Am Dienstag, den 9. August 1904, betritt gegen 21 Uhr ein sichtlich aufgeregter Mann die Polizeistation in der Amity Street in Brooklyn. Sein Name ist Vincenzo Mannino. Mannino ist Bauunternehmer und lebt mit seiner Familie nur einen Steinwurf vom Revier entfernt. Er berichtet den Beamten, sein achtjähriger Sohn Antonio, genannt Toni, sei verschwunden. Wie alle Kinder des Viertels habe er draußen gespielt, am Abend sei er jedoch nicht zur vereinbarten Zeit nach Hause gekommen. Stattdessen sei kurz darauf ein Zettel mit einer Lösegeldforderung gefunden worden. 500 Dollar werden für die unversehrte Rückkehr des Kindes verlangt. Die Summe ist beachtlich, mehr als das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Büroangestellten zu dieser Zeit. Für die Manninos ist das Geld das geringere Problem. Was sie in Aufregung versetzt, ist der Umstand, dass die Lösegeldforderung von der Schwarzen Hand unterschrieben wurde.

Bereits seit dem 18. Jahrhundert treibt die Schwarze Hand im südlichen Italien ihr Unwesen. Fast immer wurde die Entführung wohlhabender Bürger in einem Erpresserbrief angekündigt, die Forderung mit einem

Im Jahr 1880 begann die große Auswanderungswelle. Insgesamt 13 Millionen Menschen verließen Italien bis 1914 und verstreuten sich über den ganzen Globus. Am Höhepunkt der Welle, zwischen 1900 und 1914, wanderten allein drei Millionen Italiener auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben in die USA aus. Fast alle stammten sie aus dem verarmten Süden.

Auch die Urgroßeltern meines Partners waren unter ihnen. Sie verließen San Sosti, ein kleines Dorf in Kalabrien. Anfang zwanzig und verheiratet, waren sie bereit, in den USA ein neues Leben zu beginnen. Bis zu ihrem Tod sprach die Urgroßmutter meines Partners nur Italienisch, es war, als hätte sie die alte Heimat nie verlassen. Auch sein Großvater, der 1905 in den USA geboren wurde, sprach die ersten sechs Jahre seines Lebens kein Wort Englisch. Er lernte es in der Schule, fand sich immer mehr zurecht und heiratete später Octavia, ein Mädchen mit irisch-schottischen Vorfahren – ein Skandal für die Familie. Durch die Audiokassetten, die er seinen Enkeln hinterließ, hörte ich von dem Leben der italienischen

Anders als die sizilianische Mafia, die Cosa Nostra, hatte die Schwarze Hand keine hierarchischen Strukturen. Es waren meist Einzeltäter oder kleinere Gruppen, die geschickt die Angst der Opfer ausnutzten. Ab 1904 wurden immer mehr und immer gewalttätigere Vergehen mit ihr in Verbindung gebracht. Die Schwarze Hand schien allgegenwärtig zu sein, und die Presse stürzte sich darauf. Es entstand der Mythos der Mano Nera. Auch die Cosa Nostra erkannte das Potenzial und begann nun ihrerseits, sich den Ruf der Schwarzen Hand zunutze zu machen. Irgendwann vermischten sich die Grenzen so sehr, dass am Ende jeder italienische Einwanderer unter Generalverdacht stand.

Wie die Urgroßeltern meines Partners sprachen die meisten italienischen Einwanderer den Dialekt ihrer Heimat, nur eine Minderheit konnte sich auf Englisch

Giuseppe »Joe« Petrosino war der erste italienischstämmige Beamte des New York Police Departement. Auch er war aus Italien eingewandert, und anders als die meisten seiner Landsleute sprach er sowohl Englisch als auch Italienisch akzentfrei. Zudem beherrschte er über zwanzig verschiedene italienische Dialekte. Petrosino war am 30. August 1860 in dem kleinen Ort Padula zur Welt gekommen. Als Zwölfjähriger hatte er Italien verlassen, um mit seinem Vater in Le Havre an Bord der Denmark nach Amerika auszuwandern. Nach einer dreiwöchigen Überfahrt erreichten sie am 8. November 1872 New York. Über Castle Garden an der Südspitze Manhattans reisten sie in die USA ein. Das Immigrationszentrum auf Ellis Island existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, es wurde erst 1890 errichtet. In New York lebte Petrosino mit seinem Cousin bei seinem Großvater. Sein Vater arbeitete den ganzen Tag und konnte sich nicht um den Sohn kümmern. Als der Großvater bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, sollten die beiden Kinder in einem Waisenhaus untergebracht werden. Dem

