21. NOVEMBER, BERLIN

»VERTRAU IHR NICHT.
SIE BRINGT DICH AN DIE SCHÖNSTEN ORTE,
NUR DAMIT DU NIE WIEDER DORTHIN ZURÜCKKANNST,OHNE SIE DABEI ZU SCHMECKEN.«

Otis

Ellas Nähe zu suchen, um Abstand von ihr zu verlangen, war eine bescheuerte Idee. Eigentlich wollte ich mir doch nur nicht anmerken lassen, was es mir alles abverlangt, vor ihr ganz ehrlich zuzugeben, dass mich die Sache mit ihr im Augenblick überfordert. Aber allein schon den Mund für dieses Geständnis aufzubekommen, hätte offensichtlich ein zu großes Opfer für mich bedeutet. Ging nicht.

Der Plan war, kurz zu diesem Rave zu fahren und dort den richtigen Moment abzupassen, um Ella ganz sachlich mitzuteilen, dass es leider nicht funktioniert, eben so emotionslos, wie ich als Polizist Hunderte Male reagieren musste. Wie oft bin ich ab dem Moment, in dem sie vor dem Produktionsgebäude beinahe in mich reingestolpert ist, dann eigentlich falsch abgebogen, um am Ende mit ihr auf dem Rücksitz meines Autos zu landen? Trottel. Und was zur Hölle ist aus meinem Scheißvorsatz geworden, drei Dinge in den Griff bekommen zu wollen?! Hatte ich, die Angelegenheit mit Ella zu klären, nicht als am leichtesten eingestuft? Wenn es schon so anfängt, dann können die anderen beiden Punkte nur beschissen enden. Jetzt bin ich ganz sicher nicht so bescheuert, es bei Gloria oder meinem Vater freiwillig auch nur mit der Wahrheit zu versuchen.

Die Autofahrt in die Innenstadt war die reinste Tortur. Ella hat nicht viel gesagt, als ich das Kondom in irgendeinem Mülleimer entsorgt und anschließend noch mal darauf bestanden habe, sie zu fahren, aber ihre Blicke sind mir nicht entgangen. Wie schafft sie es, meinen Verstand nur mit ihren Augen von meinem unmissverständlichen Tu-es-nicht abzubringen und dafür von ihrem Auf-gehts zu überzeugen? Ich sollte da nichts hineininterpretieren, wahrscheinlich ist sie einfach gut darin, bockiges Kleinkindverhalten auszubremsen. Sie ist schließlich Erzieherin. Was dann wohl bedeutet, dass ihr den Tag über ziemlich viele Fragen gestellt werden, wenn ich so an die Zeit mit Linus denke. Deshalb haben sie meine bestimmt nicht weiter beeindruckt.

Trotzdem, keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe, Ella mit genau diesen drei Fragen zu konfrontieren. Offenbar nicht viel. Aber immer noch ein bisschen mehr als vor fünfundzwanzig Minuten, denn da haben sich noch ein paar mehr Gehirnzellen verabschiedet. Anders kann ich es mir jedenfalls nicht erklären, wieso ich auch noch zugestimmt habe, mit ihr an die Spree zu fahren. Aber bei der Aufregung, die sie plötzlich versprüht hat, konnte ich nicht Nein sagen. Gloria kümmert sich um unseren Vater, weshalb ich sozusagen unerwartet einen freien Abend gewonnen habe, den ich nun wohl mit Ella verbringe. Und somit verlängere ich also eine Sache, die ich schon längst beendet haben wollte. Glanzleistung.

Ich schätze, ich hätte Ghosting einfach in Kauf nehmen sollen. Denn das hier werde ich so was von bereuen.

»Vorsicht, da ist eine Stufe«, warnt Ella, als sie nach kurzem Suchen eine Stelle gefunden hat, wo eine Lücke im brusthohen Gebüsch klafft. Weil ich nichts antworte, zeigt sie auf eine Steinstufe vor sich, die beinahe mit dem Boden verwachsen ist, so viel Moos und Gras wuchert darüber. Als ich wieder aufblicke, sehe ich, wie Ella sich kurzerhand zuerst durch das Gestrüpp quetscht, das eine naturgewachsene Abgrenzung zwischen dem Flussufer und dem Straßenrand bildet, wo ich mein Auto unerlaubterweise abgestellt habe. Ich folge ihr, lockere dabei meine angespannten Schultern und beobachte, wie sie erst in geduckter Haltung energisch Zweige beiseitedrückt und sich schließlich mit winzigen Seitschritten die Böschung hinuntertastet.

