Union Square

Wir nahmen mit unseren Einkäufen den Bus zur 14. Straße und stiegen dort aus. Der Union Square war belebt durch Trauer. Hunderte wanderten in der Spätnachmittagssonne umher, zündeten Kerzen an, legten Blumen nieder, lasen die Aushangzettel über die Betrauerten und Vermissten.

PATRICK MICHAEL KEENAN,

genannt RICKY

23. März 1964, 1,83 m, 82 kg

Augen: braun Haar: rotblond

Ein Silberring am Ringfinger jeder Hand

Bitte melden

Herr KENJIRO SATO

Haarfarbe: Schwarz

Augenfarbe: Braun

Größe: 1,74 Meter

Er trägt gewöhnlich Brille

Er trägt eine kieferorthopädische

Zahnklammer

Japaner

Sollten Sie ihn finden, rufen Sie bitte an

ANUPA BANERJEE und RAJ SINGH

26 und 36 Jahre alt

tätig in der IT-Betreuung /

tätig als Leiter Audio/Video

Marsh & McLennan

Bitte Anil anrufen

Ricky grinste mit seiner Brille auf der Nase, Herr Sato hielt seine Tochter, Raj und Anupa standen lächelnd beieinander.

Vermisst wird BETH ROBERTS

Vermisst wird JIMMY GLYNNE

Scharenweise Kinderzeichnungen waren an Drahtzäunen angebracht: Jedes Klassenzimmer New Yorks hatte hier Zeugnis abgelegt. Menschen hinterließen Fotos und Gedichte. Sie hinterließen Puppen und Bibeln und Baseballkappen. Und sie hängten Zettel auf.

Auge um Auge macht die ganze Welt blind

Unsere Trauer schreit nicht nach Krieg

Auf dem Vorplatz des Parks stand eine Frau auf einem Stuhl und hielt eine Ansprache sowohl gegen Hassverbrechen zu Hause als auch gegen Bombardements im Ausland. Sie war als Freiheitsstatue verkleidet und vollständig grün angemalt.

In ihrer Nähe spielte ein Gitarrist für einen kleinen Kreis von Zuhörern. Ein Stück weiter fächerte eine Jazzgruppe die Luft zu einer süßlich-schmerzlichen Brise, und hinter ihr hörten wir vielstimmigen Sprechgesang.

Tibeter waren zum Trauern hierhergekommen und um für den Frieden zu beten. Fünfzig oder sechzig saßen im Kreis um einen Wald aus entzündeten Räucherstäbchen und Kerzen, blätterten die Seiten ihrer Gebetbücher um, lasen von rechts nach links. Wir setzten uns hinter sie, Arm in Arm, und ließen uns vom aufsteigenden Klanggewebe tragen. Sie sangen. Sie sangen.

Ich hatte Katrin mal nach den weißen Seidenschals gefragt, die auf tibetischen Altären um Buddhastatuen drapiert sind. Sie sind auch an den Türen tibetischer Restaurants zu sehen, und am Ende von Sieben Jahre in Tibet erhält Brad Pitt so einen weißen Schal zum Abschied. Sie erzählte mir: »Das ist eine Khata. Sie schenken sie zum Beispiel ihren Lamas.« Ein bis oben hin mit Khatas vollgeknoteter Pfosten stand jetzt hier in der Mitte des singenden Chors.

Sharon seufzte. »Sie haben so viel erlitten, und sie setzen sich immer noch für Gewaltlosigkeit ein.«

Ich senkte meinen Kopf und ließ ihre singenden Stimmen meinen Brustkorb durchbrummen.