KAPITEL EINS

John lenkte den Minivan mit heftig pochendem Herzen in die Parklücke, die der dritten Base des Stadions Simpson Field an nächsten lag. Es war früher Morgen. Das Gras funkelte noch vor Tau. Er hatte freie Sicht auf das Baseballtraining der Kongressmitglieder. Es befanden sich bereits Spieler auf dem Feld.

Im Innenspiegel sah er, wie sich jemand auf der Fahrerseite näherte. Der Mann klopfte mit den Knöcheln an die Scheibe und bedeutete ihm, das Fenster runterzulassen.

John warf einen Blick auf das Abzeichen am Gürtel des Mannes, bevor er der Aufforderung nachkam. »Ja?«

Der Mann bückte sich und ließ den Blick flüchtig durch den neueren Toyota wandern, bevor er ihn auf John heftete. »Sir, ich bin Agent Sanchez von der Capitol Police. Heute trainieren im Stadion einige Kongressabgeordnete. Sie können gern dabei zusehen, nur müssen davor Sie und Ihr Fahrzeug durchsucht werden.«

John war 20, weiß und sah wie ein harmloser Vertreter der oberen Mittelschicht aus. Er hegte ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber Polizisten. Als er den Motor ausschaltete und den Sitzgurt löste, versuchte er, sich davon nichts anmerken zu lassen.

»Gibt’s ein Problem? Früher bin ich mit meinem Bruder hergekommen, da wurden wir nie durchsucht.« Er entriegelte die Türen und stieg aus dem Minivan. Ein anderer Agent tauchte am Beifahrerfenster auf. John schaute über die Schulter zu dem Mann. »Die Tür ist offen. Ich hab nichts zu verbergen.«

Sanchez bedeutete John, die Arme zu heben. »Nach dem Anschlag auf den Kongressabgeordneten 2017 sind die Sicherheitsrichtlinien verschärft worden. Arme zur Seite strecken.«

Nach einem schnellen, aber gründlichen Abtasten schaute Sanchez zu seinem Partner, der ihm den Daumen hoch zeigte und die Tür des Minivans schloss.

»In Ordnung, Sir, Sie können passieren. Viel Spaß beim Zusehen.«

John lächelte, als er an der Tribüne vorbeiging und einen Zeitungsausschnitt der New York Times hervorholte. Er schaute zwischen dem Artikel und den Spielern auf dem Feld hin und her. John entdeckte zumindest einen ... nein, zwei der Männer aus dem Zeitungsbericht. Einer rothaarig und um die 50 Jahre alt, der andere mit hängendem linken Augenlid. Wahrscheinlich waren es noch mehr, aber für einen genaueren Blick müsste er näher hin.

Das wollte er auf keinen Fall riskieren.

Außerdem brauchte er keinen genaueren Blick. Diese Männer waren allesamt Verräter an dem Land, für das sein Vater in Afghanistan gekämpft hatte und gestorben war. Diese Abgeordneten lebten auf Kosten der Steuerzahler. Lügner und Betrüger, alle miteinander.

Rasch sah er sich in der Umgebung um und stellte fest, dass sich die Polizisten um die Pressebox und den Unterstand scharten. Genau, wie er es erwartet hatte. Sie würden ihm vorerst nicht im Weg sein.

John steckte den Zeitungsartikel zurück in die Tasche und steuerte auf den Schatten einiger Bäume knapp außerhalb der Sichtweite des Spielfelds zu. Unter einer Eiche fand er das Fleckchen Erde, das er suchte. Nach einem weiteren kurzen Rundumblick entfernte er mit den Händen die lose Erde, bis er den vor zwei Tagen an der Stelle vergrabenen Gegenstand freigelegt hatte.

Er zog die Munitionskiste aus dem Boden, öffnete die Verschlüsse, hob den Deckel an und lächelte.

Die kleine Kiste enthielt einen alten Smith & Wesson Revolver und eine Heckler & Koch MP5 Maschinenpistole. Beide Waffen hatten einst Johns Vater gehört.

