Es war fünf Uhr morgens. In seinem Kiez war es dunkel und still.
Trojan eilte zum Dienstwagen, den er in der Reichenbergstraße geparkt hatte. Er stieg ein und fuhr los. Am Kottbusser Tor erreichte er die Skalitzer Straße. Im hohen Tempo passierte er den Wassertorplatz und das Hallesche Ufer. Bald darauf raste er am Kanal entlang.
Er bog rechts ab. Nach einer Weile war er im Tiergartentunnel. Er überlegte, ob er Landsberg informieren sollte. Doch er entschied sich dagegen. Der Chef und die Kollegen sollten sich für ein paar Stunden ausruhen.
Immerhin könnte er völlig falschliegen. Möglich, dass die Zahlen eine ganz andere Bedeutung hatten.
Am Hauptbahnhof verließ sein Wagen den Tunnel. Er raste die Heidestraße entlang, passierte im Bezirk Wedding den Nordhafen und bog nach links ab. Über die Ellen-Epstein-Straße ging es weiter entlang der Bahntrasse. Allmählich wurde der Verkehr dichter. Die Stadt erwachte.
Trojan überquerte die Brücke am Westhafen. Auf dem Saatwinkler Damm wagte er einige riskante Überholmanöver. Laternenlichter säumten funkelnd den Spandauer Schifffahrtskanal.
Er gab Gas, lehnte sich in die Kurve, als er scharf auf die A 111 einbog. Ungeduldig fädelte er sich in den Verkehr ein und zog hinüber auf die Überholspur. Trojan fuhr an einer Kolonne Lkws vorbei und passierte den Flughafen Tegel.
Für ein paar Sekunden dachte er daran, dass er erst kürzlich dort gelandet war. Wann war er zurückgekehrt? Mittwochabend? Es kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor. Zu viel war passiert.
Er ließ die Stadtgrenze hinter sich. Zu beiden Seiten der Autobahn taten sich die Wälder Brandenburgs auf.
Trojan jagte auf der Überholspur dahin. Ihm kamen Zweifel. Womöglich verlor er wertvolle Zeit. Augenblicklich sehnte er sich nach seinem warmen Bett zurück. Gleich darauf gab er sich einen Ruck. Bleib wach, ermahnte er sich in Gedanken, du musst dich konzentrieren.
Er erreichte die A 10, dann die A 24. Schließlich nahm er die Ausfahrt Neuruppin.
Auf der Bundesstraße fuhr er weiter. Er kontrollierte seine Position auf dem Navi.
Wurde er in die Irre geleitet? Trieb der Mörder einen Scherz mit ihm? Oder tappte er womöglich in eine Falle?
Bleib ruhig. Informiere vorsichtshalber den Chef.
Landsberg würde ihn wegen seines eigenmächtigen Handelns tadeln.
Abwarten. Er könnte ihn immer noch anrufen, sobald er seinen Zielort erreicht hatte.
Er packte das Lenkrad fester, trat das Gaspedal durch und überholte einen BMW.
Einige Zeit später bog er in eine Allee ab, die von Eichen und Rosskastanien gesäumt war. Nun befand er sich in der Prignitz, einem Landkreis nordwestlich von Berlin.
Nebelschwaden standen über den Feldern. Allmählich dämmerte der Morgen heran.
Trojan passierte kleinere Ortschaften. Das Navi empfahl ihm einen Abzweig auf eine schmale Straße, die durch ein Waldgebiet führte.
Abermals bog er ab.
Hier endete der Wald.
Er kam an Feldern vorbei. Tief und schwarz hingen die Wolken in der Morgendämmerung.
Wieder warf er einen Blick aufs Navi. Noch einen Kilometer bis zum Zielort. Er verlangsamte das Tempo. Schlaglöcher auf dem Asphalt. Keine Ortschaft weit und breit.
Und dann fuhr er rechts heran.
Dies war die Stelle, die ihm die Geo-Koordinaten angezeigt hatten.
Trojan stieg aus und tastete nach seinem Waffenholster. Ein kalter Windhauch blies ihm ins Gesicht.
War er hier richtig?
Ratlos blickte er sich um. Ein Stoppelfeld im Morgennebel, mehr konnte er nicht erkennen.
Da bemerkte er in der Ferne ein paar rote Lichter. Sie blinkten kurz auf. Schon verschwanden sie hinter Wolkenfetzen.
Trojan knipste seine Maglite an und ging zu Fuß weiter.
Er folgte einem Pfad, marschierte zögernd durch den wabernden Nebel. Bald darauf vernahm er surrende Geräusche. Sie kamen aus verschiedenen Richtungen.
Was war das nur?
Er fröstelte.
Der Lichtkegel bahnte sich einen Weg durch die Dunstschleier. Auf einmal riss die Wolkendecke über ihm auf, und Trojan richtete seinen Blick zum Himmel.
Nun begriff er, wo er sich befand.
Er stand mitten in einem Windpark. Über ihm surrten die Rotoren. Die Positionslichter blinkten.
Trojan griff zu seinem Smartphone. Er kontrollierte nochmals die Geo-Koordinaten. Sie stimmten mit seinem ungefähren Standpunkt überein.
Schließlich atmete er erschöpft aus.
Unsicher schaute er zu den Windrädern hinauf. Was sollte das nur? Hatte der Täter ihn verhöhnt? Handelte es sich tatsächlich um ein Ablenkungsmanöver?
Er zögerte. Langsam wurde es heller. Die Wolken lösten sich auf, und mit dem aufsteigenden Licht schwand auch der Nebel.
Abermals blickte er sich um.
Etwa zweihundert Meter von ihm entfernt machte er einen Hain aus Kiefern, Fichten und Buchen aus.
Er straffte die Schultern und lenkte seine Schritte dorthin.
Auch am Waldrand lüfteten sich die Dunstschleier.
Plötzlich blieb Trojan stehen.
Da vorne war etwas.
Es sah aus wie eine Gestalt mit einem blutroten Kopf.