Höhepunkte
1) Keine.
Tiefpunkte
1) Habe seit heute Morgen ganz schreckliche Bauchschmerzen. Schätze, das ist die Aufregung vor dem Casting. Oder die viele Schokolade gestern. Vielleicht hätte ich den sechsten Schoko-Muffin doch nicht mehr essen sollen, aber diese Diät-Essen, die Mama uns den ganzen Tag auftischt, machen mich inzwischen so hungrig, dass ich beim Anblick von Süßem vollkommen willenlos reagiere.
2) Hubsi (heute trug er eine Art Konfirmationsjackett, frag mich nicht, warum) hat mich heute in der Schule so lange angestarrt, dass es auch den anderen aufgefallen ist. Selbst Jette, die sonst nie was merkt! Zu allem Überfluss meinte Sophie auch noch, dass Hubertus sich neuerdings Chancen bei mir ausrechnet, weil ich ihm irgendetwas von mir geschenkt hätte. Dabei hab ich ihm überhaupt nichts geschenkt! Arghhhhhhhh! Franzi, die als einziges Mädchen noch bei Hubertus’ Geburtstagsparty eingeladen war, hat mir erzählt, dass er in seinem Zimmer zwei Wandertag-Fotos von mir neben das Poster einer halb nackten Frau gehängt hat. Ihhhhhhhhhhhhhhhh! Manche Jungs sind so eklig!!!
3) Heute nach der Siebten ist das Sängerinnen-Casting.
9.15 Uhr. Im Lateinunterricht.
Eigentlich sollen wir jetzt irgendein Streitgespräch zwischen Augustinus und Orosius übersetzen, aber da ich ohnehin nur Bahnhof verstehe, kann ich genauso gut Tagebuch schreiben. Schließlich gibt es gute Nachrichten! Habe eben in der kleinen Pause mit Schari gesprochen, die heute von einem Ohr bis zum anderen strahlt! Und ihre Haarsträhne ist auch noch pink!!! Bin tierisch erleichtert. Anscheinend hat sie gestern mit Jannick geredet und der hatte die Idee, seine Mutter einzuschalten (du weißt schon, die, von der Herr Kleinhardt geschieden ist), damit er Schari weiter sehen darf. Vielleicht reicht es ja auch schon, wenn er mit ihr droht. Laut Jannick bekommt er von seiner Mutter alles, weil sie so ein tierisch schlechtes Gewissen hat, dass sie ihn und Jannicks Vater verlassen hat, und insofern gibt’s in Sachen Hausverbot einen Lichtstrahl am Horizont. Bin echt froh! Das gestern hat mir nämlich ganz schön Angst gemacht, aber so wie Schari eben drauf war, denke ich, Jannick und sie kriegen die Sache schon wieder hin. Und notfalls kann ich mir Herrn Kleinhardt ja noch immer zur Brust nehmen und ein Exempel statuieren (wenn ich nur wüsste, was für eins).
11.23 Uhr. Große Pause.
In zweieinhalb Stunden ist das Sängerinnen-Casting. Habe eben x-mal darüber nachgedacht, wie ich aus der Segelnummer wieder rauskomme, und bin jetzt zu einer Entscheidung gelangt. Wenn ich das Casting gewinne, sage ich Papa, dass das mit Dänemark leider nichts wird, und frage ihn, ob er nicht stattdessen mit Mama segeln gehen will. (Mama hasst Segeln, insofern wird sie mich killen, wenn sie das hört, aber wo gehobelt wird, fallen nun mal Späne, sagt Mumi auch immer.)
Okay, und wenn ich das Casting verliere, gehe ich mit Papa segeln. Ist vielleicht ein zusätzlicher Anreiz, um heute Nachmittag alles zu geben. Apropos alles. Habe beschlossen, »Liebe ist alles« von Rosenstolz zu singen. Bei dem Lied hat sich Otti wenigstens nicht die Ohren zugehalten. Drück mir die Daumen. Um Punkt 15.00 Uhr geht’s los.
11.43 Uhr.
Oh Gott! Hocke gerade auf dem Schulklo und kann vor lauter Bauchkrämpfen kaum schreiben.
