11. DEZEMBER, BERLIN

»VERLIEB DICH. IN MICH.
BITTE VERLIEB DICH IN MICH.
WAS ICH WILL?
ICH WILL DICH NICHT ZERSTÖREN.
ICH WILL DICH NICHT VERLIEREN.
DU ENTFACHST EINEN STURM.
UND ICH WILL, DASS ER MEINEN NAMEN TRÄGT.«

Otis

Ich zucke zusammen, als mein Handy vibriert. Mit zitternden Fingern hole ich es aus meiner Hosentasche, aber die angespannte Nervosität verfliegt sofort, weil mir schon auf dem Sperrbildschirm eine Nachricht von Levy angezeigt wird.

Heute Abend Skypen geht klar. Hast du die Sache mit Ria mittlerweile geklärt?

Enttäuscht tippe ich ein knappes Nein, ist nicht so leicht zurück. Was glaubt Levy denn, weshalb ich ihn sonst um ein Gespräch gebeten habe? Gloria redet weiterhin kein Wort mit mir und Levy ist ihr bester Freund, von dem ich mir … keine Ahnung, einen hilfreichen Ratschlag erwarte? Ratschläge kann ich nämlich einige gebrauchen, und das nicht nur Gloria betreffend.

Auch bei Ella habe ich das Gefühl, es verbockt zu haben. Seit sie sich das Recht herausgenommen hat, der Scheißsituation zu entfliehen, in die uns Maxim gebracht hat, werde ich den grässlichen Druck in meinem Magen nicht mehr los. Ständig glaube ich, dass ich mich übergeben muss. Doch egal wie heftig ich würge, es kommt nichts raus. Vielleicht, weil das Problem viel höher sitzt. Es ist mein Herz, das wehtut, und der Schmerz strahlt runter bis in den Magen.

Ich bilde mir ein, dass es mir besser ginge, würde ich mich übergeben oder Maxim die Schuld für den Ausgang der Kontrolle geben. Aber so funktioniert es nicht. Weil Maxim nicht das Problem ist. Hätte ich ihm nicht eine Person vorgespielt, die ich nicht bin, wäre es nie zu einem Gespräch wie dem bei der Telelux-Fabrik gekommen.

Und Ella hätte mir auch nicht diese verwirrende Nachricht geschickt, die als Antwort auf meine Entschuldung kam, bevor zwischen uns Funkstille herrschte.

Sie beinhaltet nur die Adresse eines Secondhandladens, in dem ich gerade stehe. Draußen regnet es, weshalb es im Geschäft trotz gedimmter Beleuchtung düster ist.

Angeblich ist der winzige Shop im Prenzlauer Berg die beste Anlaufstelle, wenn es um hässliche Biberkuscheltiere geht.

Wahrscheinlich sollte ich Ella einfach dankbar sein, dass sie mir den Tipp mit dem Secondhandladen gegeben hat. So bringe ich womöglich endlich genug Mut auf, um mit Ria zu sprechen. Doch jetzt halte ich das gefühlt hundertste in der Hand und weiß nicht, ob ich den Teddy mit falsch herum aufgenähtem Lächeln aus Mitleid einfach mitnehmen oder gegen den Kopf des schlaksigen, gelangweilten Mitarbeiters knallen soll, der, den Blick starr auf sein Handydisplay gesenkt, am Verkaufstresen herumlungert. Aus irgendeinem Grund kommt er mir bekannt vor, aber das liegt ziemlich sicher an dem unterschwelligen Marihuana-Geruch, der mich wie eine Wolke umhüllt, seit ich den Laden betreten habe. Vermutlich lag ich schon mal auf dem Typen drauf, berufsbedingt.

Ich setze den Teddy zurück aufs Regal. Ganz ehrlich? Hier gibt es nirgendwo einen Scheißbiber.

»Entschuldigen Sie?«, frage ich in Richtung des Verkäufers, der erst ein paar Sekunden später den Kopf hebt und den bunten Schild seiner Kappe nach hinten dreht. Ein entnervter Blick trifft mich.

»Was gibt’s?«

»Ich suche ein äußerst hässliches Biberkuscheltier.«

Überrascht zieht er die Augenbrauen zusammen. Wie abgefahren muss eine Nachfrage sein, wenn sie selbst so einen Typen aus dem Konzept bringt? Sein Blick wandert über meinen Oberkörper, der in einem marineblauen Polizeishirt steckt, weil ich direkt nach der Frühschicht hergefahren bin, und bleibt an den Kuscheltieren in meinem Rücken haften.

»Biber?« Er senkt den Blick und richtet seine Kappe. Was hat er denn bloß mit dem Teil?

»Hatten wir einen hier.«

»Hatten?«

»War heute Morgen schon jemand vor dir da und hat ihn gekauft«, schießt er sofort zurück und ich bin kurz davor, mich zu entschuldigen, weil ich anscheinend vorschnell über ihn geurteilt habe. Und … Moment. Wer hat bitte diesen Biber gekauft? Ella? Die Ader in meinem Hals fängt an zu pochen. Das kann nicht Ella gewesen sein. Ich gebe zu, es ist ein extremer Zufall, dass gerade an diesem Morgen irgendjemand Fremdes ein Biberkuscheltier kauft, und zwar in genau dem Laden, den mir Ella empfohlen hat.

Aber es ist definitiv ein Zufall, oder?

»Die Person, die ihn gekauft hat«, beginne ich und drücke mir das zurückgestrichene Haar platt. »Das war nicht zufällig eine junge Frau?«

»Könnte schon sein.« Der Verkäufer überlegt kurz und grinst einen Moment später. »Locker, aufgeschlossen … Nee, ganz ehrlich, wenn ich dich anschaue, kennst du sie nicht, zumindest nicht privat.«

Ach so, weil Polizisten nicht aufgeschlossen und locker sein können? Was ich dank Ella definitiv weiß, ist, dass mein engstirniges Denken in Bezug auf mich und meinen Job als Polizist auch von solchen Vorurteilen herrührt. Viel wichtiger ist aber, dass mir gerade nur eine lockere, aufgeschlossene Frau einfällt. Ella.

»Kein Ding.« Ich nicke dem Verkäufer kurz zu und verlasse mit rasendem Herzen den Laden.

Wieso schnappt mir Ella diesen Biber vor der Nase weg? Ist das so eine Art Botschaft? Ich werde es nicht herausfinden, weil ich mir geschworen habe, sie nicht zu bedrängen.

Dabei bleibt es. Trotzdem spüre ich, wie sich Hoffnung in mir ausbreitet. Kann ich das hier einfach als gutes Omen für das ausstehende Gespräch mit Gloria deuten? Vielleicht will mir Ella signalisieren, dass ich es alleine hinbekommen muss. Ohne Levys Hilfe und ohne ein Kuscheltier, in dessen Fell ich meine Finger krallen kann, wenn mir die Wahrheit zu viel wird. Man kann sich doch nur auf mich verlassen, wenn ich keine dämliche Krücke brauche, um ein Gespräch zu führen. Hat Levy nicht so etwas Ähnliches in Ellas WG behauptet? Ich soll über meine Gefühle reden und keine Angst mehr haben. Nichts mehr aufschieben.

Kann aber auch sein, dass ich bloß übermüdet bin und deshalb nur Müll denke, aber so schnell, wie ich zum Altersheim fahre und dort zum unbesetzten Anmeldetresen sprinte, muss irgendetwas an meinen Gedanken richtig sein.