Kapitel 20
Antônio hatte sich bei der Auswahl ihres Outfits selbst übertroffen. Das moosgrüne Seidenkleid war schlicht und weit geschnitten. Seine Schwester war, wie Finola von Fotos wusste, um einiges kleiner als sie, aber auch wenn das Kleid für Finola daher extrem kurz war, ließ es sich mit dem engen schwarzen Minirock, den sie ohnehin trug, und ihren schwarzen Strumpfhosen zu einem recht eleganten Outfit stylen. Zum Glück hatte sie alles dabei, um auch Gesicht und Frisur anzupassen, und konnte sogar ihre Doc Martens gegen die Ballerinas tauschen, die sie heute Mittag bei Helen getragen hatte.
Antônio warf ihr einen anerkennenden Blick zu, als er dieses Mal auf der Beifahrerseite einstieg, sagte jedoch nichts.
Tylers und Tícias Clique musste gerade erst angekommen sein, als sich Finola und Antônio dem Club näherten. Die jungen Leute standen noch im Eingangsbereich am Fuß der Treppe und unterhielten sich lautstark und wild gestikulierend mit ein paar anderen, die sie wohl kannten.
Finola ging sehr langsam an ihnen vorbei. Die kleine Dunkelhaarige war aufgetaut, sie kicherte ständig und konnte gar nicht stillstehen. Auch Tícia wippte auf ihren Füßen auf und nieder. Die Männer schienen ihre Energie eher in prahlerisches Gerede zu stecken.
»Hast du auch den Eindruck, die haben was genommen?«, fragte Finola, als sie sicher außer Hörweite waren.
»Schwer zu sagen, aber von zwei Pints im Pub dürften sie nicht so aufgedreht sein. Außer sie haben vorher bei Tyler schon getrunken. Oder ja, sie haben noch etwas anderes intus. Vielleicht reagieren die Mädchen aber auch nur auf die Überdosis Testosteron?«
»Wow. Du klingst alt und reif!«
»Ey, ich bin reif. Und genauso alt wie du!«
Finola lachte. »Komm, lass uns tanzen, da können wir Tícia unauffällig im Auge behalten, wenn sie gleich hier raufkommt.«
Es war so einfach, ein Liebespaar zu spielen und dabei jemanden zu beobachten. Und erstmals machte eine Observierung richtig Spaß! Gegen die übermäßige Lautstärke hatte Finola ihre Ohrenstöpsel, und Antônio war ein wunderbarer Tänzer. Wenn er sie zwischendurch gelegentlich küsste, verstand sie nicht mehr wirklich, warum sie sich von ihm getrennt hatte.
Tícia schien den Abend weniger zu genießen. Tyler war zunächst sichtlich genervt von ihrer besitzergreifenden Art. Als sie jedoch später mit dem Rothaarigen tanzte und wohl für Tylers Begriffe zu lasziv die Hüften schwang, marschierte er zu ihr und beendete den Tanz mit ein paar harschen Worten. Danach hielt er sie längere Zeit an der Hand wie ein kleines unartiges Kind.
Es war schon sehr spät, oder sehr früh, je nachdem, wie man es betrachtete, als Tícia leicht schwankend die Treppe zu den Toiletten hinunterstieg. Finola und Antônio folgten ihr unauffällig und eng umschlungen.
Überraschenderweise ging Tícia weiter zum Ausgang und trat hinaus auf die Straße. Sie machte ein paar Schritte nach rechts, lehnte sich an die Hauswand und glitt plötzlich daran hinunter.
Finola löste sich aus Antônios Umarmung und eilte zu ihr.
»Hallo. Geht es dir nicht gut?«, fragte sie, beugte sich zu Tícia und legte ihr die Hand auf die Schulter.
Die antwortete nicht, starrte nur ins Leere.
Antônio ging neben ihr in die Hocke und begann, auf Portugiesisch auf sie einzureden. Damit hatte er Erfolg, denn sie sah ihn an und erwiderte etwas. Die beiden tauschten ein paar Sätze, dann verstummte Tícia, und Antônio erhob sich.
»Was ist?«
»Sie behauptet, es ist alles okay, sie ist nur unglücklich.«
»Das sieht mir aber eher aus, als wäre sie high.«
Bei ihren Worten verdrehten sich Tícias Augen kurz, dann fixierte sie Finola. Sie sagte etwas auf Portugiesisch. Antônios Reaktion nach schien es amüsant zu sein.
»Wir sollten sie vielleicht ins Krankenhaus bringen«, schlug Finola leise vor.
Antônio wiegte zweifelnd den Kopf.
»Hey, belästigt ihr etwa meine Freundin?«, rief eine raue Stimme. Tyler kam von der Eingangstür herangestapft. Er schob Kopf und Schultern nach vorn und wirkte ziemlich aggressiv.
»Es scheint ihr nicht gut zu gehen.« Finola wich nicht zurück, sondern sah ihm herausfordernd entgegen.
»Quatsch! Die stellt sich nur an, weil sie einen Streit vom Zaun gebrochen hat und jetzt wieder mal einen auf Opfer macht.«
Er griff ihr unter die Achseln und zog sie hoch, ohne Finola und Antônio zu beachten. Dann führte er sie zurück in den Club. Sie ließ es geschehen.
»Was nun?« Antônio sah aus, als wäre er Tyler am liebsten gefolgt und hätte Prinzessin Tícia aus den Fängen des Drachen befreit.
»Nichts. Wir können sie nur weiter beobachten. Und falls sie wirklich Hilfe braucht …«
»Dieser Tyler ist einfach eine ganz üble Nummer!«, unterbrach Antônio und fixierte die Eingangstür, wo Tyler und Tícia gerade wieder herauskamen, dieses Mal in Jacken und mit Tícias Tasche an ihrem Arm. Tyler hielt sein Handy ans Ohr und gab die Adresse des Clubs durch, er bestellte wohl ein Taxi.
»Immerhin scheint er sie nun nach Hause zu bringen«, stellte Finola fest. »Holst du unsere Sachen? Dann warte ich hier.«
Antônio war noch nicht zurück, als Tyler und Tícia ins Taxi stiegen. Als er endlich mit ihren Jacken angehetzt kam, hatte Finola zwei Dinge beschlossen: Erstens würden sie sicherheitshalber gleich an Tylers Haus vorbeifahren, um zu sehen, ob in seiner Wohnung Licht war. Und zweitens würde sie sich anschließend von Antônio heimfahren lassen. In die Albert Terrace. Allein.
Zum Glück erklärte er sich sofort mit ihren Wünschen einverstanden.
Im dritten Stock von Tylers Haus brannte tatsächlich Licht, sie konnten also davon ausgehen, dass Tyler und Tícia heil angekommen waren. Finola atmete auf.
Die Fahrt durch das nächtliche Edinburgh nach Morningside ging angenehm schnell und gab Finola gerade genug Zeit, um die wichtigsten Ereignisse der Nacht als kurze Sprachnachricht an Anne zu verschicken.
Antônio küsste sie zum Abschied. Lang und zärtlich und voller Versprechen auf ein anderes Mal. Dann stieg Finola aus, beugte sich jedoch noch einmal zurück in den Wagen.
»Ach, bevor ich’s vergesse«, sagte sie leise. »Was hat Tícia denn gesagt, als sie mich vorhin so intensiv angesehen hat?«
Antônio schmunzelte. »Sie hat dich vor mir gewarnt! Sie hat gesagt: ›Trau ihm nicht! Er hat heute im Pub schon mit einer anderen rumgemacht!‹«