Was mache ich nur? Mein Bauch macht Geräusche wie ein Vulkan kurz vorm Ausbruch und eben hab ich auch noch Durchfall bekommen. So ein Kack! (Im wahrsten Sinne des Wortes!) Erst habe ich gedacht, das ist bestimmt nur die Aufregung, aber inzwischen befürchte ich, dass ich gerade dabei bin, wirklich krank zu werden. Verflixt! Das glaubt mir nach der ganzen Vorgeschichte doch niemand mehr! Das Schlimmste ist, dass ich unmöglich von der Toilette aufstehen kann. Hab’s eben versucht, aber ich hatte kaum die Klotür auf, da ging’s schon wieder los.
Elf Minuten später.
Noch immer auf dem Schulklo.
Dünnpfiff ist gar kein Ausdruck für das, was ich habe. Und dazu Bauchkrämpfe, die so fies sind, dass ich sie noch nicht mal Hanna wünschen würde. Um mich herum ist zum Glück alles still, weil die anderen im Unterricht sind, aber ich schaff es einfach nicht, mir die Jeans hochzuziehen. Hoffentlich schickt Herr Clausen niemanden los, um nach mir zu gucken. Wenn ich mir vorstelle, dass mich so jemand sieht, kann ich mir gleich einen Strick nehmen! Oh, nee. Gerade wird mir auch noch speiübe-
Vier Minuten später.
Oh Gott. Oh Gott! Jetzt hab ich auch noch gespuckt. Das meiste hab ich versucht aufzuwischen, aber … Oh, nein, es geht schon wieder l-
12.10 Uhr. Schulklo.
Du glaubst nicht, wie es um mich herum stinkt. Abartig! An Aufstehen ist nicht zu denken und allmählich frage ich mich ernsthaft, was passiert, wenn ich heute Abend noch immer hier sitze. Habe in meiner Verzweiflung kurzzeitig überlegt, mich in der nächsten Pause doch bemerkbar zu machen, den Gedanken aber nach einem Blick auf meine vollgekotz … Hose schnell wieder verworfen. Oh, SHIT! Was mache ich denn jetzt? Rufe ich Mama an und frage, ob sie mich abholt oder … Oh nein, nicht schon wie-
Drei Minuten später.
Mama hat gesagt, sie holt mich gleich ab. Es ist alles so eklig hier und ich fühl mich so …
Etwas später. Zu Hause.
Habe mich eben noch mal übergeben. Jetzt geht es mir etwas besser, aber das hält leider höchstens zehn Minuten an, dann wird mir wieder so übel wie beim Segeln, nur noch schlimmer. Dabei müsste mein Magen eigentlich langsam leer sein, aber von wegen. Boah, ich sag dir … Ich hassssseeee Virusse und den hier ganz besonders!
13.54 Uhr.
Puh!!!!! Vor einer Viertelstunde hat Mama mir eine Tablette gegeben und die hat es wirklich gebracht – denn seitdem musste ich nicht mehr aufs Klo!!! (Könnte glatt als Höhepunkt durchgehen.) Dafür ist mir ganz schummrig und müde bin ich auch, dabei muss ich doch unbedingt Ben oder wenigstens seine Mutter abpassen, damit er Bescheid weiß, was mit mir los ist und warum ich nicht beim Casting war.
14.02 Uhr.
Bin völlig weggetreten! Eben, als ich aus dem Fenster geguckt habe, um zu sehen, ob drüben bei Ben schon jemand zu Hause ist, hatte ich die allererste Halluzination meines Lebens. Ob du’s glaubst oder nicht, eine Sekunde lang hätte ich Stein und Bein darauf geschworen, dass dieser Kahlkopf mit dem Britney-Spears-Tattoo vor unserer Gartenpforte steht. Der aus dem Kino, mit dem Popcorn. Vor unserem Haus!
Habe kurz die Augen geschlossen, um zu überprüfen, ob ich mir das Ganze nur einbilde, und zack, eine Sekunde später war der Spuk vorbei. Weil ich es nicht glauben wollte, habe ich mich wie eine Wilde verrenkt, um weiter aus dem Fenster gucken zu können, aber soweit ich sehen konnte, stand vor der Pforte absolut niemand mehr. Gespenstisch, oder?
