lokalisieren ihn und seine Sekretärin auf einer der Inseln in Mittel­amerika. Wenig später schleppt die Ratte Townsen 13 seiner besten Leute in Leichensäcken nach Hause. Hat Tony 13 wirklich gut trainierte und gut ausgerüstete Sturmtruppenkämpfer eliminiert? Glaubst du das?“

Hank schüttelte den Kopf. „Nein, das glaube ich nicht, Gregg.“

„Okay, dann hat er wohl Hilfe gehabt“, schloss Gregg Hemsworth.

Hank stimmte zu.

„Dann erscheinst du auf einem Golfplatz in der Nähe von Salt Lake City und rettest mir das Leben.“

„Gern geschehen“, grinste Hank.

Hemsworth hob eine Hand: „Meinen Dank, trotzdem: Wenig später wird Salvatore Townsen und ein paar seiner Leute tot im Kofferraum seiner Limousine im Parkverbot vor dem Regierungsgebäude gefunden.“

„Es gibt Dinge …“, sagte Hank, dem langsam warm wurde.

Gregg hob einen Zeigefinger: „Der Liebling und offensichtliche Nach­folger von Tony Winter hier auf Isle of Man als Leiter der UAW-Space Navy wird hier beschuldigt, deiner zauberhaften Freundin da vorn an die Titten gegangen zu sein, heftig verprügelt und nach ein paar Tagen zieht man ihn mit einem Loch im Kopf aus der Nordsee.“

Gregg sah den örtlichen MI7-Leiter an.

Hank sagte nichts dazu.

Gregg seufzte: „Leute wie Townsen und Boldwin sind Geschmeiß, Hank. Das sind beides Ratten, wie sie in einem solchen UAW-Konstrukt nun mal vorkommen. Ich wäre der Letzte, der ihnen nachtrauert oder auch nur in Erfahrung bringen will, wer sie beseitigt hat. Obwohl ich dabei einen starken Verdacht habe.“

Hank atmete innerlich auf: „Was ist dein Ziel, Gregg?“

Der General seufzte: „Sagen wir so: Ich habe festgestellt, dass mir der Admiral ziemlich wichtig ist. Der Mann war ein stabilisierendes Element unserer UAW-Führung. Weiterhin habe ich ein starkes persönliches Inte­resse an ihm. Das ist mir jetzt klar geworden.“

Der General beugte sich in Richtung Hank vor: „Wo ist Tony?“

Hank hob die Augenbrauen. Daher wehte der Wind.

„Ich weiß nicht, wo Tony ist“, sagte er langsam. „Tony ist mein Freund und ich lasse nichts unversucht, um ihn zu finden. Aber er ist verschwun­den. Meine Möglichkeiten sind schon enorm und auch Townsen hat ihn nicht wiederfinden können. Für mich ein absolutes Unding. Ja, er muss Hilfe auf dieser Insel gehabt haben. Da bin ich bei dir, Gregg. Aber ich war es nicht. Ich will ihn ebenfalls finden.“

Gregg sah den jungen Mann lange an: „Ich glaube dir, Hank. Und wenn du mir versprichst, etwas Bestimmtes zu tun, bist du mich auch wieder los.“

„Was soll ich tun?“

General Gregg Hemsworth wurde sehr ernst: „Wenn du ihn findest, Hank, dann will ich mit ihm sprechen. Mehr nicht.“

„Und wenn er nicht will?“

„Du bist sein Freund, Hank. Er wird es tun, wenn du es versprochen hast. Trotzdem auch von mir eine Zusage: Ich werde niemandem erzäh­len, dass ich mit ihm gesprochen habe. Militärisches Ehrenwort als Offi­zier.“

„Okay, ich mach’s. Allerdings suche ich schon ziemlich lange und habe keinen Erfolg.“

„Vielleicht meldet er sich bei dir. Ihr habt doch Möglichkeiten beim MI7.“

Gregg erhob sich und Hank stand ebenfalls auf.