Der junge und ehrgeizige Petrosino fiel Theodore Roosevelt, dem damaligen Leiter der New Yorker Polizeibehörde und späteren Präsidenten, auf. Roosevelt beförderte ihn zum Detective Sergeant und zum Leiter der Mordkommission. Der Höhepunkt seiner Karriere sollte jedoch die Leitung des 1908 in Leben gerufenen Italian Squad zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität sein. Petrosino war bekannt für seine Verkleidungen, er trat als Geschäftsmann, als Priester, als Arbeiter auf. Seine Sprachgewandtheit half ihm dabei. Für seine Erfolge wurde er von der Presse gefeiert. Bald kannte jedes Kind den kleinen, ernst blickenden Mann mit der Melone aus den Zeitungen. Als der italienische Opernsänger Enrico Caruso einen Erpresserbrief der Schwarzen Hand erhielt, in dem ihm mit dem Tod gedroht wurde, war es der Opernliebhaber Petrosino, der den berühmten Sänger überzeugte, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Bei der geplanten Geldübergabe wurden die Hintermänner gefasst. Auch an der Untersuchung zum Entführungsfall des achtjährigen Toni, der

 

Auf der Polizeistation in der Amity Street berichtet Tonis Vater Vincenzo Mannino den Polizisten zunächst von einem Vorfall, der sich am Vortag ereignet hatte. Seine Schwiegermutter Maria Pincello war am Montagnachmittag mit der Fähre von Manhattan nach Brooklyn zurückgekommen. An der Anlegestelle traf sie auf ihren Enkel Toni. Der war in Begleitung des mehr als doppelt so alten Angelo Cucozza, ein ehemaliger Arbeiter in Manninos Bauunternehmen. Ihr kam das ungleiche Paar seltsam vor, und sie sprach die beiden an. Toni und Cucozza konnten keine zufriedenstellende Erklärung für ihre Anwesenheit an der Fährstation geben. Ganz fürsorgliche Nonna, nahm Pincello daraufhin ihren Enkel bei der Hand und lieferte ihn zu Hause ab.

Auf Nachfrage seiner Eltern berichtete der Junge, Cucozza habe ihm 50 Cent angeboten, wenn er mit nach Manhattan fahren würde. Der 18-Jährige habe Toni gesagt, er müsse dort einen Behördengang erledigen und bräuchte dringend einen Übersetzer. Da er Cucozza kannte und dieser ihm versprach, ihn rechtzeitig wieder nach Hause zurückbringen, willigte Toni ein. Mit dieser Erklärung war die Angelegenheit erledigt, und niemand schenkte dem Ganzen mehr Beachtung.

Als Toni am darauffolgenden Tag auch nach Einbruch der Dunkelheit nicht vom Spielen nach Hause kommt, aber dafür ein Brief mit einer Lösegeldforderung auftaucht, bekommen die Manninos Angst. Sofort wird von den Beamten die Suche nach dem Kind eingeleitet.

Wenig später meldet sich der Inhaber eines Süßwarenladens: Toni war am Dienstagnachmittag in seinem Geschäft in unmittelbarer Nähe des Elternhauses an der Ecke Amity und Emmett Street, Brooklyn. Er habe eine Limonade und Süßigkeiten gekauft. Nach Aussage des Ladenbesitzers habe ihm das Kind erzählt, die Sachen seien für ihn und seinen Freund. Den Einkauf bezahlte der Junge mit einer silbern glänzenden 50-Cent-Münze. Dem Inhaber war ein junger Mann aufgefallen, der vor dem Geschäft auf Toni wartete. Der Beschreibung nach hätte es Cucozza sein können. Der Zeuge habe noch gehört, wie der Unbekannte zu dem Kind sagte: »Komm schon, Toni. Es wird Zeit für uns zu gehen.« Danach liefen beide die Straße hinunter Richtung Fähre. Seither hatte sie keiner gesehen.

