Sie klopften an die Tür von Ida Nees Haus, sie drückten auf den Klingelknopf. Als niemand öffnete, sagte Louisiana: »Vielleicht braucht sie Hilfe. Vielleicht sollten die Glorreichen Drei kommen, um sie zu retten.«
»Haha«, sagte Beverly.
»Vielleicht solltest du einbrechen und reingehen«, meinte Louisiana.«
»Das ist ja mal ’ne richtig gute Idee«, sagte Beverly. Sie zog ihr Taschenmesser heraus und knackte das Schloss an Ida Nees Eingangstür.
»Miss Nee?«, rief Louisiana. »Wir sind’s, die Glorreichen Drei.«
Von irgendwoher aus dem Inneren des Hauses war Singen zu hören, aber auch Schnarchen.
Louisiana bog als Erste um die Ecke. Beverly folgte ihr und Raymie folgte Beverly.
»Sie schläft«, flüsterte Louisiana. »Guckt mal!« Sie zeigte auf Ida Nee, die ausgestreckt auf einem karierten Sofa lag. Ein Arm hing fast bis auf den Boden, mit dem anderen hielt sie ihren Stab an die Brust gepresst. Sie trug ihre weißen Stiefel.
Aus dem Radio ertönte Countrymusik. Jemand sang davon, wie jemand anderes ihn verlassen hatte. Die meisten Countrysongs schienen nur davon zu handeln, wie die einen die anderen verließen.
Ida Nees Mund stand auf.
»Sie sieht aus wie eine schlafende Prinzessin im Märchen«, sagte Louisiana.
»Sie sieht aus, als wäre sie betrunken«, sagte Beverly. Sie beugte sich vor und kitzelte Ida Nees Arm.
»Ach du meine Güte«, sagte Louisiana. »Tu’s nicht. Mach sie nicht wütend.« Louisiana beugte sich zu Ida Nee hinunter und sprach in ihr Ohr: »Erwache und lache. Es ist Zeit für den Unterricht, Miss Nee.«
Nichts geschah.
Raymie schaute Ida Nee an, dann schaute sie weg. Es hatte fast etwas Unheimliches, einen Erwachsenen beim Schlafen zu beobachten. Es schien, als ob keiner mehr für die Welt verantwortlich war. Raymie schaute lieber auf den Lake Clara. Sein Blau funkelte.
Clara Wingtip hatte sechsunddreißig Tage am Stück vor ihrer Hütte gesessen und darauf gewartet, dass ihr Ehemann aus dem Bürgerkrieg heimkam. Und dann, am siebenunddreißigsten Tag, ging sie in den See und ertränkte sich. Aus Versehen. Oder mit Absicht. Wer konnte das schon sagen?
Am achtunddreißigsten Tag war David Wingtip zurückgekehrt.
Doch es war zu spät. Es spielte keine Rolle mehr. Clara war bereits tot.
Wie lange soll man warten? Das war noch so eine Frage, die Raymie gern Mrs Borkowski gestellt hätte. Wie lange sollte man warten und wann sollte man damit aufhören?
Vielleicht, dachte Raymie. Vielleicht sollte ich in die Garage gehen und dem Elch diese Frage stellen.
Sag mir, warum die Welt existiert?
»Ich nehme ihr jetzt den Stab weg«, sagte Beverly.
»Was?«, sagte Raymie.
»Ich nehme ihr den Stab weg, passt auf.«
»Nein, nein, nein«, sagte Louisiana. Sie hielt sich die Augen zu. »Tu’s nicht. Ich kann nicht hingucken.«
Beverly beugte sich über die schlafende Ida Nee. Die Welt wurde ganz ruhig. Die Musik im Radio erstarb, Ida Nee hörte auf zu schnarchen.
»Oh nein«, murmelte Louisiana hinter ihren Händen.
»Bitte«, sagte Raymie.
»Jetzt seid doch nicht solche Angsthasen.« Beverly beugte sich über Ida Nee und der Stab wurde zu einem silbernen Seil, das durch Beverlys Finger schlüpfte.
»Tada!«, sagte Beverly und erhob sich. Sie hielt den Stab in die Luft. Er blitzte auf im schwachen Lichtschein des Lake Clara.
»Ach du meine Güte«, sagte Louisiana.
Beverly warf den Stab hoch in die Luft und fing ihn wieder auf.
»Sabotage!«, rief sie. »Sabotage, Sabotage!«
Ein neuer Countrysong ertönte im Radio. Ida Nee schnaubte einmal, zweimal. Dann fing sie wieder an zu schnarchen.
Beverly warf den Stab in die Luft, noch höher diesmal. Sie drehte ihn hinter ihrem Rücken. Sie drehte ihn vor ihrem Körper, so schnell und wild, dass der Stab fast unsichtbar wurde.
»Oh«, sagte Louisiana. »Du bist genial im Twirlen.«
»Ich bin in allem genial«, sagte Beverly. Wieder wirbelte sie den Stab durch die Luft. Sie lächelte und zeigte dabei ihren abgebrochenen Vorderzahn. »Kommt, lasst uns hier verschwinden.«
Und das taten sie.