13. Gregg Hemsworth

 

21.01.2060, 16:30 Uhr, UAW-Navy-Center, Isle of Man:

 

Paula flog Hank so quasi in die Arme: „Ich habe mir solche Sorgen ge­macht, Hank. Hast du …?“ Sie ließ die Worte offen, denn nur Hanks Büro war tatsächlich abhörsicher. Er zog sie auch sofort dorthin und schaltete die Technik ein.

„Ja, ich habe Tony getroffen“, gab er zu und Paula riss die Augen auf.

„Paula, es kommt jetzt sicherlich etwas überraschend und vielleicht auch viel zu früh. Aber ich muss jetzt wissen, wie du zu mir stehst.“

Paula wollte, aber die Augen gingen nicht noch weiter auf: „Äh, wie meinst du das?“

„Ich möchte dich fragen, ob du dein weiteres Leben mit mir verbringen möchtest – zumindest die nächsten Jahre, wenn du dich nicht endgültig festlegen möchtest.“

Ihre Augen gingen etwas weiter zu: „War das jetzt ein Heiratsantrag mit einem Vertrag über Gütertrennung?“

„Nein, nein“, winkte Hank ab. „Ich habe mich unklar ausgedrückt.“

„Hank, ich liebe dich. Warum sagst du mir nicht einfach, was du willst oder um was es geht, Hank.“

Hank war perplex. Das hatte ihm Paula zum ersten Mal gesagt.

„Nun?“ Paula hatte die Arme in die Hüften gestemmt. Ihre ganze Mimik und Gestik waren eine einzige Frage.

Hank wackelte mit dem Kopf und wusste nicht so recht, wie er sich ausdrücken sollte: „Gut, ich wollte dich fragen, ob du dir vorstellen kannst, mit mir und anderen zusammen in einem großen Raumschiff mit reichlich Luxus ein Jahr lang durch das Weltall zu fliegen.“

Paulas Gesicht – unbeschreiblich: „Sag mal, Hank. Hast du an Lack ge­schnüffelt oder so?“

Hank grinste. Dann erzählte er Paula in Kurzform die Story der STAR­HUNTER-Crew. Paula musste sich setzen. Das war ein echter Hammer. „Krass. Das größte Abenteuer überhaupt. Ich bin dabei, Hank. Deinet­wegen und wegen des Abenteuers.“

Hank küsste Paula.

„Nicht ohne Rita?“

„Was?“

„Meine beste Freundin. Sie hat es gerade sehr schwer. Ich möchte sie mit­nehmen.“

„Okay“, sagte Hank langsam und überlegte, ob Tony damit wohl einver­standen war. „Dann lass uns überlegen, wie wir das machen.“

 

Sie beratschlagten eine Weile, dann war die ganze Aktion mit den Mög­lichkeiten des MI7 durchaus machbar, wenn sie nicht allzu tölpelhaft vor­gingen.

Paula ging nach nebenan und sprach mit Suzan Doyle per Telefon: „Ihr wisst es zwar noch nicht, aber wir sind ab 20:00 Uhr eure Gäste. Ja, Hank und ich. Keine Umstände, bitte. Es ist wichtig.“

Rita bekam die Anweisung, sich morgen früh auf Isle of Man einzufin­den. Ein spezieller Ausweis würde für sie auf dem Zubringerschiff hin­terlegt sein, Paula würde sie vom Kai abholen. Etwas Kleidung wäre nicht schlecht.

Hank telefonierte mit Ozzy und Fitz: „Ja, in wettergerechter Kleidung morgen um 10:30 Uhr bei mir.“ Hank grinste, weil er damit wohl zwei völlig ratlose Nerds zurückließ, aber jeder würde eventuell dieses Aben­teuer ausschlagen – nur nicht diese beiden.

Danach organisierte Hank noch einen Kleinbus zu seiner Verfügung. Beim MI7-Leiter wagte niemand nachzufragen, zumal eine Führung sich in letzter Zeit rarmachte. Trotzdem hatte Hank Sorgen. Es war nicht auszuschließen, dass noch ein Informant des Geheimdienstes irgendwo hockte und sich seine Gedanken machte und diese weitermeldete. Ihm würde wohler sein, wenn er in Sichtweite von Tonys Schiff war.

 

20:00 Uhr, vor dem Hause der Doyles:

 

„Kommt rein und seid bitte leise. Sie schlafen.“ Suzan Doyle empfing sie an der Tür.

„Oh, schade“, sagte Paula und meinte die beiden Babys der Doyles. Hank schaute einen Augenblick irritiert. Suzan führte die beiden Besucher in den Wohnraum und schaute fragend auf die größere Tasche, die Hank mitgebracht hatte. Im Wohnraum wartete schon Fergus, der aufsprang und sie begrüßen – wollte.

Hank legte einen Zeigefinger senkrecht vor seine Lippe – das ultimative Zeichen für – Schweigen, bitte. Fergus betrachtete interessiert, wie Hank ein größeres Gerät aus der Umverpackung nahm und es an den Strom anschloss. Fergus nickte leicht. Er kannte das Gerät: ein Störer für Ab­hör­anlagen. Für den Menschen nicht zu hören, machte es erbärmlich viel Krach.

Hank begrüßte anschließend Fergus: „Sorry, dass wir uns selbst einladen, aber es ist wichtig.“

„Ich habe euch gern hier“, lächelte Suzan. Sie war immer noch überaus dankbar für die medizinische Betreuung und überhaupt für die Aufnah­me auf dieser Insel. Und das Ganze war natürlich eng verknüpft mit der Person Hank Smith. Kein Wunder also, dass man die Selbsteinladung von Hank und Paula klaglos akzeptiert hatte und sich sogar noch freute.

Paula war gespannt, wie Hank die Neuigkeiten verkaufen würde.

Fergus bat alle Platz zu nehmen, und fragte nach Getränkewünschen.

„Oder was Härteres?“ Mit dem Kopf zeigte er zu der von Hank instal­lierten Anlage.

„Musst du gleich entscheiden“, sagte Hank. „Warte erst einmal ab. Wir können danach etwas trinken.“

„Darf ich bleiben?“, fragte Suzan etwas verschüchtert.

„Natürlich“, beruhigte sie Paula.

„Es geht um euch beide, beziehungsweise um euch vier“, bemerkte Hank. „Wie soll ich sagen? Wir sind hier in einer etwas prekären Lage. Wir haben noch keinen neuen Leiter des Centers und mit dem Geheim­dienst haben wir es uns verscherzt. Ich hatte einen Termin mit unserem Interimsleiter, General Hemsworth. Für ihn war das klar, wer für gewisse Dinge verantwortlich ist.“ Hank sprach es wegen Suzan und Paula nicht allzu deutlich aus.

„Wir müssen hier weg. Alle vier bzw. dann alle sechs.“

Suzan hatte Tränen in den Augen. Sie hatten sich mit den beiden Kleinen recht gut eingelebt und wollte das so mühevoll erlangte Nest nicht gleich wieder aufgeben.

Hank spürte, dass er jetzt nachlegen musste: „Haltet euch fest: Admiral Tony Winter hat sich bei mir gemeldet.“

Suzan schaute nur fragend und Fergus wurde hellhörig. Er hatte den Mann einmal (in natura) erlebt und fand ihn auf den ersten Blick sym­pathisch, weil auch er seiner Familie spontan geholfen hatte.

„Er hat mir angeboten, mich und eine ausgewählte Anzahl anderer Leute mitzunehmen – dorthin, wo wir sicher sind und du, Suzan, in Ruhe deine Kinder aufziehen kannst“, wandte sich Hank direkt an die junge Mutter und ihre Nöte.

„Wo ist denn das?“, fragte Fergus.

Hank flüchtete sich in eine Notlüge: „Genau hat er mir das auch nicht gesagt. Aber ich vertraue ihm. Paula und ich gehen mit.“

„Dann haben wir hier auch keine Chance, Suzan“, sagte Fergus zu seiner Frau.

Suzan sah Hank an: „Eine schwierige Zeit. Aber wir gehen mit. Ich ver­traue euch. Wann geht es los?“

„Morgen 09:30 Uhr. Fergus kann morgen schon mal einen Koffer mit­bringen. Wir holen dich mit den Babys ab – Hintereingang.“

„Das wird eine Flucht, was?“

Hank öffnete beide Hände: „Lasst uns vorsichtig sein und kein Wort zu anderen Leuten.“

„Wer kommt noch mit?“, wollte Fergus wissen.

„Fitz Ahinger und ein gewisser Ozzy, ich kann mir den Namen nicht merken“, gab Hank an.

„Und meine Freundin Rita“, sagte Paula lächelnd.

Hank sah seine Partnerin von der Seite an: „Davon weiß Tony zwar nichts, aber ich gehe davon aus, dass es ihm recht ist.“

„Ein Whisky in Ehren …“, sagte Fergus.

„Okay, einen“, stimmte Hank zu.

 

Hank hatte selbstverständlich auch eine entsprechende Bleibe auf Isle of Man und gelegentlich übernachtete Paula ebenfalls dort – wie heute. Als sie wenig später durch die Dunkelheit und dick eingemummt den Weg dorthin zurücklegten, hielt sich Paula nicht länger zurück: „Du hast ihnen nicht gesagt, dass wir so weit weg …“

„Es gibt keine Option für sie, Paula. Wir müssen sie mitnehmen. Egal wohin.“

Hank drehte sich ruckartig um und blieb stehen. Er glaubte, etwas be­merkt zu haben.

