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»Es ist nicht viel«, sagte Kat munter, als sie vor Carlin die dunkle, schmale Treppe hinaufging. Eine einzelne Glühbirne mit schmucklosem Schirm beleuchtete die oberen Stufen; sie war nötig, weil das Treppenhaus innen lag und keine weitere Lichtquelle hatte. Die Holzstufen waren stabil, ihre Schritte hallten in dem beengten Raum wider. Carlin war ein wenig mulmig zumute. War das der einzige Zugang?

Als sie oben ankamen, schloss Kat die Tür auf und öffnete sie. Carlin folgte ihr in den Raum und schaute sich um. Kat hatte nicht gelogen, dachte Carlin, es war nicht viel. Rasch nahm sie mit einem Blick alles in sich auf. Ein Zimmer, spärlich möbliert, und ein Bad. Ein Fenster ging zur Straße hinaus, was ihr die Sorge nahm, hier oben in einer Falle zu sitzen. Sie ließ ihren Rucksack zu Boden fallen und trat ans Fenster.

»Die Aussicht ist ganz gut«, sagte Kat, und da erst dachte Carlin daran, weiter hinauszuschauen bis zu den prächtigen Bergen, die über der kleinen Stadt aufragten.

»Oh«, sagte sie leicht überrascht.

Eine Pause trat ein. »Das war dir nicht aufgefallen.« Eine Feststellung, keine Frage. Kat durchquerte den Raum und stellte sich neben sie, verschränkte die Arme und schaute auf die Straße hinunter, wie Carlin es gemacht hatte, dann hinüber zu den Bergen, als wollte sie eine Aussicht gegen die andere abwägen. Der Blick auf die Straße konnte nicht mithalten, das stand außer Zweifel. »Hältst du nach jemandem Ausschau?«

»Nein. Hab nur die Höhe überprüft.«

»Denkst du daran, runterzuspringen?«

»Nur wenn ich muss«, sagte Carlin geradeheraus. Sie wusste nie, ob es dazu kommen würde – und das war das Problem: Sie wusste es nie.

Kat schenkte ihr einen langen, eindringlichen Blick, den Carlin erwiderte, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie hätte sich mit Geschwafel herausreden können, sie sei der vorsichtige Typ und prüfe in einem Hotel alles nach, aber da sie bereits in Grundzügen erzählt hatte, warum sie hier war, wieso sollte sie sich die Mühe machen? Sie hatte sich noch nicht entschieden, ob sie auch den Rest erzählen sollte, aber ungeachtet dessen konnte sie sich nur auf sich selbst verlassen. Sie musste ihrem Instinkt vertrauen, und nachdem Brad sie das letzte Mal gefunden hatte, sagte ihr Instinkt ihr, dass sie sich nie schlafen legen sollte, bevor sie einen Ausgang entdeckt und geplant hatte, wie sie dorthin und hinaus kam.

Aber Kat hatte etwas an sich, das Carlin veranlasste, ihr zu vertrauen, selbst nach einer so kurzen Bekanntschaft. Sie konnte es nicht genau benennen, hätte auf kein bestimmtes Detail den Finger legen können, das Vertrauen rechtfertigte, aber es war da. Wieder einmal Instinkt. Der hielt sie vielleicht am Leben. Auf andere zu hören mit ihren »Oh, das würde er doch nicht tun«, hatte weiß Gott nicht funktioniert, und dafür war sie allein verantwortlich. Sie hatte einfach nicht glauben wollen, dass Brad alles Erdenkliche tun würde, und jetzt war eine Unschuldige tot.

Sie wandte sich vom Fenster ab und betrachtete die anderen Einzelheiten des Raums. Ein Futon diente als Couch und Bett, ein Beistelltisch und eine kleine Leselampe auf der linken Seite. Vor einer Wand stand ein Kleiderständer auf Rädern sowie eine kleine Küchenzeile mit einer Mikrowelle und einer Kochplatte, das alles nahm nicht mehr als zwei Meter Wandbreite ein. Darüber hinaus gab es noch einen runden Bistro-Tisch, vielleicht fünfzig Zentimeter im Durchmesser, und einen Stuhl. Sie konnte ins Bad schauen: es bestand aus einer Toilette, einer nicht sehr geräumigen Duschkabine und einem Waschbecken, über dem ein altmodischer Medizinschrank hing.