Er steckte den Revolver unter den Hosenbund, dann legte er das volle Magazin in die MP5 ein und zog den Ladehebel der Waffe zurück, wie er es unzählige Male bei seinem Vater beobachtet hatte, um die erste Patrone ins Lager zu befördern.

Als er den Wahlschalter auf Automatikfeuer stellte, dachte er an den Inhalt des Artikels der New York Times , und sein Gesicht loderte vor Wut. Die Schlagzeile lautete: »Die Bürger der Welt werden eines Tags die Auswirkungen der heutigen Abstimmung in D. C. zu spüren bekommen.« In dem Artikel wurden die Verräter genannt, die sich über Parteigrenzen hinweg der Opposition angeschlossen hatten.

John murmelte leise bei sich: »Einige Bürger werden die Auswirkungen heute zu spüren bekommen.«

Er schlang sich den Trageriemen der MP5 über die Schulter, versteckte die Waffe unter seiner Windjacke und schlenderte auf das Feld zu.

Das Spiel lief bereits. Der Ball wurde geworfen, und der Schlagmann traf ihn mit einem widerhallenden, dumpfen Knall. Als er ins Außenfeld segelte, drehten sich Köpfe und folgten seinem Flug.

Das laute Pochen seines Herzschlags in den Ohren übertönte sämtliche Geräusche vom Spielfeld, als John die Maschinenpistole hervorholte, zielte und den Abzug drückte.

* * *

Levi Yoder saß auf einer Parkbank an der Nordseite des Lincoln Parks und wartete auf seine Kontaktperson. Es war ein klarer, sonniger Tag in D. C., und obwohl das Risiko einer COVID-Infektion im Freien vernachlässigbar war, spazierten die meisten Menschen mit Gesichtsmasken durch den Park. Es war eine seltsame Zeit, in der Politik und Wissenschaft oft miteinander verwechselt wurden.

Levi selbst hatte seit seinem Sieg über den Krebs vor einigen Jahren nie auch nur eine Erkältung gehabt, dennoch trug auch er eine Gesichtsmaske. Nicht, weil er glaubte, dass sie ihn schützen würde, sondern weil er sonst aufgefallen wäre – und das konnte er nicht gebrauchen.

Als eines der wenigen Vollmitglieder der italienischen Mafia, das kein Italiener war, hatte sich Levi bereits vor langer Zeit mit einem zwielichtigen Leben in den Schatten abgefunden. An diesem Tag jedoch war er nicht für die Familie Bianchi unterwegs. Tatsächlich müsste er sich mit einem Haufen unangenehmer Fragen herumschlagen, wenn Don Marino wüsste, was er tat.

Sein Telefon vibrierte. Er tippte auf den Bluetooth-Empfänger in seinem Ohr. »Was gibt’s?«

»Levi, hier Brice. Wollte dir nur Bescheid geben, dass bei der Überwachungsstelle des FBI für Schüsse in der Öffentlichkeit gerade ein Alarm aus deinem Gebiet eingegangen ist.«

Levi presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. »Mir ist nichts Ungewöhnliches aufgefallen.«

»Irgendwo am anderen Flussufer sind Schüsse abgegeben worden, ungefähr dreieinhalb Kilometer von deiner Position entfernt. Laut Computer mit einer oder mehreren automatischen Waffen. Im Polizeifunk hab ich zwar noch nichts darüber aufgeschnappt, aber die Stadtpolizei wird deswegen bald verrücktspielen. Mach dich drauf gefasst, dass in den nächsten 15 Minuten sämtliche öffentlichen Einrichtungen in D. C. abgeriegelt werden.«

»Ändert das meine Pläne?«

»Nein, die bleiben unverändert. Wollte dich nur wissen lassen, dass sich in der Nähe was tut und du vielleicht reges Treiben in deiner Gegend zu sehen bekommst.«

»Verstanden.«

Levi legte auf und lehnte sich auf der Parkbank zurück, die Sinne in höchster Alarmbereitschaft.

