Ein Holzfällerdorf in den Rhodopen Bulgariens

In ebenjenen Jahren

Omeir

Dreihundert Kilometer nordwestlich von Konstantinopel, in einem kleinen Holzfällerdorf neben einem schnellen, wilden Fluss, wird ein nicht ganz vollständiger Junge geboren. Er hat feuchte Augen, rosa Wangen und viel Kraft in den Beinen. Aber links an seinem Mund trennt eine Öffnung die Oberlippe vom Gaumen bis zur Nase.

Die Hebamme weicht zurück. Die Mutter des Kindes schiebt dem Kleinen einen Finger in den Mund: Die Scharte reicht bis hoch in den Gaumen. Als wäre sein Schöpfer ungeduldig geworden und hätte einen Moment zu früh mit seiner Arbeit aufgehört. Der Schweiß auf der Haut der Mutter erkaltet, Furcht verdrängt die Freude. Viermal war sie schwanger, und sie hat noch kein einziges Baby verloren, hat sich vielleicht sogar für in besonderer Weise gesegnet gehalten. Und jetzt das?

Der Junge schreit, eisiger Regen trommelt aufs Dach. Sie versucht ihn mit den Schenkeln zu halten, drückt eine ihrer Brüste mit beiden Händen vor, schafft es aber nicht, dass sich seine Lippen darum schließen. Er schluckt, sein Hals zittert, und er verliert weit mehr Milch, als er bekommt.

Amani, die älteste Tochter, ist vor Stunden schon aufgebrochen, um die Männer hoch oben aus dem Wald zu holen. Sie werden bereits nach Hause eilen. Die zwei jüngeren Töchter blicken zwischen Mutter und Neugeborenem hin und her, als versuchten sie zu ergründen, ob so ein Gesicht erlaubt ist. Die Hebamme schickt eine von ihnen zum Fluss Wasser holen, die andere soll die Nachgeburt vergraben. Es ist stockfinster draußen, und das Kind schreit noch, als sie die Hunde und die Glocken von Blatt und Nadel, ihren Ochsen, hören, die vorm Stall draußen ankommen.

Der Großvater und Amani treten durch die Tür, eisglitzernd und mit aufgewühltem Blick. «Es ist gestürzt, das Pferd …», sagt Amani, doch als sie das Gesicht des Babys sieht, hält sie inne. Der Großvater hinter ihr sagt: «Dein Mann ist vorausgeritten, das Pferd muss in der Dunkelheit weggerutscht sein, und der Fluss …»

Entsetzen erfüllt die Kate. Das Neugeborene schreit, die Hebamme schiebt sich zur Tür hin, eine finstere, elementare Angst verzieht ihr das Gesicht.

Die Frau des Hufschmieds hat sie gewarnt, Geister der Toten würden schon den ganzen Winter über in den Bergen Unheil bringen, durch verschlossene Türen schlüpfen, schwangeren Frauen Krankheiten bringen und kleine Kinder ersticken. Die Frau des Hufschmieds meinte, sie sollten eine Ziege als Opfer draußen an einen Baum binden und obendrein noch einen Topf Honig in den Fluss gießen, aber ihr Mann sagte, sie könnten keine ihrer Ziegen entbehren, und sie selbst wollte nicht so einfach auf ihren Honig verzichten.

Stolz.

Mit jeder ihrer Bewegungen blitzt ein Schmerz in ihrem Leib auf. Mit jedem Herzschlag kann die Mutter spüren, wie die Hebamme von Haus zu Haus eilt und die Geschichte verbreitet. Ein Dämon ist geboren worden. Sein Vater ist tot.

Der Großvater nimmt das schreiende Kind, legt es auf den Boden, steckt ihm einen Fingerknöchel zwischen die Lippen, und der Junge beruhigt sich. Mit der anderen Hand öffnet er die Scharte in der Oberlippe des Babys.

«Vor Jahren gab es auf der anderen Seite des Berges einen Mann mit genau so einer Öffnung in der Lippe. Ein guter Reiter, wenn man nicht mehr darauf achtete, wie hässlich er war.»