Habe mir neulich eines von Mamas Psychobüchern ausgeliehen (seitdem sie diese postnatale Depression nach Ottis Geburt hatte, kauft sie die quasi ständig) und da stand unter anderem drin, dass außergewöhnliche Belastungen (und wenn so ein Virus plus die Angst vor dem Casting keine sind, weiß ich auch nicht) durchaus zu zeitweiligen Bewusstseinseintrübungen führen können. Das ist echt wieder typisch! Andere sehen bei einem Magen-Darm-Infekt höchstens das Innere der Kloschüssel und was sehe ich? Einen übergewichtigen Glatzkopf mit einem Britney-Spears-Tattoo im Nacken! Ich mein, wenn schon Wahnvorstellungen, warum nicht Tom Higgenson, dieser Sänger der Plain White T’s, der vor unserer Haustür »Hey There Delilah« (abgewandelt in »Hey There Julie«) für mich singt? Oder Ben mit einem Rosenstrauß und einer Riesenpackung Salzstangen in der Hand?
Ich hab noch total benebelt am Fenster gestanden, da ist Mama reingekommen und hat mir einen Teller mit Zwieback neben das Bett gestellt und gesagt, ich solle ins Bett zurückgehen und versuchen zu schlafen. Habe ihr erklärt, warum das auf keinen Fall geht, aber Mama meinte, ich soll mir keine Sorgen machen, sie würde sich schon um Ben kümmern und ihm die ganze Sache mit dem Casting erklären, schließlich sähe ich aus wie der Tod auf Socken. Oh Mann, manchmal bin ich soooo froh, dass ich sie habe! Auch wenn sie ab und zu nervt, aber bei so was ist sie einfach klasse!! Hoffe, Ben ist nicht allzu sauer darüber, dass ich wirklich krank bin, aber wenn Mama ihm meine Spuckerei anschaulich genug schildert, wird er mir wahrscheinlich auf Knien danken, dass mir das Ganze nicht auf der Bühne passiert ist.
PS: Eben fällt mir ein: Vielleicht kommen meine Bewusstseinsstörungen ja von den Tabletten? Muss Mama unbedingt heute Abend fragen, was das für ein Zeug war.
17.12 Uhr.
Oh Gott! OH GOTTTTTTTTTTTTTTTTTTTT
17.34 Uhr.
Tut mir leid, wenn die Seite hier ganz feucht ist, aber ich muss gerade tierisch weinen. Oh, Shit! Ich kann gar nicht richtig schreiben. Meine Hand zittert wie Espenlaub und ich fühle mich wie in einer Art Nebel.
Das Einzige, was ich weiß, ist, dass Ben vorhin bei uns geklingelt hat und ich im Halbschlaf zur Tür getaumelt bin und er mich mit einem ganz eiskalten Blick angesehen hat. Und dann hat er gesagt, dass er mich in der nächsten Zeit nicht sehen will und dass ich … Oh Mist …
18.54 Uhr.
Habe eben wieder gespuckt, aber jetzt ist eh alles egal. Komplett alles! Ben hat nämlich vor zwei Stunden mit mir Schluss gemacht. Ich kann’s noch immer nicht fassen! Das ist alles so absurd. Habe mir in der letzten Stunde x-mal in den Arm gekniffen, aber ich bin nicht aufgewacht. Stattdessen hat mein Arm jetzt lauter blaue Flecke. Das heißt, es ist wirklich aus. Aus und vorbei. Wenn es mir in den letzten Monaten schlecht gegangen ist, habe ich immer an Ben gedacht und dann habe ich mich gleich ein bisschen besser gefühlt, aber wenn ich im Moment an Ben denke, habe ich das Gefühl, als würde mir bei lebendigem Leib das Herz herausgerissen werden. Irgendwie ist mir erst jetzt klar geworden, dass ich davon ausgegangen bin, dass wir noch tierisch lange zusammenbleiben. Vielleicht nicht für immer, aber … Doch, eigentlich schon. Für immer. Ziemlich blöde von mir, wie’s aussieht.
