»Der erste Polizist, der pünktlich zu einer Verabredung kommt.« Sandra empfing Ravi mit einem strahlenden Lächeln. Er wusste, dass er eine Viertelstunde zu spät war. Harro hatte ihn noch aufgehalten und sich bei ihm für den Alleingang entschuldigt, der mittlerweile fast vierzehn Tage zurücklag. Eine gänzlich ungewohnte Situation, die er in dieser Form nie für möglich gehalten hätte. Der Chef mit gesenktem Kopf vor ihm, in ein paar undeutlich vor sich hin genuschelte Worte eine Bitte um Verzeihung knüpfend. Er könne nicht versprechen, dass es nie wieder vorkomme, aber er werde sich bemühen. Die Befürchtung, dass sie ihn nur belächeln würden, habe ihn angetrieben. Schließlich habe er nur aufgrund einer diffusen Ahnung gehandelt. Auf dem Weg hierher in das neu eröffnete französische Restaurant auf der Rückseite des Doms hatte Ravi sich durchgängig darüber amüsiert und sich mehrmals verwundert die Augen gerieben.
»Es tut mir leid.« Er setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber und spürte die wohltuende Nervosität, die sich seiner bemächtigte. »Harro hat mich noch aufgehalten. Wir sind heute einen großen Schritt weitergekommen.«
»Der Fall mit dem Flüchtlingsjungen?«
Ravi nickte. »Er hat ausgepackt.«
»Der Arzt?«
»Nein, dein Fall.« Er grinste sie an. »Der, dem die Splitter um die Ohren geflogen sind. Er hat tagelang geschwiegen. Heute hat sich sein Anwalt gemeldet und uns wissen lassen, dass sein Mandant vollumfänglich aussagen wolle.« Ravi verstummte. Er hatte nicht vor, ihr erstes Treffen mit den Erkenntnissen des heutigen Tages zu belasten. Die wenigen Details, die Achim Roos offenbart hatte, reichten schon aus. Ihm war es zunächst vor allem darum gegangen, den toten Gerber und Weigel, der noch sehr lange nicht vernehmungsfähig sein würde, zu belasten. Beide seien die treibenden Kräfte hinter der Entführung und der Ermordung des Jungen gewesen. Er habe sich von ihnen mit hineinziehen lassen und dann nicht mehr herausgefunden.
»Kein Thema für einen solchen Abend?« Sandra blickte ihn verständnisvoll an.
Ravi sah in ihre Augen. Er verlor sich im ineinanderfließenden Grün und Blau. Sie neigte den Kopf leicht zur Seite. Die beiden Grübchen zeichneten sich auf ihren Wangen ab.
So viel an einem Tag. Ihre Antwort auf seine Einladung war genau in dem Moment per Textnachricht gekommen, als er im Büro vor der ersehnten Mail gesessen hatte. Das Ergebnis brachte die Gewissheit. Geahnt hatte er es schon. Niluka war nicht seine Mutter.
»Suchst du uns als Fast-Weinkönigin einen guten Rotwein aus? Ich brauche nach diesem Tag mindestens eine Flasche.«