„Danke für deinen Besuch und dein Vertrauen, Gregg.“

Der General schüttelte ihm die Hand – ein ziemlich fester Händedruck: „Wir sollten zusammenhalten, Hank. Sonst gerät diese Welt aus den Fu­gen.“

Gregg verließ das Büro, warf Paula noch ein Kompliment zu und war dann weg.

„Welch ein charismatischer Mann“, schwärmte Paula anschließend.

„Man sagt ihm nach, dass er was mit der Präsidentin hat“, sagte Hank.

Paula machte einen Schmollmund, dann sagte sie: „Ja, würde passen. Kann ich mir ganz gut vorstellen. Ich bin ja gespannt, wen sie jetzt hier zum Leiter der Space-Navy machen.“

„Ich denke, da dreht der Herr General mit am Rädchen. Es scheint mir, dass er Einfluss auf die Präsidentin hat“, vermutete Hank.

Paula zuckte mit den Schultern: „Wenn er mit ihr die Kopfkissen zer­wühlt – kein Wunder.“

Hank grinste.

 

21.01.2060, 09:15 Uhr Bordzeit, CYGNE, Kantine:

 

Frühbesprechung nannte Tony Winter die Zusammenkunft aller Crew­mit­glieder um diese Uhrzeit in der Kantine. Sie hatten einen Teil von Arbeitsdroiden abteilen lassen, sodass man sich etwas wohler fühlte und die Stimmen nicht quer durch den großen Saal hallten. Jeder hatte sich ein Getränk seiner Wahl besorgt und wartete auf den ‚Startschuss‘ von Tony Winter.

„Guten Morgen zusammen. Alle gut geschlafen? Besonderheiten?“

Tony sah sich um und dabei in optimistische Gesichter. Nein, es hatte in der Nacht keine Besonderheiten gegeben.

„Ich habe von der Präsidentin geträumt“, gab Steven Huxley zu.

Ironische Laute waren zu hören und am heftigsten von Ina Rott: „War sie gut?“

„Ich habe sie in den Arsch getreten“, sagte Steven schnell, bevor die Fan­tasie jetzt mit allen in eine völlig falsche Richtung ging. Es wurde gelacht.

„Ich habe mich in den letzten Tagen etwas mit der KI beschäftigt“, gab Tony Winter bekannt, als es wieder ruhiger wurde. „Ich habe mal ver­sucht, mir einen Überblick über die Galaxie zu verschaffen.“

Elana sah den Mann skeptisch an und Tony bemerkte das: „Genau – keine Chance. Das gibt es keinen Überblick. Ich habe herausgefunden, dass wir ziemlich exakt fünf Monate unterwegs sein werden, bis wir das WALAN-System erreicht haben. Weiterhin trägt zumindest einer der Pla­neten in jedem fünften System Leben in irgendeiner Art. In jedem zwanzigsten System gibt es Überlebensmöglichkeiten für den Menschen. Gut oder schlecht ist dabei was anderes. Aber man könnte dort siedeln. Nur selten findet man Planeten wie die Erde mit einer so reichhaltigen Fauna und Flora.“

„Andere Intelligenzen?“, fragte Lara Horn.

„Wie mir Moki berichtete, war zu seiner Zeit des Abfluges die überlicht­schnelle Raumfahrt unbekannt. Insofern liegen da keine Berichte vor. Er selbst gibt aber an, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass wir allein im All sind. Er selbst hat auf dem Hinflug zu unserem System Anhalts­punkte dafür gefunden, auch Anhaltspunkte für kriegerische Auseinan­der­setzungen, ging ihnen aber aus Zeitgründen nicht nach.“

Tony sah sich um.