Ist da wer? “, fragte Paula besorgt und sehr leise.

Hank drehte sich wieder in Laufrichtung: „Nein, ich habe mich ge­täuscht.“

Gut, Hank hatte sich nicht getäuscht, aber er vermied es, Paula zu ängsti­gen. Er verriegelte seine Unterkunft – unauffällig und schaltete eine Alarm­anlage ein. Der nächste Tag würde heiß werden, da war er sich sicher.             

 

22.01.2060, 07:30 Uhr, Hanks Apartment:

 

„Ich dachte, ich solle Rita allein abholen?“

„Mit dem Wagen geht das schneller und ihr braucht nicht so weit durch das Wetter zu laufen“, wich Hank etwas aus.

„Die paar Meter …“ Paula sah ihren Freund an und dann bemerkte sie, dass er Sorgen hatte. „Okay.“

Es waren tatsächlich nur ein paar hundert Meter bis zu der Halle, aus der die Leute herauskamen, die morgens zur Arbeit zwischen Festland und Insel pendelten. Obwohl, England war genau genommen selbst eine Insel.

„Ich warte hier“, sagte Hank und Paula schwang sich aus dem Wagen. Er sah seiner Freundin hinterher. Selbst so dick eingemummelt machte sie immer noch eine tolle Figur.

Sein KOM-Gerät signalisierte einen Anruf. Es war Fergus.

„Fergi, alter Junge“, meldete sich Hank. Fergus quatschte nach der Be­grüßung, er nannte ihn Hanky, tat er sonst nie, redete etwas übers Wetter und dann über die Zwillinge. Für Hank war es klar, dass der Mann ihm was sagen wollte. „Die haben da zwei Eier in die Windeln gelegt, sowas habe ich noch nie gesehen.“

„Du wirst dich dran gewöhnen. Tue ich auch“, sagte Hank, hüstelte und unterbrach die Verbindung. Er hatte seinen Mitarbeiter verstanden. Zwei Leute waren auf der Insel, die Fergus unbekannt waren. Der Ausdruck Nest besagte, dass sie wohl in seinem Büro auf ihn warteten. Er nutzte sein Pad und rief die Zutrittsprotokolle der letzten Tage auf. Er kannte alle darauf – und Fergus auch. Damit wurde die Sache gefährlich. Wer sich hier unerkannt bewegen konnte, gehörte mit Sicherheit zum Ge­heim­dienst. Hank unterdrückte einen Fluch. Dann klopfte es an der Seitenscheibe seines Fahrzeugs. Er konnte gerade noch ein Zusammen­zucken vermeiden. Neben Paula stand eine etwas dürre Rothaarige mit einem breiten Lächeln. Er entriegelte das Fahrzeug und beide stiegen hinten ein.

„Hallo, ich bin Rita“, hörte Hank eine Alt-Stimme plappern. „Und das ist dein Hank? Mann, Hank, ich habe schon so viel von dir gehört.“

Hank schaute irritiert über den Rückspiegel auf seine Partnerin.

„Nur Gutes, nur Gutes“, winkte Paula ab.

Hank beschäftige sich mit dem Fahrzeug und hörte nur ganz leise Worte von hinten: „ Sieht geil aus … der ist … ganz schön scharf … hätte ich nicht ge­dacht … so oft, wirklich … und dann sooooo? “ Er hätte sich diesen spannen­den Themen, die offensichtlich ihn betrafen, etwas mehr gewidmet, aber da gab es noch ein anderes Problem. Er fuhr zurück zu seinem Apart­ment.

„Wir sind da“, verkündete er kurz darauf.

„Ich dachte, ich zeige Rita meinen Arbeitsplatz?“, sagte Paula ein wenig enttäuscht.

„Ich wollte ihn mir so gern ansehen“, drängte sich auch Rita zwischen die Sitze.

„Später, ich habe da noch einen Termin.“

Er hörte Paula seufzen. Offenbar hatte sie verstanden, um was es ging: „Los, Rita. Nachher. Das Haus dort hinten.“ Rita stieg aus und bevor Paula aussteigen konnte, sagte Hank: „Abschließen. Auf dem Tableau Verschlusszustand, okay?“

„Okay, Hank.“ Paula machte sich, Hank sah es, Sorgen.

Hank wartete, bis die Damen in seinem Apartment verschwunden waren. Dann nahm er sein spezielles Pad und schaltete es ein. Paula hatte im Vorzimmer ein kleines, künstliches Blumenbouquet stehen. Mitten da­rauf prangte ein kleiner Maikäfer. Und der hatte es in sich. In einem seiner Facettenaugen war eine Kamera eingebaut und in dem anderen ein Mikro. Beides steuerbar.

Zunächst hörte Hank über das Mikro nichts. Anschließend schaltete er die Kamera ein. Hank schüttelte den Kopf. Mittlerweile mussten die Kollegen vom Geheimdienst doch wissen, dass die Jungs vom MI7 auch nicht ohne waren. Da lümmelten sich zwei Männer auf der Couch im Vorzimmer herum und taten so, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, sich hier aufzuhalten. Hank rief die Sicherheits-App auf. Das Vor­zimmer war gewaltsam aufgebrochen worden. Damit war klar, dass die Besucher nichts Gutes im Schilde führten.

Hank überlegte das Timing genau. Wie lange würden die Typen auf ihn warten? Normalerweise wäre er ihnen schon längst in die Hände gelau­fen. Er musste sofort handeln. Über die App steuerte er das Blumen­bouquet. Eine Gaspatrone. Über mehrere Stiele der Blumen verteilt, ge­riet er zur Zündung. Gleichzeitig wurden die Türen des Vorzimmers mechanisch verriegelt. Die Typen merkten was. Das Klacken der schwe­ren Riegel war kaum zu überhören. Überrascht sahen sie sich an, dann sprangen beide auf und rannten zur Eingangstüre. Sie rüttelten daran herum und nahmen nicht wahr, dass aus den künstlichen Blumen ein gelbes Gas entwich. Erst als der Erste umfiel, drehte sich der Zweite schreckensbleich um. Schnell hielt er sich ein Taschentuch vor die Nase. Es nützte aber nichts. Sekunden später brach er ebenfalls zusammen. Hank schaltete sein Pad aus. Da lagen jetzt zwei Tote in seinem Büro und die Luft war ebenfalls verpestet. Gut, das Gift würde sich in wenigen Minuten selbst zersetzt haben. Aber wen sollte er jetzt mit der Beseiti­gung der Leichen beauftragen? Hank musste davon ausgehen, einen Maul­­wurf in der eigenen Truppe zu haben. Er konnte also nicht zurück in sein Büro. Er beschloss, den Kleinbus zu holen. Er bemühte sich um einen normalen Fahrstil. Bloß nicht auffallen. Er stellte seinen Wagen in der Navy-Garage ab und ging zum Schirrmeister.

„Ist der Bulli schon da?“, fragte Frank freundlich.

Ein vollgefressener Typ in schmieriger Kleidung sah ihn an: „Wofür brauchst du ihn überhaupt.“

Bei Hank machte es Klick. Er hatte schon öfters Fahrzeuge aus dem Bestand der Navy hier abgeholt. Noch nie hatte jemand den Leiter der MI7 gefragt, wozu. Und er brauchte auch keine Auskunft zu geben.

„Ich habe viele Fische gefangen, die will ich abholen“, sagte Hank teils im Scherz. Hier ging niemand angeln, zumal im Winter. Es sei denn, er war lebensmüde.

„Selten so gelacht“, stieß der Dicke hervor. „Wofür?“

Hank stützte sich auf den Schreibtisch, hinter dem der Schirrmeister saß: „Und wenn ich es dir nicht verrate?“

„Dann muss ich bedauern, denn dann kriegst du keinen Bulli.“

Für Hank war das eindeutig. Entweder der Typ selbst gehörte zum Ge­heimdienst oder er war ‚gekauft‘ worden. Hank richtete sich auf und sah sich um: „Okay, okay – du sollst es wissen. Ich habe es sogar schriftlich. Ich zeige es dir.“ Hank griff in seine Jackentasche, holte eine Pistole mit Schalldämpfer heraus, richtete sie auf den Kopf des Fetten und drückte ab. Dessen Kopf wurde nach hinten geschleudert, als ein 9-mm-Ge­schoss in die Stirn eindrang. Die Augen schauten noch einen Augenblick verwundert. Hank steckte die Pistole wieder ein und ging um den Schreib­tisch herum. Nebenan war ein Lagerraum. Passenderweise war der Schirrmeister auf seinem Bürodrehstuhl gestorben. Hank bugsierte die Leiche mitsamt dem Stuhl in diesen Lagerraum und verschloss die Tür.

„Unter diesen Umständen ist es sicherlich in Ordnung, wenn ich den Wagen ohne Unterschrift mitnehme“, zischte er und nahm sich die De­coder-Karte eines Kleinbusses.

Draußen auf der Suche nach dem entsprechenden Fahrzeug sprach ihn jemand von der Seite an. Hank war fast versucht, wieder seine Waffe einzusetzen, als er die Frage hörte: „Ist der Fette da?“

„Nein, im Büro ist er nicht“, gab Hank reflexartig Auskunft.

„Na, dann wird er da hinten in der Halle sein.“ Der Fragesteller ging weiter und Hank tippte auf einen Zufall – mehr nicht.

