I MELDA M ARCOS , FIRST LADY DER PHILIPPINEN
Imelda Marcos (geb. 1929) ist die Witwe von Ferdinand Marcos, dem ehemaligen Präsidenten und Diktator der Philippinen. Während seiner Amtszeit von 1965 bis 1986 ist sie die First Lady des Landes. Das Marcos-Regime gilt als äußerst korrupt, es unterdrückt und verfolgt die Opposition, lässt Gegner in Militärlagern inhaftieren, foltern und ermorden. Berühmt-berüchtigt ist Imelda Marcos für ihren opulenten Lebensstil und ihre immense Schuhsammlung (3 000 Paare). Nach einem Volksaufstand flüchtet das Ehepaar Marcos 1986 ins Exil nach Hawaii, wo der Ex-Diktator drei Jahre später stirbt. 1991 kehrt Imelda auf die Philippinen zurück und wird Mitglied des Repräsentantenhauses. 2018 verurteilt sie ein Gericht nach einem jahrzehntelangen Verfahren wegen Korruption zu mehr als 40 Jahren Haft, sie bleibt aber nach Hinterlegung einer Kaution auf freiem Fuß. Ich treffe die ehemalige First Lady 2013 in ihrem Luxusappartement in Manila auf den Philippinen. Sie ist 84 Jahre alt.
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Sie gilt als kapriziös und unnahbar, ebenso als brutal. Ihre Lebensgeschichte flößt unwillkürlich Respekt ein. Als der Fotograf und ich aus dem Fahrstuhl steigen und vor ihrer Wohnung im 34. Stock des Pacific-Plaza-Hochhauses, einem der teuersten Wolkenkratzer von Manila, stehen, atmen wir noch einmal tief durch. Wir wissen nicht, was uns erwartet. Ein Bediensteter öffnet die Tür. Und Imelda Marcos guckt ihm sofort neugierig über die Schulter. Die ehemalige First Lady der Philippinen hustet und hält sich ein Taschentuch vor den Mund. Sie ist erkältet und ihre Laune scheint im Keller. Kritisch mustert sie uns von den Schuhen bis zum Haarschnitt, dann ringt sie sich zu einem »Welcome« durch.
Wie bloß das Gespräch in Gang bringen? Sie guckt missmutig und wittert Böses. Mein Blick fällt auf ein schönes Porträt von ihr im Eingangsbereich. Es zeigt sie als elegante junge Frau mit vollem dunklem Haar, ihr Teint und ihre Gesichtszüge sind vorteilhaft weich gezeichnet. Der Stil des Malers kommt mir bekannt vor. Bei Farah Diba-Pahlavi, der ehemaligen Kaiserin Persiens, hängt ein in ähnlichem Stil gemaltes Porträt im Wohnzimmer. Und die Ex-Kaiserin hatte mir auch den Namen des Künstlers verraten: Claudio Bravo Camus, ein zeitgenössischer chilenischer Maler aus Valparaíso.
Nun zeige ich auf das Porträt und frage mit gespielter Kunst-Kennermiene: »Frau Marcos, ist das nicht ein Porträt von Claudio Bravo?« Sie guckt erstaunt, ihre Miene hellt sich auf. »Woher kennen Sie den?« Ich verrate es ihr. »Ohh, Farah!«, flötet sie. »Die liebe Farah! Wir haben tolle Zeiten zusammen erlebt.« Sie erinnere sich vor allem an ihr Gipfeltreffen 1971 mit dem Schah-Ehepaar in Persepolis in der Wüste Irans, als dort zahlreiche Präsidenten und gekrönte Häupter den 2500. Geburtstag von Persien feierten. Imelda Marcos ist kaum zu bremsen, ihr Husten ist schon fast vergessen, und Reporter, die Claudio Bravo und Farah Pahlavi kennen, können ja überhaupt nichts Böses im Schilde führen.
Ziel erreicht, ihre Laune ist bestens. Die 84-Jährige umschmeichelt den Fotografen und mich mit Komplimenten für unser Äußeres. Vor allem mag sie unsere Größe, wir sind beide weit jenseits der 1,80 Meter. Zu uns guckt sie gern hoch.