„Okay, Max hat angeraten, dass wir nicht nur mit diesen elf Personen losfliegen. Wir sind wahrscheinlich mit Hin- und Rückflug sowie mög­licher­weise einem Aufenthalt fast ein Jahr unterwegs. Das führt un­weiger­lich zu Spannungen. Eine breiter aufgestellte Crew würde das Pro­blem minimieren. Weiterhin sollten wir auf der Erde, von Lara angeregt, Pflanzensamen mitbringen und ja, auch Lebensmittel und Gebrauchs­güter. Inwieweit sie hier an Bord herzustellen sind, werden wir dann sehen. Jedenfalls wird Moki in der Lage sein, diese Materialien zu analy­sieren und kann so für eine Nachproduktion sorgen. Wir haben eine Liste aller Samen und sonstigen Gegenstände, die wir auf der Erde besorgen müssen.“

Bei dem Begriff ‚besorgen‘ mussten alle grinsen. Niemand von ihnen konnte riskieren, irgendwo aufzufallen. Sie mussten sich das Zeugs schon irgendwie nehmen, ohne jemanden zu fragen oder gar zu bezahlen. In Anbetracht der Umstände machte ihnen das nichts aus.

„Wen nehmen wir mit?“, stellte Tony Winter die alles entscheidende Frage.

„Die Leute, die entscheidend dafür gesorgt haben, dass wir loskönnen und denen wir so etwas gönnen?“, stellte Emma zur Diskussion.

„Ja, warum nicht“, gab Tony zurück.

„Dann bin ich für Flight und seine Tochter“, sprach Emma aus.

Huxley bekam bei dem Gedanken an Arabella Gedanken, die da eigent­lich nicht hingehörten: „Ja, gute Idee. Dan Kowalski und seine Tochter.“

„Ach was“, tönte da Ina. „Du bist scharf auf Arabella.“

„Und wenn? Ein Jahr ist eine lange Zeit. Und du kannst ja gut rum­tönen“, feixte Steven zurück.

„Ich notiere Dan und Arabella“, sagte Tony. „Mit Arabella bekommen wir eine zweite Pilotin und Dan hat allgemein viel Ahnung. Weiter …“

„Wir sollten Hank fragen“, warf Hanna etwas schüchtern ein. „Er ist dein Freund und macht sich sicherlich schon jede Menge Sorgen.“

Tony nickte: „Hätte ich vorgeschlagen. Hast du jemanden, Hanna?“

„Ja, würde hier aber nicht reinpassen – nein“, sagte sie.

Tony fragte jeden und zu seiner Überraschung sagten fast alle nichts da­zu.

„Wer alles hinter sich lässt und das Risiko eingeht, nicht zurückzukehren, der hat in der Regel keine starke Bindung“, traf es Lars Witte den Nagel auf den Kopf. „Das wären dann nämlich die Leute, die man gern hier hätte.“

Lara hob fast schüchtern eine Hand: „Meinen Vater hätte ich gern hier. Er wollte zum Jahreswechsel die Leitung des Krankenhauses abgeben und wird es auch getan haben. Wir wollen doch eine heterogene Truppe. Er vertritt die ältere Generation.“

Tony nickte Lara zu: „Okay, nehmen wir ihn mit.“

Tony fiel auf, dass Felipe nachdenklich war: „Felipe?“

„Ich denke daran, neben Waffen auch Leute mitzunehmen, die kämpfen können. Nennt mich einen Pessimisten, aber fünf Monate von zu Hause entfernt, braucht es ein wenig, bis Hilfe kommt.“

„Du hast jemanden spezielles im Auge?“

„Es gibt einen Stützpunkt auf einer Insel. Zwei Gruppen Marines und jede Menge Ausrüstung. Die beiden Marine-Führer sind Freunde von mir.“

„Du hast Freunde?“, fragte Elana und hob eine Augenbraue.

Felipe lächelte dünn: „Wir versprachen uns mal etwas. Als es uns allen ziemlich dreckig ging. Das einzuhalten ist Freundschaft.“

„Wie gehen wir da ran?“, fragte Tony.