Als sie das Flussufer erreicht, erkenne ich nur noch ihre Umrisse und sehe dennoch, wie sie in die Hocke geht und sich dort über die Schulter nach mir umsieht. »Was ist los, Herr Polizist? Kneifst du?« Lachend versucht sie ihr Gleichgewicht zu halten. Nur dass sie dafür jetzt die Hände in den Matsch drücken muss, der anscheinend so glitschig ist, dass sie wegrutscht und auf ihrem Hosenboden landet.

Mit wackligen Knien klettere ich zu ihr runter, doch als ich Ella erreiche, hat sie sich schon wieder lachend aufgerappelt. Erst da merke ich, wie gern ich ihr meine Hand entgegengestreckt hätte, um sie hochzuziehen und somit noch einmal ihre weiche Haut berühren zu dürfen. Sie festzuhalten, anders als vorhin im Auto. Nicht nur Sex, sondern …

Okay, was zur Hölle denke ich da? Themawechsel. Sofort!

Geht nicht, verdammt. Außer …

»Weißt du, weshalb das Spreeufer an manchen Stellen in Berlin abgesenkt wurde?«, frage ich und ja, ich muss wohl eine äußerst masochistische Seite besitzen, jetzt mit so einem Thema anzufangen. »Durch die ehemalige Trennung der Stadt gibt es sowohl im Osten als auch im Westen Berlins eine Biberpopulation. Ursprünglich waren Biber nicht gern im Stadtgebiet gesehen. Erst seit Kurzem stehen sie unter Naturschutz. Deshalb setzt Berlin alles daran, die Tiere zu schützen und vor allem die Westbiber mit denen aus dem Osten zu verkuppeln, damit sie sich in Ruhe fortpflanzen dürfen und die Biberpopulation wieder anwächst. Aber Biber schaffen es nicht, das ganze Stück durch den Spreekanal von Ostberlin in den Westen zu schwimmen, weshalb extra dafür Flachwasserstellen eingerichtet wurden. Eine Biber-Sex-Luftbrücke sozusagen.«

Biber-Sex-Luftbrücke? Wenn ich auch nur einen Funken Verstand übrig habe, sollte ich mich nach der Scheiße jetzt umdrehen und dafür sorgen, dass Ella mich nie mehr wiedersieht. Ich habe schon viel Unangebrachtes von mir gegeben, aber selten war es mir so peinlich wie gerade eben. Es ist nur so: Hier unten fühlt man sich vollkommen abgeschieden von der Stadt. Der Ort verschluckt jedes Geräusch, dazu die reine Schneeluft, das leise Wasserrauschen in der Dunkelheit, das mir eigenartigerweise nicht sofort die Kehle zuschnürt, und der modrige Geruch von feuchter Erde – das alles lässt mich keinen Gedanken überprüfen, bevor er meine Lippen verlässt. Mein Kopf fühlt sich irgendwie genauso matschig an wie der Boden unter meinen Sohlen und ich bin einfach … lockerer.

»Wär mir irgendwie unangenehm, wenn wir jetzt Biber beim Sex stören.« Ella deutet auf einen umgestürzten Baum. Einige der Äste ragen ins Wasser, tote Blätter sind überall auf der Erde verteilt und auf der dicken Blätterdecke fühlt es sich sicher so leicht an, wie auf einem Federkissen zu stehen. Das erklärt, weshalb Ella eben weggerutscht ist.

»Ich glaube, die paaren sich im Wasser.«

Sie guckt auf den Fluss, der wegen des umgefallenen Baums und der Wolkendecke über unseren Köpfen wirkt, als läge er im Schatten. »Schräg. Ist bestimmt arschkalt da drin.«

»Jep, nur dass wir das nicht herausfinden werden, weil niemand so blöd ist, um diese Jahreszeit in die Spree zu hüpfen, und bei dem ganzen Dreck und Müll im Wasser auch bei sonst keiner Gelegenheit.«

Daraufhin zieht Ella etwas Unverständliches murmelnd ihre Schuhe aus und stellt sie neben einen dürren Ast, der uns am nächsten ist. Ich sehe ihr dabei zu, wie sie die Socken von den Füßen streift, sie zusammenknüllt und in ihre Schuhe stopft. Die Hosenbeine krempelt sie an beiden Seiten bis zu den Knöcheln hoch und Himmel noch mal, man könnte meinen, dass ich wirklich ein unerfahrener Jugendlicher bin, so neugierig starre ich ihr auf das bisschen nackte Haut.