Er gibt ihr das Kind zurück und bringt Ziege und Kuh herein, um sie vorm Wetter zu schützen, geht ein weiteres Mal hinaus in die Nacht und spannt die Ochsen aus. In den Augen der Tiere spiegelt sich die Glut der Feuerstelle, und die Töchter drängen sich um ihre Mutter.

«Ist es ein Dschinn?»

«Ein böser Geist?»

«Wie kann es atmen?»

«Wie kann es essen?»

«Wird Großvater es zum Sterben in die Berge bringen?»

Das Kind blinzelt mit dunklen, lernenden Augen zu ihnen auf.

Der Graupel wird zu Schnee, und sie schickt ein Gebet zum Himmel, dass ihr Sohn verschont bleibt, sollte er eine Aufgabe in dieser Welt haben. Doch als sie kurz vorm Morgengrauen aufwacht, sieht sie den Großvater an ihrem Lager stehen. In seinem Rindslederumhang und mit all dem Schnee auf den Schultern sieht er aus wie der Geist aus einem Holzfällerlied, ein Ungeheuer, das es gewohnt ist, schreckliche Dinge zu tun, und auch wenn sie sich sagt, dass ihr Sohn schon am Morgen neben ihrem Mann auf einem Thron in einem Garten ewiger Glückseligkeit sitzen wird, in dem Milch und Honig fließen und es nie Winter wird, fühlt es sich an, als gäbe sie einen Teil ihrer Lunge weg.

Hähne krähen, Räder knirschen im Schnee, in der Kate wird es hell, und erneut ergreift sie das Entsetzen. Ihr Mann ertrunken, das Pferd mit ihm. Die Mädchen waschen und beten, melken Schönheit, die Kuh, füttern Blatt und Nadel, schneiden Kiefernzweige, damit die Ziege etwas zum Kauen hat, und der Morgen wird zum Nachmittag, ohne dass sie die Kraft hätte aufzustehen. Frost im Blut, Frost in ihren Gedanken. Ihr Sohn quert in diesem Moment den Fluss in den Tod. Oder jetzt. Oder jetzt.

Der Abend dämmert, und die Hunde knurren. Sie erhebt sich und schleppt sich zur Tür. Eine Windböe hoch aus den Bergen lässt eine glitzernde Wolke aus den Bäumen auffahren. Der Druck in ihren Brüsten ist kaum zu ertragen.

Eine lange Weile geschieht nichts. Dann kommt der Großvater auf der Stute am Fluss heruntergeritten, ein Bündel über dem Sattel. Die Hunde fahren auf. Der Großvater steigt ab, ihre Arme recken sich vor, um zu nehmen, was er mitgebracht hat, obwohl ihr Kopf ihr sagt, sie sollte es nicht.

Das Kind lebt. Seine Lippen sind grau, seine Wangen aschfahl, aber nicht einmal seine winzigen Finger sind frostgeschwärzt.

«Ich habe ihn bis weit nach oben zum Hain gebracht.» Der Großvater legt Holz aufs Feuer und bläst in die Asche, um ein Feuer zu entfachen. Seine Hände zittern. «Ich habe ihn auf die Erde gelegt.»

Sie rückt so nahe ans Feuer, wie es nur geht, hält mit der rechten Hand Kinn und Wange ihres Kindes und drückt mit der linken einen Strahl Milch in seinen Mund. Die Milch läuft aus Nase und Scharte, aber der Junge schluckt. Die Mädchen schlüpfen durch die Tür herein, gefangen vom Mysterium des Ganzen, die Flammen lodern auf, doch der Großvater zittert. «Ich bin zurück aufs Pferd gestiegen. Er blieb so ruhig. Er sah hinauf in die Bäume. Eine kleine Gestalt im Schnee.»

Das Kind ringt um Luft und schluckt wieder. Draußen vor der Tür heulen die Hunde. Der Großvater sieht auf seine zitternden Hände. Wie lange wird es dauern, bis es im Dorf alle wissen?

«Ich konnte ihn nicht zurücklassen.»