„Wir haben drei Piloten“, gab Emma zurück. „Und ich denke, dass wir, gerade was die Ausrüstung von Felipe betrifft, vielleicht ein paar Mal flie­gen müssen.“

„Felipe machen wir eventuell zum Schluss“, gab Tony zurück. „Das sind mir ein paar viele Personen. Zuerst Hank, Dan und Arabella – mein Part. Lars kann den Transporter fliegen. Daneben besorgen wir noch die Sa­chen. Diese zuerst, dann die Leute. Auf geht’s.“

 

  22.01.2060, 02:30 Uhr, Zentrallager eines Discounters in Nordamerika:

 

Moki hatte ihnen einen speziellen Droiden mitgegeben: kaum einen Meter hoch und in Grenzen humanoid. Allerdings dafür mit einer ausge­prägten KI. Lars mit seinem speziellen Humor hatte ihn Dietrich getauft. Nun Dietrich konnte ihnen überall Zutritt verschaffen und hatte auch noch die Gabe, Alarmanlagen aller Art auszuschalten.

Lars landete den Transporter auf einem freien Feld direkt neben dem Großlager. Dietrich hatte sich zuvor in das digitale Lager eingeloggt und nun konnte man sich praktisch aussuchen, was man mitnehmen wollte. Mit an Bord bei dieser Beschaffungsmission waren Lars, wie bereits er­wähnt, Max, Felipe und Tony. Der Transporter blieb getarnt, während die vier Männer nebst einem halbhohen Droiden auf das Eingangstor zugingen.

„Die Alarmanlage ist aus?“, fragte Tony sicherheitshalber nach.

„Die Alarmanlage ist offline und alle 93 Kameras zeigen das Bild, wel­ches sie vor fünf Minuten aufgenommen haben“, erklärte Dietrich. „Wir können in dieses Gebäude gelangen, ohne dass dies weitergemeldet wird.“

„Ah, schön, schön“, gab Tony Winter von sich. Er hätte niemals gedacht, dass er als gewöhnlicher Dieb mal irgendwo straffällig würde. Alle hatten sie leichte Raumanzüge an, um keine DNA oder sonstige Spuren zu hin­terlassen. Das Tor glitt nach der Manipulation durch Dietrich auf. Die Missionsteilnehmer setzten ihre Brillen auf. Der ‚Tatort‘ wurde für sie hell.

„Was haben wir als Erstes?“, fragte Tony und holte einen Zettel hervor. „Mehl. Dietrich?“

„Da vorn, Sir.“

„Hier ist ein Gabelstapler“, frohlockte Lars und enterte das Teil. Mit Schwung fuhr er damit hinter den Mitstreitern her. Sie mussten mehrfach mit dem Stapler zum Transporter fahren, bis alle Dinge auf der Liste abgehakt waren. Dann kamen noch ein paar persönlich Dinge hinzu, was Tony gern gestattete. Schließlich war nach fünf Stunden alles erledigt. Allerdings war der Transporter eine Weile unbeobachtet geblieben. Und es war nicht so, dass man bis ganz dicht herankonnte und sah Dank der Tarnung immer noch nichts. Aus fünf Metern Abstand wurde das Ding sichtbar. Die Physik hatte Grenzen. Die Crew ahnte nichts, als sie das Lager verschlossen, alles wieder online brachten und dann in Richtung CYGNE startete.

Sie kamen am späten Nachmittag, Ortszeit Tatort, hundemüde an.

„Wenn ihr das mithilfe der Droiden ausladen und einlagern könntet? Es sind auch jede Menge Samen dabei, Getränke aller Art und so weiter. Em­ma, organisier das bitte“, sagte Tony. „Wir gehen erst einmal zu Bett.“

Emma übernahm das Kommando und schickte erst einmal Steven Hux­ley in den Transporter, um eine grobe Feststellung zu treffen.

„Ordentlich ist was anderes“, sagte Huxley, als er die recht durcheinan­der­gewürfelten Kartons und Säcke sah. Hin und wieder fand er auch Beutel mit mehreren Tütchen drin.

Hatte er da eine Bewegung gesehen?

Steven blinzelte mit den Augen.

Das war etwas Kleines gewesen – keine Gefahr also.

Steven schaute genauer nach und räumte ein paar Sachen zur Seite.

„Was ist denn da?“, murmelte er vor sich hin. Dann …

 

„Wie groß muss der Lagerraum sein?“, fragte Emma, als ihr Steven über eine Rampe entgegenkam. Man hatte entdeckt, dass die Landebeine ein­ge­zogen werden konnten. So würde man ein Be- und Entladen über eine schiefe Ebene durchführen können, was wesentlich bequemer war.