Tonis Vater begibt sich in Begleitung zweier Polizisten zum Anleger, in der vagen Hoffnung, Cucozza habe tatsächlich die Fähre über den East River genommen und würde früher oder später dort wieder auftauchen. Gegen ein Uhr morgens ist der Gesuchte tatsächlich unter den Passagieren. Noch an Ort und Stelle wird er verhaftet und mit aufs Revier genommen. Zunächst schweigt er beharrlich. Er wisse von nichts, und Toni kenne er nur vom Sehen aus der Zeit, als er für dessen Vater gearbeitet habe. Erst als er mit der Aussage des Ladeninhabers konfrontiert wird und ihm keine andere Möglichkeit bleibt, gibt Cucozza zu, mit dem Kind nach Manhattan gefahren zu sein. Nun tischt er den Beamten eine neue Geschichte auf: Er sei vor ein paar

Am Tag darauf tauchte jedoch einer der beiden Männer erneut bei ihm auf. Dieses Mal verlief die Begegnung nicht so freundschaftlich. Der Mann drohte, wenn es ihm nicht gelingen sollte, Toni noch am selben Abend nach Manhattan zu bringen, würde es böse für ihn enden. Die Drohung erschien Cucozza durchaus real, und

Die Polizisten fahren mit Cucozza nach Manhattan. Er soll ihnen das Haus zeigen. Hier ist der sich plötzlich nicht mehr sicher. Alles sehe so gleich aus. In der ersten durchsuchten Wohnung lebt ein irischer Einwanderer mit seiner Familie. Schnell stellt sich heraus, dass er mit der Angelegenheit nichts zu tun haben kann. Auch die Suche in den benachbarten Gebäuden bleibt erfolglos. Von Toni keine Spur. Wieder in Brooklyn und erneut von den Polizisten befragt, verstrickt sich Cucozza in Widersprüche. Er sagt, er sei nicht oft in Manhattan und habe sich womöglich in der Gegend geirrt.

Die Beamten kommen nicht weiter, Cucozza wird dem Untersuchungsrichter am Butler Street Court vorgestellt. Dort bekennt er sich der Entführung schuldig, verweigert aber hartnäckig jede weitere Aussage. Als er aus dem Gerichtssaal ins Untersuchungsgefängnis abgeführt werden soll, stellt sich Giuseppe Sigretti, Manninos Geschäftspartner, dem Verdächtigen in den Weg. Die Beamten schreiten nicht ein und lassen Sigretti

Sigretti verspricht hundert Dollar, wenn Cucozza verrät, wo er den Jungen abgeliefert habe. Dieser blockt zunächst ab. Sigretti lässt nicht locker, bis der Verdächtige gesteht, dass alles bisher Erzählte nicht ganz der Wahrheit entspräche. Er habe Angst, darüber zu sprechen, da die anderen an der Entführung Beteiligten ihn dann töten würden. Er sei nicht alleine gewesen, den ganzen Weg bis zu dem Haus, in das er Toni gebracht habe, sei ihnen ein kleiner, kräftiger Italiener gefolgt. Dieser habe ihm zugerufen, wann er nach rechts oder links abbiegen oder in eine Straßenbahn einsteigen solle. Cucozza habe sich an diese Anweisungen gehalten. Sie seien eine halbe Ewigkeit im Zickzack durch die Stadt gelaufen. Schließlich habe ihm der geheimnisvolle Führer zu verstehen gegeben, dass er an einer Straßenecke stehen bleiben und warten solle. Er habe getan, was von ihm verlangt wurde. Kurz darauf kam ein weiterer Mann hinzu, und gemeinsam sind sie in die oberste Etage eines nahe gelegenen Mietshauses gebracht worden. In der Wohnung hätten sie eine Frau vorgefunden. Es machte auf ihn den Eindruck, als hätte sie sie bereits erwartet. Cucozza wurde aufgefordert, den Jungen zurückzulassen, und die beiden Männer hätten ihn dann wieder durch das Treppenhaus auf die Straße gebracht. Unten angekommen, habe ihm der Kleinere der beiden ins Ohr gezischt, er solle so schnell er kann verschwinden. »Fahr direkt nach Brooklyn zurück. Wenn du jemals hierher zurückkommst oder der Polizei auch nur ein Wort darüber sagst, wohin du den Jungen gebracht hast, kannst du dir sicher sein, dass