Brice war Technikleiter einer Organisation namens Outfit, eines Bestandteils der Regierung, über den nie jemand redete. Außerdem war das Outfit sein zweiter »Arbeitgeber« – in gewisser Weise. Er bekam zwar keinen regelmäßigen Gehaltsscheck, aber gelegentlich brauchte man etwas erledigt, wofür sich Levis unkonventionelle Fähigkeiten und Ressourcen eigneten.

So wie an diesem Tag.

Er warf einen Blick auf die Armbanduhr und runzelte die Stirn. Es war zwei Minuten nach der vereinbarten Zeit. Das verriet Levi eine Menge über die Person, mit der er sich für das Outfit treffen sollte.

In der Gesellschaft, der Levi angehörte, verspätete man sich nie ohne triftigen Grund. Und eine Verspätung bei einem Treffen mit jemandem von höherem Rang kam einem Schlag ins Gesicht gleich. Es waren schon Menschen für weniger im Grab gelandet.

Allerdings handelte es sich diesmal nicht um einen Mafiaboss, noch nicht mal um einen Geschäftsfreund. Nur um irgendeinen Handlanger der Regierung. Und offenbar hielt er sich wie die meisten Bundesbeamten für einen der wichtigsten Menschen im Universum.

Sein Handy vibrierte erneut. »Ja?«, meldete sich Levi.

»Unterwegs in Richtung der Statue von Mary Bethune und den zwei Kindern.« Die nasale Stimme des Mannes erinnerte Levi an die Stimme einer Ratte aus einem Cartoon, dessen Name ihm entfallen war.

»Sie sind spät dran.«

»Ich weiß, tut mir leid. Ich habe nur ...«

»Ich sitze auf der nördlichsten Bank.«

Levi legte auf und suchte den Park nach seiner Kontaktperson ab. In der Ferne hörte er mehrere Sirenen.

Eine Minute später entdeckte er einen schlanken Mann in dunklem Anzug, der mit schnellen Schritten in seine Richtung kam. Er schien Mitte 40 zu sein, und der Anzug stand ihm gut – maßgeschneidert und höchstwahrscheinlich über der Preisklasse, die sich ein durchschnittlicher Regierungsangestellter leisten konnte.

Die Blicke der beiden Männer begegneten sich, und der Kontakt nickte Levi zu.

Er ließ sich auf der anderen Seite der Parkbank nieder, bevor er sich Levi zudrehte und mit einem Grinsen fragte: »Wie lassen Sie Leichen am liebsten verschwinden?«

»Medium gegart, mit Knoblauchbutter bestrichen und dazu einen feinen Chianti.« Levi starrte den Mann finster an. »Was zum Teufel soll die Frage?«

Der Mann zuckte mit den Schultern, reckte das Kinn vor und musterte den Mafioso von oben herab. »Das war nur ein Versuch, das Eis zu brechen. Ich weiß, wer Sie sind, Mr. Yoder. Ich weiß auch von Ihren Verbindungen nach New York und zu den anderen Familien an der Ostküste. Sie waren schon in der Vergangenheit als V-Mann tätig, und ich bin froh zu hören, dass Sie bereit sind, uns erneut zu helfen.«

Levi musste sich zusammenreißen, um den Mann nicht zu erwürgen, der knapp außerhalb seiner Reichweite saß. Die einzige Strafverfolgungsbehörde, mit der er in D. C. je zusammengearbeitet hatte, war das FBI, und er war nie für irgendjemanden ein Informant gewesen. »Keine Ahnung, was Sie über mich zu wissen glauben. Aber wenn andeuten wollen, ich wäre irgendwann ein Informant für Sie oder irgendjemanden sonst gewesen, irren Sie sich gewaltig, Mister ...«

»Smith. Nennen Sie mich einfach Agent Smith.«

»Na schön, Smitty. Was wollen Sie?«

Der Agent runzelte die Stirn. »Ich gehe davon aus, dass man Ihnen gesagt hat, warum ich hier bin. Haben Sie es?«