„Was hast du denn da?“

„Einen blinden Passagier, Emma.“

„Oh, nein“, Emma schmolz dahin, als sie ein schwarzes Kätzchen mit einem weißen Brusttupfer sah. „So klein noch?“ Ganz behutsam nahm sie Steven die kleine Katze aus den Händen. Große Augen schienen sie zu bitten: ‚Tut mir nicht weh‘. Sie miaute kläglich.

„Sie wird Hunger und Durst haben“, stellte Emma fest. Der Transporter und das Ladegut schienen vergessen. „Hol man ein klein wenig von der Proteinnahrung. Das müsste gehen. Ich besorge Wasser. Und trommel die Crew zusammen, bis auf unsere Schläfer.“

Huxley rannte davon.

Wenig später wurden alle in der Kantine, bis auf Lars, Max und Tony, Zeugen, wie das Kätzchen mit großem Hunger fraß und auch das Wasser nahm. Dann sprang sie Claire auf den Schoß, rollte sich zusammen und schlief ein.

Man war einer Meinung: Der Flug würde auf keinen Fall ohne Katze stattfinden.

„Wir haben noch was zu tun“, stellte Emma fest. „Katzenmama ist bis auf Weiteres Claire.“

„Isch freue misch!“

Man ging daran, den Transporter zu entladen.

 

Sehr viel später:

 

„Aus psychologischer Sicht begrüße ich die Anwesenheit einer Bord­katze ausdrücklich“, stellte Max Anderbrügge fest. Hanna stand neben Tony und streichelte dessen Arm. Für den Admiral, vielleicht auch Ex-Admiral, war dies ein humoriger Einschub. Er lachte: „Aufgabe an die Technik: Baut ein Katzenklo. Ist es ein Kater oder eine Katze. Wie soll das Tier heißen?“

„Wir ’aben abgestimmt“, sagte Claire. „Wir möchten sie Sputnik taufen.“

„Wenn wir vielleicht beim nächsten Anflug etwas Katzenstreu …?“, fragte Lars an.

Tony sah ihn an: „Katzenstreu?“

„Für das Katzenklo.“

Tony nickte ergeben. „Wir haben keine anderen Sorgen – Katzenstreu, okay.“

 

24.01.2060, 10:11 Uhr, Isle of Man, UAW Navy-Center:

 

Hank zermarterte sich seit Tagen schon das Hirn, wie er an eine Spur von Tony Winter kommen sollte. Auf der Erde gab es Millionen von Überwachungskameras. Wahrscheinlich ging die Anzahl in die Milliar­den. Und der MI7 hatte Zugriff auf mindestens 98% von ihnen. Seit Wochen lief ein Suchprogramm – Gesichtserkennung. Tony und Hanna waren in der Programmierung enthalten. Irgendwo mussten sie doch reinlaufen, verdammt noch mal.

Sein Sprechgerät knackte: „Hank, kommst du mal bitte? Das ist merk­würdig hier.“

Hank fragte gar nicht nach und stand sofort auf. Er durchquerte sein Büro und stand vor dem Schreibtisch von Paula. Sie zeigte auf ihren Rechner: „Hier.“ Hank umrundete diesen und stand hinter ihr. Sie hatte seinen Kalender geöffnet.

„Ich könnte schwören, dass der Termin heute Nachmittag um 13:45 heute Morgen noch nicht drinstand. Hast du ihn eingetragen?“

Hank verneinte und beide schauten genauer hin.

„Kurz vor Calf of Man ganz im Süden von Isle of Man“, sagte Hank fassungslos und dachte: Da gibt es doch nur noch ein paar Felsen. Wer will sich denn dort mit mir treffen?

Calf of Man war so ziemlich die südlichste Insel unterhalb von Isle of Man. Dank des erhöhten Meeresspiegels hatte Hank völlig recht.

