Kapitel 23
Finola eilte die Morningside Road entlang. Von der anderen Seite her kamen ihr ein Mann und eine Frau entgegen, die verdächtig nach Kriminalpolizei aussahen. Sie legte noch einen Zahn zu und betrat das Café wenige Sekunden, bevor die beiden die Tür erreicht hatten.
Laurie umarmte sie und flüsterte: »Danke!«
Finola hatte sich nicht getäuscht, die Frau in Jeans und Blazer und ihr Begleiter traten ebenfalls ein.
»Lauren Anderson?« Sie sah von Laurie zu Finola und wieder zurück.
»Das bin ich«, gab Laurie zu.
»Ich bin DI MacFarlane, und dies ist DS Croft. Er hat vor ein paar Tagen ja schon mit Ihnen gesprochen, glaube ich. Wir haben noch ein paar kurze Fragen im Zusammenhang mit Helen Burke.«
Laurie hielt die Luft an und riss die Augen auf. Die Polizisten tauschten einen Blick.
Finola legte den Arm um ihre Schultern. »Setz dich, ich hol dir ein Glas Wasser.«
Sie zog einen Stuhl unter dem Tischchen hervor, auf dem sich Laurie langsam niederließ.
»Aber ich weiß doch gar nichts!«, sagte sie leise zu der Polizistin.
»Sie wissen, dass Helen Burke tot ist?«
Laurie nickte. Es war nicht ganz klar, ob sie die Frage von DI MacFarlane beantwortete oder Finola für das Glas Wasser dankte, das diese gerade vor sie stellte. Sie nahm einen Schluck und räusperte sich.
»Ja, ich habe gehört, dass Helen tot aufgefunden wurde. In Morningside spricht sich so etwas schnell herum.«
»Sehen Sie, das habe ich mir gedacht.« DI MacFarlane nahm sich ebenfalls einen Stuhl und setzte sich zu Laurie an den Tisch.
Finola wertete es als gutes Zeichen, dass sie sie nicht beachtete. Sie blieb ein wenig im Hintergrund stehen, um Laurie moralische Unterstützung zu geben.
»Was haben Sie denn noch gehört?«, fragte MacFarlane.
Sie wirkte freundlich, fand Finola, sie schien zu wissen, dass nicht jede Person, die angesichts der Polizei zu zittern begann, eines Verbrechens schuldig war. Obwohl Lauries Reaktion schon unerwartet heftig war. Was mochte dahinterstecken?
MacFarlane hörte aufmerksam zu, als Laurie ihr erzählte, wie sie von Helens Tod erfahren hatte und welche Bemerkungen in dem Gespräch gefallen waren. Die Detective Inspector war eine nicht unattraktive Endvierzigerin mit kastanienbraun gefärbtem halblangem Haar, das allerdings einen deutlichen Ansatz zeigte.
DS Croft war wesentlich jünger, er sah höchstens wie Mitte zwanzig aus. Breitschultrig und muskulös stand er mit leicht gespreizten Beinen an der Cafétür wie ein … Finola musste kurz überlegen, an wen oder was er sie erinnerte.
Ah, ja. Er stand da wie ein Türsteher, massiv und fast bewegungslos, doch seine Augen schienen alles zu registrieren. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke. Finola lächelte, aber DS Crofts Gesicht blieb ungerührt.
»Nein, ich kann nicht sagen, ob das tatsächlich Förmchen von meinen Cupcakes sind«, erklärte Laurie mit einem Blick auf MacFarlanes Handydisplay. »Die kann man ja überall kaufen. Ich glaube nicht, dass das meine sind, weil Helen am Samstag ja gar nicht hier im Café war und nichts gekauft hat.«
»Wir werden selbstverständlich untersuchen, wo Ms Burke die Cupcakes gekauft hat und ob sie überhaupt etwas mit ihrem Tod zu tun haben. Machen Sie sich keine Gedanken, die Wahrheit kommt immer ans Licht.«
Glaubte sie das selbst? Wie hoch war in Edinburgh die Aufklärungsrate bei Mordfällen?
»Verraten Sie mir noch, wer Sie sind?«, fragte MacFarlane und wandte sich an Finola. »Und ob Sie auch etwas gehört oder gesehen haben?«
»Finola MacTavish. Ich bin Lauries Freundin und wohne hier in der Nachbarschaft. Und ich weiß nur das, was Laurie Ihnen eben erzählt hat.«
»MacTavish. Sind Sie verwandt mit den MacTavish in – wo war das noch? Musselburgh … Prestonpans? Mit denen vom Golfclub?«
»Nein, tut mir leid. Ich komme aus dem Westen, und ich wohne erst seit letztem Monat hier.«
»Dann kennen Sie Helen Burke am Ende gar nicht?«
War die Überraschung echt oder gespielt? DI MacFarlane war schwer zu durchschauen.
»Wir haben kürzlich hier im Café am selben Tisch gesessen«, antwortete Finola ehrlich.
Sollte sie gleich noch von der Massage erzählen?
Bevor sie einen Entschluss gefasst hatte, wandte sich MacFarlane wieder an Laurie und sprach weiter.
»Nun, wir müssen zunächst einmal untersuchen, ob tatsächlich Gift zu Ms Burkes Tod geführt hat. Auch wenn einiges dafür spricht, weil sie ja vor ein paar Tagen schon einmal … Aber vielleicht war daran ein verdorbenes Lebensmittel schuld oder eine Allergie. Jetzt sieht das alles natürlich ein wenig anders aus. Aber wir warten auf jeden Fall zuerst mal das Ergebnis der Obduktion ab, und wenn wir dann Fragen haben, schauen wir einfach noch mal vorbei. DS Croft hat ja Ihre Kontaktdaten, Ms Anderson, nicht wahr?« Sie lächelte freundlich.
»Und Sie, Ms MacTavish, geben meinem jugendlichen Assistenten bitte auch noch Ihre Kontaktdaten, ja? Vielen Dank.«
Die Polizistin erhob sich und sah sich im Café um.
DS Croft kam ein paar Schritte auf Finola zu, zückte sein Handy und sah sie auffordernd an.
Sie nannte ihren Namen, die Adresse und ihre private Handynummer, die er mit schnellen Fingern eingab.
»Haben Sie auch noch eine berufliche Nummer?«, fragte MacFarlane von hinter der Verkaufstheke, von wo aus sie interessiert die wenigen Cupcakes betrachtete, die Laurie an diesem Morgen schon eingeräumt hatte.
»Ja.« Finola gab auch diese Nummer an. Woher wusste DI MacFarlane, dass sie zwei Handys hatte?
»Schön. Dann danke ich Ihnen, Ms Anderson und Ms MacTavish.«
Die Polizistin kam wieder hinter der Theke hervor, ging zum Ausgang und legte ihre Hand auf den Türknopf.
»Ach, Ms MacTavish …« Sie betonte Finolas Namen und ließ einen Moment verstreichen, bevor sie weitersprach. »Albert Terrace, MacTavish & Scott . Achten Sie bitte darauf, dass Sie uns nicht ins Handwerk pfuschen. Wir sind nicht gerade die größten Fans von Privatdetektiven.«
Sie öffnete die Tür und ging ohne ein weiteres Wort hinaus, gefolgt von DS Croft, der ein hastiges »Bye!« fallen ließ.