Kapitel 33
Anne legte den Hörer auf. Senhor Machado hatte ihr versichert, wie zufrieden er mit der Arbeit von MacTavish & Scott
war. Doch was seine Tochter betraf, war er ziemlich unglücklich, das konnte sie leicht heraushören.
Es war nicht einfach als Vater oder Mutter. Zum Glück hatten Sean, Aidan und Iain ihr und Malcolm wenig Sorgen bereitet. Manchmal bedauerte sie es, dass alle drei Söhne weit entfernt lebten, aber alle gingen ordentlich ihrem Beruf oder Studium nach, Sean hatte eine nette Verlobte, und irgendwie war es ja auch gut, dass sie ihr nicht ständig auf der Pelle hingen. Ihre Aufgabe als Mutter war es gewesen, die Kinder so zu erziehen, dass sie selbstständig und frei leben konnten. Diese Aufgabe hatte sie erfüllt.
Was war wohl bei Tícia schiefgelaufen, dass sie so über die Stränge schlug und, wie es aussah, ihr Studium aufgegeben hatte, um sich mit einem Studenten, der keiner war, herumzutreiben, sich zu betrinken und Drogen zu nehmen?
Die Haustür wurde aufgeschlossen, durch die offene Bürotür sah Anne Finola ins Haus kommen und ihre Jacke aufhängen.
»Hi. Regnet es noch?«, rief sie ihr entgegen.
»Ja, und wie!« Finola schlüpfte aus ihren Schuhen und stellte sie in die Abtropfschale unter der Garderobe.
»Möchtest du einen Tee?«, fragte Anne. »Oder eher was Höherprozentiges?« Ein gemütliches Schwätzchen mit Finola war jetzt eigentlich genau das Richtige.
Finola zögerte. »Ich bin so nass, muss mich erst umziehen.«
»Gut, treffen wir uns in ein paar Minuten in der Küche.«
Finola schien erneut zu zögern, dann aber nickte sie und stieg die Treppe hinauf.
Anne erhob sich, um in die Küche zu gehen und Wasser aufzustellen. Irrte sie sich, oder hatte Finola wenig Lust gezeigt, sich
mit ihr zusammenzusetzen? Nun, sie brauchten ja keine lange Sache aus ihrem Küchentreff zu machen. Wahrscheinlich hatte Finola anderes im Kopf – diesen brasilianischen Freund zum Beispiel. Die beiden schienen sich recht nahegekommen zu sein.
Anne lächelte. Ein brasilianischer Freund, ein brasilianischer Klient – das südamerikanische Land zeigte sich MacTavish & Scott
gegenüber gerade sehr freundlich.
Finanziell ging es ihnen diesen Monat auch deutlich besser als im letzten, hoffentlich hielt diese Tendenz an. Wenn alles gut lief, konnte sie Finola nach dem Machado-Auftrag endlich ein paar Tage in ihrem eigenen Fall nach York schicken.
Finola erschien mit feuchten Haaren, aber in trockener Jeans und einem warmen Pullover.
»Viel Zeit habe ich nicht, bin gleich mit Antônio verabredet.«
Mhm. Der Tonfall klang nicht nach einem Rendezvous. Eher nach einer klärenden Diskussion.
»Bei dem Wetter fällt seine Ghost Tour aus«, erklärte Finola, »hat er mir gerade geschrieben.«
»Ist das nicht genau das richtige Wetter für Geister und Untote?«
Annes Scherz rief bei Finola nur ein Stirnrunzeln hervor.
»Das schien die italienische Reisegruppe, die die Tour gebucht hat, anders zu sehen«, sagte sie.
»Okay, wenn nicht Zeit für beides ist – Tee oder Whisky?«
»Whisky.«
Oho! Anne drehte sich schnell zum Schrank, bevor Finola ihr Grinsen sehen konnte. Sie wollte heute Abend lieber nicht in Antônios Haut stecken.