Allein dieser Raum sagte ihr viel über Kat, vor allem, dass sie keine Männer hier oben empfing; sie war keine zimperliche Frau, die großen Wert auf leibliches Wohl legte, und sie sorgte zuerst für das Nötigste.

»Das genügt«, sagte sie nachdrücklich. Luxuriös? Nein. Doch die spärliche Unterkunft hatte alles, was sie brauchte, und auch ohne eigenes Bad war sie viel besser, als im Subaru zu schlafen, was sie mehr als ein Mal gemacht und was ihr nicht gefallen hatte.

»Hier oben ist kein Fernseher«, sagte Kat, »aber unten in der Küche steht einer. Außerdem gibt es unten einen Tischbackofen, falls du dir den hier raufholen möchtest. Du bekommst täglich zwei Mahlzeiten – das, was ich an dem Tag gerade anbiete. Ich mache Frühstück und Mittagessen, geöffnet ist von April bis September ab fünf Uhr, im Rest des Jahres um sechs Uhr, und ich schließe um drei – das heißt, du bist um eine günstige Zeit vorbeigekommen, denn nachdem du ausgepackt hast, kannst du mir helfen, den Laden zu schließen, und wir werden Zeit zum Reden haben.«

»Auspacken kann ich später. Stell mich ruhig an die Arbeit«, erwiderte Carlin, die ihr Glück kaum fassen konnte. Eine Unterkunft, Verpflegung inbegriffen? Damit war die niedrige Bezahlung mehr als ausgeglichen. Zwei Mahlzeiten am Tag, und wenn sie die richtig einteilte, brauchte sie überhaupt kein Abendessen. Sie würde mit einem späten Frühstück und einer Mahlzeit am Nachmittag, vielleicht kurz vor Schließung des Cafés, auskommen. Oder sie könnte die Hälfte ihres Mittagessens zu sich nehmen und die andere Hälfte für das Abendessen aufheben. Wie auch immer, damit würde sie viel Geld sparen.

»Na schön, fangen wir an«, sagte Kat, reichte ihr den Türschlüssel und ging wieder die Treppe hinunter. Carlin steckte den Schlüssel in die Tasche, schloss aber die Tür nicht hinter sich ab. Sollte sie schnell aufbrechen müssen, wollte sie keine verschlossene Tür im Weg haben. Sie wollte ihre Jacke schon auf das Futon fallen lassen, doch in letzter Sekunde gebot ihr die Vorsicht, sie in der Hand zu behalten. Auch wenn die Chance noch so gering war, dass sie die Flucht ergreifen musste, wollte sie die Jacke doch bei sich haben.

Die drei Stuhlreiter saßen noch immer auf ihren Plätzen an der Theke, aber sobald Kat wieder auftauchte, nahmen sie ihre Belege, rutschten von den Hockern, angelten Trinkgeld aus ihren Taschen und schlenderten zur Kasse, die am Ende des Tresens direkt beim Ausgang stand. Ein rascher Blick auf die Uhr an der Wand sagte Carlin, dass sie zehn Minuten vor dem Schließen aufbrachen. Kat gab zügig die Summen ein, ging über den Flirtversuch eines Gastes hinweg, und sobald der letzte gegangen war, drehte sie das Schild an der Tür herum, auf dem »geschlossen« stand, und schloss ab.

»Ich kann es nicht ausstehen, wenn einer auf die letzte Minute kommt«, erklärte sie brummig. »Das bringt dann meinen ganzen Zeitplan durcheinander.«

Carlin vermutete, das etwas frühere Abschließen der Tür hatte eher damit zu tun, dass Kat gern »reden« wollte. Sie hängte ihre Jacke an die Garderobe nicht weit von der Tür. »Wann backst du?«, fragte sie, weil es sie interessierte.

