Kapitel 17
Tícia und Tyler blieben weiter zu Hause. Nach zwei Stunden vergeblicher Observierung vom Auto aus war Finola Antônio für seine Anwesenheit äußerst dankbar. Sie hätte unmöglich all die Zeit auf dem Verteilerkasten sitzenbleiben können, vor allem, als es zwischendurch anfing, ein wenig zu regnen.
Sie hatte das Observieren in diesem Fall tatsächlich unterschätzt. Vor ein paar Wochen, als sie Craig Erskine beschattet hatte, war alles viel einfacher gewesen, dem war sie nur gezielt in der Mittagspause und an manchen Abenden gefolgt.
Zum Glück saß sie immerhin gemütlich neben Antônio im Trockenen, er hatte sogar eine Picknickdecke aus dem Kofferraum geholt und fürsorglich über ihre Beine gebreitet. Sie unterhielten sich über dies und das, bis irgendwann das Gespräch verstummte.
Einige Zeit lang las Antônio in einem Buch, dessen portugiesischer Titel Finola nichts sagte, und sie hing ihren eigenen Gedanken nach. Gedanken, die um die Detektei kreisten, um Anne und deren verschwundenes Geld, um die immer noch schwierige finanzielle Situation und darum, wie sie neue Aufträge bekommen konnten.
Andererseits, so wie sich der Fall Tícia de Sousa Machado entwickelte, war es im Moment schlecht möglich, einen zweiten, ähnlich zeitintensiven Fall anzunehmen.
»Nicht erschrecken«, sagte Antônio leise. »Magst du einen Kaffee? Ich hab vorhin eine Bäckerei gesehen, da gibt es welchen zum Mitnehmen.«
»Das wäre wunderbar!« Sie wandte sich ihm zu.
Antônio streichelte über ihre Wange und küsste sie sanft. »Alles für mein Mädchen.«
»Ich bin eine Frau und kein Mädchen und schon gar nicht deins«, stellte Finola klar und drehte sich wieder um.
Antônio lachte. »Wie du meinst. Ich spendiere dir den Kaffee aber trotzdem.«
Sie hörte, wie die Autotür geöffnet und geschlossen wurde, und seufzte. Hoffentlich verstand Antônio ihre neu aufgekeimte Freundschaft nicht falsch. Eine gemeinsame Zukunft sah sie nicht. Dafür hätte sie sich ernsthaft verlieben müssen. Außerdem würde er früher oder später nach Brasilien zurückkehren, das war ihr völlig klar. Andererseits – das hier, was es auch war, musste ja nicht für ewig sein …
Sie stellte sich den Rückspiegel so ein, dass sie sehen konnte, wann er zurückkam. Noch einmal würde er sie nicht erschrecken.
Antônio brachte nicht nur Kaffee, sondern auch zwei pinkfarben glasierte Doughnuts mit, die Finola freudig entgegennahm.
»Nichts?«, fragte er.
Finola schüttelte den Kopf.
»Also, dieser Teil deines Jobs ist wirklich langweilig!«
»Mhm.«
»Machst du eigentlich beim Küssen immer noch die Augen zu?«, fragte Antônio. »Und ist dein schwarzer Lippenstift kussecht?«
»Wie bitte?«
»Ich überlege gerade, ob wir nicht die Plätze tauschen, dann könnten wir uns küssen, während du die Haustür im Blick behältst, vorausgesetzt, du lässt die Augen offen. Oder du vertraust mir, dass ich sehe, wer kommt und geht. Ich möchte dich jetzt nämlich wirklich gerne küssen.«
»Ich habe noch nicht einmal meinen Doughnut gegessen, und du …«
»Okay, okay, iss erst auf!«
Konnte sie da etwas anderes tun als lächeln?
Bevor sie den letzten Bissen genommen hatte und eine passende Antwort finden musste, summte ihr Handy. Anne.
»Wie sieht es aus? Ich komme gerade nach Edinburgh zurück. Soll ich dich ablösen?«
»Eine Ablösung wäre toll. Tícia war vor Stunden einmal kurz einkaufen, seitdem hat weder sie noch Tyler das Haus verlassen. Der Nachmittag ist ganz schön zäh.«
»Okay. Bin in zehn bis fünfzehn Minuten da. Muss dann nur einen Parkplatz finden. See you.«
Anne beendete das Gespräch, bevor Finola etwas darauf erwidern konnte.
»Ablösung? Gut, dann können wir ja …«
»Antônio! Bitte reiß dich zusammen, wenn Anne gleich kommt. Und sag nicht, wie lange du schon hier bist. Ich will nicht, dass sie mich für unprofessionell hält. Am besten bleibst du im Auto sitzen.«
»Was denkst du denn von mir! Ich bin doch keine Plaudertasche!«
Plaudertasche – wo hatte er diesen Begriff wohl aufgeschnappt? Leider war er genau das, wie sie sich erinnerte. Und wenn er einmal in Fahrt war, war er nicht gerade die Diskretion in Person.
Eine knappe Viertelstunde später bog Annes roter Kleinwagen in die Straße ein. Finola stand schon am Straßenrand bereit und gab Antônio ein Zeichen, den Parkplatz freizugeben. Er scherte aus, fuhr einige Meter weiter und hielt dann in zweiter Reihe.
Anne lenkte ihr Auto in die Lücke und stieg aus.
»Das ist ja praktisch! Wie hast du das hingekriegt?«, fragte sie Finola.
»Antônio hat mir vorhin Kaffee und Doughnuts gebracht.« Das war nicht gelogen.
»Muss ich noch was wissen?«
Finola schüttelte den Kopf und reichte Anne ein Blatt von ihrem Block, auf dem sie ein paar Notizen gemacht hatte. »Mein Bericht.«
Anne musterte sie. »Danke. Du siehst müde aus.«
»Ich werd mich gleich noch ein bisschen hinlegen. Ich fürchte nämlich, unsere beiden Ts ziehen heute Abend erneut los. Saturday Night Fever … Könnte wieder eine lange Nacht werden.«
»Ich sag dir Bescheid, wenn ich alte Frau nicht mehr kann!«
»Anne, bitte, du bist achtundfünfzig und nicht achtundsiebzig!«
»Aber eben keine achtundzwanzig mehr wie du. So, ab mit dir. Dein Chauffeur hat schon einen ganz ungeduldigen Hinterkopf!«