Sie trägt ein kleines Tattoo unterhalb ihres linken Knöchels, ein Unendlichkeitszeichen, das mir beim Massieren gar nicht aufgefallen ist. Mehr gibt es eigentlich nicht zu sehen. Dennoch habe ich den Drang, zu ihr in die Hocke zu gehen und ihren Knöchel mit meinen warmen Händen zu umschließen. Vor zwei Stunden hatte ich Sex mit dieser Frau und habe deshalb ihren halb nackten Körper gesehen. Näher geht es wohl kaum.

Ist das hier trotzdem etwas ganz anderes? Scheiße, ja! Warum? Es ist viel, viel intimer als Sex.

»Worauf wartest du? Willst du dir lieber deine weißen Schuhe im Matsch versauen?«, fragt Ella mich, als sie sich wieder aufrichtet und ich noch immer den Blick fest auf das Tattoo an ihrem Knöchel geheftet habe.

»Ich schau mir das erst mal bei dir an.« Was mir ein wenig Abstand verschafft, den ich bei meinen Gedankenentgleisungen sehr dringend benötige.

»Klar. Das Zögern kenne ich aus dem Kindergarten, aber meistens geht’s da eher ums Wirsingessen.«

Ella hockt sich auf den umgefallenen Baumstamm und vergräbt beide Füße kurzerhand tief im Matsch. Ich schätze, damit habe ich nicht gerechnet, wobei ich aber auch nicht sagen kann, was ich stattdessen erwartet habe. Jedenfalls nicht, dass sie jetzt allen Ernstes aufsteht und einen Moment später im Dreck auf und ab springt. Atemlos fängt sie an zu lachen, dann zu kreischen. Sie schnappt nach Luft, reißt die Arme hoch, quiekt dabei und lacht noch lauter. Es wirkt, als könne sie gar nicht mehr damit aufhören, und dazu unfassbar erleichternd und befreiend. So, als müsste ich genau das auch erleben: den kurzen Schockmoment vor Kälte, dann der glitschige Matsch, der unter meinem Gestampfe Körpertemperatur annimmt, und vor allem das Gefühl, einen Augenblick lang loslassen zu dürfen.

Im nächsten Moment kickt Ella Dreck in meine Richtung. Dafür klammert sie sich an einem Ast über ihrem Kopf fest und pflügt ihr Bein einmal tief durch den Matsch, der kurz darauf meine Hose sprenkelt. Sie johlt euphorisch und das gibt den Ausschlag.

Hektisch streife ich mir die Schuhe von den Füßen und befördere sie irgendwo neben Ellas. Dann sind die Socken dran und ich springe, ohne zu zögern, zu ihr in den Matsch. Aber …

»O fuck. Fuck, fuck, fuck ist das kalt.«

Ella lacht auf. »Du musst dich bewegen.« Sie streckt ihre Hand nach meiner aus und als ich sie ergreife, zieht sie mich ein Stück zu sich. Beinahe verliere ich dadurch das Gleichgewicht, doch Ella hält mich fest.

Keine Minute später springen wir gemeinsam. Am Anfang halte ich die Luft an, so lange, bis es nicht mehr geht, weil ich Sorge habe, dass ich sonst der Kälte wegen genauso laut loskreische wie Ella gerade. Vielleicht noch schriller. Doch irgendwann schmerzen meine Lungen und ich spüre meine Füße nicht mehr, was exakt der Moment ist, in dem ich drauf scheiße.

Weshalb ist Sex kein Problem, aber mich ins Hier und Jetzt fallen zu lassen, stellt mich vor riesige Herausforderungen? Keine Ahnung, ob es auf diese Frage eine bessere Antwort gibt als den Schrei, den ich gerade loslasse, während ich mich im Matsch um die eigene Achse drehe und die Arme ausbreite. Das tut gut, richtig gut. Ich fühle mich so lebendig wie … seit Mamas Tod nicht mehr. Völlig frei. Gloria, mein Vater, Linus, der in wenigen Wochen nicht mehr in meiner Nähe wohnen wird, und alle anderen Sorgen entweichen für diesen Moment mit dem nächsten Schrei in den Berliner Nachthimmel. Wir könnten hier unten splitternackt rumspringen, es würde oben in Berlin niemanden interessieren, was ein absolut krasses Gefühl ist. Es gibt nur noch Ella und mich. Die mich – das fällt mir erst auf, als ich mich zu ihr drehe – beobachtet. Anscheinend schon länger, denn das Lächeln auf ihren Lippen wirkt gefestigt und überzeugt.