Doch Imelda Marcos steckt noch immer tief in alten Verhaltensmustern. Sie kann einfach nicht aus ihrer Haut. Sie ist es, die bestimmt, was gemacht wird, niemand sonst. Nein, hinsetzen wolle sie sich nicht, sagt sie zum Wunsch des Fotografen, der ein Bild schießen möchte. Schließlich sei sie doch noch nicht alt und gebrechlich, das würde nur einen falschen Eindruck machen. Es braucht viel Überredungskunst, bis sich Imelda Marcos in ihrem Wohnzimmer fürs Fotoshooting endlich auf einen Stuhl niederlässt. Stuhl ist eine gnadenlose Untertreibung; er ist eine Art Thron mit grünem Samt, mit Blattgold überzogenen Lehnen und geschnitzten Götterfiguren. Vor allem ist er verdammt schwer, er hat zwar Rollen unter den Füßen, die haken aber. Anheben kann man das Prunkstück nicht, also ziehe ich es vorsichtig über den glatt polierten Parkettboden. Es knirscht. Die weißen Kratzspuren im Parkett bemerkt sie nicht. Oder sie sieht gönnerhaft über mein Missgeschick hinweg. Sie ist nicht zu durchschauen. Dann nimmt sie Platz. Sie guckt gelangweilt. Es ist der einzige Moment während des Besuchs, in dem die Diktatorenwitwe still sitzt, nichts sagt und nicht an ihrem Kleid zupft.
Sich den Anweisungen anderer zu fügen – das ist Imelda Marcos nicht gewöhnt. Früher wäre das undenkbar gewesen. Da ließ sich Imelda Marcos von niemanden etwas sagen. Da war sie die First Lady.
Imelda Marcos ist weltweit eine der umstrittensten politischen Figuren. An der Seite des philippinischen Diktators Ferdinand Marcos (1917–1989) sorgt sie für Glanz und Glamour, lebt in Saus und Braus im Malacañang-Palast in Manila. Er, der Herrscher, steht für Raffgier, Korruption und Kriegsrecht, sie für Schönheit, Eleganz und dekadente Shoppingtouren. Noch heute wird die frühere First Lady gleichermaßen verehrt und verachtet. Auf den Philippinen ist Imelda Marcos eine Ikone. Ihre 3 000 Paar Schuhe sind legendär. 1986 muss das Präsidentenpaar die Heimat verlassen, ihr Mann stirbt drei Jahre später im Exil in den USA.
Schon in jungen Jahren setzt sich Imelda Marcos gekonnt in Szene. Mit 18 gewinnt sie einen Schönheitswettbewerb und wird zur »Rose von Tacloban« gekrönt. Doch die junge Imelda will höher hinaus. Sie nimmt an der Miss-Manila-Wahl teil – und muss eine herbe Enttäuschung erleben: Sie wird lediglich Zweite. Doch die aus einer reichen Oligarchenfamilie stammende Schönheit weiß schon früh Macht und Einfluss zu nutzen. Imelda wäre nicht Imelda, wenn sie diese Niederlage nicht nachträglich als Sieg verkaufen könnte. Sie nervt den Bürgermeister der Millionenstadt so lange, bis der sie zur »Muse von Manila« ernennt. Und Imelda ist um einen weiteren Titel reicher.
Über einen Cousin lernt sie im philippinischen Parlament Ferdinand Marcos kennen, einen aufstrebenden Politiker, der nach der Macht im Lande greift. Nur wenige Tage nach dem ersten Date heiraten die beiden – und prägen fortan über Jahrzehnte die Geschicke des Landes. 1965 wird ihr Mann Präsident, 1972 zum uneingeschränkten Herrscher, der das Kriegsrecht ausruft. Oppositionelle werden gefoltert und ermordet. Tausende verschwinden spurlos. Das Ehepaar rafft ein Milliardenvermögen aus Gold, US-Dollars, Schmuck und Kunstwerken zusammen und die Philippinen gelten nach Erkenntnissen von Weltbank und Transparency International weltweit als zweitkorruptester Staat, hinter dem Regime von Diktator Suharto von Indonesien und noch vor Mobutu Sese Seko aus der Demokratischen Republik Kongo.
