Kapitel 7
»Entschuldigung, kannst du mir sagen, wo ich Tessa Langley finde?«
Dies war die vierte Bewohnerin des Studentenwohnheims, die Finola ansprach. Da Tessa nicht zu Hause war, hatte sie sich im Chanceller’s Court direkt an dem Eingang zum Gebäude postiert, durch den Tessa gehen würde.
»Wenn sie nicht in ihrem Zimmer ist, ist sie wahrscheinlich in einer Vorlesung oder bei einem Seminar. Oder in der Bibliothek«, antwortete die junge Frau. »Oder vielleicht beim Einkaufen?«
»Aber du kennst Tessa?«
»Klar, die wohnt nur drei Zimmer weiter.«
»Wunderbar, dann kennst du möglicherweise auch Tícia – Tissy?« Finola zückte ihr Handy und zeigte eines der Instagram-Fotos.
»Hm, ich bin nicht sicher. Kann sein, dass die mal hier war. Ausländerin?«
»Brasilianerin.«
»Oh, dann weiß ich, wer das ist – die hat sich nämlich an Tessas englischen Freund rangemacht.« Die Studentin verzog verächtlich den Mund. »Und der – na ja, Männer halt.«
Interessant.
» Echt? Na, das ist doch ein No-Go unter Freundinnen!« Finola schüttelte den Kopf. »Das wird Tessa sicher getroffen haben.«
»Getroffen?« Die Studentin lachte. »Die war so was von stinksauer, als sie das mitgekriegt hat, dass ich nicht in der Haut dieser Brasilianerin stecken möchte!«
Ihr Blick verriet allerdings, dass sie eine Begegnung der beiden nur allzu gerne miterleben würde.
Finola trat einen Schritt näher an sie heran und beugte sich vertraulich vor. »Du meinst, sie will es ihr heimzahlen?«
»So wie sie gestern Abend klang … Warum willst du das überhaupt wissen?«
»Ich soll was schreiben – einen Artikel«, improvisierte Finola. »Über junge Leute aus Südamerika, die hier in Edinburgh studieren. Für die Students Today. Das ist ein neues Online-Magazin. Und mir hat jemand erzählt, dass Tícia und Tessa Freundinnen sind. Fand ich interessant, so eine internationale Freundschaft.«
»Spannend. Da kann ich dir aber nicht weiterhelfen. Und Tessa wohl auch nicht mehr – da ist nix mehr mit Freundschaft. Ende der 3T.«
»3T?«
»Tyler, Tessa, Tissy.«
»Tyler ist Tessas Freund?«
»War.«
»Weißt du zufällig seinen Nachnamen und wo ich ihn finden kann?«
Die Studentin legte den Kopf schief und runzelte die Stirn. »Willst du ihn etwa jetzt interviewen über seine ›Freundschaft‹ mit Tissy?«
Finola zuckte mit den Achseln. »Wieso nicht – ich muss ja irgendwie eine Story liefern.«
»Boah – ihr Reporter seid so was von ätzend! Selbst wenn ich mehr über Tyler wüsste, würde ich es dir nicht sagen!«
Die junge Frau schob sich an Finola vorbei und verschwand im Gebäude.
Schade. Gleich jetzt etwas mehr über diesen Tyler zu erfahren, hätte Finola Mühe erspart. Nun, vielleicht konnte sie ja Tessa noch abpassen und sie direkt zu Tícia befragen. Mit ein wenig Geschick bekam sie wahrscheinlich auch einiges über diesen Tyler zu hören – das wäre hilfreich für den Bericht, den Tícias Eltern erwarteten.
Finola setzte sich auf eine der Bänke im Chancellor’s Court, von der sie einen guten Überblick hatte.
Wenn Tícia nicht doch inzwischen von allein auftauchte und sie Tyler einen Besuch abstatten musste, überlegte Finola, war es vielleicht geschickt, eine hellblonde Langhaarperücke zu tragen. Von wegen Beuteschema. Na ja, Männer halt, wie die Studentin vorhin gesagt hatte. Finolas Freund Robbie war ja auch nicht wirklich anders gewesen.
Verrückt, dass der einzige Mann, von dessen Treue sie sicher wusste, ausgerechnet Craig Erskine war, den sie für ihren allerersten Auftrag observiert hatte, weil seine Frau ihn verdächtigt hatte, sie zu betrügen.