»Halt mich für verrückt«, ruft sie und lacht lauthals über meinen Gesichtsausdruck. »Aber ich glaube, das war gerade mit das Niedlichste, was ich in meinem ganzen Leben gesehen habe, und ich arbeite im Kindergarten.«

»Wooohooo!« Das ist meine Antwort. Ein Schrei, der sich so bescheuert anhört, dass es mir peinlich sein sollte. Das ist es aber nicht und deshalb schreie ich gleich noch mal. So laut, dass Ella sich spielerisch die Ohren zuhält. Und dann greife ich nach ihren Handgelenken und ziehe diesmal sie zu mir, damit wir uns zusammen um die eigene Achse drehen können. Wir schreien, wir lachen wie verrückt über diesen Moment, über uns, über alles. Schließlich reißt sich Ella los.

Ich warte darauf, dass sie sich auf den Ast hockt und sich wieder Socken und Schuhe anzieht, aber sie krempelt ihre Hosenbeine noch ein Stück weiter hoch, stemmt ihre Hände daraufhin in die Hüften, beugt den Oberkörper nach vorn und …

… rennt plötzlich ohne Vorwarnung in den eiskalten Fluss. Ich bekomme fast eine Herzattacke, als sie auf halbem Weg ausrutscht und im seichten Wasser nahe dem Ufer mit einem lauten Platsch auf dem Hosenboden landet.

»Was zur Hölle, Ella? Alles okay?«

Keuchend rappelt sie sich auf, versucht irgendwie aus dem knöchelhohen Wasser zu kommen und dann, als ich zu ihr aufgeschlossen habe, um ihr die Hand zu reichen, schlägt sie breit grinsend ein.

»Fehler«, raunt sie. Im nächsten Moment werde ich von Ella ins Wasser gerissen und o Gott, das ist ja noch viel schlimmer, als es bei ihr ausgesehen hat.

Ich stolpere, kann mein Gleichgewicht aber ausbalancieren und stoße dabei einen Laut aus, der irgendetwas zwischen Kreischen und Stöhnen ist und sich mit Ellas Jubelschrei vermischt. Dann spüre ich, wie sich meine Hose mit eiskaltem Wasser vollsaugt.

»I-ich spüre m-meine Scheißz-zehen nicht m-mehr«, bringe ich irgendwie zitternd hervor. Dabei bin ich gerade mal bis zu den Knöcheln im Wasser, wohingegen Ellas Hose durch ihren Sturz ganz sicher bis zum Bund durchnässt ist.

Auch sie japst nach Luft. »Ich wette, du machst nie wieder so was Verrücktes.«

Die Wette würde sie gewinnen. Ich nicke und Ella grinst, woraufhin sie sich eigentlich an mir vorbei raus aus dem Wasser zurück ans Ufer hangeln will. Ihre Hüfte stößt dabei gegen mein Bein und weil sie die ungeplante Berührung erschreckt, verliert sie abermals den Halt. Diesmal jedoch habe ich sie. Ich halte Ella fest, ziehe ihren eiskalten Körper erneut an mich. Nur viel enger diesmal.

»Sorry, ich dachte, das wär ein dämlicher Biber«, flucht sie und dann merkt auch sie, wie nah wir uns sind. Ich spüre, dass sie hektischer ein- und ausatmet. Sie schlingt beide Arme um meinen Körper. Keine Ahnung, was hier gerade passiert, aber meine Hand legt sich wie von selbst auf ihre linke Seite, um von dort über den dicken Kapuzenpullover hoch bis zu ihrem Gesicht zu gleiten. Als müsste ich sie jetzt festhalten und berühren, weil sie es mir vorhin nicht erlaubt hat. Was natürlich bescheuert ist. Ich war einfach zu spät dran. Deshalb sollte ich sofort die Finger von ihr nehmen, damit sie das kurze Stück aus dem Wasser laufen kann. Sie zittert, ihr Körper vibriert vor Kälte. Bestimmt hat sie ganz blaue Lippen.

Okay, was tue ich hier? Wieso denke ich genau jetzt an Ellas Mund? Bemerkt sie, dass ich meinen Kopf leicht vorgebeugt habe?

Die Antwort darauf lautet: Ja.