23.06 Uhr.
Kann vor lauter Heulen nicht schlafen. Dabei ist mir gerade erst eingefallen, dass ich ja noch gar nicht aufgeschrieben habe, was heute Nachmittag eigentlich genau passiert ist. Also …
Nach dem ganzen Spucken und Durchfall und den Tabletten hab ich wie eine Tote geschlafen, und als ich zwei Stunden später aufgewacht bin, habe ich gesehen, dass Mama mir eine Tasse Tee neben das Bett gestellt hatte. Daneben lag ein Zettel: »Muss mit Evchen zum Arzt, Vorsorgeuntersuchung. Habe Ben noch nicht erreicht. Bin gegen sechs wieder da. Schlaf schön, Kuss,Mama.«
Ich hab noch gedacht, na toll, ich bin krank und sie kümmert sich mal wieder nur um Otti, aber im selben Moment hat es schon unten an der Tür geklingelt. Ich hab geglaubt, das ist bestimmt Schari, die mir die Hausaufgaben bringt, und bin ein bisschen wackelig in meine Jeans geschlüpft und die Treppe runter zum Eingang gewankt, aber statt Schari stand Ben mit einem ganz komischen Gesichtsausdruck vor der Glastür und ich hab überhaupt nicht geschaltet. Okay, ich glaube, ich hab mich noch kurz darüber gewundert, dass er so außer Atem war und die blaue Ader über seiner Schläfe so heftig gepocht hat, aber da hat er mich schon mit beißender Stimme gefragt, ob ich wüsste, wie spät es ist. Na, und im selben Moment ist mir das mit dem verpassten Casting wieder eingefallen und ich hab begriffen, dass Mama noch gar nicht mit ihm gesprochen hat, und da ist mir total übel und schwindelig geworden und diesmal war daran nicht der Virus schuld.
»Oh Scheiße! Tut mir leid, Ben! Eigentlich wollte Mama gleich noch zu euch rüberkommen und …«
»Sicher. Und morgen heiratet der Papst.« Ich hab verwirrt den Kopf geschüttelt, weil ich nicht ganz begriffen habe, was die Hochzeit des Papstes mit dem Besuch meiner Mutter zu tun hat, aber davon ist mir nur noch schwindeliger geworden und deshalb hab ich damit gleich wieder aufgehört.
»He, ich weiß, du bist bestimmt sauer, dass ich nicht beim Casting war, aber ich hab auf einmal so einen Magen-Darm-Virus bekommen und deswegen musste ich ganz schnell nach Hause.«
Stille. Ben hat nichts gesagt, sondern mich nur finster gemustert. Also hab ich mich noch einmal geräuspert.
»Dieser Virus, der kam ganz überraschend.«
Stille.
»Ich kann wirklich nichts dafür. Heiliges Ehrenwort!«
Immer noch Stille. Ben hat mich weiter angeguckt, aber gesagt hat er keinen Ton.
»Äh … Ben? Alles in Ordnung?«
»Nein.«
»Nein?«
Ich hab gemerkt, dass in mir langsam Panik hochgestiegen ist, weil Ben irre sauer ausgesehen hat, aber bevor ich noch einmal beteuern konnte, dass ich wirklich krank sei, hat er endlich den Mund aufgemacht.
»Nein, es ist NICHT alles in Ordnung. Es ist nicht in Ordnung, dass du einfach nicht auftauchst, ohne abzusagen. Und es ist auch nicht in Ordnung, dass ich mir den Arsch aufreiße, damit wir über Ostern zusammen sein können, während du längst vorhast, mit deinem Vater nach Dänemark zu segeln.«
»Oh. Dänemark.«
Für eine Sekunde war mein Kopf komplett leer und mir ist überhaupt nicht eingefallen, wie ich Ben die Dänemark-Geschichte erklären könnte, aber dann habe ich einfach drauflosgeredet.