Nach dieser Aussage wird Cucozza erneut nach Manhattan gebracht. Dieses Mal führt er die Beamten zu einem ausschließlich von Italienern bewohnten Haus in der 317 E 39th Street. Die Wohnung mit der Nummer 16 in der obersten Etage gehört einem Mann namens Francisco Corneglio. Der arbeitet für die Long Island Railroad. Neben ihm leben dort noch seine Frau und ein Untermieter. Sowohl Corneglio als auch seine Frau versichern, mit der Sache nichts zu tun zu haben. Cucozza besteht darauf, es sei die Wohnung und es seien auch die Personen, bei denen er den Jungen abgeliefert habe. Der kleine Italiener, der ihm den Weg gezeigt habe, sei allerdings nicht unter ihnen. Alle in der Wohnung Anwesenden inklusive des Untermieters werden verhaftet und nach Brooklyn gebracht. Von Toni fehlt weiterhin jede Spur.

Zwischenzeitlich trifft ein weiteres Schreiben der Entführer bei den Manninos ein: Dem Jungen gehe es gut. Wenn die Eltern wollen, dass dies auch so bleibe, sollen sie sich von der Polizei fernhalten und auf neue Anweisungen warten. Wie die erste Nachricht ist auch diese von der Schwarzen Hand unterschrieben.

Die nächsten Tage bringen keine weiterführenden Erkenntnisse: Die vier Verdächtigen bleiben in Haft, die Polizei sucht nach Hinweisen, in der Presse wird ausführlich über den Fall berichtet. In Brooklyn weichen Sigretti und seine Frau nicht von der Seite der Manninos. Der Geschäftspartner wird mehr und mehr zum Sprecher der Familie. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen:

Je länger das Kind verschwunden ist, umso verzweifelter werden die Eltern. Dennoch gibt Mannino die Hoffnung nicht auf, seinen Sohn lebend wiederzusehen. Seine Frau hingegen verfällt zusehends in Trauer und Depressionen. Sie glaubt, die Männer haben Toni längst getötet.

Weitere Schreiben der Kidnapper tauchen auf. Am Ende sind es vier. Zwei wurden in Manhattan aufgegeben, zwei kommen aus der Gegend um Boston in Massa- chusetts. Die Polizei erhält schließlich mehrere anonyme Hinweise zu einem Mann namens Vito Laduca. Er soll der Drahtzieher der Entführung sein. Doch keiner der Zeugen will gegen ihn aussagen. Laduca ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt, schon mehrfach ist er in Verdacht geraten, in kriminelle Machenschaften verstrickt zu sein. Als sein Name mit dieser Entführung in Zusammenhang gebracht wird, läuten bei Petrosino und seinen Männern sofort die Alarmglocken.

Laduca hält sich seit 1902 in den USA auf. Bereits im Jahr darauf war er einer der Hauptverdächtigen im Barrel-Murder-Case. Der Fall hatte 1903 die ganze Stadt in Aufruhr gehalten. In einem Fass war die schrecklich zugerichtete Leiche eines Kriminellen gefunden worden. Laduca stand im Verdacht, an dem Mord beteiligt gewesen zu sein, ihm konnte aber nichts nachgewiesen werden. Ein Zigarettenstummel bei der Leiche führte Petrosino und sein Team schließlich zu Giuseppe Morello, dem Kopf der berüchtigten Morello-Bande.

Mittlerweile ist mehr als eine Woche vergangen, und die Ermittlungen scheinen sich im Kreis zu drehen. Das Verhältnis der Manninos zur Polizei verändert sich. Waren sie anfangs fast begierig darauf, mit den Beamten zusammenzuarbeiten, verhalten sie sich plötzlich abweisend. Besonders Tonis Vater distanziert sich. Auch die Allianz zwischen Mannino und seinem Geschäftspartner Sigretti scheint sich aufzulösen. Die ermittelnden Beamten hören von Streitigkeiten. Mannino ist bereit, auf jede Forderung der Entführer einzugehen. Sigretti hingegen soll eine Lösegeldzahlung grundsätzlich ablehnen. Gegenüber einem Zeugen sagt er, ihm sei es lieber, das Lösegeld in Blei statt in Gold zu bezahlen.

Und dann kommt das Unerwartete: Am Samstag, den 20. August 1904, gegen 3 Uhr morgens läuft Toni zufällig dem Cousin seines Vaters über den Weg. Salvatore Mannino sagt aus, er habe das Haus nachts noch einmal verlassen, da er nicht schlafen konnte, und da sei das Kind die Straße entlanggegangen.

