Samstag, der 10. April

image Höhepunkte

1) Habe Papa soeben von meiner nächtlichen Begegnung mit Herrn Hausner berichtet und er war völlig baff. Mama hat die Tulpen in eine Vase gestellt und dabei grinsend gemeint, dass Papa seinen neuen Freund vielleicht öfter mal einladen sollte, schließlich käme sie so wenigstens ab und zu in den Genuss von Blumen, woraufhin Papa stante pede seine Vampirnummer abgezogen hat (das ist die, wo er so tut, als wolle er einem aus Rache in die Halsschlagader beißen) und Mama juchzend vor ihm weggelaufen ist. Manchmal benehmen sich meine Eltern echt, als wären sie acht.

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2) Mama hat die Wohnung in Holm abgesagt, weil Papa inzwischen mit seinen Eltern telefoniert hat und wir jetzt vielleicht doch hier wohnen bleiben können. Zumindest eine Zeit lang. Opa hat nämlich gesagt, dass sie noch etwas Geld auf der hohen Kante haben, das sie uns leihen könnten, und Mama ist vor lauter Erleichterung in Tränen ausgebrochen. Ja!!! Ich liebe meine Großeltern! Auch wenn sie glauben, dass es für dreizehnjährige Mädchen nichts Tolleres gibt, als klitschnass auf einem schaukelnden Schiff zu sitzen und über die beste Taktik bei Dreiecksregatten zu fachsimpeln. Vielleicht sollte ich sie nächsten Sommer doch in Kanada besuchen.

image Tiefpunkte

1) Ben hat eben angerufen und gefragt, ob er kurz rüberkommen kann, um unser Gespräch von gestern fortzusetzen, und ich habe Ja gesagt, obwohl ich am liebsten schreiend weggelaufen wäre. Weil ich mir nämlich seit gestern ziemlich sicher bin, dass er Schluss machen will. Dieser Blick, den er mir zugeworfen hat, ehe der Moderator die Gewinnerband verkündet hat, war eindeutig ein Abschiedsblick, so was spürt man einfach, auch wenn man es nicht wahrhaben will und … Oh, Shit, es klingelt. Das ist er vielleicht schon.

11.38 Uhr.

Was für ein Gespräch! Als ich Ben die Tür aufgemacht habe, ist mir gleich aufgefallen, dass er ziemlich mitgenommen ausgesehen hat, und für einen Moment hat er mir fast leidgetan. Schließlich ist Schlussmachen wahrscheinlich für keinen von beiden toll – weder für den, der Schluss macht, noch für den, mit dem Schluss gemacht wird. Aber etwas später hat meine Wut wieder die Oberhand gekriegt, denn immerhin hat ihn ja keiner dazu gezwungen, mit mir Schluss zu machen. Ist doch wahr!

Unten im Flur habe ich kurz überlegt, ob ich ihn mit hoch in mein Zimmer nehmen soll, aber dann habe ich ihn doch lieber in die Küche geführt, weil der Raum irgendwie neutraler ist, und zu trinken habe ich ihm auch nichts angeboten, damit er gleich, wenn er das Unweigerliche gesagt hat, wieder aufstehen und nach Hause gehen kann. (Unglaublich, was für Gedanken man sich manchmal macht, oder?)

Na ja, und dann habe ich ihn gefragt, was er mit mir besprechen will, und er hat angefangen zu reden.

Zuerst hat er erzählt, dass Hanna ihm ihre Beteiligung an dem Leberfleck-Foto-Drama inzwischen gebeichtet hätte. Und anschließend hat er sich dafür entschuldigt, dass er damals, als ich nicht zum Casting erschienen bin, gedacht hat, ich hätte ihn mit dem Magen-Darm-Virus angelogen.

»Ach, und das glaubst du jetzt nicht mehr?«

Ich habe Ben einen skeptischen Blick zugeworfen und er hat schnell den Kopf geschüttelt.

»Nein. Schließlich lag ich Ostermontag mit demselben Mist flach. Das war echt ausgleichende Gerechtigkeit …«

Ben hat geseufzt und ich hab ihn ungläubig angeguckt.