Hank fand den Wagen draußen. Wie alle, hatte er an die Stromnetz­induktion geparkt, war geheizt und frei von Schnee und Eis. Hank stieg ein und fuhr los. Zunächst fuhr er zu dem Gebäude, in dem sich sein Büro befand und wartete davor. Die Minuten flossen träge dahin und überall sah Hank Agenten des Geheimdienstes.

Ich kriege hier Paranoia “, murmelte er sich selbst zu. „ Ach guck, da sind sie .“

Es kamen, mit ein wenig Gepäck, Fitz und Ozzy. Der eine lang und dürr, der andere entsetzlich dick und klein. Letzterer aß etwas. Hank erinnerte sich an die Spitznamen: Die Acht und sein Queue. Das passte. Hank öffnete elektrisch die seitliche Schiebetür des Bullis. Mit den beiden Ge­stalten kam auch jede Menge eisigen Windes.

„Wo geht es hin?“, fragte der Dürre.

„Kleine Exkursion, geheime Kommandosache. Ihr seid bitte still, wir holen noch jemanden – okay?“

„Alles geheim hier“, maulte der Dicke.

„Du bist ruhig“, wies ihn der lange Dürre an.

Die Tür schloss sich und Hank ließ den Wagen anrucken. Er vermied den direkten Weg und stand dann schließlich vor dem Hinterhaus der Doyles. Ein Bemerkbarmachen war unnötig – Fergus hatte aufgepasst. Er kam mit zwei Koffern zügig heraus, nuschelte eine Begrüßung und warf die Koffer an Bord des Bullis. Dann hastete er zurück.

Anschließend kamen er und seine Frau mit einem weiteren kleinen Koffer und jeweils einem Baby auf dem Arm wieder heraus.

„Was wird das?“, fragte Ozzy vom Fond des Bullis.

„Noch ein Wort und du kannst uns bei der Abreise zusehen“, sagte Hank und beugte sich nach hinten. Der Dicke hielt erschrocken den Mund, zumal der Gesichtsausdruck von Hank es angeraten erschienen ließ, so­fort den Mund zu halten. Sicherheitshalber bekam er von seinem Kum­pel Fitz noch einen schmerzhaften Ellbogencheck. Als alle saßen, schloss Hank die Tür und fuhr weiter. Nächster Halt war sein Apartment. Leider konnte man da nur von vorn anfahren. Hank fuhr den Bulli ziemlich dicht an die Tür, öffnete das Schiebeelement des Fahrzeugs und stieg aus. Mittlerweile herrschte dichtes Schneetreiben, aber das war Hank gar nicht so unrecht. Er betrat seine Unterkunft und sah Paula und Rita beim Kaffeetrinken.

„Es geht los“, sagte er.

„Ich habe meinen Kaffee noch nicht ausgetrunken“, bemerkte Rita.

Jetzt “, sagte Hank mit unbewegter Miene und Nachdruck.

„Oh“, gurrte Rita. „Was für ein Macho. Ist der im Bett auch so?“

„Jau“, sagte Paula. „Es geht los. Lass den Kaffee stehen.“

„Wow, was für ein Kerl“, sagte Rita mit bewunderndem Blick auf Hank.

„Wenn du lieb bist, darfst du mal naschen“, sagte Paula grinsend.

„Geil. Ich komme drauf zurück.“

Hank glaubte sich verhört zu haben, hatte aber im Moment tatsächlich andere Sorgen. Er schnappte sich die Taschen der Damen, seinen Spe­zialkoffer und schleppte sie zum Auto. Dann sah er unruhig zu, wie sich Rita in aller Ruhe Mantel und Schal anzog. Er gab Paula Zeichen und die nahm ihre Freundin an die Hand: „Im Auto ist warm.“

Wenig später konnte Hank losfahren. Neben ihm auf dem Beifahrersitz lag nur sein Spezialkoffer. Hank steuerte das Fahrzeug langsam auf dem Bereich der Navy heraus Richtung Süden. Es gab nur eine Straße in diese Richtung, die aus der Ansammlung von Gebäuden herausführte. Und genau das machte Hank Sorgen. Hier war es einfach, eine Straßensperre zu errichten. Langsam fuhr er die geschlängelte Straße entlang und tat­sächlich: Man hatte zwar auf eine Befestigung der Sperre verzichtet, wahrscheinlich aus Zeitmangel, aber dort standen zwei Typen. Offenbar unbewaffnet, aber Hank sah die Schulterholster. Die Typen waren ein­fach unverkennbar. Wer sich in der Materie auskannte, der erkannte Agen­ten des Geheimdienstes zehn Meilen gegen den Wind. Und das waren welche.

„Festhalten – eventuell“, warnte Hank, und als der auf der rechten Seite eindeutige Haltesignale gab, verlangsamte er seine Fahrt und ließ das Fens­ter (Rechtslenker – England) herunterklappen. Gleichzeitig lockerte er seine Waffe im Schulterholster.

Der Wagen hielt fast an und der Geheimdienstler trat an den Wagen heran: „Insassen? Wer? Und wohin?“ Hank riss das Lenkrad etwas nach rechts und schaffte es tatsächlich, dem Mann auf die Füße zu fahren. Er sah dessen Augen groß werden. Mit einer Bewegung ließ er das Fernster auf der anderen Seite aufklappen, riss seine Pistole heraus und schoss ohne Vorwarnung. Er traf den Posten tödlich. Ebenso schnell schwenkte er die Waffe herum und, ja, da konnte man nicht danebenschießen.  

„Geht euch einen Scheiß an“, knurrte Hank und gab volle Energie auf den Antrieb. Alle vier Räder drehten ein wenig durch, bis die Launch Control griff, dann stürmte der Wagen in Richtung Süden – auf schnee­bedeckter Fahrbahn. Hank schloss die Fenster und fuhr volles Risiko. Er konnte sich ausmalen, dass die bisher vier beseitigten Geheimdienstler nicht allein auf der Insel unterwegs waren. Sämtliche Assistenzsysteme des Fahrzeugs waren überfordert, weil Hank nicht vom Gas ging. Die Automatik schaffte es aber, den wild schleudernden Wagen auf der Stra­ße zu behalten. 

Rita, die direkt hinter dem Fahrer saß, hatte bisher schreckensbleich die Vorgänge so quasi aus der ersten Reihe verfolgen können. Jetzt fing sie an zu schreien. Das mischte sich mit Babygeschrei und der Aufforderung von Fergus und Paula, ruhig zu bleiben.

Im Bus war die Hölle los. Hank drehte wie wild am Lenkrad und wurde dabei unterstützt beziehungsweise durch das Fahrersystem behindert. Der schwere Wagen hielt sich auf der Straße, trotz der Geschwindigkeit von über 100km/h – mitten durch Schneeverwehungen. Stellenweise spritzte der Schnee über das Fahrzeug, wenn Hank eine der Wehen vol­ley nahm. Dann erschien ein Fahrzeug hinter ihnen.

„Fergi, wer oder was ist das?“

Hank hörte wenig später die Meldung von hinten: „Muss von der Ge­genseite sein. Einer lehnt sich gleich aus dem Fenster – mit einer Flinte.“

Mit einer Hand lenkte Hank den Wagen, mit der anderen riss er seinen Koffer auf und nahm eine Granate heraus. Diese hielt er nach hinten: „Gebt mal weiter an Fergi!“

Rita starrte entsetzt auf diese Waffe, aber Paula reagierte richtig, nahm Hank das Ei aus der Hand und reichte sie nach hinten weiter. Fergus Doyle öffnete ein seitliches Fenster, schätzte die Entfernung ab, riss den Zünder heraus, wartete zwei Sekunden, dann warf er die Granate. 30 Meter hinter dem Bulli gab es eine mörderische Explosion und man sah das Verfolgerfahrzeug von unten, als dieses von der Fahrbahn geschleu­dert wurde.

„Volltreffer“, meldete Fergi und klappte das Fenster wieder zu.

Hank ließ in der Geschwindigkeit nicht nach und touchierte leicht einen Felsblock mit dem Heck des Fahrzeugs. Die Insassen wurden durchge­schüttelt, aber es ging weiter. 

Fünf Minuten ging die Hatz, dann meldete Fergus von ganz hinten: „Ich sehe einen Heli am Himmel.“ Er hatte die Positionslichter erkannt, denn der Nebel verhinderte eine weitere Sicht.

Hank riss den Kommunikator heraus: „Tony, wir sind in Bedrängnis. Melde dich!“

Es ging recht schnell und Tony Winter meldete sich: „Bericht, Hank.“

„Wir sitzen in einem Bulli …“, Hank wurde von Geschrei unterbrochen, weil der Wagen heftig schlingerte, „und werden von einem Heli ver­folgt.“ In diesem Augenblick hörte man ein Maschinengewehr rattern und Geschosse trafen die Strecke neben dem Fahrzeug.

Wir werden beschossen! “, fügte Hank hinzu.

„Ihr müsst den Wagen verlassen“, sagte Tony Winter ruhig.

„Aber wir haben Babys dabei und draußen ist Unwetter.“

„Es gibt keine andere Option!“

„Verstanden.“ Hank sah etwas voraus einen größeren Felsblock.