„Da“, sagte Paula und auf dem Bildschirm blinkte was. Neben dem Termin wurden die Buchstaben TWW blinkend eine kurze Zeit ange­zeigt. Dann verschwanden sie. Kurz darauf begann der Termin zu blin­ken und verschwand ebenfalls. Paula sah neben sich und sah einen leichenblassen Hank.

„Was …?“

„Pst“, sagte er und nahm Paula an die Hand. Sie stand auf und ließ sich von ihrem Freund in das andere Büro ziehen. Hank stellte Verschluss­zustand ein und aktivierte die Abhörsicherung.

„Was bedeutet das?“, fragte sie erschrocken.

„Keine Ahnung, aber ich werde da sein.“

„Meine Güte, warum? Du begibst dich in Gefahr, Hank.“ Paula war in wirklicher Sorge. Die anderen Geheimdienstler konnten mit Sicherheit auch austeilen. Sie redete beschwörend auf Hank ein.

„Weißt du, was die Buchstaben TWW bedeuten, Paula?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Aber ich: Tony William Winter.“

„Die Initialen können auch andere senden“, gab sie zu bedenken.

„Zugegeben weiß ich nicht, wie man das technisch gemacht hat, schließ­lich sind unsere Rechner geschützt, aber niemand weiß vom Namen William dazwischen. Und er heißt auch nicht so. Mir gegenüber hat er mal zugegeben, dass er als zweiten Vornamen gern William geheißen hätte – das weiß nur ich. Das wäre ein Erkennungszeichen bei einem Kom­munikationsversuch.“

Paula sah nachdenklich aus: „Es hat wohl keinen Zweck, dich abhalten zu wollen?“

„Nein.“

„Sei vorsichtig.“

„Das bin ich schon wegen des Wetters.“

Hank schaute missmutig aus dem Bürofenster. Es war stürmisch draußen und gut und gern fünf Grad unter Null. Der Boden war gefroren und geschneit hatte es auch. Er würde einen der neuen Land Rover nehmen und am besten kalkulierte er für die knapp 30 Kilometer mal so zweiein­halb Stunden ein. Streuwagen und so gab es hier nämlich nicht.

 

Die Fahrt ins südliche Isle of Man war ein Höllentrip. Die Straßen ver­eist, glatt und stellenweise so mit Schneeverwehungen zu, dass Hank stellenweise richtig Anlauf nehmen musste, um mit dem schweren Fahr­zeug durchzubrechen. Der Wagen half dabei, auf der Straße zu bleiben, denn auch diese war kaum zu erkennen. Hank bekam den Weg als HUD auf seine Windschutzscheibe gespiegelt und hin und wieder half das Assistenzsystem sogar mit.

Hank brauchte drei Stunden und es war gut, dass er fast sofort losgefah­ren war, sonst hätte er den Termin nicht halten können. Hank ging fest davon aus, dass er Tony wiedersehen würde. Auf der anderen Seite stand sein nüchterner Verstand dagegen. Wie sollte der Admiral auf diesen Teil der Insel gelangen, ohne aufzufallen. Das war ein Ding der Unmöglich­keit. Stellenweise schaltete die Automatik die Scheinwerfer ein. Hank bekam es nicht mit, aber die Automatik spiegelte ihm dann die Sicht direkt auf die Windschutzscheibe. So konnte er sehen, wohin er das Fahrzeug lenkte. Um 13:40 Uhr stellte er den Wagen aufatmend ab. Hank konnte zwar durch die Windschutzscheibe seines Fahrzeugs, über die die Scheibenwischer stetig hin- und herkratzten, fast nichts sehen, aber die schemati­sche Darstellung auf seinem HUD signalisierte ihm, dass die Straße zehn Meter weiter in die Nordsee führte. Hier war Ende mit Isle of Man. Er hatte sein Ziel erreicht – vorläufig.

Was jetzt? Worauf wartete er? Worauf sollte er warten?