Levi seufzte und schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, wie man euch in der FBI-Akademie ausbildet, aber so funktioniert das nicht. Sie sind derjenige, der einen Gefallen will.« Er beugte sich vor und knurrte. »Was zum Teufel wollen Sie von mir?«

Abgesehen von einem leichten Weiten der Augen blieb Smith äußerlich völlig ruhig. »Man hat mir gesagt, Sie hätten Fotos für mich.«

»Sehr gut, Smitty.« Levi bedachte den Mann mit einem frostigen Blick. »Jetzt sagen Sie mir, welche Fotos ich Ihrer Meinung nach habe. Wollen Sie die Nacktaufnahmen von Ihnen mit der Tochter Ihres Nachbarn?«

»Was?« Der Agent schüttelte den Kopf und schnaubte höhnisch. »Ich weiß nicht mal, wer meine Nachbarn sind, geschweige denn, ob sie Kinder haben. Mir wurde gesagt, dass es kompromittierende Fotos von der Ehefrau eines gewissen Kongressabgeordneten gibt.«

»Und warum wollen Sie so was haben?«

Der Agent senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Wenn es sein muss, kann ich das FBI geballt auf Sie ansetzen. Ich muss den Grund nicht erklären.«

»Unsinn. Ist mir egal, für wen Sie sich halten, dazu haben Sie keine Befugnis.«

Levi ließ sich von der leeren Drohung des Mannes nicht einschüchtern. Er konnte sich nicht vorstellen, warum das Outfit zugestimmt hatte, diesem aufgeblasenen Arsch irgendetwas zu geben. Aber unter dem Strich musste er der Organisation einfach vertrauen.

Er holte einen Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts und reichte ihn dem Mann. »Bitte sehr, Agent Smitty. Wollten Sie das?«

Der Agent spähte in den Umschlag und zog mehrere Polaroids heraus. Während er sie durchblätterte, trat ein Lächeln in seine Züge. Levi konnte sich nicht vorstellen, was ein FBI-Agent so unterhaltsam an Bildern einer Frau finden konnte, die weißes Pulver schnupfte.

Smitty steckte die Fotos zurück und erhob sich von der Bank. »Danke, Mr. Yoder. Sie haben Ihrem Land einen großen Dienst erwiesen.« Damit wandte er sich ab und verschwand in die Richtung, aus der er gekommen war.

Levis Telefon vibrierte, und er tippte an seinen Ohrstöpsel. Es war Brice.

»Ich hab über eine der Überwachungskameras im Park zugesehen. Bist du fertig?«

»Der Typ kann von Glück reden, dass ich ihm nicht die Kniescheiben zertrümmert hab. Aber ja, er hat die Fotos. Sonst noch was, bevor ich nach New York zurückkehre?«

»Ja, Mason will dich sehen. Sofort. Wenn du nach Georgetown kommen kannst, treffen wir uns in einer Bar namens Rooster & Bull. Ich texte dir die Adresse.«

Kopfschüttelnd stand Levi auf und ging zurück zu seinem Mietwagen. »Hätte dich nicht für den Kneipentyp gehalten, Brice. Ich bin in 20 Minuten da. Worum geht’s?«

»Ganz ehrlich? Keine Ahnung. Man hat mir nur gesagt, dass Mason sich heute mit dir treffen will. Die Wege des Managements sind wie die des Herrn unergründlich. Man wird nicht immer in ihre Pläne eingeweiht.«

»Tja, was auch immer Mason geplant hat, ich fliege heute Abend zurück nach New York. Ich hab einen Termin, den ich nicht verpassen will. Sag ihm das.«

»Verstanden, Levi. Ich gebe ihm Bescheid.«

* * *

Überall entlang der Strecke vom Lincoln Park durch die National Mall und vorbei an Foggy Bottom auf dem Weg nach Georgetown, wo sich Levi mit Brice und Mason treffen sollte, waren Polizisten unterwegs. Obwohl man in den Nachrichten noch nichts von der Schießerei hörte, von der Brice ihm erzählt hatte, spürte Levi die Anspannung in der Luft, während er durch die Bundeshauptstadt fuhr. Auf der Fahrt begegneten ihm mindestens doppelt so viele Streifenwagen wie sonst, und in Georgetown sichtete er an jedem zweiten Häuserblock zu Fuß patrouillierende Cops. Irgendjemand hatte irgendwie definitiv ins Hornissennest gestochen.