Hört zu, Leute. Ich halte den Wagen an. Dann alle raus. Ozzy und Fitz, ihr helft mit den Babys! Verstanden? “ Hank wartete keine Be­stäti­gungen ab, denn er trat voll auf die Bremse. Das System stotterte sich einen ab, aber das Fahrzeug verzögerte überraschend gut. Der Heli rauschte über sie hinweg und Hank stellte das Fahrzeug ruckartig neben dem Felsen ab.

„Raus, raus, raus – hier!“ Er griff seinen Koffer und öffnete die seitlichen Türen. Draußen empfing ihn bittere Kälte und eisiger Wind. Die Passa­giere sammelten sich hinter Hank und dieser ging um den Felsen herum in Deckung.

„Unten bleiben“, wies er sie an und öffnete seinen Koffer. Er entnahm einen geladenen 45er-Colt mit langem Lauf.

„Kann ich helfen?“, fragte Fergus Doyle.

„Sorg dafür, dass alle in Deckung bleiben.“

„Der Heli wendet und kommt zurück. Und hinter uns höre ich auch noch einen.“

Hank fluchte: „Da war mit zu rechnen.“

Er stellte sich mit der Waffe neben den Felsen und bemerkte, wie der erste Heli näherkam. Er richtete sich auf, blieb aber in Deckung. Dann hörte er das Maschinengewehr und wie die Projektile in den Bulli einschlugen. Er sprang hinter dem Felsen hervor und riss mit beiden Händen den Colt hoch. Dann verließ mit einem mörderischen Knall und heftigem Rück­schlag des Revolvers das erste Magnum-Geschoss den langen Lauf. Hank wusste, dass er getroffen hatte. So geübt war er schließlich. Er zog den Stecher wieder durch und musste dann jedes Mal wieder ins Ziel gehen, weil der Lauf nach dem Schuss immer in Richtung Himmel zeigte, egal wie fest er die auskeilende Waffe hielt. Insgesamt sechs Mal und schon beim dritten Schuss hatte die Heli-Besatzung das eigene Feuer eingestellt. Nach dem sechsten Schuss von Hank explo­dierte der Heli in einer Entfernung von 50 Metern. Rasch verbarg sich Hank hinter der Deckung.

„Ich höre den zweiten Heli“, rief Fergus. Das war ungünstig, denn sie standen jetzt vor der Deckung.

„Los, nach hinten“, keuchte Hank und öffnete seinen Koffer, um den 45er neu zu laden. Es wurde hektisch um ihn herum, dann schrie Rita auf. Über ihre Köpfe hinweg zischten blitzschnell zwei rote Kugeln und verschwanden in Richtung des zweiten Hubschraubers. Dann hörten sie einen Knall. Danach war Ruhe.

Was ist das denn für eine Scheiße! Mir wurde ein Urlaub in der Südsee versprochen “, kreischte Rita.

Hank hatte sicherheitshalber den Revolver nachgeladen und wandte sich an seine Freundin: „Du hast ihr was von der Südsee erzählt?“

„Ja, hab’ ich“, sagte Paula zitternd. „Ich wollte sie mitnehmen – nicht verscheuchen.“

Hank pustete die Luft aus den Lungen. Es war still jetzt, bis auf das Ge­schrei der Kleinsten.

„Wir fliegen nicht in die Südsee?“, fragte Rita entsetzt.

„Nein“, antwortete Paula.

„Dann will ich sofort nach Hause“, verlangte sie bestimmt.

„Das geht nicht.“

„Warum, zum Teufel?“

„Weil du dann innerhalb von 24 Stunden tot bist.“

Rita sah Hank an und der zuckte mit den Schultern: „Stimmt – sie hat recht.“

„Und was machen wir jetzt hier? Mir ist kalt. Sollen wir hier erfrieren?“

Hank richtete sich auf: „Nein. Ich schlage vor, wir steigen alle dort ein.“ Er zeigte ein Stück die Straße hinunter.

„Heilige Scheiße“, entfuhr es der herumwirbelnden Rita. „Ein Bote aus der Hölle?“

„Nein, Admiral Tony Winter und ein Transportschiff. Er wird uns hier wegbringen. Entweder wir steigen ein, oder wir sind morgen tot. Uns war der Geheimdienst auf den Fersen.“

Fitz und Ozzy sahen auf den großen Vogel, der langsam niedersank und den beiden Nerds war sofort klar, dass diese Technik nicht auf der Erde entstanden sein konnte.  Sie sahen sich an und nickten sich zu. Sie wür­den mitfliegen – ohne zu zögern.

Der eiserne Vogel landete und fuhr eine Gangway aus. Im dichten Schnee­gestöber kamen zwei Gestalten heraus: Tony Winter und Felipe Gonzo.

„Ich darf euch an Bord willkommen heißen“, sagte Tony Winter. „Bitte kommt herein. Wir müssen wieder starten. Ich will keine weitere Ausein­an­dersetzung.“

Lars packte kräftig mit an und auch Tony half. Schließlich standen sie auf der untersten Ebene und Tony schloss das Außenschott: „Wenn ich euch erst einmal nach oben bitten darf?“

Fergus stolperte über einen Sack: „Was ist das denn?“

Felipe warf einen Blick darauf: „Katzenstreu.“

 

Auf der obersten Ebene waren Fitz und Ozzy sprachlos. Wenn sie auch beide Felipe Gonzo nicht erkannt hatten, dann aber doch Emma Mc­Doubt als Mitglied der Gruppe STARHUNTER. Gut, wollen wir den beiden Männern das mal nachsehen, denn Emma war schon sehenswert und sie erinnerten sich an diese Frau.

„Ich sehe schon, ich muss die beiden Herren etwas briefen“, sagte der Admiral, wandte sich aber erst einmal an Felipe. „Du kennst das Ziel. Lass uns hier weg.“

„Aye, Admiral.“

„Sag bitte Tony.“

„Aye, Sir!“

Tony seufzte – das hatte nicht funktioniert. „Die meisten kenne ich ja, aber ich denke, hier habe ich es mit der Mutter der beiden Zwillinge zu tun, Suzan Doyle?“

Suzan machte fast einen Knicks: „Ich wollte Ihnen immer schon per­sönlich danken, fand aber keine Gelegenheit dazu.“

Tony winkte ab: „Du kannst das tun, indem du wenigstens Tony zu mir sagst.“

„Gern, Tony.“

Der Admiral lächelte ihr zu: „Dann haben wir hier …?“

Die Rothaarige klimperte nervös mit den Augen: „Ich bin Rita Jones und will in die Karibik.“

„Oh“, sagte Tony. „Das ist eine ganz andere Richtung. Hat man dich nicht über unser eigentliches Reiseziel aufgeklärt?“

Das Blinzeln mit den Augen wurde häufiger und das war für Tony schon Antwort genug. Dann fiel ihr Blick aus dem Fenster. Die CARRIER II hatte die Wolkendecke durchstoßen und nun sah man, dass die obere Hälfte des Fliegers aus durchsichtigem Material bestand. Die Sonne schien und unter ihnen war ein Wolkenteppich. Ein Anblick, der Rita den Atem verschlug: „Wo sind wir?“

Tony schaute kurz auf die Anzeigen vor Felipe: „Etwa 13.000 Meter über dem Nordatlantik.“

„Und … und … was ist das hier?“ Rita geriet ins Stottern.

„Das ist das Beiboot eines intergalaktischen Raumschiffes, Rita“, gab Tony Auskunft. „Sag bitte Tony zu mir.“

Rita nickte mechanisch: „Sicher – Tony.“

Der Admiral sah sich um: „Wer hat Rita …?“

„Ich, ich“, Paula stürzte auf die beiden zu.

„Dann kümmer’ dich bitte.“

„Mach ich, mach ich.“

Tony wandte sich in Richtung des Piloten.

Hank war seiner Freundin gefolgt und sah nun, wie Paula die Rothaarige ansprach: „Rita, alles in Ordnung?“

„Alles in Ordnung? Wenn ich das hier nicht träume, werde ich meine Heimat nicht wiedersehen. Was geht hier überhaupt ab? Ich werde raus­gerissen aus meinem Freundeskreis und …“ Rita hatte Schnappatmung.

„Rita“, sagte Paula so sanft wie möglich. „Du hast keine Freunde. Du hast nur mich. Darum habe ich dich mitgenommen.“

Rita sah ihre Freundin mit großen Augen an, dann kullerten die Tränen. Sie flüchtete sich in die Arme von Paula. Sanft streichelte Paula den Rücken ihrer Freundin und wandte sich erklärend an Hank: „Rita ist nicht nur meine Freundin. Sie ist mir eine Schwester, die ich nie hatte. Ich würde nichts ohne sie machen. Ich teile alles mit ihr.“

Hank bekam große Augen: „Alles?“

Paula sah ihn von oben bis unten grinsend an: „Ja, alles.“

Hank seufzte, dann spürte er, wie Paulas Hand nach ihm griff und dann auch Ritas.

Nun, die Rothaarige war zwar ein wenig dürre, aber Hank durchaus sym­pathisch. Er spürte genau, dass er Paula nicht würde an sich binden können, wenn er Rita nicht akzeptierte. Er ging näher an sie heran und nahm beide in den Arm.

 

Tony ging auf Fitz Ahinger und Omal Tarawex zu: „Na, Jungs. Werden hier Träume wahr?“

Der Dicke atmete schwer und sein Queue, also Fitz, antwortete: „Dann ist Oumuamua ein Raumschiff?“

„Und was für eins.“

„Und wir fliegen damit?“

„Das werden wir.“

„Wohin?“

„Zum Startpunkt des Raumschiffes.“

„Dann gibt es intelligentes Leben in der Galaxie?“, mischte sich jetzt auch Ozzy ein.