»Wenn ich keine besonderen Aufträge habe, bleibe ich für gewöhnlich nach dem Ende der Öffnungszeit hier, um zu backen, damit ich während der Geschäftszeiten nicht überlastet bin. Wenn ich ohnehin noch spät hier bin, backe ich auch für den nächsten Tag im Voraus. Ansonsten gehe ich kurz nach Feierabend nach Hause. Mit dem Backen fange ich in der Regel an, sobald der Frühstücksandrang vorbei ist.«

Carlin machte sich nützlich, räumte das schmutzige Geschirr von der Theke und brachte es, nachdem Kat kurz genickt hatte, in die Küche. Nach ihren kurzen Gastspielen als Kellnerin wusste sie, dass es alle möglichen Vorschriften vom Gesundheitsamt gab, die zu befolgen waren, und jeder Bundesstaat hatte andere Gesetze, daher musste alles auf eine bestimmte Art gemacht werden. Doch Kochen war Kochen, und Essen war Essen, und manche Aufgaben blieben dieselben, bis auf den Umfang.

Kat kam ihr nicht vor wie eine naive, vertrauensselige Person, obwohl sie ihr den Job so schnell angeboten hatte, weshalb Carlin darauf wartete, dass die Fragen einsetzten. Kat hatte ihre Gründe für ihr Handeln gehabt, die sie vielleicht preisgeben würde, oder auch nicht. Das war ganz in Ordnung, zumal Carlin auch bereits beschlossen hatte, manches für sich zu behalten, so wie ihren richtigen Familiennamen.

Während die große Spülmaschine lief, nahmen sie sich den Gastraum vor. Carlin wischte den Boden auf, Kat übernahm das Nachfüllen und Wegräumen, obwohl sie ihre Angestellte im Auge behielt, um zu sehen, wie sie arbeitete. Carlin begann an der hinteren Wand und wischte den Boden bis zum Küchenbereich mit einem Putzmittel, das wie pures Bleichmittel roch und in ihren Nebenhöhlen brannte. Sie rümpfte die Nase. »Jeder Keim, der noch lebt, nachdem er in diesem Zeug ertränkt wurde, verdient ein schönes, kuscheliges Zuhause in der Easy Street.«

»Jeder Keim, der noch lebt, könnte dazu führen, dass mein Café geschlossen wird, bis er aufgestöbert und getötet wird«, entgegnete Kat.

»Kapiert.« Carlin wischte noch mehr Bleichmittel in eine Ecke, denn sie wollte nicht riskieren, diesen Job wegen ein paar Keimen zu verlieren. »Sterbt, ihr kleinen Bastarde«, sagte sie rachedurstig. Sobald sie die Wörter ausgesprochen hatte, ohrfeigte sie sich im Stillen und warf Kat einen kurzen Blick zu. »Entschuldige. Ich hab mich vergaloppiert.«

Kat zuckte mit den Schultern. »Ist schon okay. Ich habe denen schon schlimmere Namen gegeben.«

»Ich versuche, meine Ausdrucksweise zu zügeln«, gestand Carlin und wischte noch einmal durch die Ecke, vorsichtshalber. »Das Problem ist, ich entstamme einer langen Linie von Klugscheißern, und es … platzt einfach so raus.«

»DNA ist ein Scheißding.« Kat schaute zu ihr hinüber und grinste plötzlich, ihre Augen leuchteten. »Ich nehme an, das erklärt deinen Namen, oder?«

»Carlin? Jaah. Wenigstens haben sie mich nicht ›George‹ genannt.«

Sie kicherten. Carlin entspannte sich noch mehr, nachdem sie wusste, dass sie ihre noch respektloseren Feststellungen nicht unterdrücken musste – jeder erinnerte sich an einen Klugscheißer, und keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, war hart gewesen. Andererseits war das Überleben eine gute Motivation, daher hatte sie sich bemüht, möglichst unauffällig zu bleiben.

»Meine Mutter liebt George Carlin«, sagte Kat. »Sie hat immer gesagt, jeder Mann, der sie zum Lachen bringt …« Sie ließ den Satz unvollendet, als hätte eine unerwartete Erinnerung ihre Gedanken abgelenkt.

Eine Weile arbeiteten sie schweigend, doch die Stille half nicht. Carlin wurde immer nervöser. Warum sollte sie warten, bis Kat sich entschied, Fragen zu stellen? Warum sollte sie nicht mit eigenen Fragen anfangen?