»Das mit Dänemark, das ist nicht so, wie du denkst. Also wenn du denkst, dass ich lieber nach Dänemark fahren würde oder so, denn ich will gar nicht nach Dänemark, also ich mein, ich segle ja überhaupt nicht …«
»Das sieht dein Vater aber anders. Mit dem habe ich gerade telefoniert und der meinte, dass du dich riesig darauf freust.«
»Oh. Wirklich? Äh …«
»Aber jetzt kannst du ja leider nicht mitfahren, was? Weil du ja … was hattest du noch? Schreckliche Halsschmerzen? Nein, die waren gestern … Diesen wochenlangen Grippe-Infekt? Ach nee, jetzt fällt’s mir wieder ein! Heute ist es ja ein Magen-Darm-Virus!«
Bens Stimme hat ganz schneidend vor Ironie geklungen und ich habe mich noch mal entschuldigt (ich entschuldige mich immer, wenn jemand mich so ansieht, das ist eine Art Reflex bei mir), aber das hat ihn nur noch wütender gemacht.
»Wenn du noch einmal ›Tut mir leid …‹ sagst, dreh ich mich um und gehe, kapiert?«
»Aber … es tut mir wirklich leid, das mit Dänemark, mein ich, und das mit dem Krankwerden, aber …«
»Wahrscheinlich genauso leid wie die Sache mit dem Wasserrohrbruch, was?«
Bens Stimme ist ganz leise geworden, so leise, dass ich ihn kaum noch verstanden habe.
»Äh, Wasser … Ach so. Du meinst den Wasserrohrbruch in der Buchhandlung … Tja, der …«
Ich hab fieberhaft überlegt, was ich jetzt sagen soll, schließlich hatte ich mir den ja nur ausgedacht, um meine Würde bei Bens Italien-Absage wahren zu können, aber mir ist auf die Schnelle nichts eingefallen.
»Also, der Wasserrohrbruch … Ich weiß, das klingt jetzt komisch, aber …«
Im selben Augenblick hat Ben mir das Wort abgeschnitten und jetzt hab ich ihn ziemlich gut verstanden, weil er so überdeutlich gesprochen hat, dass er gar nicht mehr nach Ben klang.
»Julie, ich war da. Bei Groth. Gerade eben. Bevor ich mit deinem Vater telefoniert habe. Weil ich mir Sorgen gemacht habe, als du nicht zum Casting erschienen bist und niemand bei euch zu Hause ans Telefon gegangen ist. Und da hab ich dann erfahren, dass die gar keinen Wasserrohrbruch hatten. Weder vor ein paar Tagen, noch sonst irgendwann.«
»Oh.«
»Das war schon die dritte Lüge.«
»Ich weiß, aber …«
Ich hab Ben schluckend angesehen und Ben hat meinen Blick mit einem ganz merkwürdigen Ausdruck im Gesicht erwidert. Und dann hat er etwas gesagt, das mich völlig aus dem Konzept gebracht hat. »Ich kürz das Ganze jetzt ab, okay? Stimmt es, dass du dich in jemand anderen verknallt hast?«
Für eine Sekunde habe ich gedacht, ich hätte mich verhört, aber dann habe ich gemerkt, dass er das wirklich gesagt hat, und da habe ich laut aufgelacht. Okay, das war natürlich voll daneben, aber mir war noch immer ganz schwummerig und Bens Frage kam mir so absurd vor! Als ob ich mich je in irgendjemand anderen verknallen könnte! Na, und während ich gelacht hab, hab ich wieder zu Ben geguckt und auf einmal hab ich gewusst, dass ich gerade totalen Mist baue. Ich hab schnell mit dem Lachen aufgehört, aber da war es schon zu spät. Ben hat ausgesehen, als hätte er auf einmal eine Erkenntnis gewonnen, und ich hatte plötzlich einen ganz bitteren Geschmack auf der Zunge.