Es dauerte und Hank hatte die stetige Konzentration beim Fahren in den letzten Stunden stark ermüdet. Mit rot geränderten Augen starrte er aus dem Fenster. Dieses Diffuse über dem Meer. Er sah Schnee ohne Ende seitlich vorbeiziehen, angepeitscht vom Wind. Dazwischen peitschte der Wind die Wellen gegen das felsige Ufer. Hank hatte manchmal den Ein­druck, das Wasser wollte ihn und seinen Wagen verschlingen. Seine Fan­tasie spielte ihm immer wieder vor, dass da draußen …

Es klopfte an seinem Wagen auf der linken Seite und Hank schrak fürchterlich zusammen. Er hatte nicht aufgepasst. Erschrocken starrte er zum Beifahrerfenster. Dort stand ein Mann, mehr konnte er nicht sehen. Dieser lüftete für einen Moment die schützende Kapuze und Hank sah das Gesicht von Tony, mit dem spärlichen Haarkranz. Sofort drückte Hank auf den Öffnungsmechanismus des Wagens und Tony riss die Tür auf, schwang sich und eisigen Wind dazu, auf den Beifahrersitz und schlug die Tür zu.

Tony schaute nach vorn und nahm langsam die Kapuze ab. Dann drehte er sich zu Hank: „Hallo, mein Freund.“

Hank schaute seinen väterlichen Freund nur an. Ihm kam kein Ton von den Lippen.

„Hank, ich möchte dich fragen, ob du bereit bist für das größte Aben­teuer deines Lebens?“

„Es ist schön, dich zu sehen“, sagte dann endlich auch Hank etwas. „Das größte Abenteuer erlebe ich als Leiter des MI7 auf Isle of Man.“

„Ich glaube nicht, Hank. Darf ich dich vom Gegenteil überzeugen?“

„Ich bin gespannt“, sagte der jüngere Mann.

„Du wirst die Behaglichkeit dieses Fahrzeugs für einen Augenblick ver­las­sen müssen.“

„Ich bin nicht aus Zucker, Tony.“

Tony sah seinen jüngeren Freund immer noch an: „Vertraust du mir, Hank?“

„Unbedingt.“

„Dann komm und öffne deinen Geist.“ Tony schlug die Kapuze über den Kopf und stieg aus dem Wagen. Hank machte seine Jacke zu und verließ ebenfalls den Range Rover. Er beeilte sich durch den Sturm um das Fahrzeug herum in Richtung Tony zu gelangen.

Tony war schon ein paar Meter vorgegangen. Dann prallte Hank zurück: Vor ihm entstand aus dem Nichts ein länglicher und hoher Körper.

„Weitergehen, Hank. Du vertraust mir. Denk dran. Immer weiter!“

Hank bewegte sich wie in Trance und ging eine Gangway hoch auf eine Öffnung zu. Licht empfing ihn dort. Als er über die Schwelle trat, meinte er für einen kurzen Augenblick, durch Gummi zu gehen. Als er durch war, fehlten der eisige Wind und die Kälte. Es war angenehm warm und vor ihm stand Tony.

„Was ist das hier? Wie kann das unbemerkt nach Isle of Man kommen?“

„Komm bitte mit, ich werde dir alle erklären.“

Hank folgte seinem Freund und ließ seinen Blick schweifen. Sowas hatte er noch nie gesehen. Über eine kurze Treppe kamen sie auf das nächste Deck und von dort ging es noch eine Etage höher.

„Dreht ihr euch mal um, bitte“, sagte Tony zu drei weiteren Personen.

Im gleichen Augenblick bekam Hank Schnappatmung. Er erkannte auf Anhieb Emma McDoubt, Felipe Gonzo und Ina Rott. Die mussten doch …

„Eine durchaus etwas längere Geschichte, Hank. Und eine fantastische dazu. Lass dich aufklären …“

 

Nach einer Stunde wusste Hank das Gröbste. Der Mann war reichlich geflasht. Als Sicherheitschef hatte er gedacht, so leicht nicht mehr über­rascht zu werden. Hier war er es maßlos. Oumuamua ein Raumschiff – welch eine Vorstellung. Man war nicht allein im Weltraum. Auch eine Erkenntnis, die so manchen bis ins Mark erschüttern würde. Aber Hank war ein sehr pragmatischer Mann. Er beschloss, diese Tatsachen so hin­zunehmen und sich danach zu richten: „Warum das Treffen hier, Tony?“