„Davon können wir ausgehen. Ihr zwei sagt bitte ebenfalls Tony zu mir. Der Admiral ist auf der Erde geblieben.“

Beide nickten.

 

Tony wandte sich Felipe zu.

„Falkland-Inseln“, sagte Tony zum Piloten. „Östlich von Argentinien.“

„Okay“, sagte Felipe und Tony war schon damit zufrieden, dass der Por­tugiese weder ein ‚Sir‘ noch ein ‚Admiral‘ dranhängte. Der Flug dau­erte nur Minuten, dann setzte die getarnte CARRIER II an einer Stelle des Strandes auf. Auf Falkland war es früher Morgen.

Tony sah nach hinten: Suzan Doyle stillte ihre Babys und auch Rita Jones saß zwischen Paula und Hank. Sie schien sich mit der Situation ange­freundet zu haben.

„Ich habe nichts anzuziehen mit – fast“, sagte sie trotzdem etwas weh­leidig. Ina Rott bekam das mit und sprach sie direkt an: „Wir können an Bord der CYGNE die tollsten Sachen herstellen. Claire ist da richtig gut drin.“

„Wer ist Claire und diese, äh ... CYGNE?“

Ina grinste, dann berichtete sie und auch Paula bekam große Augen.

 

„Ich gehe dann mal und hol die beiden“, lächelte Tony und schlug Felipe auf die Schulter. Draußen waren ein bulliger Mann und eine schwarzhäu­tige Frau, beide trugen je zwei große Koffer, in etwa einhundert Metern am Strand aufgetaucht und blickten erwartungsvoll auf das Meer.

Tony verließ die CARRIER II über die ausgefahrene Rampe und man sah von oben, wie die beiden Strandbesucher sich verwundert umdrehten und die Koffer in den Sand plumpsen ließen. Der Admiral nahm zuerst die Frau in die Arme und dann den stabilen Mann. Man schlug sich gegenseitig lachend auf die Schultern, dann wies Tony in Richtung der CARRIER II. Er nahm dann, ganz der Gentleman, die Koffer der Frau und führte sie zum Transportschiff. Die beiden Neuzugänge blieben noch einmal verwundert kurz vor dem Flieger stehen, als sie die Grenze zur Un­sichtbarkeit unterschritten. Tony erklärte was dazu, dann kamen sie an Bord. Man hörte den Bass von Dan dröhnen. Er lachte. Ob aus Un­sicherheit oder vor Vergnügen, sei mal dahingestellt.

„Ich hatte gedacht, du würdest mich verarschen, als du mich kontaktiert hast“, hörte man Dan sagen, als dieser die oberste Ebene betrat.

„Und trotzdem bist du mit Arabella und den Koffern zum Strand ge­fahren“, grinste Tony Winter.

„Ich hab’ halt Vertrauen zu dir, Tony.“

Die beiden Neuzugänge hielten an, als sie die anderen sahen.

„Unsere Gemeinschaft wird größer“, sagte Tony zu allen. „Hier sind Ara­bella und Dan Kowalski – Vater und Tochter. Dort ist Rita, daneben Paula, Hank kennt ihr, das ist Fergus mit seiner Frau Suzan und die Zwillingsbabys. Die Zaungäste dort hinten kennt ihr: Emma, Felipe und Ina.“

Dan ließ die Koffer fallen: „Holy Shit, jetzt glaube ich es wirklich.“ Er stürmte auf die drei zu und selbst Felipe versank zwischen den gewaltigen Armen des Flight-Directors.

„Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, euch wiederzusehen“, sagte Dan mit etwas zittriger Stimme und Emma sah, dass ihm sogar eine Träne die Wange herunterlief. Dieser harte Klotz hatte also tatsächlich ein weiches Herz.

Tony sah lächelnd auf die Szene, dann sagte er leise: „Felipe, the Show must go on. Bring uns zur CYGNE.“

„Aye, äh ... Tony.“

„Sehr gut, Mister Pilot.“

 

Was dann kam, hatten die sieben Neuzugänge, die Babys zählten nicht, sich bisher nicht vorstellen können. Sicher, die Schwerkraft von lediglich 50% war ungewohnt, umging aber das Fall-Gefühl. Der Ausblick war gigantisch. Selbst Rita bekam einen melancholischen Gesichtsausdruck, als sie dicht am Mond vorbeiflogen und dieser sich als gut sichtbare Sichel und der Rest weniger gut erkennbar zeigte. Paula und Rita hatten Hank zwischen sich sitzen und teilweise hielten sie sich daran fest.

Schließlich knieten alle, bis auf Felipe, auf den Sitzen und schauten nach hinten. Dort verschwand langsam aber sicher ein blaues Juwel in der Schwärze des Universums – die Erde.

 

3 Stunden später:

 

Paula und Rita waren eingeschlafen und Hank erinnerte sich daran, dass er noch etwas Wichtiges zu erledigen hatte. Er sah sich um. Fast alle schliefen. Wie mitgeteilt worden war, hatte die KI die Navigation über­nommen. Man war gut damit beraten. Hank löste sich sehr vorsichtig von den beiden Frauen und legte sie anschließend so, dass sie aneinander Halt fanden. Dann erhob er sich langsam und leise. Einzig Felipe sah kurz hoch. Der Elite-Soldat hatte einen leichten Schlaf und ein gutes Gehör. Hank näherte sich Tony und fasste sie sachte an den Arm. Auch Tony war sofort wach und sah Hank erstaunt an.

Ich muss mit dir reden, Tony .“

Der Admiral sah sich um: „ Okay, eine Etage tiefer .“ Tony erhob sich und ging mit Hank eine Etage tiefer. Dort gab es auch einen Raum, dessen Tür man hinter sich verschließen kann.

„Was gibt es, Hank?“

„Ich habe jemandem etwas versprochen, Tony.“

„Wem und was?“, war die kurze Frage des Admirals.

„General Gregg Hemsworth und ich versprach, dich zu bewegen, ihn anzurufen.“

„Warum sollte ich das tun, Hank?“

„Er hat mir mitgeteilt, dass du ihm wichtig bist. Außerdem hatte er mir seinen Verdacht mitgeteilt, dass die Ratte dir nachstellt. Ich denke, das ist zumindest eine Überlegung von dir wert, ob du mit ihm sprichst.“

Tony ging etwas auf und ab: „Was soll ich ihm sagen?“

Hank hatte schon etwas länger über das Thema nachgedacht: „Vielleicht ist es gut, wenn wir hier auf der Erde einen Verbündeten haben, der den Wasserstand während unserer Abwesenheit etwas tiefer hält.“

Tony sah Hank an: „Das hat was, Hank. Das hat was. Wir werden jetzt zur CYGNE fliegen. Felipe will noch zurück und zwei Trupps Marines an Bord holen. Das wäre die Gelegenheit, ebenfalls mit einem kleineren Beiboot in der Zeit den General zu erreichen. Mich würde interessieren, ob er die Präsidentin hat ins Bett zerren können.“

Beide Männer lachten und hatten natürlich keine Ahnung, was Gregg alles mitmachte.

„Ich werde mit Gregg sprechen“, gab Tony nach. „Weil du es verspro­chen hast, Hank.“

„Ich danke dir“, sagte Hank erleichtert. Er hatte sein Versprechen ein­halten können. Jetzt kam es darauf an, was Tony dem General erzählte.

 

Sehr viel später:

 

Die CARRIER II war in Zeitlupe zweimal um die CYGNE herumge­flogen und Dan hatte sich an der Außenscheibe eine platte Nase geholt. Mit anderen Worten: Flight war völlig aus dem Häuschen.

Jetzt stand das Transportschiff abgesenkt auf dem Landedeck.

„Aufstehen, ihr Mäuse. Wir haben unser Ziel erreicht.“ Hank ging behut­sam vor. Paula war, nicht zuletzt durch ihn, gefestigt, aber Rita war da noch hypersensibel. Beide Frauen brauchten einen Augenblick, bis sie aufnahmefähig waren. Rita sah sich schlaftrunken um. Sie sah das er­leuch­tete Landedeck der CYGNE. „Wo sind wir?“

„Ich kenne es auch noch nicht, aber wir sind auf einem der Decks des intergalaktischen Raumschiffs.“

Paula zog sich an seinem Arm hoch: „Da draußen stehen Leute.“

„Die restliche Crew der STARHUNTER, Paula. Meine Güte, es ist wie ein Traum.“

„Könnte das auch ein Albtraum sein?“, fragte Rita vorsichtig.

„Nein“, sagte Hank. „Den Albtraum haben wir auf der Erde zurückge­lassen. Folgen wir Tony.“

Kurz darauf standen sie auf dem Landedeck und wurden Zeugen be­wegender Momente. Hauptpersonen waren Dan Kowalski und Arabella. Eine der ruhigen Szenen spielte sich etwas am Rande ab.

„Es ist sehr schön, dich wiederzusehen“, sagte Steven Huxley zu seiner Pilotenkollegin Arabella Kowalski. Arabella trat näher an ihn heran: „Ich darf diese Emotion zurückgeben. Wir werden sehr lange zusammen auf dieser Reise sein. Stimmt das?“

„Man sagte mir, dass es fast ein ganzes Jahr dauert“, bestätigte er.