Noch vor Mitternacht werden sie mit Heugabeln und Fackeln vertrieben. Das Kind ist der Grund für den Tod des Vaters gewesen, und es hat den Großvater verhext, damit er es aus dem Wald wieder mitbringt. Es hat einen Dämon in sich, der Makel in seinem Gesicht ist der Beweis.

Sie lassen den Stall zurück, die Wiese, den Rübenkeller, sieben geflochtene Bienenstöcke und die Kate, die der Vater des Großvaters vor sechzig Jahren gebaut hat. Bis zum Morgen haben sie es einige Kilometer den Fluss hinauf geschafft. Der Großvater stapft neben den Ochsen durch den Schneematsch, die Ochsen ziehen den Wagen, auf dem die Mädchen sitzen und Hühner, Töpfe und Geschirr festhalten. Schönheit, die Kuh, trottet hinterdrein und scheut vor jedem Schatten zurück, den Schluss bildet die Mutter auf der Stute. Das Baby blinzelt aus seinem Bündel und sieht zum Himmel hinauf.

Bei Einbruch der Nacht sind sie in einer weglosen Schlucht, fünfzehn Kilometer vom Dorf entfernt. Ein Bach windet sich zwischen eisbedeckten Felsen hindurch, und eigenwillige Wolken, groß wie Götter, ziehen durch die Baumwipfel, pfeifen merkwürdig und erschrecken die Tiere. Sie kampieren unter einem Sandsteinüberhang, wo Urmenschen vor Äonen Höhlenbären, Auerochsen und flugunfähige Vögel auf den Felsen gemalt haben. Die Mädchen drängen sich an ihre Mutter, der Großvater macht Feuer, die Ziege wimmert, die Hunde zittern, und in den Augen des Babys spiegelt sich das Licht der Flammen.

«Omeir», sagt seine Mutter. «Wir nennen ihn Omeir. Den, der lange lebt.»

Anna

Sie ist acht, bringt vom Winzer drei Krüge mit Kalaphates’ dunklem Kopfschmerz-Wein zurück und bleibt draußen vor einem Wohnheim stehen, um auszuruhen. Durch die Fensterläden hört sie in einem seltsam akzentuierten Griechisch:

Aber Odysseus

Ging zum berühmten Palast des Alkinoos; vieles erwog er

Innehaltend, ehe zur ehernen Schwelle er hinkam,

Denn da war ein Glanz wie von Sonnenlicht oder von Mondschein

In des stolzen Alkinoos’ Haus, dem hochüberdachten.

Erzverkleidete Wände erstreckten sich hierhin und dorthin,

Von der Schwelle bis drinnen; ringsum ein Gesimse aus Glasfluss.

Goldene Türen verschlossen das Innere des festen Gebäudes.

Silbern waren die Pfosten und standen auf ehernem Sockel,

Silbern der Türsturz oben darüber und golden der Türring.

Goldne und silberne Hunde waren zur Rechten und Linken,

Welche Hephaistos gefertigt mit kundigem Sinne,

Um des großgesinnten Alkinoos’ Haus zu bewachen.

Anna vergisst den Handkarren, den Wein, die Zeit – alles. Der Akzent klingt ihr fremd, aber die Stimme ist tief und flüssig, und das Versmaß erinnert an einen vorbeigaloppierenden Reiter. Es folgen Jungenstimmen, welche die Verse wiederholen, dann setzt die erste Stimme wieder ein:

Außer dem Hof ist ein großer Garten nahe der Hoftür,

An vier Morgen, von allen Seiten vom Zaune umzogen.

Große Bäume stehen darin in üppigem Wachstum,

Apfelbäume mit glänzenden Früchten, Granaten und Birnen

Und auch süße Feigen und frische, grüne Oliven.

Denen verdirbt nie Frucht, noch fehlt sie winters und sommers

Während des ganzen Jahres, sondern der stetige Westhauch

Treibt die einen hervor und lässt die anderen reifen.

Birne auf Birne reift da heran und Apfel auf Apfel,

Aber auch Traube auf Traube und ebenso Feige auf Feige.