»Wieso hast du dich entschlossen, mich einzustellen? Das war eine schnelle Entscheidung, vor allem, nachdem ich dir erzählt hatte, dass ich schwarz arbeiten muss.«

Kat wirkte ein wenig verblüfft, als hätte sie nicht damit gerechnet, dass ihre neue Angestellte die Regie übernehmen würde. Sie machte eine Pause, neigte den Kopf leicht zur Seite und schaute Carlin aus ihren hellen, klaren Augen nachdenklich an. »Ich weiß, wie es ist, Angst vor einem Mann zu haben«, sagte sie schließlich völlig ungerührt. »Nie wieder.«

Diese schlichte Erklärung reichte Carlin durchaus. Wenn sie jemals aus diesem Schlamassel herauskommen sollte, wenn sie jemals wieder frei und unbeschwert sein sollte … würde sie gern einer anderen Frau helfen, die sich in einer ähnlichen Lage befand. Ob Vorbestimmung oder Dankbarkeit … oder auch eine Frau, die überlebt hatte und einer anderen half, einen weiteren Tag zu überstehen. Vorerst entschied Carlin, es einfach nur Glück zu nennen.

Als ihre Arbeitgeberin hätte Kat nach Einzelheiten fragen, sie einfordern können, aber sie machte es nicht. Stattdessen ging sie an die Musikbox, wobei sie vorsichtig den Teil des Bodens vermied, den Carlin bereits gewischt hatte, während sie Kleingeld aus ihrer großen Schürzentasche holte. Sie schaute nicht auf das Verzeichnis, sondern warf einfach ein paar Münzen ein und begann, Knöpfe zu drücken, um die Songs einzugeben, die sie bei der Arbeit begleiten sollten. Als Kat sich umdrehte, fing gerade der erste Titel an, den sie ausgewählt hatte. Ein Instrumentalstück, das Carlin nicht kannte, füllte mit seiner Melodie die Stille des Cafés aus; Kat schloss halb die Augen und bewegte sich im Rhythmus sacht hin und her. Kurz darauf sang Michael Bublé eine peppige Version von »Cry Me a River«.

Warum dieser Song? Carlin war auf einmal versucht, Kat mehr zu erzählen. Sie wollte ihrer neuen Arbeitgeberin erzählen, sie habe nie wegen Brad geweint, diese Art von Beziehung war es nicht, niemals. Sie hatte über manches geweint, das er getan hatte, aber meistens war sie wütend und enttäuscht gewesen – bis Jina starb, und danach war alles anders geworden. Sie weinte jetzt nicht. Jetzt arbeitete sie hart daran, zu überleben.

Aber Kat machte einfach Musik an und begab sich wieder an die Arbeit. Sie sprach nicht, und Carlin schob die Versuchung zu reden beiseite. War das Kats normale Art des Umgangs, oder hatte sie die Musikbox einfach nur angeworfen, damit sie arbeiten konnten, ohne zu reden? Unausweichlich würden Fragen kommen, aber offensichtlich nicht jetzt sofort. Auch gut.

Nach »Cry Me a River« kam Trace Adkins mit einem munteren Country-Song über Bars und hübsche Pos. Kat hatte einen elektrisierenden Musikgeschmack. Carlin war interessiert, aber nicht überrascht.

Vor der Hintergrundmusik, die das Tempo für ihre Arbeit vorgab, konnte einfach kein peinliches Schweigen entstehen.

Bei ihrer Ankunft in Battle Ridge hatte Carlin sich umgeschaut und die Stadt mehr oder weniger abgeschrieben. Sie hatte aus reiner Gewohnheit nach einem Job gefragt, aber nichts erwartet. Sie hatte nicht damit gerechnet, hier im Pie Hole zu landen, den Boden zu wischen und im Handumdrehen einen neuen Job anzufangen. Nun hatte sie eine Unterkunft, zwei Mahlzeiten am Tag, und sie würde dazu auch noch etwas Bargeld einnehmen. Perfekt. Sie würde nicht lange hierbleiben. Sie konnte nirgendwo länger bleiben. Aber sie war vorerst in Sicherheit, und das reichte.

Als das Café makellos sauber und aufgeräumt war, gingen sie in die Küche. Die Musik hörte auf, und da war es … Schweigen. Alles Unausgesprochene schien in der Luft zu hängen. Kat hörte auf zu arbeiten, wandte sich Carlin zu und schaute sie mit ihren fesselnden Augen an.

