Ostersonntag, der 4. April image

image Höhepunkte

1) Papa und ich haben heute früh an Bord Ostereier gesucht. Die Suche war leider nicht sonderlich spannend (das Schiff ist zu klein), aber dafür hat Mama die teuren Hachez-Eier gekauft, die ich so gerne mag, und als Überraschung noch ein Buch übers Manga-Zeichnen.

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2) Jesper, der Edward-Klon von gestern, hat Papa und mir heute früh zwei Schoko-Osterhasen vorbeigebracht, und zwar genau in dem Moment, als ich auf der anderen Seite der Insel Muscheln gesammelt habe. Ich habe ihn um zwei Minuten verpasst! Manchmal scheint das Schicksal es doch gut mit einem zu meinen! (Papa sagte, Jesper hätte in seinen Augen etwas enttäuscht gewirkt, dass ich nicht da gewesen bin, aber ich wette, er lügt. Anschließend hat er noch erzählt, dass Jesper demnächst ein Praktikum in Norddeutschland macht, aber da hab ich schon nicht mehr zugehört. Schließlich ist es in meinen Augen einfach unangebracht, dass Papa sich mit jemandem, den ich nie wiedersehen will, so lange unterhält, aber das Argument hat er irgendwie nicht verstanden.)

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3) Mama hat uns gerade vom Jachthafen in Kollund abgeholt und jetzt sitzen wir im Auto und sind auf dem Weg nach Hause. Nie wieder Lille Okseo again – yeah!

image Tiefpunkte

1) Mama hat Papa vorhin, als sie dachte, ich schliefe, leise gefragt, ob er schon mit mir geredet hätte. Papa hat den Kopf geschüttelt, Mama hat ein genervtes »Na toll!« ausgestoßen und danach haben beide geschwiegen. Wenn du mich fragst, klingt das nicht so, als ob ich das, was sie mir sagen wollen, wirklich wissen will.

15.35 Uhr.

In einer Dreiviertelstunde sind wir zu Hause und ich überlege die ganze Zeit, was ich tun soll, wenn meine Eltern mir gleich erzählen, dass sie sich scheiden lassen wollen. Dass irgendetwas im Busch ist, sieht schließlich ein Blinder mit ’nem Krückstock. Dabei habe ich nach dem Riesenkrach mit der Telefonsex-Hotline letztes Jahr echt gedacht, jetzt bleiben sie für immer zusammen.

Oh, Shit. Am liebsten würde ich das Ganze einfach wegignorieren, aber das geht natürlich nicht. Immerhin bin ich kein kleines Kind mehr, sondern dreizehneinviertel und seit gestern quasi eine Frau. Gott, wie das klingt …

Früher hat Mama immer zu mir gesagt, wenn du deine Tage hast, dann feiern wir das, und ich hab mich richtig darauf gefreut, aber im Moment ist mir alles andere als nach Feiern zumute. Die Rücktour mit dem Schiff war die absolute Hölle, es hat die ganze Zeit geregnet, ich hatte tierische Bauchkrämpfe und zum Schluss bin ich wieder seekrank geworden. Echt ätzend. Na ja, wenigstens ist es hier im Auto schön warm. Otti sitzt in ihrem Kindersitz und macht blubbernde Spucke-Blasen, Papa hat eine CD von den Wise Guys eingelegt, bei der Mama mitsummt, und von außen wirken wir bestimmt wie eine vollkommen glückliche Familie. Aber eben nur von außen. Okay, je länger ich darüber nachgrüble, umso mehr denke ich, dass mit dieser Geheimniskrämerei endlich Schluss sein muss. Sobald wir zu Hause sind, frage ich sie, was los ist. Was auch immer dabei rauskommt, ich verkrafte das schon. Irgendwie.

17.12 Uhr.

Du glaubst nicht, was passiert ist! Wir sind vor einer Dreiviertelstunde zu Hause angekommen. Mama war mit Otti schon im Haus, weil die eine neue Windel brauchte, und Papa und ich waren noch dabei, unsere Sachen aus dem Auto auszuladen, da hat jemand Papa von hinten auf die Schulter getippt. Gleichzeitig hat eine Stimme »Herr Ahlberg?« gefragt, und als ich hochgeguckt habe, standen da zwei Polizisten in Uniform auf unserem Grundstück, ein Mann und eine Frau. Papa hat genauso erschrocken ausgesehen wie ich, aber dann hat sich der Ausdruck in seinen Augen verändert, fast so, als ob er schon gewusst hätte, was jetzt kommt. Die Polizistin hat sich geräuspert und anschließend gesagt, dass sich aufgrund der Anzeige wegen schwerer Körperverletzung noch einige Fragen an ihn als Beschuldigten ergeben hätten. Ob Papa noch einmal mit aufs Revier mitkommen könnte.