Hatte sich die Polizei vom Auftauchen des Kindes Klarheit erhofft, wird ab diesem Tag alles nur noch undurchsichtiger. Toni berichtet, er sei, nachdem Cucozza ihn zurückgelassen hatte, in eine andere Wohnung verbracht worden. Diese habe sich in der obersten Etage in einem Haus in der Gegend der 106th Street befunden. Laut seinen Aussagen waren zwei Männer und eine

Die Familie mauert, und die Beamten bekommen fast keine Chance, mit dem Kind zu sprechen. Tonis Vater lässt den Jungen nicht aus den Augen. Bei jeder Befragung ist er anwesend. Toni soll die Verdächtigen identifizieren. Ihm soll eine Fotografie des untergetauchten Vito Laduca vorgelegt werden, um zu klären, ob dieser in die Sache verwickelt sei. Die Polizei will auch wissen, ob es sich bei Francisco Corneglio, dessen Frau oder deren Untermieter um jene Personen handelt, bei denen Angelo Cucozza das Kind zurückgelassen hat. Doch ehe Toni bei einer anberaumten Gegenüberstellung einen Blick auf die Verdächtigen werfen kann, stellt sich sein Vater dazwischen. Mit strenger Miene ermahnt er seinen Sohn: »Du kennst diese Personen nicht, oder?« Ein sichtlich eingeschüchterter Toni sagt daraufhin, er habe die Leute noch nie gesehen. Einzig an Cucozza erinnert er sich.

Auch in den nächsten Tagen wird jeder Kontakt mit dem Kind unterbunden. Die ermittelnden Beamten sind

Als der Vater endlich einer weiteren Befragung zustimmt, ist es Petrosino, der Leiter der Abteilung, der mit dem Jungen spricht. Mannino ist auch dieses Mal im Raum und lässt das Kind nicht aus den Augen.

Petrosino fragt Toni: »Wer hat dir gesagt, dass du nichts erzählen sollst, mein Junge?«

Das Kind ist verunsichert. Er blickt zu seinem Vater und fragt nach: »Was meinen Sie damit?«

Petrosino antwortet: »Ich meine nicht deinen Vater. Haben die Kidnapper gesagt, du sollst nichts sagen?«

Toni ist überrascht. Mannino nickt als Zeichen der Zustimmung. Erst danach antwortet das Kind: »Oh … die Kidnapper … ja. Die Frau hat mir gesagt, ich darf niemandem davon erzählen oder sie würden mich töten.«

Auf Petrosinos Nachfrage, wie die Frau denn ausgesehen habe, sagt er wie schon zuvor: »Es war eine große, schwarz gekleidete Frau.« Dabei macht er mit den Armen eine Geste, als würde die Frau bis hinauf zur Zimmerdecke reichen. Sofort beendet der Vater die Befragung.

Der Verdacht, Mannino sei auf die Lösegeldforderung der Entführer eingegangen, erhärtet sich. Tonis Vater bestreitet dies vehement. Immer mehr Hinweise deuten jedoch darauf hin: Ein Polizeispitzel will gesehen haben, wie ein Mann nach Einbruch der Dunkelheit nur

Sigretti, der Partner Manninos, der sich gegen diese Zahlung ausgesprochen hatte und der in den Tagen vor der Freilassung des Jungen ständig im Haus der Familie gesehen wurde, ist plötzlich nicht mehr erreichbar. Durch einen Mittelsmann lässt er ausrichten, er befände sich mit seiner Frau auf Reisen. Sein genauer Aufenthaltsort ist unbekannt. Die Ermittlungen scheinen festzustecken, und mehrere Monate geschieht fast nichts.

Am 3. Oktober 1905 kommt es zu einer überraschenden Wendung. Vito Laduca wird in Baltimore von einem Ermittler aus Petrosinos Team verhaftet. Laduca hatte es geschafft, über ein Jahr abzutauchen, und wird nun neben anderen Delikten auch für seine Beteiligung an der Entführung Toni Manninos angeklagt und vor Gericht gestellt.