Levi parkte in einer freien Lücke am Straßenrand ein, stieg aus und warf Münzen in die Parkuhr. Dabei fiel ihm ein alter Mann in schmutziger, abgewetzter Kleidung auf, der ihn von der anderen Straßenseite aus anstarrte.

»Haste was zu essen für mich?«, rief der Greis herüber.

Levi schüttelte den Kopf und ging auf der 31th Street nach Süden, bis er entdeckte, wonach er suchte – ein verblasstes Schild mit dem Profil eines Hahns auf der linken Seite und dem Kopf eines Longhorn-Stiers auf der rechten. Er öffnete die Tür darunter. Sofort wehte der Geruch von abgestandenem Bier und Holzpolitur heraus.

Das Lokal ähnelte so ziemlich jeder anderen gewöhnlichen Kneipe. Schummriges Licht, ein paar Tische, hinter dem Tresen ein grauhaariger Barkeeper, der gerade ein Glas abtrocknete. Offensichtlich herrschte um die Zeit wenig Betrieb. Außer einem etwas pummeligen Mann an der Bar hielt sich kein Gast im Lokal auf. Der Mann, zu dem Levi wollte.

Brice stand auf und streckte die Hand aus. Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt er eine Münze. Es handelte sich um ein Erkennungszeichen. Beim Militär kursierten solche Münzen als Bestätigung, dass der Besitzer zu einer bestimmten Gruppe oder Kampagne gehörte. Diese Münze war ein wenig anders. Sie erfüllte zwar denselben Zweck, nur reichte der bloße Besitz nicht, um sich als Mitglied des Outfits zu identifizieren.

Levi ergriff die andere Seite der Münze. Einen Moment lang tat sich nichts. Nach ein, zwei Sekunden jedoch wurde die Münze wärmer. Sie zeigte eine Pyramide ähnlich jener auf der Rückseite des Ein-Dollar-Scheins. Als das Auge in der Pyramide zu leuchten begann und damit die biometrische Identifizierung beider Männer bestätigte, steckte Brice die Münze ein und deutete auf den freien Hocker neben ihm.

»Mason sollte jeden Moment hier sein.« Er winkte dem Barkeeper zu. »Bring meinem Freund ...« Er sah Levi an. »Wenn ich mich recht erinnere, trinkst du keinen Alkohol, stimmt’s?«

Levi schaute zu dem angegrauten Barkeeper auf. »Ein Selters wäre toll.«

Der Barkeeper stellte ein Glas Sprudel auf den Tresen. Als Levi die Brieftasche zückte, winkte der ältere Mann ab. »Die Getränke werden bezahlt. Sie brauchen hier kein Geld.«

Eine Minute später traf Mason durch eine Hintertür ein. »Levi«, sagte er, als er sich mit ausgestreckter Hand näherte. Sie schlugen kräftig ein. Der kleinere Mann grinste dabei verschmitzt. »Auf den Tag warte ich schon lange.«

»Tatsächlich?« Levi runzelte die Stirn. »Brice hat Ihnen doch gesagt, dass ich nicht viel Zeit habe, oder? Ich muss ein Flugzeug erwischen.«

Brice nickte. »Ich hab ihm gesagt, dass du wichtige Pläne hast.«

Der Direktor bedachte Levi mit einem schiefen Grinsen. »Bestimmt haben Sie Zeit für einen Rundgang durch unser Hauptquartier.«

Levi seufzte. »Tut mir leid, aber die Zeit reicht nur für eine kurze Besprechung. Sie wissen ja, wie übel der Verkehr da draußen ist.«

»Dann ist es wohl gut, dass wir nicht fahren müssen«, meinte Mason nach wie vor grinsend. »Sie stehen bereits in unserer Lobby.« Er entfernte sich von der Bar und bedeutete Levi, ihm zu folgen. »Also, Beeilung. Sie haben ja nicht viel Zeit, oder?«

Der Direktor führte die beiden Männer durch die Hintertür des Lokals und anschließend einen schlichten Flur entlang, der an zwei Toilettentüren endete. Mason schob die Tür zur Herrentoilette auf und bedeutete Levi, zuerst einzutreten.