Und Imelda, der stählerne Schmetterling, wie sie genannt wird, sonnt sich in der Macht. Gewissensbisse oder Unrechtsbewusstsein kennt sie nicht. »Ich wurde als Angeberin geboren«, hat sie einmal gesagt. Eine weitere Kostprobe ihrer Hybris: »Nicht einmal die britische Queen wird nur Elizabeth genannt, sondern Elizabeth die Zweite. Imelda gibt es aber nur einmal.« Sie glaube, dass »imeldific« eines Tages im Wörterbuch stehen werde – als Synonym für extravagant.
1983 läutet der Mord an Oppositionsführer Benigno Aquino das Ende der Marcos-Herrschaft ein. Aquino wird, nachdem er zum ersten Mal nach drei Jahren sein Heimatland betreten hat, noch auf dem Flughafen von Manila erschossen. Eine Welle des Protests und Widerstands folgt. Corazon Aquino, die Witwe Benignos, übernimmt 1986 die Macht, die Marcos verlassen in einem Hubschrauber der US-Armee das Land, mit neun Millionen US-Dollar an Bord. Sie hinterlassen ein verarmtes Land, das Jahre benötigt, um die Verbrechen der Marcos aufzuarbeiten.
Die ehemalige First Lady kehrt 1991 auf die Philippinen zurück, steht unzählige Male vor Gericht, unter anderem wegen Korruption, wird in unteren Instanzen verurteilt, dann wieder freigesprochen und muss nie ins Gefängnis. Von über 900 Gerichtsverfahren sind knapp zehn übrig geblieben. »Immer wenn ich das Land verlassen möchte, muss ich die Regierung um Erlaubnis fragen«, sagt sie. Diese Schmach hat sie sich in den vergangenen Jahren nur zweimal angetan: um sich wegen Diabetes und grünem Star in China behandeln zu lassen.
Imelda Marcos trägt ein traditionelles Gewand und Sandalen. Ihre pechschwarzen Haare glänzen und sind betonfest aufgetürmt. Madame ist stark geschminkt, trägt Lippenstift, versprüht Charme und kokettiert mit ihrem Äußeren. »Ich mache alles falsch, was man falsch machen kann. Ich esse zu viel, treibe keinen Sport und schlafe nachts nur zwei Stunden.« Ihre Augen wirken noch eine Spur kleiner als üblich. Sie hält ein Taschentuch in den Händen, die Klimaanlage brummt. Eigentlich habe sie das Interview kurzfristig absagen wollen, sagt sie. Doch sie genießt die Aufmerksamkeit um ihre Person.
Auf der Fensterbank stehen unzählige gerahmte Erinnerungsbilder aus dem Zenit ihrer Macht: sie mit Mao, der ihr die Hand küsst, sie mit Muammar al-Gaddafi, Fidel Castro, Saddam Hussein. War ihr Mann eigentlich nie eifersüchtig, wenn sie sich mit all diesen testosterongesteuerten Diktatoren traf? »Doch, sehr sogar«, sagt sie. Dabei schmunzelt sie. Auf dem Esstisch steht eine Schüssel mit Porzellanobst, in den Vitrinen Porzellanfiguren, daneben ein Schrein mit einer Büste ihres Mannes. Und an den Wänden hängen Werke von Pablo Picasso, Paul Gauguin, Michelangelo und Camille Pissarro – und die sehen allesamt sehr echt aus.