»Im Ernst? Du warst selber krank? Das hab ich gar nicht mitgekriegt.«

»Kannst du auch nicht. Da warst du ja mit deinem Vater in Dänemark.«

»Stimmt.«

Tief in meinem Inneren habe ich so etwas wie Genugtuung gespürt, aber ehe ich noch auftrumpfen konnte, nach dem Motto »Siehst du, eigentlich hab ich dich gar nicht angelogen!«, hat Ben sich schon geräuspert.

»Okay, das waren die zwei Punkte, wo ich falsch lag, aber die Sache mit der Dänemark-Reise und diese Wasserrohrbruchlüge gehen voll auf dein Konto. Das war einfach komplett daneben!« »Müssen wir das alles noch mal durchkauen?«

Ich hab Ben genervt angesehen und er hat meinen Blick genauso genervt erwidert.

»Willst du die ganze Geschichte jetzt unter den Teppich kehren oder was?«

Ich hab seufzend den Kopf geschüttelt.

»Nein, will ich nicht, aber jeder macht doch mal was falsch …« Ich hab abgebrochen und Ben hat seufzend genickt.

»Ja, das habe ich mir auch erst gedacht. Aber gerade als ich mir erfolgreich eingeredet hatte, dass du jetzt bestimmt mit der Lügerei aufhörst, bist du auf einmal unter meinem Schreibtisch aufgetaucht und hast irgendwas von Einbrechern gemurmelt, und dann hab ich neben meinem Bett so ein komisches Abhörgerät gefunden …«

Oh, Shit. Kurzzeitig hat sich mein Magen umgedreht, aber da hat Ben schon weitergeredet.

»Hast du eine Ahnung, wie’s mir danach gegangen ist, hm?«

»Aber … Damit hab ich wirklich nichts zu tun. Ich war doch nur bei euch, um genau das zu verhindern. Wirklich!«

»Ich weiß. Sophie war eben drüben und hat’s mir erzählt.« Puh. Ich hab erleichtert aufgeatmet, aber gleichzeitig habe ich mir auch gewünscht, dass Ben langsam zum Ende kommt, damit ich mich endlich auf mein Bett werfen und losheulen kann. Allein!

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»Okay, war’s das jetzt?«

Weil ich gemerkt hab, dass ich gleich losflenne und sich dadurch ja eh nichts ändert, habe ich kurzerhand beschlossen, die ganze Prozedur abzukürzen, aber leider hat Ben nicht ganz geschaltet.

»Wie?«

Ben hat mich verwirrt angeguckt und ich habe ungeduldig den Kopf geschüttelt.

»Na, das ist doch nicht so schwierig. Wann also hast du festgestellt, dass du mich nicht mehr liebst?«

»Hä?« Ben hat mich angeglotzt wie ein Auto und ich bin zunehmend sauer geworden.

»Herrgott, du bist doch hier, um Schluss zu machen, oder nicht?«

Immer noch keine Reaktion.

Ich habe entnervt meine Haare über die Schulter zurückgeworfen. »Okay, wenn du unbedingt willst, dass ich die Sache für uns regle, meinetwegen. Also, ich hab dich angelogen und darüber warst du sauer, und das war’s jetzt mit uns beiden, richtig? Auf zu neuen Ufern oder was man sonst bei so was sagt.« »Äh, Julie, hab ich hier irgendwas nicht mitgekriegt?«

Diesmal war es an mir, Ben ungläubig anzugucken, aber ehe ich noch nachhaken konnte, was zum Donnerwetter denn das jetzt wieder bedeuten soll, hat mein Vater mit dem Kärcher in der Hand die Küchentür geöffnet und uns beide verdutzt angesehen.

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»Oh, hallo Ben, welch seltener Gast! Was haltet ihr davon, wenn ihr euch gleich einen Eimer und zwei Lappen schnappt und mir beim Abkärchern der Gartenmöbel helft? Ich mein, natürlich nur, wenn ihr Lust habt. Da sind einige wirklich stark verschmutzt und …«

»Nein, Papa, wir haben keine Lust, dir beim Abkärchern zu helfen. Ben macht nämlich gerade mit mir Schluss.«

»Oh.«

Für einen Moment hat Papa mich entgeistert angeguckt, aber dann hat er schnell den Kopf geschüttelt.