Im Laufe der Untersuchung hatte sich herausgestellt, dass Tonis Vater Verbindungen zur Morello-Bande unterhielt. Bereits 1903 hatte er großzügig zur

Für die ermittelnden Polizisten, allen voran für Petrosino, stand bereits früh fest, dass das wahre Motiv für die Entführung in der Familie Mannino und deren im Laufe der Untersuchung immer deutlicher werdenden Verbindung zur Morello-Bande zu suchen war. Nach der überraschenden Freilassung Tonis und dem abweisenden Verhalten Manninos der Polizei gegenüber erhärtete sich Petrosinos Verdacht. Manninos Geschäftspartner Sigretti wollte mit diesen kriminellen Strukturen nichts zu tun haben. Er wollte darum verhindern, dass das Lösegeld bezahlt wurde, und scheiterte letztlich mit diesem Vorhaben.

Petrosino und seine Männer glaubten, dass der Kampf

1909 reiste Petrosino darum in geheimer Mission nach Italien. Kurz nach seiner Ankunft in Rom bemerkte er, dass er verfolgt wurde. Er erzählte einem Freund, dass er den Mann, der ihn beschattete, aus New York kannte. Petrosino beobachtete, wie der Unbekannte in ein Telegraphenbüro ging. Er nahm an, der Mann würde von dort aus seine Komplizen über Petrosinos Ankunft informieren. Er sollte mit dieser seiner Annahme recht behalten.

Wenige Tage später reiste Petrosino nach Palermo. Am 12. März 1909, kurz nach seiner Ankunft, wurde er von einem Informanten zu einem nächtlichen Treffen auf der Piazza Marina eingeladen. Der Mann hatte ihm wichtige Informationen über das organisierte Verbrechen in Italien und dessen Kontakte in die USA versprochen. Ehe Petrosino sein Hotelzimmer verließ, verfasste er noch eine Nachricht an seine Frau. Darin berichtete er ihr von den schwierigen Umständen in Italien und dass er glaubte, seine Mission sei verraten worden. Danach schlüpfte er in Hut und Mantel und ging hinunter auf die Piazza. Während er auf seinen »Informanten« wartete, wurde er von zwei Angreifern ins Gesicht geschossen. Er soll noch einen Schuss auf die Attentäter

Zur gleichen Zeit befanden sich auch Constantino, der angebliche Onkel Manninos, und Antonio Passananti, ein weiteres Mitglied der Morello-Bande, in Palermo. Während Petrosino von New York nach Rom gefahren war, befanden sich Constantino und Passananti auf einem anderen Schiff auf dem Weg nach Sizilien. Kurz nach seiner Ankunft schickte Constantino ein Telegramm an Giuseppe Morello in New York: »Ich LoBaido arbeite in Fontana.« Der Text des Telegramms scheint wenig Sinn zu ergeben. Es handelt sich vermutlich um eine verschlüsselte Nachricht, die Morello darüber informierte, dass Constantino in Palermo eingetroffen ist und auf die Ankunft Petrosinos wartet. Und tatsächlich: Wenig später wurde Petrosino, der Morello hinter Gitter gebracht und gegen Constantino wegen dessen Beteiligung an der Entführung Toni Manninos ermittelt hatte, in Palermo ermordet.

Nach der Tat erstellte der zuständige Polizeikommissar von Palermo eine Liste der möglichen Täter. Constantino war einer der drei Hauptverdächtigen. In seinem Bericht erwähnte der Beamte sowohl das mysteriöse Telegramm als auch dass Constantino zusammen mit Passananti in der Nähe des Tatorts gesehen wurde. Beide waren sogar von der Polizei vernommen worden. Ihre Aussagen waren aber widersprüchlich, und Passananti verschwand kurz nach dem Mord. Trotz all dieser Zufälle wurde nicht weiter gegen Constantino ermittelt. Unbehelligt kehrte er in die USA zurück und wurde 1932, aufgrund des Verdachts weiterer krimineller Machenschaften,

Nicht zuletzt durch den Mord an Petrosino hielt sich der Mythos der Schwarzen Hand hartnäckig in den Zeitungen. Am Höhepunkt der Welle, 1911, wurden in New York 600 Tötungsdelikte in ihrem Namen verübt. Glaubt man den Ermittlern, wurden viele der Taten von Leuten ausgeführt, die gezielt die Panik um die Mano Nera ausnutzten. Die Abbildung einer Schwarzen Hand auf einem Zettel reichte schließlich aus, um den Empfänger in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Cosa Nostra war zu einem der Hauptakteure in diesem Spiel geworden.