„Hank, der Grund, warum ich mit dir sprechen will, ist, dass ich dich mit­nehmen will. Leute, die mir zugearbeitet haben, leben im Moment nicht besonders gut bis gefährlich. Weiterhin spielt ebenfalls eine Rolle, das will ich nicht verheimlichen, dass wir etwa ein Jahr unterwegs sein werden. Niemand, auch unsere KI nicht, kann uns sagen, was an unse­rem Ziel auf uns wartet. Max Anderbrügge hält eine Vergrößerung der Crew für psychologisch sinnvoll, zumal wir reichlich Platz haben.“

Hank dachte kurz nach und Tony schob nach: „Man hat sogar Jagd auf mich gemacht.“

„Salvatore Townsen?“

„Ja? Woher weißt du das?“, Tony war erstaunt.

„Sagen wir so“, begann Hank. „Du hast einen Freund im dichten Um­kreis von Präsidentin Rebecca Miller.“

Tony zog die Augenbrauen hoch: „Gregg Hemsworth.“

„Ja“, sagte Hank. „Ich musste ein wenig nachhelfen, denn der General war nicht vorsichtig genug. Er traf sich beim Golf mit zwielichtigen Ge­stalten. Ich schaltete eine davon aus. Der General geriet ins Plaudern und so erfuhr ich vom Interesse der Ratte an deiner Person.“

„Und?“, fragte Tony und auch Felipe wurde hellhörig.

„Sagen wir so“, erzählte Hank im normalen Tonfall. „Der Chef des Ge­heimdienstes, sein Chauffeur und drei seiner Bodyguards lagen am nächs­ten Tag im Kofferraum seines Dienstwagens. Das Fahrzeug war im Parkverbot vor dem UAW-Tower abgestellt.“

Felipe drängte sich vor: „Soll das heißen, dass die Ratte nicht mehr lebt?“

Hank zuckte mit den Schultern: „Seit mehreren Stunden kam für diese jede Hilfe zu spät, Schatten.“

Felipe grinste, als er mit seinem Kampfnamen angesprochen wurde. Trotzdem verzog er anschließend missmutig die Lippen.

„Du hättest ihn gern selbst …?“

Felipe nickte.

„Sorry, aber ich konnte jetzt nicht wissen, dass du von den Toten wieder­auferstehst, Felipe.“

Der Portugiese winkte ab: „Geschenkt. Trotzdem mein Kompliment.“

Hank wandte sich an Tony: „Dein Ersatzmann vergriff sich an Paula. Die Gute verschaffte ihm eine Anklage wegen sexueller Nötigung. Als er daraufhin drohte, fand man ihn, welch Wunder, zwei Tage später ange­spült an der britischen Küste mit einem Loch im Kopf.“

„Paula ist pfiffig“, sagte Tony.

„Und meine Partnerin/Freundin“, bekräftigte Hank.

„Die Einladung gilt auch für sie“, versicherte Tony schnell.

Hank war dankbar: „Ich wäre nicht ohne sie mitgekommen. Aber da ist noch Fergus Doyle und seine Familie. Wenn ich verschwinde, steht er auf verlorenem Posten.“

„Auch mitnehmen“, entscheid Tony kurzerhand. „Ich dachte auch noch an Dan Kowalski und seine Tochter Arabella. Dazu diese Leute, die Ou­muamua wiederentdeckt haben. Wie hießen die noch?“

Hank zog eine Augenbraue hoch: „Fitz Ahinger und Omal Tarawex. Gute Wahl.“

„Dein Job, Hank. Bring sie hierhin – morgen Mittag. Ich gebe dir ein Funkgerät. Wenn etwas dazwischenkommt, oder ihr in Gefahr geratet, meldest du dich.“

„Okay“, sagte Hank.

Sie berieten noch eine ganze Zeit und stellten Pläne auf, dann stand Hank auf. „Ihr wartet hier so lange?“

„Nein, wir müssen noch etwas besorgen.“

„Was denn?“

„Katzenstreu“