Sie grinst. Das hier ist ihre Rache dafür, dass ich sie neulich im Flur fast dazu gebracht hätte, mich zu küssen. Voll erwischt. Um es mir noch mal zu demonstrieren, beißt sie sich herausfordernd auf die Unterlippe und stöhnt ganz leise. Natürlich bin ich ihrem Grinsen gegenüber völlig machtlos und ziehe auch meine Mundwinkel hoch.

Doch weil da jetzt wieder der Drang ist, irgendetwas zu tun, das Ella signalisiert, wie wenig ernst das hier zwischen uns ist, lasse ich sie vorsichtig los und verschränke, kaum dass sie einen festen Stand hat, demonstrativ die Arme vor der Brust. Ihr Blick ist dunkel, und dennoch fühlt es sich so an, als wäre ich ein Reh, auf das zwei grelle Autoscheinwerfer gerichtet sind. Es kostet mich einiges an Kraft, ihr nicht nachzusehen, während sie sich nun aus dem Wasser kämpft. Zerknirscht konzentriere ich mich auf meinen großen Zeh, der mir vermutlich jede Sekunde abfällt. Die schmerzhafte Taubheit hilft immerhin dabei, zurück zu einfacheren Gedanken zu finden.

»Otis?«

Ich fasse es nicht, dass ihre Stimme nach der Eisdusche eben so fest und herausfordernd klingen kann. Sie hat Socken und Schuhe schon wieder angezogen und wartet mit nasser Hose auf dem Baumstamm. Für die Autofahrt werde ich ihr gleich meine Kleider geben müssen.

Aber fürs Erste muss ich mich zwingen aus dem Wasser zu steigen. Ich schwöre, dass ich noch nie Feuer und Eis zugleich gefühlt habe, aber genau so beschreibt sich das Gefühl in mir gerade am besten. Bis zu den Knöcheln sticht und brennt meine Haut vor Kälte und überall dort, wo Wassertropfen meine Kleidung sprenkeln, ebenso. Doch mein Gesicht glüht. Die Wangen, die Stirn, vor allem meine Lippen brennen, weil ich keine Ahnung habe, wie zum Teufel ich mich dieser Situation entwinde.

»Ja, Ella, du hast recht mit dem, was du mir gleich sagen wirst«, komme ich ihrer Provokation einfach zuvor, kaum dass ich es irgendwie auf den Baumstamm neben sie geschafft und meinen Kopf zu ihr gedreht habe. Angriff ist die beste Verteidigung. »Es ist kein bisschen albern, im Schneematsch rumzuspringen. Ganz im Gegenteil.« Ich konzentriere mich darauf, meine Stimme locker klingen zu lassen. »Es hat Spaß gemacht.«

»Stimmt.« Sie zieht ihre Beine hoch auf den Baumstamm, um die Arme um ihre Knie zu schlingen. »Aber eigentlich wollte ich dich fragen, ob du mich gerade küssen wolltest.«

Ich schlucke. Dass sie die Dinge mal wieder einfach so direkt anspricht, macht mich fertig. Ich muss mich mit aller Kraft darauf konzentrieren, überhaupt irgendeine Antwort aus meinem Kopf zu fischen. Eine, die bitte auch ohne Sarkasmus funktioniert.

»Ich schätze mal, die Antwort bleibt eh dieselbe.« Diesmal kontert Ella schneller als ich. Ihre Stimme ist viel ruhiger als der Sturm, den ihre Worte in meinem Brustkorb auslösen.

Ich bin kein Melzke-Mann , schießt es mir schon wieder durch den Kopf. Ich entfache keine Stürme, sondern harre kümmerlich in ihrem Auge aus und hoffe, dass ich das Chaos irgendwie überlebe.

Keine Chance. Denn Ella zerstört mich auf die schönste Art und Weise, die ich kenne: mit ihrem Lachen.

»Dass ich recht habe, meine ich«, fügt sie hinzu.

Hätte sie nicht gemusst, denn meine Kehle ist auch so schon staubtrocken geworden. Sie springt vom Baumstamm und klettert ohne ein weiteres Wort den Abhang hoch zum Straßenrand, um sich oben wieder zu mir zu drehen. »Ist es eigentlich illegal, nur mit einem Slip bekleidet auf dem Fahrersitz zu hocken?«

»Keine Ahnung.« Ich starre zu ihr hoch und denke darüber nach, was ich neulich festgestellt habe: Dinge totschweigen wird mein Untergang sein .

Nun, ich schätze mal, Worte haben auch das Zeug dazu, mich zu vernichten.

Zumindest, wenn sie aus Ellas Mund kommen.

Den, da hat sie recht, ich verdammt noch mal gerade küssen will.