Levi zögerte kurz. »Das versteh ich nicht.«

Brice marschierte mit belustigter Miene an Levi vorbei. »Du wirst schon sehen.«

Während Mason nach wie vor die Tür aufhielt, betrat auch Levi die Toiletten.

Drei geschlossene Kabinen und zwei Pissoirs säumten eine Wand. An der Tür der hintersten Kabine klebte ein Schild mit der Aufschrift »Außer Betrieb«. Hinter den Waschbecken saß ein weißhaariger Mann mit hellbrauner Hose und kariertem Hemd auf einem Hocker. Er nickte Brice zu, bevor er Levi über den Rand einer John-Lennon-Brille hinweg musterte, als wollte er zu einem Kampf gegen ihn antreten.

»Ist das der Neue?«, fragte der alte Bursche.

Brice zuckte mit den Schultern, als Mason hereinkam und die Tür hinter sich schloss.

»Was soll das?«, fragte Levi. »Warum haben wir uns im Klo versammelt, wo mich ein alter Kerl finster anglotzt?«

»Wen nennen Sie hier alt?«, fragte der Weißhaarige und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Ich würde empfehlen, es sich nicht gleich am ersten Tag mit Harold zu verscherzen«, warnte Brice. »Sonst gibt er dir das falsche.«

»Das falsche was?«, fragte Levi.

»Das falsche Handtuch. Ist erst ein- oder zweimal vorgekommen«, sagte Brice. Er ließ sich von Harold ein Handtuch reichen und ging damit zu der als außer Betrieb gekennzeichneten Kabine. »Hab ich zumindest gehört«, fügte er hinzu, als die Tür hinter sich schloss.

Aus dem Inneren der Kabine drang ein lautes metallisches Klicken, gefolgt von einem langen, strudelnden Geräusch.

»Die Gerüchte konnten nie bewiesen werden«, sagte Harold über den Lärm der Toilettenspülung. Er streckte ein weiteres Handtuch vor.

Mason bedeutete Levi, es zu nehmen. Levi kam der stummen Aufforderung nach. Es war schwerer als erwartet, aber davon abgesehen so weich und flauschig wie ... nun ja, wie ein Handtuch.

Mason schob die Tür der angeblich nicht funktionierenden Kabine auf. Brice befand sich nicht darin. Die Kabine war verwaist.

»Was zum ...«, entfuhr es Levi. Er blickte auf sein Handtuch. Verbarg sich in der Kabine irgendein eigenartiger Eingang?

»Legen Sie das Handtuch auf den Hebel und spülen Sie«, wies Mason ihn an. »Achten Sie darauf, mit dem Handtuch den Hebel zu berühren, wenn Sie ihn drücken.«

Levi betrat die Kabine und schloss die Tür hinter sich. Er untersuchte die Toilette, spähte hinter den Tank und um die Unterseite der Schüssel herum. Sah aus wie eine gewöhnliche Toilette. Levi tastete das Handtuch mit beiden Händen ab, ließ es durch die Finger gleiten, entdeckte jedoch nichts Ungewöhnliches daran.

»Legen Sie das Handtuch auf den Spülhebel«, erinnerte Mason ihn von draußen.

Levi kam der Aufforderung nach. »Und einfach normal spülen?«

»Ganz genau.«

»Bisschen langsam von Begriff, oder?«, meinte Harold.

Levi schüttelte den Kopf und drückte den Hebel zum Spülen.