Was für ein Palast ist das, in dem die Türen golden schimmern, silberne Säulen stehen und um den herum die Bäume ständig Früchte tragen? Wie hypnotisiert geht sie auf das Wohnheim zu, klettert über das Tor und linst durch den Fensterladen. Drinnen sitzen vier Jungen im Wams um einen alten Mann herum, dem ein Kropf seitlich aus dem Hals wächst. Die Jungen wiederholen seine Verse in einem blutlosen Singsang, und der Mann hält etwas auf dem Schoß, das gebundene Pergamentblätter zu sein scheinen. Anna beugt sich so weit vor, wie sie sich traut.

Sie hat erst zweimal ein Buch gesehen: eine ledergebundene Bibel mit glitzernden Edelsteinen, die von den Älteren im Kloster St. Theophanu den Mittelgang hinausgetragen wurde, und einen medizinischen Katalog auf dem Markt, den der Kräuterhändler zuschnappen ließ, als Anna hineinzusehen versuchte. Das hier sieht älter aus und schmutziger. Die Buchstaben reihen sich dicht an dicht auf dem Pergament wie die Spuren von hundert Schnepfenvögeln.

Der Lehrer wiederholt den Vers, in dem eine Göttin einen Reisenden in Nebel hüllt, damit er sich ungesehen in den funkelnden Palast schleichen kann. Anna stößt aus Versehen an den Fensterladen, und die Jungen blicken auf. Und schon verscheucht ein breitschultriger Hausmeister Anna vom Fenster, als wäre sie ein Vogel, der sich an Obst vergreift.

Sie geht zurück zu ihrem Handkarren und schiebt ihn so nah heran, wie sie sich traut, aber Wagen rumpeln vorbei, und sie kann nichts mehr hören. Wer ist dieser Odysseus und wer die Göttin, die ihn in magischen Nebel hüllt? Ist das Königreich des tapferen Alkinoos das gleiche, das auch oben in den Turm gemalt ist? Das Tor öffnet sich, und die Jungen kommen heraus. Sie werfen ihr finstere Blicke zu, während sie den Pfützen ausweichen. Kurz drauf tritt der alte Lehrer, auf seinen Stock gestützt, ins Licht, und sie stellt sich ihm in den Weg.

«Ihr Gesang. Was steht auf den Seiten?»

Der Mann bewegt kaum den Kopf, es ist, als wüchse da ein Kürbis unter seinem Kinn.

«Können Sie es mich lehren? Ich kenne schon ein paar Zeichen, zum Beispiel das mit den zwei Säulen und dem Stab dazwischen, oder das, das wie ein Galgen aussieht, und den umgedrehten Ochsenkopf.»

Mit dem Finger malt sie ein A in den Straßenkot vor seinen Füßen. Der Mann hebt den Blick in den Regen. Da, wo seine Augen weiß sein sollten, sind sie gelb.

«Mädchen gehen nicht zu Lehrern. Und du hast kein Geld.»

Sie nimmt einen Krug vom Karren. «Ich habe Wein.»

Er wird aufmerksam. Sein Arm greift nach dem Krug.

«Erst», sagt sie, «eine Unterrichtsstunde.»

«Du wirst es nie lernen.»

Sie gibt nicht nach. Der alte Lehrer stöhnt. Mit dem Ende seines Stocks schreibt er etwas in die nasse Erde:

Ὠκεανός

«Ōkeanos, der Ozean, der älteste Sohn von Himmel und Erde.» Er zieht einen Kreis um das Wort und sticht in die Mitte. «Hier das Bekannte.» Dann sticht er daneben. «Hier das Unbekannte. Jetzt den Wein.»

Sie gibt ihn ihm, und er trinkt mit beiden Händen. Sie geht in die Hocke. Ὠκεανός. Sieben Zeichen in der Erde. Und doch enthalten sie den einsamen Reisenden und den Palast mit seinen kupfernen Wänden, goldenen Wachhunden und die Göttin mit ihrem Nebel?