Es scheint, dass sie einiges von ihrem Reichtum über die Zeit retten konnte. »Ach«, sagt sie. Viele ihrer Sätze beginnen mit einem »Ach«, dann klingt sie genervt. »Der blaue Saphir an meiner rechten Hand ist Fake.« Und der Diamant an ihrer linken Hand? »Das ist mein Verlobungsring, er hat mehr als 30 Karat und ist der einzige wertvolle Gegenstand, den ich besitze.« Wie? Die ganzen Picassos, Michelangelos und Gauguins: unecht oder für Madame einfach nicht wertvoll genug? Sie kokettiert mit ihrer Armut oder doch mit ihrem Reichtum – was immer dieses Verwirrspiel bedeuten soll. »Madame würde sich niemals Kopien aufhängen«, raunt ihre Mitarbeiterin. Und ihr engster Vertrauter verkündet geradezu stolz bei der Besichtigung der einzelnen Räume: »Sehen Sie die Büste auf dem Klavier? Das ist die einzige Michelangelo-Skulptur außerhalb Italiens.« Als der Fotograf Imelda Marcos vor einem Gemälde Michelangelos fotografieren möchte, wehrt sie jedoch ab. »Muss das sein? Lieber nicht«, sagt sie. »Das wirft ein schlechtes Licht auf mich.«
Zwei Jahre zuvor hatte Imelda Marcos ihr Vermögen mit knapp 17 Millionen Euro angegeben. Im Vergleich zu den 7 500 Tonnen Gold im Wert von knapp 27 Milliarden Euro, die ihr Mann angeblich schon vor seiner Zeit als Präsident besessen hat, mag das wenig sein. Ihr ehemaliges Vermögen ist eingefroren, gesperrt oder an den Staat zurückgegeben worden. »Erst kürzlich hat der philippinische Präsident 10 Milliarden Euro aus unserem Besitz an die Kommunisten gegeben«, behauptet sie. Noch immer prozessiert sie um Millionen und Milliarden. Imelda Marcos macht eine Handbewegung zu einem ihrer Bediensteten, der ihr schnell einen Stapel Akten auf den Schoß legt. »Heute ist ein guter Tag, Sie haben mir Glück gebracht.« Schon zeigt sie auf einem Papier mit dem Finger auf eine Summe mit vielen Stellen vor dem Komma. »Wie viel steht da?« 247 000 Barren. »Okay, was ist der Wert?« 790 Millionen US-Dollar. »Das ist ein Teilerfolg vor Gericht. Das Papier beweist, dass mein Mann der rechtmäßige Besitzer des Goldes war.«
Früher war Imelda Marcos ein Weltstar, heute sitzt sie für ihre Heimatprovinz im Kongress. Erst kürzlich wurde sie wiedergewählt. Ein Abstieg? »Ach, ich war schon immer politisch aktiv, ich kann nicht anders. Und ich habe genauso viel Energie wie vor 40 Jahren.« Für viele Menschen ist sie nur die extravagante Frau an der Seite eines Diktators, während dessen Präsidentschaft die Menschenrechte mit Füßen getreten wurden. »Ach, gucken Sie doch einfach ins Internet. Da können Sie lesen, dass Ferdinand Marcos in den 20 Jahren seiner Regierungszeit 16 Wahlen gewonnen hat. Ein Diktator fragt sein Volk nicht nach dessen Meinung. Wir haben nicht einmal die Gesetze missachtet.« Bedauert sie etwas? »Nur, dass wir 1986 die Macht abgeben mussten.«
Wie wird die Ära Marcos in die Geschichte eingehen? »Die Wahrheit wird ans Licht kommen. Und manchmal kriechen Wahrheit und Gerechtigkeit sehr langsam ans Licht.« Und ihre exzessiven Shoppingtouren? »Alles Übertreibung. Das waren alles Einkäufe für die Menschen im Land. Aber eines ist sicher: Ich habe immer schöne Sachen gekauft, niemals hässliche.« Ihre Antworten sind kurz und knapp. Dabei redet sie schnell.
Man merkt, sie hat keine große Lust, sich zu verteidigen. Vielleicht klappt das ja bei einem anderen Thema. »Sagen Sie, Madame, haben Sie einen Schuhtick?« »Die Wahrheit ist, dass ich nie einen Schuhtick hatte«, sagt sie mit ernstem Gesicht. »Die lokalen Hersteller haben mir immer ihre neuen Schuhe geschenkt. 90 Prozent davon habe ich nie getragen.« Heute besitze sie sogar noch mehr Schuhe als damals. »Ich bekomme ständig welche geschenkt, ich weiß gar nicht, wohin damit. Die Menschen glauben wohl, dass ich überhaupt keine Schuhe mehr habe. Oder sie haben Angst, dass die ehemalige First Lady ohne schöne Schuhe herumlaufen muss.«
16 Kilometer weiter, im Schuhmuseum von Manila, stehen 800 ihrer zu Palastzeiten getragenen Paare fein säuberlich in mehreren Regalen aufgereiht. Ferragamo, Givenchy, Chanel, Christian Dior und Bally. Manche sehen aus wie neu, andere abgetragen. »Sehen Sie«, flüstert Zara Jane Ballesteros, Leiterin des Schuhmuseums, ergriffen, »vor allem die Schuhe von Garolini, René Caovilla, Beltrami, Charles Jourdan, Bruno Magli und Raphael Salato hat sie gern und oft getragen.« Sie zeigt behutsam auf die Logos der sündhaft teuren Marken im Fußbett, die fast nicht mehr zu entziffern sind. »Diese Schuhe hat sie geliebt«, schwärmt die Museumschefin mit Pathos in der Stimme.