NOCH EINMAL?? Mir ist die Kinnlade heruntergefallen, aber Papa hat nur genickt und mit belegter Stimme etwas in Richtung Tür gerufen.

»Geli, kommst du mal bitte? Ich müsste noch mal kurz weg …« Zwei Sekunden später ist Mama mit Otti auf dem Arm im Türrahmen erschienen. BeimAnblick der beiden Polizisten hat sie kurz gestockt, aber dann hat sie ziemlich gefasst »Ja, natürlich« gesagt. So als wüsste sie, worum es geht. »Wann, meinst du, bist du wieder da?«

Papa hat den Polizisten zu seiner Linken fragend angeguckt, aber der hat nur die Schultern gezuckt. Für einen kurzen Moment hat niemand was gesagt und mir ist die ganze Szenerie so unwirklich vorgekommen, als säße ich gerade vor dem Fernseher und würde einen Krimi gucken, aber kurz darauf hat die blonde Polizistin erwidert, zum Abendbrot sei Papa bestimmt wieder zu Haus, und das hat den Bann irgendwie gebrochen.

Während ihr Kollege sich zum Abschied an die Mütze getippt hat, ist die blonde Polizistin mit Papa zum Streifenwagen vorgegangen und Mama und ich haben den dreien nur noch schluckend hinterhergesehen. Oh Mann, ich sag dir, ich hab gedacht, ich spinne!

Mamas Mund wirkte ganz verkrampft, so als würde sie die ganze Zeit die Zähne zusammenbeißen. Und dann hat sie mich mit einem »Ich glaub, wir müssen mal miteinander reden!« in den Flur hineingezogen und ich hab geantwortet: »Das glaube ich auch.«

In der Küche hat Mama Otti in ihren Hochstuhl gesetzt und eine ganze Packung Babykekse vor sie hingelegt, obwohl sie sonst immer sagt, die hätten viel zu viel Zucker. Ich habe uns Teewasser aufgesetzt und Mama hat mir mit einem »Das ist lieb, Julie, du bist wirklich meine Große« über den Rücken gestreichelt. Und danach haben wir uns beide an unseren alten Holztisch mit den Schnörkelbeinen gesetzt und Mama hat mir endlich erzählt, was los ist.

»Du hast bestimmt schon gemerkt, dass Papa und ich in den letzten Tagen ein bisschen angespannt waren, oder?«, hat Mama angefangen.

Mir lag ein »Das ist ja wohl die Untertreibung des Jahrhunderts« auf der Zunge, aber ich hab es heruntergeschluckt und nur genickt, während Mama mir seufzend über die Hand gestreichelt hat.

»Tja, das hat leider auch einen Grund. Ein Mann namens André Hausner hat Papa nämlich angezeigt, weil er ihn vor fast zwei Wochen krankenhausreif geschlagen haben soll.«

»Was??«

Ich hab Mama angeglotzt wie ein Eichhörnchen mit Schwimmflügeln und sie hat meinen Blick schluckend erwidert.

»Ja, ich weiß. Das klingt total absurd. Aber das ist leider noch nicht alles. Das mit der Anzeige ist so unglücklich gelaufen, dass Papa deswegen jetzt auch noch seinen Job verloren hat, und das ist natürlich weniger witzig.«

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»Papa hat seinen Job verloren??«

Ich hab überhaupt nichts mehr begriffen.

Mama hat auf die Tischplatte gestarrt und mir dann meinen Teebecher rübergeschoben.

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»Hier, trink erst mal einen Schluck.«

»Aber … Heißt das, Papa ist jetzt arbeitslos?«

Mama hat stumm genickt.

»Wir hätten es dir gleich sagen sollen, aber irgendwie mussten wir das Ganze erst mal selbst auf die Reihe kriegen. Wir haben natürlich gewusst, dass Papas Chef, Dr. Teubner, nur auf den richtigen Moment gewartet hat, um Papa loszuwerden, aber damit, dass es so Knall auf Fall gehen würde, haben wir dann doch nicht gerechnet.«

»Aber wie, ich mein, warum …?«

Mama hat sich noch einen Löffel Zucker in ihren Tee geschüttet und mir danach gedankenverloren eine Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen.