Arabella hob einen Finger: „Ich erwarte von dir, dass du mir die Lange­weile vertreibst, Pilot.“

„Das werde ich, Pilotin“, versicherte Steven lächelnd. „Wir werden keine Langeweile haben. Arabella. Ich lade dich heute Abend zu einem kleinen Schwimmkurs in unser Hallenbad ein.“

„Hier gibt es ein Hallenbad?“, fragte sie erstaunt.

„Und einen strengen Bademeister“, fügte Steven hinzu. „Mit zwei grund­sätzlichen Regeln.“

„Welche wären das?“

„Zum einen nicht vom Beckenrand springen und das andere wäre keine Textilien.“

Arabella hob beide Augenbrauen: „Bekomme ich hin.“ Sie lächelte Ste­ven auf eine Weise an, dass er einen roten Kopf bekam.

 

„Die Kabine ist sehr schön“, gab Rita zu.

„Aber?“, fragte Paula, die den skeptischen Blick ihrer Freundin bei der Begutachtung ihres Apartments bemerkt hatte. Es war gleich in der Nähe der Unterkunft von Hank und Paula.

Rita drehte sich zu Hank und Paula um: „Ehm, die Erlebnisse und so … sie waren, wie soll ich sagen, nervenaufreibend. Wir sind irgendwo im Sonnensystem unterwegs und von dem tödlichen Nichts trennen uns nur ein paar dünne Wände. Ich … ich habe Angst – so allein.“ Die Aussage dazu unterstützte Rita, indem sie zitterte. Und diese Emotion war echt, wie Paula erkannte. Ihre Freundin hatte höllische Angst und so konnte man allein nicht schlafen. Paula hatte zuvor schon das etwas größere Apartment besichtigen dürfen, was ihr und Hank angeboten worden war. Paula sah Hank an: „Unser Bett ist breit genug, Hank. Du wirst in der Mitte liegen und wirst uns ein wenig Sicherheit und Geborgenheit geben. Ich fühle mich selbst nicht wirklich wohl.“

Hank sah auf Rita. Die Frau war ihm etwas zu dürre, so als Mann ge­sehen. Trotzdem hatte sie was.

„Wir rücken etwas zusammen“, gab er seine Zustimmung. Im Prinzip war er für diese Aufgabe dankbar. Denn er empfand ebenfalls auch so etwas wie Furcht. Kein Mensch war jemals so weit geflogen ...

 

24.01.2060, 11:00 Uhr, Salt Lake City, UAW-Tower:

 

„Wir sind angegriffen worden“, stellte die Präsidentin echauffiert fest. „Und das im Zentrum des Navy-Bereiches auf Isle of Man.“

General Gregg Hemsworth saß relativ entspannt auf der Besuchercouch im Arbeitszimmer der Präsidentin und las eine Zeitung. Er hatte schon früh am Morgen die Berichte darüber erhalten und sich eine Meinung gebildet.

Rebecca Miller stand auf und stützte sich auf den massiven Schreibtisch ab: „Herrje, Gregg! Sag doch auch mal was dazu!“

„Wer sollen die Angreifer sein?“, fragte er eher gelangweilt.

„Die Chinesen?“

Gregg legte seine Zeitung beiseite: „Das glaubst du selbst nicht, Re­becca.“

„Was ist denn da sonst los?“

„Der Geheimdienst unter ehemals Salvatore Ratte gegen den MI7 unter ebenfalls ehemals Tony Winter. Ein Krieg der Geheimdienste, den du angezettelt hast, Rebecca.“

Die Präsidentin plumpste auf ihren Bürostuhl zurück: „Scheiße!“

„Du hast in der Sache leider keine glückliche Hand, Rebecca.“

Die Präsidentin senkte den Kopf: „Leider hast du recht, Gregg. Ich hätte mich niemals von den Schlitzaugen erpressen lassen sollen. Aber die STARHUNTER-Crew habe ich nicht auf dem Gewissen.“

Gregg Hemsworth wollte jetzt nicht das Kamel sein, welches ein spärlich wachsendes Gras über eine Sache abfraß und dann wiederkäute. Rebecca war klar, dass sie den Feuerbefehl gegeben hatte. Ja, die STARHUNTER war nicht von den eigenen Waffen vernichtet worden – wäre sie aber. Die STARHUNTER war von selbst explodiert – warum auch immer. Gregg wusste, dass sich da ein paar Köpfe selbige zerbrachen.

Sein KOM-Gerät gab einen leisen Summton von sich und er schaute drauf. Gregg bemühte sich, nicht zusammenzuzucken. Es wurde der Code 03 angezeigt. 01 war die Präsidentin, 02 er selbst und 03 Admiral Tony Winter. Gregg stand auf.

„Was ist?“, fragte Rebecca. Gregg konnte sich ausmalen, dass sie das leise Signal gehört hatte.

„Eine private Nachricht“, sagte er vieldeutig und verließ das Büro.

„Du hast Geheimnisse vor mir?“

Gregg war aber schon fast zur Tür hinaus und gab keine Antwort mehr. Natürlich hatte er Geheimnisse und was für welche. Unterwegs auf dem Flur las er die Nachricht. Sie bestand aus einer Koordinate und einer Uhrzeit – 18:00 Uhr – mehr nicht. Die Koordinate ließ er ausrechnen. Es handelte sich da um den östlichen Uferbereich des Great Salt Lake. Gregg überlegte, wie er da hinkam, ohne jemanden mitnehmen zu müs­sen oder sich transportieren zu lassen. Dann fiel es ihm ein. Er bestätigte den Empfang der Nachricht und auch, dass er kommen würde. Dann lächelte er und ging zurück zur Präsidentin.

„Was war?“, fragte sie fast aggressiv.

Gregg nutzte eine Information, die er ebenfalls schon hatte: „Dan Ko­wals­ki und seine Tochter sind verschwunden. Ich bekam einen Zwi­schen­stand der Suchaktion.“

„Muss ich die kennen?“

„Dan Kowalski ist der Flight-Director der UAW Navy und für den Flug der STARHUNTER erforderlich, seine Tochter ist Pilotin und hat die STARHUNTER-Crew zum Mond geflogen.“

„Sämtliche Merkwürdigkeiten ranken sich um dieses Projekt, Gregg.“

Das allerdings war dem General auch schon aufgefallen. Er tippte darauf, dass ihm Tony am frühen Abend eine Antwort geben konnte.

 

16:00 Uhr:

 

General Gregg Hemsworth schob aus der Garage seines Privathauses am Rande von Salt Lake City sein schweres Geländemotorrad heraus. Das war eines der Hobbys, welches er sich gönnte. Er setzte den Helm auf, sich selbst auf die Maschine und schaltete das Zweirad online. Der kräf­tige E-Motor schob das Motorrad auf die Straße und schnell war er an dem Tor angelangt, welches den kompletten Häuserblock von schäd­lichen Individuen, drücken wir es so aus, abschottete. Ein Security-Mann kam heraus und grüßte: „Hallo General, mal wieder frische Luft genie­ßen?“

Gregg lächelte: „So sieht es aus, Leif.“

„Viel Spaß“, der Wächter winkte und ließ das Tor ein Stück auffahren. Gregg nutzte einen Spalt, dann war er draußen.“

Leif schaute dem General noch eine Weile hinterher, dann ging er in seinen Bereitschaftsraum und wählte auf einem Telefon eine bestimmte Nummer.

Gregg genoss die Fahrt. Schnell bog er irgendwo ab und hatte statt des glatten Asphalts Schotter und Sand unter den grobstolligen Reifen. Diese Strecke hier war er schon einige Male gefahren, und er wusste, wo er schnell fahren konnte und wo es angeraten war, sich vorsichtiger zu bewegen. Hier auf dem Motorrad hatte er Zeit und Muße, in Ruhe über die Geschehnisse der letzten Zeit nachzudenken. Und es war viel passiert und viel, über das man nachdenken konnte und er in seiner Position musste.

 

Ein paar Kilometer entfernt:

 

Steven Huxley und Tony Winter saßen in einem der beiden kleineren Jäger und waren im Anflug auf den Treffpunkt. Die Flughöhe betrug noch 15.000 Meter.

„Der General wird verfolgt“, stellte Steven fest und fummelte an den Einstellungen der Scanner herum.  Tatsächlich sahen sie in der Ebene eine Staubfahne – der fahrende Gregg Hemsworth auf seinem Motorrad und auf dem Nebenschirm einen Heli. Auf dem zweiten Schirm wurde in gestrichelter Linie der Fahrtweg des Generals angezeigt. Der Heli folgte ihm in einem Abstand von vier Kilometern.

„Hmm“, machte Tony Winter. „Ich kann keine Schnüffler gebrauchen.“

„Sollen wir ihn abschießen?“

„Nein, nein“, wehrte Tony ab. „Wir können inmitten des Macht­zen­trums der UAW keinen Heli abschießen. Das hätte unvorhersehbare Kon­sequenzen.“

„Ein kleiner Absturz, zumindest eine klitzekleine Notlandung?“, fragte Steven nach. Der Ami hatte allerbeste Laune, seitdem Arabella auf der CYGNE war. Er rechnete sich heftige Chancen aus und die dunkel­häutige Pilotin tat aber auch gar nichts, um ihm das aus dem Kopf zu schlagen – eher so das Gegenteil.

