SIEBEN

Sie kamen überein, dass Stefanie zusammen mit Maas und Kolpert die Nachbarn im Haus befragen sollte. Verdächtige Personen im Treppenhaus, Geräusche aus der Tatortwohnung, jedes Detail war wichtig.

Währenddessen ging Trojan hinunter auf die Straße und stieg in den Mannschaftswagen, in dem Lea Sabinsky einer uniformierten Beamtin gegenübersaß.

»Können Sie uns für eine Weile allein lassen?«, fragte er die Polizistin, die sich offenbar um die Augenzeugin gekümmert hatte. Sie nickte ihm zu und verließ den Wagen.

Trojan setzte sich.

Lea Sabinsky war aschfahl. Ihr langes dunkles Haar hing ihr wirr ins Gesicht. Ihre Augenränder waren gerötet. Offensichtlich stand sie noch immer unter Schock.

»Nils Trojan mein Name. Ich bin der leitende Ermittler hier.«

Sie schwieg.

»Sind Sie in der Lage, mir ein paar Fragen zu beantworten?«

Sie nickte stumm.

»Können Sie mir den genauen Ablauf schildern, wie Sie nach Hause gekommen sind und Ihre Mitbewohnerin gefunden haben?«

»Das habe ich Ihren Kollegen doch schon mehrfach erzählt.«

»Ich kann mir vorstellen, wie schwer das für Sie ist.« Er machte eine Pause. »Um wie viel Uhr kamen Sie heim?«

»Es war kurz nach acht.«

»Woher wissen Sie das so genau?«

»Ich kam mit dem Taxi vom Hauptbahnhof. Als ich den Fahrer bezahlte, sah ich auf die Uhr an der Armatur. Ich war genervt, weil es schon so spät war. Mein Zug aus Köln hatte eine technische Störung.«

»Sie waren auf Dienstreise, ja?«

»Hmm. Ein dreitägiger Kongress. Ich bin Informatikerin. Vor einem halben Jahr hab ich meine erste Stelle hier in Berlin angetreten. Für die Firma muss ich viel reisen.«

»Was fiel Ihnen als Erstes auf, als Sie die Wohnung betraten?«

»Der Geruch. Es roch nach Putzmittel. Ziemlich streng.«

»Nach Chlorreiniger?«

»Ja. So etwas würde Marta nie benutzen.«

»Was geschah dann?«

»Ich ging in mein Zimmer.« Sie strich sich mit der Hand über die Stirn. Ihre Stimme war brüchig. »Er war an meinen Sachen. Derjenige, der Marta das angetan hat, war auch bei mir.«

»Haben Sie irgendeine Ahnung, wer das gewesen sein könnte?«

»Nein.«

»Ganz egal, wer. Wenn Sie jemanden im Verdacht haben, sprechen Sie es aus.«

Sie starrte ihn an. »Ich weiß es nicht.«

»Wer besitzt einen Schlüssel zu der Wohnung?«

»Nur Marta und ich.«

»Sonst niemand?«

»Nicht dass ich wüsste.«

»Wie lange wohnen Sie schon hier?«

»Seit sechs Monaten. Ich hab in Darmstadt an der TU studiert und vor Kurzem hier meinen ersten Job bekommen. Die Unterkunft bei Marta lief über eine Annonce und sollte nur vorübergehend sein. Eigentlich war ich auf der Suche nach einer eigenen Wohnung, aber das ist nicht so einfach in Berlin. Marta war sehr anhänglich, ich glaube, sie hat sich eine enge Freundschaft mit mir gewünscht. Aber letztlich passen wir gar nicht zusammen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Na ja, sie ist ein eher kreativer Mensch. Sie hat immer davon geträumt, Keramikerin zu werden.«

»Keramikerin?«

»Sind Ihnen nicht die vielen Töpfersachen in der Wohnung aufgefallen?«

Trojan dachte nach.

»Die sind alle von ihr. Sie war öfter nach Feierabend in einer öffentlichen Werkstatt in Neukölln und hat dort an der Drehscheibe gearbeitet. Das war ihr Hobby. Mich interessiert so etwas nicht, aber sie wollte mich ständig dazu überreden, mitzukommen und es auch einmal auszuprobieren. Ich schreibe Programme, verbringe die meiste Zeit am Computer. Was soll ich in einer Töpferwerkstatt?«

»Was hat Marta eigentlich beruflich gemacht?«

»Sie war Angestellte in der Kulturverwaltung. Ich glaube, der Job hat sie gelangweilt.«