»Papa hatte letzte Woche ein Meeting mit diesem Herrn Pohlmann von der Sanitätshauskette. Und mitten in der Besprechung sind auf einmal zwei Polizisten aufgetaucht, die Papa vor den Augen von Dr. Teubner und seinem wichtigsten Auftraggeber erzählt haben, dass gegen ihn eine Anzeige wegen schwerer Körperverletzung vorläge. Na ja, und was danach los war, kannst du dir ja vorstellen.«

Ich hab mir unglücklich auf die Lippe gebissen. »Teubner ist garantiert ausgerastet, oder?«

Mama hat so heftig in ihrem Tee herumgerührt, dass die Tasse fast umgefallen ist, und dann hat sie gesagt, das träfe es ziemlich gut.

»Vor diesem Pohlmann hat er sich noch zusammengerissen, aber beim Rausgehen hat er deinem Vater zugezischt, das würde ein Nachspiel haben, und zwar ein gewaltiges!«

»Oh, Shit. Und Papas Auftraggeber? Wie hat der reagiert?« Ich hab mir einen von Ottis Babykeksen geschnappt und ihn nervös in der Hand zerkrümelt.

Mama hat derweil seufzend mit dem Umrühren aufgehört. »Der war wohl zuerst noch recht entspannt. Zumindest hat er zu Papa gesagt, Fehleinschätzungen gäbe es überall und er sei auch schon mal irrtümlich wegen Fahrerflucht festgenommen worden. Nichtsdestotrotz mussten sie die Besprechung natürlich abbrechen und Teubner hat deinen Vater dann am nächsten Tag zu sich bestellt und ihm gesagt, dass er unter diesen Umständen für die Agentur untragbar sei.« »Dieser Mistkerl!«

Während Mama noch mal aufgeseufzt hat, habe ich vor lauter Empörung die Fäuste geballt und dabei ist mir noch etwas anderes eingefallen. »Wer ist dieser komische Hausner überhaupt? Und wieso behauptet er, dass Papa ihn krankenhausreif geschlagen hat? So etwas würde Papa doch nie tun!!!!«

Mama hat genickt. »Tja, das habe ich auch gedacht, aber dein Vater hat inzwischen zugegeben, dass es da tatsächlich einen Vorfall gegeben hat. Allerdings hat Papa aus Notwehr gehandelt. Anscheinend hat ihn dieser Hausner in irgendeinem Kino ohne Grund angegriffen und …«

»In einem Kino?!«

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Eine Sekunde später ist mir Papas gestrige Frage nach dem Mann mit dem Britney-Spears-Tattoo wieder eingefallen und plötzlich war mir alles klar. André Hausner – das musste der Name von diesem Glatzkopf sein, der Papa damals im »Herrn der Liebe« eine verpasst hatte.

»OH, SHIT!!«

Ich habe entsetzt aufgestöhnt und Mama hat mich irritiert angesehen, aber in dem Moment hat Otti versucht, sich aus ihrem Kinderstuhl herauszuwinden, und das hat mir Gott sei Dank Zeit verschafft, meine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle zu bringen. Während Mama Otti davon abgehalten hat, sich kamikazemäßig auf den Fußboden zu stürzen, haben sich die Gedanken in meinem Kopf nur noch überschlagen. Wenn es sich bei diesem Hausner wirklich um den Widerling aus dem Kino handelt – müsste ich Mama dann nicht sagen, dass ich bei dem Ganzen dabei gewesen bin? Aber was wäre dann mit meinem Versprechen an Papa, ihr nichts davon zu erzählen??

Zwei Sekunden später hat Mama die brüllende Otti resignierend aus dem Kinderstuhl herausgehoben und mir ist Papas Frage nach der kleineren Wohnung wieder eingefallen. Und auf einmal hat mein Herz ganz laut zu pochen angefangen.

»Wenn Papa jetzt arbeitslos ist, haben wir dann eigentlich noch genügend Geld für alles? Für unser Haus und das Auto und so?«

Mama hat mir über die Wange gestreichelt und an ihrem Blick hab ich gemerkt, dass der eigentliche Knaller noch kommt. Und da wäre ich am liebsten aufgesprungen und weggelaufen. Ganz schnell. Egal wohin.