Okay, jetzt war es soweit. Carlin hielt nicht unbedingt die Luft an, aber sie wurde still und wartete. Der Augenblick war gekommen, und es konnte so oder so ausgehen. Sollte Kat nicht fragen, war Carlin nicht bereit, freiwillig Informationen von sich zu geben. Aber falls Kat fragte, müsste Carlin entweder lügen oder schlichtweg eine Antwort verweigern. So gern sie ihr Herz ausschütten wollte, auf eine Seelenverwandte abladen … Je weniger Kat wusste, desto besser.

Doch als Kat zu reden begann, begab sie sich direkt auf ein Territorium, mit dem Carlin nicht gerechnet hatte. »Wenn du eine Weile hierbleiben willst, solltest du ein paar Dinge wissen.«

Hängt davon ab, wie lange »eine Weile« ist.

»Am Rande der Stadt gibt es eine Apotheke und einen Supermarkt. Beide sind nicht die Welt, aber sie decken den Grundbedarf: Wimperntusche, Tampons, Gebäck, Milch. Wenn du etwas Ausgefallenes haben willst, musst du nach Cheyenne fahren.«

»Gut zu wissen.« Belustigt darüber, was Kat als Grundbedarf betrachtete, verzog sie die Mundwinkel. Aber sie würde nicht nach Cheyenne fahren, um eine kritische Situation gar nicht erst aufkommen zu lassen. Je größer die Stadt, desto mulmiger war ihr zumute. Man konnte unmöglich einen Fremden ausmachen, aber größere Städte hatten unweigerlich mehr Überwachungskameras, mehr neugierige Polizisten, einfach … mehr. Im Übrigen hatte sie keine exotischen Bedürfnisse; es hörte sich so an, als könnte sie direkt hier in Battle Ridge, Wyoming, alles bekommen, was sie brauchte.

»Gleich hinter dem Baumarkt gibt es eine Bücherei«, fuhr Kat fort. »Die haben keine große Auswahl an Büchern, aber sie haben eine ordentliche Romanabteilung und ein paar öffentliche Computer, falls du so etwas brauchst.«

»Danke.« Öffentliche Computer. Ihr Glück war vollkommen. »Ich könnte etwas lesen, solange ich hier bin.« Sie hielt es nicht für nötig, Kat mitzuteilen, dass ihr Herz bei der Erwähnung eines öffentlichen Computers einen Sprung getan hatte.

»Noch eine Warnung«, sagte Kat in einem Tonfall, der nichts Gutes ahnen ließ. »Halte dich von den Cowboys fern.«

»Cowboys?«

»Battle Ridge hat davon reichlich, fürchte ich.«

»Du magst keine Cowboys.« Kats Tonfall beim Aussprechen des Wortes ließ unzweifelhaft darauf schließen.

»Die brechen dir das Herz und lassen dich in einer Staubwolke stehen«, sagte Kat dramatisch, riss die Augen auf, ruinierte ihre Vorführung aber dann damit, dass sie lachte.

»Hat ein Cowboy dir das Herz gebrochen?«, fragte Carlin im gleichen belanglosen Tonfall wie ihre Arbeitgeberin.

»O nein, um Himmels willen. Ich bin hier in der Gegend aufgewachsen. Von Geburt an habe ich gewusst, dass man Cowboys um jeden Preis zu meiden hat.«

Das konnte sie nachempfinden; seitdem sie Brad kannte, hatte Carlin mit keinem Mann eine Beziehung eingehen wollen, sowohl aus emotionalen, als auch aus praktischen Gründen. Der emotionale Part war vergleichbar mit der Zeit, als sie ein Stück verdorbene Pizza gegessen und sich die ganze Nacht und den nächsten Tag hatte übergeben müssen. In den Monaten danach hatte sie überhaupt keine Pizza mehr essen wollen. Der praktische Teil war, dass sie keine Beziehung haben konnte, wenn sie die feste Absicht hatte, weiter auf Achse zu sein. Hinzu kam, falls Brad sie finden sollte und sie mit jemandem zusammen war, dann wäre das Leben desjenigen in Gefahr. Doch statt darauf einzugehen, sagte sie mit ihrer besten John-Wayne-Stimme: »Tut mir leid, das von Ihnen zu hören, Kleine.«

Kat lachte wieder, wischte eine Oberfläche aus rostfreiem Stahl neben dem großen Herd fertig ab und dirigierte Carlin mit ihrem Scheuertuch in einen Bereich am überdimensionalen Gefrierschrank. Lächelnd wischte Carlin weiter auf. Wie lange war es her, dass sie sich so weit entspannt hatte, um zu lachen?

