Kapitel 30
Finola schlug die Augen auf und versuchte sich aufzurichten. Das schwere Etwas auf ihrer Brust erwies sich als Katze. Sie erinnerte sich, dass sie sich in ihrem Frust über Antônios mangelnde Professionalität aufs Bett gelegt hatte und sich bemüht hatte, zu meditieren, um wieder zur Ruhe zu kommen. Sie erinnerte sich auch, dass Olga sich auf ihre Beine begeben und geschnurrt hatte, aber dann musste sie eingeschlafen sein.
Ein Blick auf die Uhr ließ sie Olga hastig zur Seite heben und aufspringen. Halb sechs. In einer halben Stunde sollte sie in der Zahnarztpraxis sein. Gut, es war nicht weit, aber sie musste sich noch umziehen, oder? Nein, eigentlich nicht. Jeans und Shirt passten auch als Reinigungskraft. Und man wusste ja ohnehin schon, wie sie aussah, also war eine Verkleidung nicht nötig.
Finola trank schnell noch ein paar Schlucke aus ihrer Wasserflasche und versuchte erfolglos, Olga aus ihrem Zimmer zu bugsieren. Na gut, dann würde sie die Tür einen Spalt auflassen. Wieder einmal.
Im Laufschritt erreichte sie die Burke Dental Clinic um fünf vor sechs.
Drinnen war Nikki noch dabei, mit einem Patienten einen Termin zu vereinbaren. Er schien der letzte zu sein, denn als er die Praxis verließ, begleitete Nikki ihn zur Tür und schloss hinter ihm ab. Den Schlüssel ließ sie stecken.
»Du bist also tatsächlich gekommen. Und pünktlich«, sagte Nikki.
»Es war doch so abgemacht.«
»Och, hast du eine Ahnung, wie viele Leute ihre Abmachungen und Termine nicht einhalten? Komm mit, ich zeig dir, wo du alles findest.«
Die Putzutensilien standen neben einem tiefen Waschbecken hinter einer Tür in einem Raum voller Schränke, von dem eine weitere Tür abging.
»Das da ist der Sterilisationsraum«, erklärte Nikki und wies auf die Tür. »Da brauchst du bloß den Boden zu wischen. Überhaupt, alles was Geräte betrifft, machen die Fachleute. Deine Aufgabe sind die Böden, ein bisschen allgemeines Saubermachen im Wartezimmer und vorne an der Rezeption. Und natürlich in den Toiletten. Und wenn du noch die Küche schaffst, wäre das toll. Die hat Gladys beim letzten Mal nicht mehr geputzt, da musste sie früher weg.«
»Wann war sie denn zuletzt hier?«
»Am Donnerstag. Sie kommt immer montags und donnerstags um sechs.«
Donnerstag. An dem Abend war Helen mit Vergiftungssymptomen ins Krankenhaus gekommen. Konnte da ein Zusammenhang bestehen? Nur weil Gladys jetzt angeblich unter Schock stand, war ja nicht ausgeschlossen, dass sie ihre doppelte Arbeitgeberin um die Ecke gebracht hatte. Hatte Finola nicht irgendwo gelesen, dass die Person, die eine Leiche fand, als besonders verdächtig galt?
»Gut. Dann fang ich mal an. Wie lange hab ich Zeit? Ich meine – ich möchte nicht gerade hier eingeschlossen werden.«
Nikki lachte. »Keine Angst. Wir sind noch ein Weilchen da. Rachel muss die Instrumente sterilisieren, und ich hab Bürokram zu machen. Morgen kommt meine Kollegin – ich arbeite eigentlich nur an drei Tagen die Woche. Letzte Woche musste ich aber die ganze Zeit da sein, weil die Kollegin krank war. Dafür hab ich den Rest dieser Woche frei.«
»Wie schön!«
»Ja, aber natürlich sind noch ein paar Dinge vorzubereiten und aufzuschreiben, damit alles klappt. Gerade jetzt.«
»Das ist wirklich eine schwierige Situation.« Finola hob leicht die Stimme am Ende des Satzes wie bei einer Frage, aber Nikki ging leider nicht darauf ein.
Also füllte Finola Wasser in den Eimer, goss Putzmittel dazu, zog Handschuhe an und machte sich auf den Weg durch die Praxis. Sie öffnete die Tür zum Raum mit der Nummer drei.
»Oh, Entschuldigung.«
Einer der Zahnärzte stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster. Er drehte sich überrascht um. »Wer sind denn Sie?«
»Die Vertretung für Gladys«, erklärte Finola. »Ich wusste nicht, dass hier noch jemand ist, Dr. Somplatzky, ich komme dann später.«
»Das wäre nett, ja.« Er drehte sich wieder um, und Finola schloss die Tür.
Richtig geraten. Das also war Dr. Somplatzky. Er hatte eigentlich ein freundliches, offenes Gesicht, doch sein Blick war sehr misstrauisch gewesen. Sie konnte sich gut vorstellen, dass er tatsächlich ganz andere Gedanken hegte, als er vorgab.
Bevor sie die Tür zur Nummer eins öffnen konnte, um Dr. McKay zu überraschen, kam dieser schon herausgestürmt.
»Also, ich tu ja mein Möglichstes. Mir hat es auch nichts ausgemacht, heute Patienten von Helen zu übernehmen und länger zu bleiben, aber verschont mich gefälligst von nun an mit solchen Patientinnen wie dieser …« Er blieb verblüfft vor Finola stehen. »Was machen Sie hier?«
»Ich putze.«
»Ach so, ja. Gladys …«
»Es geht ihr nicht gut«, erklärte Finola.
»Verstehe. Dann also – bye, ich bin weg!« Er stürmte auf die Ausgangstür zu, drehte den Schlüssel und verließ das Haus im Laufschritt.
Nikki stand auf und schloss wieder ab.
»Ziemlich temperamentvoll, dieser Dr. McKay«, bemerkte Finola. »Ist der immer so?«
Nikki zog eine Grimasse und ging schweigend zurück an ihre Arbeit. Nun, das war auch eine Antwort.