Mama hat Otti den zehnten Babykeks in die Hand gedrückt und sich danach wieder zu mir umgedreht und ich hab innerlich gehofft, dass es doch nicht so schlimm kommt, wie ich befürchte, aber das hat nichts geholfen.

»Tja, da hast du leider den Nagel auf den Kopf getroffen«, hat Mama gesagt und ihr Lächeln ist dabei mehr als schief geraten. »Um das volle Arbeitslosengeld zu bekommen, hätte Papa in den letzten zwei Jahren wenigstens zwölf Monate fest angestellt sein müssen. Aber als freier Mitarbeiter hat man einen anderen Status und deshalb ist es leider wirklich so, dass wir uns nach einer neuen Woh …«

»Warte!«

In mir hat es gebrodelt wie in einem Dampfkochtopf, und das Einzige, was ich noch denken konnte, war, dass ich Mama unbedingt daran hindern musste, ihren Satz zu beenden. Weil ich das, was sie sagen würde, einfach nicht aushalten könnte. Also bin ich ihr einfach ins Wort gefallen.

»Du verdienst doch auch Geld! Und ich hab was gespart und …« Mama hat resignierend den Kopf geschüttelt und gemeint, das würde leider nicht genügen, um unseren Lebensstandard zu halten.

»Weißt du, Julie, ich habe es in den letzten Tagen x-mal durchgerechnet. Selbst wenn wir Papas Auto verkaufen und mein Fitnessstudio kündigen – es reicht einfach nicht. Und leider erkennt Papa überhaupt nicht den Ernst der Lage. Kauft ein

Schiff, nur weil er früher so gern gesegelt ist, und glaubt, jetzt wieder Zeit dafür zu haben!! Was für ein Blödsinn!«

Mamas Stimme hat richtig sauer geklungen und ich hab mich irgendwie verpflichtet gefühlt, Papa zu verteidigen, aber ehe ich noch ansetzen konnte, hat sie schon weitergeredet.

»Ich weiß, Julie, das mit dem Schiff hat er auch für dich getan und das war ja auch lieb gemeint, aber trotzdem. Papa denkt noch immer, die Jobs liegen auf der Straße, dabei ist er fast fünfundvierzig! Da liegt überhaupt nichts auf der Straße. Außer Hundehaufen.«

Mama hat bitter geseufzt. »Das, was Papa an Arbeitslosengeld bekommt, ist einfach nicht genug. Und in meinem Job sieht’s auch nicht gerade rosig aus. In der Buchhandlung haben sie mir zwar angeboten, einen halben Tag in der Woche mehr zu arbeiten, aber das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Und das, was wir zurückgelegt haben, reicht ab Sommer noch nicht mal mehr für die Zinsen des Hauses, von der Tilgung mal ganz zu schweigen, und insofern haben Papa und ich uns gedacht, wo das Haus doch so teuer ist und es im Umland wirklich schöne Wohnungen gibt …«

Mama hat angefangen, an der Kerze vor ihr herumzunesteln, und ich hab auf einmal genau gewusst, was jetzt kommt.

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»Du meinst, ihr wollt …« Meine Stimme hat furchtbar rau geklungen. »Du meinst, ihr wollt … unser Haus verkaufen?«

Mama hat die Wachskugel, die sie gerade gedreht hatte, in den Kerzenständer zurückfallen lassen.

»Es tut mir so leid, Wurzelgemüse. Ich weiß, wie sehr du an dem Haus hier hängst, und wir ja auch, aber … In Holm haben wir eine ganz tolle Wohnung entdeckt. Richtig schick, mit einem schönen Blick über die Felder und einem fast genauso großen Zimmer, wie du jetzt auch hast, und für Otti gäbe es da einen sehr netten Kindergarten, alles ist viel grüner als hier und …«

Ich hab Mama ungläubig angestarrt. Und dann hat es irgendwo in mir klick gemacht und die Wörter sind geradezu aus mir herausgesprudelt, wie Lava aus einem Feuer speienden Vulkan. »Du willst, dass wir nach Holm ziehen?? Nach Holm?? Weißt du überhaupt, wo das ist?????? Das ist überhaupt nicht mehr

Hamburg! Das ist schon Schleswig-Holstein!!«

Bei dem Wort »Schleswig-Holstein« hab ich beinahe einen Überkreisch gekriegt und Mamas linker Mundwinkel hat nervös zu zucken angefangen.