»Hatte sie einen festen Freund?«

»Nein. Sie hat sich vor einem Jahr getrennt. Der Mann, mit dem sie einige Jahre zusammen war, wollte keine Kinder haben. Sie hat mir deswegen die Ohren vollgejammert.« Lea Sabinsky schniefte. Ihr lief eine Träne über die Wange. »Die arme Marta. Sie war sehr unglücklich. Aber genau das hat mich an unserer Wohngemeinschaft gestört. Immerzu kam sie mit ihrem privaten Kram an. Ich sollte ihr zuhören, ihr Ratschläge geben, mit ihr ausgehen. Das hat mich überfordert. Ich hab genügend eigene Freunde, allerdings sind die alle in Darmstadt.«

»Kennen Sie den Namen von Martas Exfreund?«

»Gerald.«

»Und wie weiter?«

»Keine Ahnung.«

»Okay, das kriegen wir raus. Wissen Sie, wo diese Töpferwerkstatt ist?«

»In der Pannierstraße, glaube ich.«

»Hausnummer?«

Sie zuckte mit den Schultern.

Trojan machte sich eine Notiz.

Lea Sabinsky blickte ihn an. »Dieses …«, sie brach ab, schluckte, »… was ich an ihr gesehen hab, als ich sie fand … dieses …«

»… Fell?«

»Ja. Und die Naht. Die Fäden in ihrem Gesicht. Wer macht denn so etwas?«

Trojan schwieg. Dann sagte er: »Sie haben sicherlich auch die rote Aufschrift an der Tapete gelesen?«

»Tröste mich. Ja. Ist das nicht grauenvoll?«

»Haben Sie den Exfreund von Marta Giesner jemals kennengelernt?«

»Nein.«

»Und die Trennung ging von ihr aus?«

»Ja.«

»Hat sie jemals erwähnt, dass ihr Freund darüber sehr zornig war?«

»Sie meinen, es könnte ein … Trost für ihn gewesen sein …«, ihre Stimme kippte, »… sie umzubringen? Und sie dermaßen zu verunstalten?«

Sie rang nach Atem. Für einen Moment fürchtete Trojan, sie würde vor ihm zusammenbrechen.

»Schon gut. Ganz ruhig. Haben Sie jemanden, bei dem Sie die Nacht verbringen können?«

»Nicht in Berlin. Mein Freund lebt in Darmstadt. Und wie gesagt, mein gesamter Freundeskreis ist dort. Ich denke, ich werde mir ein Hotelzimmer nehmen.« Sie schaute aus dem Wagenfenster hin zu dem weiß getünchten Mietshaus. »Ich kann mir nicht vorstellen, jemals wieder einen Fuß in diese Wohnung zu setzen.«

»Hat man Ihre Daten aufgenommen?«

»Ja.«

»Auch die Mobilnummer?«

»Natürlich.«

Er reichte ihr seine Karte. »Teilen Sie mir unbedingt mit, wo ich Sie künftig erreichen kann.«

»Hmm. Kann ich jetzt gehen?«

Er nickte. Sie verließen gemeinsam das Fahrzeug. Plötzlich packte sie ihn am Arm. »Ich habe Angst.«

»Wovor?«

»Dass der Mörder wiederkommt.«

Er musterte sie. »Brauchen Sie vielleicht ärztliche Hilfe? Soll Ihnen jemand ein Beruhigungsmittel verschreiben?«

Sie schüttelte den Kopf.

Angespannt spähte sie zu den grell erleuchteten Fenstern im dritten Stockwerk hinauf.

Trojan war augenblicklich irritiert. »Eine letzte Frage hätte ich noch.«

»Ja?«

»Gab es jemals Streit zwischen Ihnen und Marta Giesner?«

Sie sah ihn an. »Nein.«

»Sie erwähnten, dass sich Marta eine Freundschaft mit Ihnen wünschte.«

»Aber deshalb haben wir uns nicht gestritten.«

»Hat Ihr Freund Sie mal in Berlin besucht?«

»Ja.«

»War er auch in dieser Wohnung?«

»Ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen.«

»Kannte er Marta Giesner?«

»Ja, wir waren … wir … haben sogar mal einen netten Abend zu dritt verbracht.«

»Wann war das?«

»Vor drei, vier Wochen ungefähr.«

»Wie heißt Ihr Freund?«

»Lutz Scheffing. Wieso wollen Sie das wissen?«

»Reine Routine.«

»Hören Sie, ich bin nur die Mitbewohnerin.«

»Kein Grund zur Sorge. Alles wird gut.«

»Mein Gott, wäre ich doch bloß nicht in dieses Haus gezogen. Marta, so zugerichtet auf dem Bett. Dieses Bild werde ich nie wieder los.«

Trojan versuchte, sie zu beruhigen. Er notierte sich den Namen ihrer Firma und des Hotels, in dem sie in Köln untergebracht gewesen war, dann verabschiedete er sich von ihr.

Nachdenklich ging er zurück an den Tatort. Er hatte das vage Gefühl, dass ihm Lea Sabinsky etwas verheimlichte.