Zu lange. Doch sich in Battle Ridge zu wohlzufühlen wäre keine gute Idee.

Sie waren ungefähr gleichzeitig fertig. »Ich erkläre das hier offiziell für beendet«, sagte Kat. »Und in der Hälfte der Zeit, die ich normalerweise dafür brauche. Wunderbar. Wie wäre es mit einem koffeinfreien Kaffee oder einer Tasse Tee?«

Carlin warf einen Blick auf die Uhr an der Wand, ein wenig verblüfft, wie viel Zeit vergangen war. Sie hatten zwei Stunden gearbeitet. Harte Arbeit hatte einen Leckerbissen verdient. »Tee wäre klasse.«

»Noch etwas zu essen? Da ist noch Kuchen übrig. Ich könnte auch ein paar Sandwichs zusammenwerfen.«

»Nein, das ist zu viel …«

»Kein Problem. Ich muss auch essen. Entweder hier, oder ich kann nach Hause fahren und dort essen, aber ein Sandwich wird es in jedem Fall. Nachdem ich den ganzen Tag in der Küche gestanden habe, koche ich mir abends nie etwas.«

Ihr Ton war nüchtern und vollkommen ehrlich. Carlin hatte keinen Hunger, aber sie wusste, der würde später kommen, wenn sie jetzt nichts aß. Im Übrigen konnte sie nicht davon ausgehen, dass diese kleine Stadt ein so sicherer Hafen war, wie es den Anschein hatte, und Brad sie hier nicht aufspüren konnte. Sie wusste zwar nicht genau, wie er das anstellen sollte, aber sie hatte ihn zu oft unterschätzt. Vielleicht wäre sie schon morgen wieder auf der Flucht.

»Okay, danke. Das wäre prima. Ich bin nicht wählerisch, und ich habe keine Vorlieben oder Abneigungen. Bis auf Kohl. Den kann ich nicht ausstehen. Und Kaviar. Würg. Wer ist bloß auf die Idee gekommen, Fischeier zu essen, sei gut? Und Steckrüben. Steckrüben mag ich nicht.«

Kat wartete einen Augenblick. »Ist das alles?«

»So ziemlich, ja.«

»Gut. Ich kann dir versprechen, dass ich kein Sandwich mit Kohl, Kaviar und Steckrüben mache.«

»Gute Güte, der Gedanke allein ist widerwärtig«, sagte Carlin und schüttelte sich.

Die Sandwichs, die Kat zusammenklappte, waren mit normalem Schinken und Käse belegt, und die beiden Frauen setzten sich in der Küche auf Hocker, aßen und schlürften heißen Tee. Zwischen den einzelnen Bissen gab Kat kleine Geschichten aus Battle Ridge zum Besten. Das hier sei ihr Zuhause, und obwohl ihr der Ort gefalle, erkenne sie auch seine Fehler. Trotzdem bleibe sie. Carlin wollte schon fragen warum, hielt sich aber zurück. Sie musste es nicht wissen, musste Kat Bailey nicht noch mehr mögen, als es ohnehin schon der Fall war. Vielleicht war die Tatsache, dass dies ihr Zuhause war, schon Grund genug für Kat, zu bleiben.

Carlin wollte nicht persönlich werden, doch sie stellte Fragen über Einkaufen und Parken und Betriebliches, über ihren neuen Job und die Kundschaft – jede Menge Cowboys offenbar. Sie unterhielten sich sogar über Kuchen, ein Thema, das ihnen beiden wohl sehr am Herzen lag. Kat hatte die Kunst des Backens von ihrer Mutter gelernt, und Carlin aß Kuchen für ihr Leben gern, also war eine direkte Verbindung hergestellt. Sie hatte erlebt, dass einige ihrer Freundinnen einen Mann heirateten, mit dem sie weniger gemeinsam hatten.

Die gemeinsame Mahlzeit und die Unterhaltung waren nett. Angenehm. Carlin spürte, dass sie sich noch mehr entspannte, beinahe, als würde sich etwas in ihr entwirren. Sie schüttelte den Gedanken ab und gab sich im Stillen einen festen Stoß in die Rippen. Sich wohlzufühlen war keine Option. Entspannen könnte ihren Tod bedeuten.