Imelda Marcos kennt das Museum natürlich. »Ich habe sieben Mal täglich die Schuhe gewechselt«, sagt sie. Waren Blasen kein Thema? »Doch, meine Haut ist sehr empfindlich und dünn. Aber ich habe gar nicht so viele neue Schuhe getragen, vielmehr Leinenschuhe. Jemand hat mir erzählt, dass ich andernfalls sehr hässliche Füße bekommen würde und eine sehr dicke Hornhaut. Meine Füße waren Leder nicht gewöhnt. Ich habe wirklich sehr gut aufgepasst.«
Ein Jahr zuvor wurde bekannt, dass Hunderte Paar Designerschuhe von Imelda Marcos jahrelang unentdeckt in einer verschlossenen Halle des Nationalmuseums lagerten, von Schimmel überzogen, von Termiten zerfressen oder von Wasserflecken verformt. Zunächst lagen die Schuhe nach der Flucht der Familie im Keller des Präsidentenpalastes, wurden dann in 150 Kisten verfrachtet und ins Museum gebracht – wo sie in Vergessenheit gerieten und schutzlos der Feuchtigkeit ausgesetzt waren.
Nach einer Stunde Gespräch will Imelda Marcos eine Pause machen. Sie steht auf und bittet nach nebenan ins Esszimmer. Während Bedienstete ein Video mit historischen Aufnahmen ihrer Gipfeltreffen vorführen, lässt sich Madame Hamburger und kalte Pommes frites von »Jollibee«, einer billigen philippinischen Fast-Food-Kette, schmecken. Die kalten Pommes werden uns in Plastikschälchen serviert. Und wer greift als Erstes mit patschigen Händen herzhaft zu und lässt die Gabel links liegen? Genau, Imelda. »Und die müssen Sie auch probieren«, sagt sie mit vollem Mund und zeigt auf Teigtaschen mit Mangofüllung. Mit dem Kuchenheber balanciert sie ein Teilchen auf meinen Teller. »Und die kleinen Torten sind auch hervorragend und den Kaviarkuchen sollten Sie sich auch nicht entgehen lassen.« Man hat keine Chance, Nein zu sagen. »Ich dachte, Sie sind Deutscher und essen mehr.«
Kaviarkuchen und Billigfritten – auf diese Kombination muss man erst einmal kommen.
Wahrscheinlich waren die Beatles die einzigen Menschen, die ihr jemals einen Korb gegeben haben. 1966 lehnt es die wohl berühmteste Popgruppe ab, vor einem Konzert in Manila zum Empfang in den Präsidentenpalast zu kommen. Die Marcos rächen sich auf ihre Art. Die Musiker werden bei ihrer Abreise am Flughafen schikaniert, sind der aufgebrachten Menge schutzlos ausgesetzt, haben Todesangst, und das ist mit ein Grund, warum die Beatles nicht lange danach keine Konzerte mehr geben werden. Fast ein halbes Jahrhundert später bittet nun Imelda Marcos um Entschuldigung: »Es tut mir sehr leid, dass das hier passiert ist, aber ich hatte nichts damit zu tun. Ich entschuldige mich für die Reaktion der philippinischen Menschen, dass die Beatles verletzt und beleidigt wurden.« Als sie von den Ausschreitungen gehört habe, sei sie sogar zum Flughafen geeilt, um sie unter Kontrolle zu bekommen. »Da sind sehr unschöne Sachen vorgekommen«, erinnert sie sich, »es hätte niemals passieren dürfen, wir hätten das im Griff haben müssen, aber wir hatten keine Kontrolle über diese Situation.« Und noch etwas will sie loswerden: »Ich liebe die Beatles, bin ein großer Fan von ihnen. Sie waren jung, die Musik war neu. Ihre Lieder habe ich alle gemocht.«
Kurz vor dem Abschied drückt sie mir ihre Visitenkarte in die Hand – ein dünnes Stück Papier mit farbigem Konterfei, E-Mail-Adresse, Festnetz- und Handynummer. Die Karte ähnelt der eines billigen Massagesalons in Manila und spiegelt so ziemlich das Gegenteil von dem wider, was die exzentrische Ex-First-Lady verkörpert. Oder täusche ich mich komplett in ihr und Imelda Marcos kann trotz Saus-und-Braus-Attitüde und Millionen-Dollar-Gerede auch unprätentiös sein? Von den Visitenkarten scheint sie noch ein paar übrig zu haben, denn sie drückt mir gleich noch eine zweite in die Hand.