»Tja, das tut mir leid. Na, dann …«

Papa hat sich angeschickt, die Küche wieder fluchtartig zu verlassen, aber da hat Ben ihn schon zurückgehalten.

»Entschuldigung, Herr Ahlberg, aber könnten Sie vielleicht doch noch einen Moment hierbleiben? Dauert auch nicht lange.«

Papa hat gezögert, aber Ben hat ihn so entschlossen angefunkelt, dass er den Kärcher beiseitegestellt hat.

»Na ja, eigentlich habe ich vermutet, dass ich hier eher störe …«

»Tust du auch!«

»Keineswegs!«

Ben und ich haben uns einen gereizten Blick zugeworfen und dann hat Ben tief Luft geholt und mich grimmig von oben bis unten gemustert.

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»Also noch mal, was bitte schön mache ich gerade?«

»Du machst Sch …«

Wollte das Wort eigentlich noch beenden, aber beim Anblick von Bens pochender Ader über der Schläfe ist mir der Rest im Halse stecken geblieben.

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»Was??«

»Na, du machst Schluss, verdammt!!«

Für einen Augenblick herrschte absolute Stille in der Küche und dann hat Ben langsam den Kopf geschüttelt.

»Und wieso bist du da so sicher?«

Ich habe frustriert aufgestöhnt.

»Keine Ahnung. Wegen dem, was du gestern gesagt hast, und …«

»Und?«

»Scheiße, was soll denn das??«

Ich hab Ben wütend angeguckt, aber da hat Papa uns schon wieder unterbrochen.

»Meint ihr nicht doch, dass ich ein klitzekleines bisschen stö …«

»Ja!«

»Nein!«

Papa hat sich resignierend wieder hingesetzt und Ben hat sich zu mir umgedreht.

»Weißt du noch, wie du mir in Gegenwart von meiner Mutter gesagt hast, dass du mich noch immer liebst?«

»Was hast du??????« Papa hat mich ungläubig gemustert und ich hab innerlich geflucht.

»Ich hab doch schon gesagt, dass mir das leidtut. Ich weiß, das war schrecklich peinlich und …«

»Aber Julie, das geht wirklich nicht. Wie kannst du einem Jungen in Anwesenheit seiner Mutter sagen …«

»Klappe!«

Das waren Ben und ich beide zusammen, diesmal gleichzeitig.

Papa hat seufzend die Schultern gezuckt und dabei sehnsüchtig zur Tür geblickt, aber Ben war noch immer nicht am Ende.

»Okay, du weißt es also noch.«

»Herrgott, ich hab doch gesagt, dass ich’s noch weiß, und ja, es tut mir leid! Das war einfach total …«

»…mutig.«

»Mutig??«

»Mega-mutig. Ich würde sagen, das war das Mutigste, was ich je gesehen hab.«

»Aha.«

Ich habe Ben angeguckt wie ein lebendes Fragezeichen und dabei festgestellt, dass er gar nicht mehr so finster ausgesehen hat. Fast hätte man sogar denken können, dass er Mühe hat, sich ein Grinsen zu verkneifen.

»Aber … Wieso?? Ich mein, ich hab gedacht, das wäre der endgültige Auslöser dafür gewesen, dass du mich nicht mehr … Na, du weißt schon …magst und so.«

»Aber ich mag dich noch.«

»Ja, geschenkt. Aber du bist halt nicht mehr in mich verliebt.«

»Bin ich nicht?«

»Nein, ich mein … Oder bist du etwa …?«

Ich hab abgebrochen und Ben fassungslos angestarrt und Ben hat meinen Blick wortlos erwidert. Der Sekundenzeiger der Küchenuhr ist immer weiter gelaufen und weiter, aber keiner von uns beiden hat etwas gesagt, bis Papa sich auf einmal stöhnend aufgerichtet hat.

»Na, wunderbar. Dann hätten wir das ja auch geklärt. Also, wenn mir niemand beim Abkärchern der Gartenmöbel helfen will, dann verabschiede ich mal. Julie, Ben …«

Papa hat mit seinem Kärcher in der Hand die Küche verlassen und kurz darauf hat man durch die geschlossene Tür gehört, wie er Mama davor gewarnt hat, in der nächsten halben Stunde nach unten zu kommen.