»Tja, anscheinend hat man mit dem blöden Ben immer was zu lachen, was? Erst schleppt er irgendwelche Föhne an, die kein Mensch braucht, und dann muss er sich auch noch von seinem Nachfolger erzählen lassen, an welchen Stellen bei seiner Freundin die Leberflecke sitzen.«
Bei dem letzten Satz hat Bens Stimme wahnsinnig verletzt geklungen und ich habe ihn angestarrt wie eine Fata Morgana. Leberflecke?? Einen Moment lang habe ich überlegt, ob das hier vielleicht gar nicht wirklich passiert, sondern nur ein Albtraum ist, wegen dieser bekloppten Tabletten, aber im selben Moment hat Ben schon weitergesprochen. »Hast du ein herzförmiges Muttermal auf der linken Brust?«
»Hä??«
»Verdammt, ich will eine Antwort, Julie! Hast du ein herzförmiges Muttermal, ja oder nein?«
Für eine Sekunde hab ich gedacht, jetzt wird das Ganze völlig absurd, und hab mich ganz fest in den Arm gekniffen, aber aufgewacht bin ich davon nicht. Und da bin ich auf einmal wütend geworden. Ich mein, keine Ahnung, woher er das mit dem Muttermal weiß, das weiß noch nicht mal Schari, aber auch wenn Ben mein Freund ist, hat er noch lange nicht das Recht, in so einem Tonfall mit mir zu reden!
»Das geht dich gar nichts an, klar?«
Für einen Augenblick hat Ben mich ungläubig angestarrt.
»Es stimmt also? Du hast ein Muttermal auf der linken … Oh Scheiße!«
Ben hat sich abrupt weggedreht und ich wollte gerade erwidern, dass ich sein Verhalten ziemlich daneben finde, da hat er mir schon entgegengeschleudert, dass er mich niemals wiedersehen will.
»Und das meine ich ernst, klar? Meinetwegen kannst du dir drei Magen-Darm-Infekte holen. Und am besten gleich die Pest dazu! Ist mir scheißegal!«
»Aber …«
»Ach ja, und noch viel Spaß in Dänemark! Und in deinem weiteren Leben!«
»Ben! Jetzt bleib doch mal stehen! Ich will doch gar nicht nach Dänemark! Ich finde Dänemark total bescheu …«
Ich bin Ben hinterhergelaufen, aber im selben Moment, als ich ihn am Ärmel zu fassen bekommen habe, ist Papa uns von der Gartenpforte aus entgegengekommen.
»Hallo, Ben, hallo, meine Kleine. Ich hab heute schon früher Schluss und hab gedacht, wir können ja schon mal unsere Segelsachen packen und … Äh, na dann werd ich wohl schon mal …«
Papa muss gemerkt haben, was zwischen Ben und mir los war, denn er hat mitten im Satz aufgehört und ist dann schnell in Richtung Haustür verschwunden. Und während ich noch überlegt habe, ob Papa meinen letzten Satz (von wegen ich fände Dänemark bescheuert) jetzt mitbekommen hat oder nicht, hat Ben sich angewidert von mir losgemacht und zwei Sekunden später war von drüben nur noch die knallende Haustür zu hören.
Wumms! Und das war’s dann. Ich habe noch einen Augenblick auf die Stelle gestarrt, wo Ben eben noch gestanden hat, und dann hab ich mich fassungslos zu Papa umgedreht, der im Eingang auf mich gewartet hat.
»Äh, Julie, also ich weiß jetzt nicht genau, was da eben zwischen euch war, aber wir fahren doch nach Dänemark, oder? Ich freue mich nämlich drauf und außerdem wollte ich beim Segeln auch noch etwas Wichtiges mit dir besprech …«
»Tschuldigung …«
Ich hab mich mit gequälter Miene zu Papa umgedreht und irgendetwas gemurmelt von wegen mir sei schlecht und dann bin ich ins Badezimmer gestürzt und hab gewürgt und geheult und gespuckt, alles gleichzeitig, bis Mama zwanzig Minuten später mit Otti vom Arzt zurückgekommen ist.
Tja, so viel dazu. Mein Herz ist ein Wrack, mein Magen-Darm-Trakt ein Notstandsgebiet und mein Leben ein Trümmerhaufen. Und das alles wegen einer blöden Lüge, einer doofen Ausrede und einem ätzenden Leberfleck auf der Brust, den ich sowieso noch nie leiden konnte.