„Das wäre akzeptabel“, gab Tony zu.

„Dann mal los“, trieb sich Steven selbst an. Der Jäger ging in einen Sturzflug über. Der Ami überzeugte sich noch einmal davon, dass die Tarnung eingeschaltet war. Dann verfolgte er das Ziel und mit dem an­deren Auge sah er auf den Geschwindigkeitsmesser.

„Was hast du vor, Steven?“

„Mach I“, sagte der Pilot nur und Tony verstand. Steven Huxley würde versuchen, so nah wie möglich am Heli die Schallmauer zu durch­brechen. Das würde neben dem Knall eine gehörige Druckwelle erzeu­gen. Das Problem war die exakte Geschwindigkeit. Und hier so langsam zu fliegen, dass man nicht schon weit vorher die Druckwelle erzeugte. Auf Wunsch von Huxley hatten die Arbeitsdroiden eine weitere digitale Anzeige eingebaut – km/h. Diese stand auf 1.100, also einhundert km/h und ein paar weniger als die Schallgeschwindigkeit. Der Heli kam in Sicht­weite. Steven steuerte daran vorbei, gab Energie auf den Antrieb und zog die Maschine anschließend wieder hoch.

„Hat es geklappt?“, fragte Tony.

„Das Ding hier zeigt über 1.400km/h an“, antwortete Huxley. „Muss ge­­klappt haben.“ Die Crux an der Aktion war, dass man als Pilot oder Insasse eine Überschallmaschine den Knall selbstverständlich nicht hö­ren konnte. Steven steuerte den Jäger wieder in Richtung Heli und dann konnte man sehen, dass dieser ordentlich ins Trudeln geraten war. Der Pilot kämpfte gerade darum, die Maschine wieder unter Kontrolle zu bringen – was ihm auch gelang.

„Die haben nichts gelernt“, sagte Steven und wartete das Kommando von Tony gar nicht ab. Dieses Mal flog er weitaus dichter am Heli vorbei und beschleunigte wieder hart. Jetzt kam der Hubschrauber richtig ins Trudeln und der Pilot hatte keine andere Möglichkeit mehr, als ihn mehr oder weniger schnell in Richtung Boden zu bringen. Dort setzte er hart auf, kam etwas in Schräglage und verlor dabei ein Rotorblatt. Die beiden Insassen konnten von Glück sprechen, dass sich der Rotor nicht mehr so schnell drehte, sonst wäre die Katastrophe unausweichlich gewesen. So hatten sie noch ein paar Sekunden Eiertanz, dann stand die Fuhre still.

„Zum Treffpunkt“, ordnete Tony an und Steven wendete den Jäger. Er hatte zur Kenntnis genommen, dass der General so klug gewesen war und sein KOM-Gerät zu Hause gelassen hatte. So war er dann auch nicht über dieses Gerät zu orten. Selbst wenn man der Hubschrauberbe­satzung zu Hilfe eilte, wusste man nicht, wo Gregg Hemsworth war. Es waren nämlich noch etliche Kilometer bis zum Treffpunkt. Steven setzte den Jäger völlig geräuschlos am Ufer des Salt Lake auf und schaltete die Energieerzeugung aus. Danach war es absolut still.

„Beobachte bitte das Umfeld, Steven. Ich steige aus und rede mit dem General.“

„Sicher?“, fragte Steven. Tony konnte ihn verstehen. Sie hatten Kopf und Kragen riskiert, um ihn von der Erde zu holen und nun riskierte er sein Leben beim Treffen mit dem General. Die Crew kannte Hemsworth nicht.

„Gregg ist ein Ehrenmann, Steven. Mach dir keine Sorgen. Beobachte den Himmel und warn mich rechtzeitig, falls uns doch jemand auf der Spur ist.“

„Wie du meinst“, gab Huxley zurück und schien nicht überzeugt.

Tony verließ die Maschine über die flexible Leiter, setzte sich auf einen Felsblock auf Ufer des Sees und wartete.

 

Trotz Helm hatte Gregg den zweimaligen Durchbruch der Schallmauer gehört. Das war unüblich. Nur zu besonderen Anlässen durfte in der Nähe von Salt-Lake-City schneller als der Schall geflogen werden. Er konnte sich nicht daran erinnern, ein entsprechendes Memo gesehen zu haben. Nach einer weiteren halben Stunde hatte er das Ziel fast erreicht und die Zeit für den Termin war gekommen. Würde er gleich tatsächlich Admiral Tony Winter gegenüberstehen? Gregg verlangsamte die Ge­schwin­digkeit und sah im Licht der tiefstehenden Sonne das Ufer des Sees näherkommen. Sie Sonne warf schon lange Schatten und er fuhr vorsichtig. Er hatte den Treffpunkt erreicht. Langsam ließ er seine Ma­schine weiterrollen, dann sah er jemanden am Seeufer sitzen. Die Gestalt erhob sich, als sie in seine Richtung sah. Vom Gang und vom Äußeren her konnte dies durchaus Tony Winter sein. Gregg hielt an und stellte sein Motorrad ab. Dann ging er auf die Person zu.

 

„Hallo Tony.“

„Hallo Gregg. Immer noch sportlich unterwegs?“

„Du weißt doch, wer in unserem Alter rastet, der rostet auch.“

„Wo du das Alter erwähnst, Gregg. Ich habe zwei schöne naturbelassene Sitzplätze in Ufernähe gefunden. Darf ich dich dorthin einladen?“

„Gern. Lass mich dir vorher sagen, dass mich unsere Zusammenkunft freut, Tony. Auch die Tatsache, dass es dir offenbar gutgeht.“

„Das höre ich gern, Gregg. Ich muss dir aber sagen, dass du mit einem Heli verfolgt wurdest. Wusstest du davon?“

Gregg sah seinen Gesprächspartner überrascht an: „Nein, wusste ich nicht. Wart ihr das mit dem zweimaligen Überschallknall?“

„Wir zwangen den Heli zur Notlandung.“

Die Männer erreichten die erwähnten Sitzplätze.

„Wie bist du hier hingekommen, Tony?“

Tony sprach in sein Funkgerät: „Steven, Tarnung für zehn Sekunden aus­schalten.“

Gregg zuckte zusammen, als sich der Jäger in einer Entfernung von etwa 25 Meter zeigte.

Der General atmete schwer: „Ich bin neugierig, Tony. Steven – ist das der Pilot der STARHUNTER?“

„Das ist er. Aber vorher eine Frage, Gregg, dann berichte ich dir. Wie ist dein Verhältnis zur Präsidentin?“

Gregg grinste: „Sagen wir mal so. Es ist eine von Ehrgeiz zerfressene Frau, die alles dafür tun würde, um wiedergewählt zu werden. Allerdings hat sie in letzter Zeit im übertragenen Sinne eine Ohrfeige nach der anderen kassiert und ist jetzt froh, dass ich ihr beistehe. Mit anderen Worten: Ich habe die Präsidentin und die Situation im Griff, erdulde am Tage die Kratzbürstigkeit der Dame, dafür vögel ich sie nachts.“

Tony lachte herzhaft und Gregg grinste: „Jetzt du und schon mal ein großes Danke für dein Vertrauen.“

„Das mit dem Vertrauen ist so eine Sache. Wenn du das weitererzählst, was du gleich von mir erfährst, steckst du schneller in einer Zwangsjacke als du gucken kannst. Aber höre genau zu.“

Über eine Stunde berichtete Tony und Gregg unterbrach ihn nicht ein einziges Mal. Danach stellte er ein paar Fragen. Es war schon dunkel, als Gregg auf seine Maschine stieg und in Richtung Salt Lake City fuhr. Tony bestieg den Jäger und beauftragte Steven, zurück zur CYGNE zu fliegen.

„Was sagt der General?“, fragte Steven, als der Jäger auf Kurs war.

„Er wünscht uns Glück und versucht hier alles zu geben, damit es bis zu unserer Rückkehr keinen Krieg gibt.“

 

Etliche Stunden später landeten sie auf dem entsprechenden Deck der CYGNE.

„Felipe ist schon zurück“, stellte Steven fest. Sie stellten die Maschine ab und begaben sich zur Brücke.

„Ähm, äh ... Tony, ich darf dir Lieutenant Carol Haig und Lieutenant Donald Frazer vorstellen? Sie kommandieren die Trupps Thunder und Lion mit je sechs Frauen und sechs Männern. Sie sind bereit, uns zu unterstützen“, sagte Felipe. Man traf sich auf der Brücke.

Tony begrüßte mit Carol eine Frau mit schwarzen kurzen Haaren und stahlblauen Augen, etwa 177cm groß und leicht untersetzt.

„Ich freue mich, Sir“, sagte sie und gab dem Admiral die Hand. Der andere Lieutenant war ein Afrikaner mit Glatze, breit und 180cm groß. Sein Händedruck war kräftig: „Sir!“

„Ich bin Admiral Tony Winter. Für diese Mission haben wir festgelegt, dass wir uns duzen und mit Vornamen anreden. Ich bin also Tony.“

„Ist recht, S…, äh ... Tony“, sagte Carol und musste dabei grinsen.

„Wo hat euch Felipe aufgegabelt?“

„Wir sind mit zwei Trupps auf den Färöer-Inseln stationiert“, sagte Donald.