Ich habe mich langsam, ganz langsam zu Ben umgedreht und meinen finstersten Blick aufgesetzt.

»Okay, das war ›Rache ist Blutwurst‹, oder?«

Ben hat mit gespielt unschuldiger Miene die Schultern gezuckt. »Na ja, vielleicht eher so etwas wie ›Wie du mir, so ich dir‹. Jetzt sind wenigstens unsere beiden Eltern komplett auf dem Laufenden, was unser Gefühlsleben anbelangt.«

»Mistkerl!«

»Na warte!«

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Ich habe Ben einen Schubs verpasst und er hat angefangen, mich durchzukitzeln, und keine Ahnung, wie es passiert ist, aber eine Sekunde später lag ich in seinen Armen und wir haben uns geküsst wie die Bekloppten. Ich sag dir, das war soooooooo schööön!!! Nach dem Kuss hätte ich fast losgeheult, aber zum Glück hat Ben mir gerade noch rechtzeitig einen Nasenstüber verpasst und gemeint, wenn ich jetzt anfangen würde zu weinen, würde er mich so lange durchkitzeln, bis der Küchentisch genauso zusammenbräche wie neulich unsere Gartenliege, und da hab ich die Tränen dann doch lieber zurückgehalten und stattdessen schief gelächelt. Ben hat grinsend gesagt, mein Lächeln hätte er genauso vermisst wie den Geruch von meinem Haar, und da musste ich auf einmal wieder an Papa denken und an das, was er über Ostern von Mamas Apfelshampoo erzählt hat, und für einen Moment war alles ganz genau so, wie es sein sollte, akkurat, hundertprozentig genau so.

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Ach, warum kann das Leben nicht immer so sein?? Habe Ben anschließend noch mal gefragt, was er gestern Abend eigentlich sagen wollte, bevor Fiete und die anderen ihn unterbrochen haben, und er meinte, er hätte mich fragen wollen, ob es nicht besser wäre, wenn wir uns nicht mehr ganz so oft streiten würden. Oh Mann! Da muss man erst mal draufkommen! Bescheuerterweise hat Ben dann allerdings im Anschluss vorgeschlagen, dass wir auch, wenn wir jetzt wieder zusammen sind, trotzdem ab und zu mal mit jemand anderem zum Schwimmen oder ins Kino gehen sollten, und ich habe ihn ungläubig angeguckt.

»Ist das jetzt dein Ernst oder…?

»Na ja, nur um uns nicht wieder so doll abzukapseln, verstehst du? Von den anderen.«

Ich hab innerlich die Augen verdreht, aber dann ist mir bewusst geworden, dass Marc, Steffen und Fiete ihm wegen mir wahrscheinlich ziemlich die Hölle heißgemacht haben müssen, und deshalb habe ich zögernd genickt.

»Okay, wenn du meinst. Treffen wir uns halt auch mal mit anderen.«

»Gut.«

Ben hat erleichtert genickt und mich anschließend noch einmal zu sich herangezogen, um seine Uri-Geller-Kuss-Fähigkeiten einzusetzen, und zwar mit vollem Erfolg. Zehn Sekunden später hatte ich das Gefühl zu schmelzen, zwanzig Sekunden später hat sich mein Gehirn in Milch aufgelöst und eine Minute später war ich nur noch ein warmer Vanillepudding irgendwo auf Wolke sieben. Unglaubl-

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Oh, Mama ruft. Ich soll kurz auf Otti aufpassen, damit sie nicht vom Wickeltisch fällt. Ich weiß nicht genau, ob ich in den nächsten Tagen zum Schreiben komme, weil ich morgen nach der Schule zu Schari wollte, um sie zu fragen, wie das Ganze mit Kevin ausgegangen ist, und natürlich auch, um ihr das Allerneueste in Sachen Ben und mir zu berichten, und dann hat Ben mich noch gefragt, ob wir morgen einen Ausflug an die Elbe machen wollen, und übermorgen habe ich Sophie versprochen, endlich mit ihr zum Kerzenziehen zu gehen, und Dienstag … Oh, das war eben noch mal Mama. Inzwischen klingt sie richtig sauer. Okay, ich denk, ich sollte mal … Bis demnächst!