»Julie, jetzt beruhige dich doch erst mal und …«

»Aber ich will mich nicht beruhigen!! Und wie stellst du dir das mit der Schule vor? Soll ich da jeden Tag zwei Stunden auf der Bahn sitzen??«

Mamas linker Mundwinkel hat noch doller gezuckt, aber dann hat sie sich wieder unter Kontrolle gekriegt und meinen Blick kopfschüttelnd erwidert.

»Nein, natürlich nicht. In der Nähe von Holm gibt es ein ganz tolles Gymnasium, die bieten nachmittags sogar Manga-Kurse an, ich hab mich da schon erkundigt.«

»Du hast dich was??«

Ich hab Mama angestarrt, als wäre sie ein Monster und dabei hab ich gemerkt, dass ich so wütend war wie noch nie in meinem Leben. Zuerst hat meine Stimme für die Größe meiner Wut noch erstaunlich ruhig geklungen, aber dann ist sie ohne mein Zutun immer lauter geworden und irgendwann habe ich nur noch gebrüllt. Und zwar ganz laut!

»Ihr wollt, dass ich die SCHULE WECHSLE??? Weg von meinen Freunden?? Weg von Schari und Sophie und Jette und Franzi und … Weg von BEN???? Seid ihr jetzt völlig bekloppt geworden??«

Bei dem »bekloppt« hat sich Mamas Gesichtsausdruck verändert und ich hab gemerkt, dass sie auch gleich wütend wird, aber das war mir scheißegal. Ich hab einfach weitergebrüllt.

»Ist mir kackegal, was für Schrott-Manga-Kurse sie da anbieten!! Meinetwegen können sie sich damit gehackt legen! Das mache ich nie! Nie im Leben!! NIEMALS!!!« Und damit bin ich aufgesprungen und rausgelaufen.

Mama hat mir noch etwas hinterhergerufen, das wie »Jetzt guck es dir doch erst mal an!« klang, aber ich war schon auf der Treppe. Oben hab ich die Tür zu meinem Zimmer zugeknallt, so laut, dass die Wände gewackelt haben, aber das hat noch immer nicht gereicht. Also hab ich mir ganz laut Peter Fox angemacht, dieses Lied, in dem er alles um sich herum in Schutt und Asche legt. JA!!!!!!!

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Genau das würde ich jetzt am liebsten tun. Eine riesige Abrissbirne nehmen und die Papas Chef und den beiden Polizisten und vor allem diesem widerlichen Tattoo-Glatzkopf um die Ohren schlagen! Damit ganz klar ist, dass ich niemals hier wegziehe, egal, was passiert. Verdammt, das ist mein Leben! Und ich werde mir das nicht von irgendwelchen Erwachsenen kaputt machen lassen!! Da könnt ihr Gift drauf nehmen!!!

17.43 Uhr.

Bin noch immer wütend, aber allmählich macht sich auch so etwas wieVerzweiflung in mir breit. Ob meine Eltern das wirklich tun können? Mich einfach auf einer anderen Schule anmelden? Gegen meinen Willen? Befürchte beinahe ja. Schließlich bin ich erst dreizehn, da habe ich rechtlich gesehen wahrscheinlich null Chance. (Muss Jette unbedingt fragen, wie das gesetzestechnisch aussieht. Wenn sie später Kommissarin werden will, kennt sie sich vielleicht mit so was aus.)

Verflixt, ich kann’s noch immer nicht fassen. Wie können sie mir das nur antun? Und alles hinter meinem Rücken! Da besichtigen die seit Tagen irgendwelche Wohnungen, während ich Depp mir Sorgen um ihre bescheuerte Ehe mache. Das ist so unfair!!!!

Papa ist noch immer nicht vom Revier zurück und Mama ist nach wie vor sauer wegen des »bekloppt« und des »kackegal«, aber was soll’s. Gehe ich eben ohne Abendbrot ins Bett. Davon wird man wenigstens schlank.

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19.01 Uhr.