„Die beiden sind mitgekommen, um sich davon zu überzeugen, dass ich ihnen die Wahrheit erzählt habe. Wie üblich sind diese Marines solo und ohne Anhang. Sie können zu jedem Zeitpunkt woanders hin verlegt wer­den“, erklärte Felipe Gonzo. „Wir müssen bestimmt noch dreimal mit der CARRIER II los, um die Leute und die Ausrüstung zu holen.“

Tony sah die beiden Lieutenants an: „Ihr wisst, um was es geht?“

„Felipe hat uns aufgeklärt. Wir kennen uns seit Jahren“, sagte Carol. „Allerdings war diese Geschichte so fantastisch, dass unsere Trupps von uns verlangten, dies zu überprüfen. Wir kommen mit, Tony. Unsere Abwesenheit wird erst in ein paar Tagen auffallen.“

„Dann los“, regte Tony an und es kam Bewegung in die Crew.

Anschließend nickte er Lara Horn zu: „Dein Einsatz, Lara.“

 

02.02.2060, 18:45 Uhr,

Bolivien, Potosi, angrenzend zum Zentralkrankenhaus:

 

Professor Emre Horn saß auf einem Stuhl im fast dunklen Raum und schaute trüb aus dem Fenster. Wenn man in seine Augen sah, dann war man der Vermutung nah, dass der alte Mann überhaupt nichts wahr­nahm. Die Schwester, die im Auftrage der Krankenhausverwaltung drei­mal am Tag nach ihm sah, war vor einer halben Stunde gegangen und hatte seine Mahlzeit auf den Esstisch gestellt.

Emre Horn hatte das Essen bisher nicht angerührt.

Es war kalt geworden – das Essen.

Und die Welt – für ihn, Emre Horn.

 

Vor etwa zwei Wochen war die Welt des Professors untergegangen. Die Nachricht von der Explosion der STARHUNTER und dem Tod der Crew, darunter seine Tochter Lara, hatte ihn per Fernsehen erreicht. Die Krankenhausverwaltung hatte sofort eine zweiköpfige Delegation ge­schickt, um zu kondolieren. Das Haus des Professors stand am hinteren Ende des Krankenhausareals. Man hatte einen Professor Emre Horn vorgefunden, der noch immer teilnahmslos auf das Fernsehgerät starrte, obwohl die Meldung bereits seit vier Stunden durch war. Er war an­schließend im Krankenhaus, seinem eigenen, untersucht worden. Der Professor war traumatisiert. Er nahm schließlich wieder am Leben teil, aber nur am Rande. Die Krankenhausverwaltung reagierte richtig. Laut seiner Verfügung war auch für einen solchen Fall vorgesorgt. Man be­stimmte jemand anderen für die Leitung des Zentralkrankenhauses und der Prof wurde so gut versorgt, wie es eben ging. Jeder hatte den freund­lichen und hilfsbereiten Mann in guter Erinnerung und so ging man mit ihm um. Das hieß, dreimal am Tage kam eine der Schwestern und sah nach ihm. Räumte das Gröbste auf, putzte und versorgte ihn mit Le­bensmitteln – dabei ein kurzer Gesundheitscheck. Man hoffte, dass der Prof irgendwann so weit sein würde, dass man ihn psychologisch be­treuen konnte. In diesem Zustand war er für niemanden erreichbar. Eine offizielle Bekanntgabe der Navy-Leitung bezüglich des Todes von Lara Horn hatte es nie gegeben. Emre hätte man damit auch nicht erreicht.

 

Emre Horn reagierte nicht, als die Tür aufging und sich jemand seinem Stuhl näherte.

„Vater?“

Emre schaute geradeaus.

„Meine Güte, Vater!“

Der Klang der Stimme löste in Emre etwas aus. Er sah hoch und in die besorgten Augen seiner Tochter.

„Vater, ich bin gekommen, um dich zu holen.“

„Ich weiß“, kam es brüchig über die Lippen des alten Mannes.

„Wie?“

„Ich habe mich immer gefragt, wie der Tod aussieht. Und ich habe mir so sehr gewünscht, dass er kommt, um mich zu holen. Dass er in Form eines lieben und vorangegangenen Menschen kommt, hatte ich nicht erwartet.“ Die Worte kamen aus dem Mund des gebrochenen Mannes nicht etwa flüssig, sondern abgehackt und mit wechselnder Tonlage.

„Vater, ich bin nicht tot.“

„Ich bin auf dieser Welt verzichtbar, Lara. Von mir bleibt nichts. Du bist tot und es gibt keine Nachkommen, keine Verwandten mehr.“ Es klang wie ein langer Seufzer.

„Das Krankenhaus, Vater. Dein Lebenswerk.“

Der Alte lächelte etwas: „Ja, das ist gut. Gehen wir jetzt, Lara?“

 

Lara sah mit Tränen auf ihren Vater: „Ja, Vater, wir gehen jetzt. Ich hole ein paar Sachen von dir. Warte einen Augenblick, dann gehen wir.“

„Ich brauche dort drüben Sachen?“

„Ja.“

„Ich warte.“

Lara wusste, wo ihr Vater alles untergebracht hatte. Auch ein Bild ihrer Mutter, die ihr so sehr ähnelte, nahm sie mit. Dann waren sie so weit. Lara hatte die Mahlzeit dort stehen sehen, also hatte sie einen Zettel mit holperigen Druckbuchstaben versehen, den sie neben den Teller legte:

‚Ich bin fort – dahin wo mich niemand findet. Darum sucht nicht – Emre Horn.‘

Lara nahm ihren Vater an die Hand. Zittrig stand der Alte auf und ließ sich mitziehen. Lara hatte Tränen in den Augen. Sie hätte darauf drängen müssen, viel früher ihren Vater zu holen. Der Mann war unterernährt und bedurfte der speziellen Pflege. Und am besten war es, wenn sie das übernahm.

Ihr Vater ging zunächst etwas wackelig, an ihrer Hand aber dann etwas sicherer. Die Augen waren groß, als er den Jäger bestieg.

„Engel können nicht fliegen, Lara?“

„Ich kann nicht fliegen, Vater. Diese Maschine kann es.“

„Ich wünschte, das wäre alles wahr, Lara.“

„Es ist wahr, Vater.“

Der Professor wurde vorgestellt: „Das ist Elana Gomez, Vater.“

„Ja, ja, ich kenne alle, die bei dem Unglück ums Leben gekommen sind.“

Elana sah Lara mit großen Augen an, aber die Ärztin schüttelte nur leicht den Kopf. Elana verstand, Prof Horn war ein wenig verwirrt. Lara setzte ihn in einen Sitz.

„Weißt du, was ich nicht verstehe, Lara.“

„Was denn nicht, Vater.“

„Warum macht mir mein Körper, den ich als Toter ja nicht mehr habe, so sehr zu schaffen, mein Kind?“

„Vater, hör zu. Weder du bist tot, noch ich. Du wirst dich an diesen Ge­danken gewöhnen müssen. Und daher spürst du deinen Körper noch. Ein paar Tage Pflege von mir und du fühlst dich wesentlich besser.“

„Wir sind nicht tot?“

„Nein, Vater.“

„Hmm, und was machen wir jetzt?“

„Wir fliegen in den Weltraum und treffen ein größeres Schiff. Dann fliegen wir zu einem anderen Stern.“

„Ha, ha, und du willst mir erzählen, dass wir nicht tot sind?“

Lara musste sich eingestehen, dass ihre Story wenig glaubwürdig war.

Sie kniff ihn in den Arm.

„Aua.“

„Haben Tote Schmerzen, Vater?“

„Wohl nicht.“

„Also. Öffne deinen Geist und schau!“

Der Alte schaute aus dem Fenster und sagte keinen Ton. Weit jenseits der Mond-Bahn war er eingeschlafen.

 

Sie brauchten die üblichen Stunden, bis der Jäger die CYGNE erreicht hatte. Auf dem Landedeck bekamen sie den entkräfteten Mann nicht wach.

„Bitte helft mir“, sagte Lara. „Er muss auf die medizinische Station. Ich muss ihn untersuchen.“

Lars und Max hoben das Leichtgewicht aus dem Sitz. Ein paar Minuten später begannen die Scanner mit der Arbeit.

„Was ist mit ihm?“, fragte wenig später Max.

„Ein wenig Honig im Kopf, wie man so sagt, begünstigt durch Mangeler­nährung und einem schweren Trauma.“

„Bekommst du das wieder hin?“

„Wenn du mir hilfst, schon.“

 

In den nächsten Tagen machte Professor Horn gut Fortschritte und erkundete in wechselnder Begleitung das Schiff. So ganz war er noch nicht überzeugt, dass er nicht im Reich der Toten war. Aber sonst war er, Dank der fürsorglichen Pflege seiner Tochter, ziemlich fit und machte weiter Fortschritte. Ein jeder sprach ihn nur mit Professor oder Prof an. Er ließ es sich lächelnd gefallen. Da er zu jedermann freundlich war, betrachtete man es als Gewinn, ihn in dieser Truppe zu haben. Ja, man musste sich etwas um ihn kümmern. Alle taten das und damit war Emre Horn ein wichtiges Bindeglied zwischen den Mannschaftsmitgliedern. Und noch was: Die kleine Katze erwies sich als Kater, um einen selbst­bewussten Kater, trotz der geringen Lebenserfahrung. Sputnik, so hatten sie das Fellknäul getauft, saß häufig beim alten Horn und ließ sich strei­cheln.