Dass das Ehepaar einst viel Macht besaß und noch immer von vielen verehrt wird, zeigt sich 2016 deutlich. Nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs am 8. November darf Imelda Marcos zehn Tage später den Leichnam ihres verstorbenen Mannes auf dem Heldenfriedhof in Taguig City im Großraum Manila beerdigen. Tausende säumen den Weg und jubeln der Witwe zu, die in einer Mischung aus Stolz und Trauer den letzten Weg ihres Mannes begleitet. Jahrelang hat die resolute Frau für ein Staatsbegräbnis gekämpft, mehrere Staatspräsidenten und Gerichte bemüht, um den 1993 von Hawaii auf die Philippinen zurückgebrachten Sarg mit dem Leichnam Ferdinand Marcos’ angemessen zu bestatten. Wieder einmal triumphiert sie. Wieder einmal bestimmt sie die Schlagzeilen. Dabei hat das Jahr für Imelda Marcos nicht gut begonnen. Die Antikorruptionsbehörde des Landes versteigert einen Großteil ihres Schmucks und stellt ihre Preziosen ins Internet. So sieht man auf Facebook und Twitter unter anderem ein antikes Halsband aus Saphiren und Diamanten in Silber und Gold von 1880 sowie ein mit Diamanten besetztes Diadem aus der Belle-Époque-Zeit.
Das Porträt von Claudio Bravo ist auf jeden Fall ihr Eigentum. Das nimmt ihr keiner weg. Als wir gehen, blickt Imelda Marcos noch einmal zu ihrem gemalten Konterfei und seufzt: »Farah war während unserer Flucht die Einzige, die uns angerufen hat. Die Einzige, die uns während unseres Asyls auf Hawaii moralisch unterstützt hat.« Ob ich ihr nicht behilflich sein könne, ein Telefonat mit ihr zu vermitteln? »Geben Sie Farah doch bitte meine Handynummer.«
Zurück in Deutschland, rufe ich Farah Pahlavis Vertrauten Kambiz Atabay in New York an. Kurz danach die Rückmeldung: Auch Farah Pahlavi hat großes Interesse an einem Gespräch. Ein paar Tage später meldet Mister Atabay Vollzug: Die beiden Damen hätten über eine Stunde miteinander telefoniert. Worum es ging? Da schüttelt der treue und verschwiegene Sekretär hörbar am Telefon den Kopf. Zu gern hätte man gewusst, worüber sich die beiden legendären Diktatoren-Gattinnen unterhalten haben …
2018 gibt Imelda Marcos im Alter von 89 Jahren (!) offiziell ihre Kandidatur für das Amt der Gouverneurin in Ilocos Norte, ihrer Heimatprovinz, bekannt. Die Stelle wird frei, weil sich ihre Tochter Imee, die dort aktuell Gouverneurin ist, 2019 für einen Sitz im Senat bewirbt. Die Chance, dass Imelda gewählt wird, ist hoch, gilt doch Ilocos Norte traditionell als Machtbasis des Marcos-Clans. Doch kurz darauf holt Imelda Marcos ihre dunkle Vergangenheit ein, der sie sich nicht entziehen kann. In einem jahrzehntelangen Verfahren wird sie nun wegen Korruption zu über 40 Jahren Haft verurteilt. Sie hinterlegt jedoch bei Gericht eine Kaution in Höhe von 2 500 US-Dollar und bleibt auf freiem Fuß. Sie sieht bei diesem Termin wie eine Wachsfigur aus, die Mundwinkel hängen tief, Verachtung liegt in ihrem Gesichtsausdruck. Welch undankbares Volk, mag es ihr durch den Kopf gehen. Imelda Marcos lebt schon seit Jahrzehnten in ihrer eigenen Welt. Und mit ihrer eigenen Wahrheit.
Ein paar Tage später zieht sie ihre Kandidatur zur Gouverneurin zurück.