Habe vor einer Viertelstunde mit meinem Handy bei Schari angerufen, aber ihre Mutter meinte, der Zeitpunkt sei etwas ungünstig, weil Jannick gerade bei ihr im Zimmer sei und die beiden sich gewaltig streiten würden, zumindest höre es sich durch die Tür so an. So ein Müll! Wette, Jannick hat Schari soeben eröffnet, dass er sich doch nicht getraut hat, seinem Vater mit seiner Mutter zu drohen, und dass das Hausverbot für Schari deswegen noch immer gilt. Wobei – hoffentlich ist es nur das! Nicht dass Jannick jetzt doch noch Schiss vor seinem Vater bekommen und deshalb mit Schari Schluss gemacht hat. Mist! Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr befürchte ich, dass genau das passiert ist! Schließlich ist Jannick manchmal echt ein Weichei. Glaube ehrlich gesagt, dass er sich deswegen auch in Schari verknallt hat. Weil Schari immer so rotzigcool rüberkommt, als sei es ihr total egal, was die Leute von ihr denken. Dabei ist es das gar nicht. Aber das versteht Jannick mit seinem dunklen Wuschelhaarschopf und den großen Kulleraugen hinter der Nickelbrille natürlich nicht. Verflixt! Hoffentlich verhält er sich ihr gegenüber jetzt nicht wie ein Schwein sein Vater. Das könnte ich ihm echt nicht verzeihen.

Vielleicht hat Mumi doch recht. Jungs und Mädchen sind, was Verantwortungsbewusstsein und seelische Reife anbelangt, einfach nicht auf demselben Niveau. Da muss man sich nur mal an einem ganz normalen Tag die Jungs in unserer Klasse anschauen, dann kann man das sofort unterschreiben. Cem zählt seine Brusthaare, Jannick übt auf einem imaginären Akkordeon (Schari meint, er spielt inzwischen richtig toll, aber wie heißt es doch so schön: Liebe macht blind), Hubertus starrt mich an, als wären meine Brüste Atombomben, die jederzeit explodieren könnten, und Oliver grölt irgendwelche Sprüche über die Mütter seiner Mitschüler in die Klasse, bevorzugt: »Deine Muttä ist ja so fett! Und deine Muttä ist noch fetter! Und deine Muttä hat so einen Riesenar …« Absolut unterirdisch!

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Habe Scharinas Mutter gesagt, dass Schari sich jederzeit bei mir melden kann, wenn sie jemanden zum Reden braucht, egal wann, auch nachts um drei, und sie meinte, sie würde es ihr ausrichten.

Nach dem Telefonat mit Scharis Mutter habe ich dann Sophie angerufen, um mit ihr über Mamas Umzugspläne zu reden, aber ehe ich ihr die Geschichte erzählen konnte, ist Sophie mir schon aufgeregt ins Wort gefallen. Sie wollte mich nämlich auch gerade anrufen, weil ihr Bruder Fiete vor einer halben Stunde mit verheulten Augen und einer Stinklaune nach Hause gekommen ist, und Sophie glaubt, dass sein Zustand etwas mit Ben und Linea zu tun hat. Habe Sophie gefragt, wie sie darauf kommt, und sie meinte, dass sie ein Telefonat mit angehört hätte, in dem Fiete Ben wegen irgendetwas tierisch beschimpft hat. Ich habe erwidert, dass so ein Streit tausend Gründe haben kann, aber Sophie behauptete, aus dem Telefonat sei ziemlich eindeutig hervorgegangen, dass Fiete gesehen hat, wie Linea und Ben sich nach den Proben im Keller von Lineas Vater geküsst haben!!!

WUMMS! Was sagt man dazu?War für einen Moment sprachlos und habe das Gespräch anschließend schnell beendet. Auch wenn Sophie sich nie an meinem Unglück weiden würde – nach der Nachricht musste ich erst mal alleine sein.

Oh Mann! Es ist also passiert. Linea und Ben haben sich geküsst. Das heißt, vielleicht haben sie sich geküsst. Eventuell hat Fiete das ja auch alles falsch verstanden. Oder Sophie. So etwas versteht man doch schnell mal falsch. Vor allem, wenn man selbst nicht am Telefon ist. ODER??? Oh Gott, habe gerade das Gefühl, als ob mein ganzes Leben den Bach runtergeht und ich alles verliere: Ben, mein Zuhause und – wenn wir wirklich in die Pampa ziehen – vielleicht auch noch meine Freundinnen. Glaube, ich habe mich noch nie so einsam und verloren gefühlt wie heute.

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