Weil sie zu spät kommt, bestraft Witwe Theodora Anna mit Stockschlägen auf die linke Fußsohle, und weil einer der Krüge halb leer ist, gibt es auch noch was auf die rechte Sohle. Jeweils zehn Schläge. Anna weint kaum. Die halbe Nacht schreibt sie die neuen Buchstaben auf die Tafeln ihres Geistes, und während sie am nächsten Tag die Treppe hinauf- und hinunterhumpelt, wenn sie Wasser holt, Aale für Chryse, die Köchin, sieht sie das Königreich des Alkinoos vor sich, umgeben von Wolken und mit Westwind gesegnet, reich an Äpfeln, Birnen und Oliven, blauen Feigen und roten Granatäpfeln, und überall stehen Jungen aus Gold auf leuchtenden Sockeln und halten brennende Fackeln in der Hand.

Zwei Wochen später kommt sie vom Markt zurück und macht einen Umweg am Wohnheim vorbei, wo sie den Lehrer mit dem Kropf wie eine Topfpflanze in der Sonne sitzen sieht. Sie stellt ihren Korb mit Zwiebeln ab und schreibt mit dem Finger vor ihm in die Erde:

Ὠκεανός

Rundherum zieht sie einen Kreis.

«Der älteste Sohn von Himmel und Erde. Hier das Bekannte, dort das Unbekannte.»

Der Mann neigt mühsam den Kopf zur Seite und nimmt sie in den Blick, als sähe er sie zum ersten Mal. Die Nässe in seinen Augen reflektiert das Licht.

Sein Name ist Licinius. Vor seinem Unglück, sagt er, hat er einer wohlhabenden Familie in einer Stadt im Westen als Lehrer gedient und besaß sechs Manuskripte und eine eiserne Kassette, in der er sie aufbewahrte: zwei Bände mit den Leben der Heiligen, einen mit Reden von jemandem namens Horaz, ein Testament der Wunder der heiligen Elisabeth, einen Leitfaden der griechischen Grammatik und die Odyssee des Homer. Aber dann nahmen die Sarazenen seine Stadt ein, und er floh ohne alles in die Hauptstadt, und Dank sei den Engeln im Himmel für ihre Mauern, deren Fundamente die Gottesmutter selbst gelegt habe.

Aus seinem Mantel zieht Licinius drei braune, fleckige Pergamentbündel. Odysseus, sagt er, war einst General der größten Armee, die je aufgestellt wurde und deren Legionen aus Hyrmina, Dulichion, aus den ummauerten Städten Knossos und Gortyn, aus den fernsten Fernen des Meeres kamen, und sie überquerten den Ozean in Tausenden schwarzen Schiffen, um das sagenumwobene Troja zu zerstören. Von jedem Schiff traten tausend Krieger, so zahlreich, sagt Licinius, wie Blätter an den Bäumen oder die Fliegen, die über Eimern warmer Milch in Schafställen schwirren. Zehn Jahre belagerten sie Troja, und nachdem die Stadt endlich gefallen war, segelten die müden Krieger zurück nach Hause. Alle kamen sicher an, nur Odysseus nicht. Das Lied seiner Heimreise, erklärt Licinius, besteht aus vierundzwanzig Büchern, eines für jeden Buchstaben des Alphabets, und es dauert Tage, es zu rezitieren. Ihm, Licinius, sind jedoch nur diese drei geblieben, jedes bestehend aus einem halben Dutzend Seiten, und sie berichten von jenem Teil der Reise, da Odysseus die Höhle der Kalypso verlässt, in einen Sturm gerät und nackt ans Ufer der Insel Scheria gespült wird, der Heimat des tapferen Alkinoos, des Königs der Phäaken.

Es gab einmal eine Zeit, fährt Licinius fort, da jedes Kind im Reich jeden einzelnen Namen in der Geschichte des Odysseus kannte. Aber lange, bevor Anna geboren wurde, brannten römische Kreuzfahrer aus dem Westen die Stadt nieder, brachten Tausende um und nahmen ihr fast allen Besitz. Dann halbierten Seuchen die Einwohnerzahl um die Hälfte, halbierten sie noch einmal, und die Kaiserin musste Venedig ihre Krone verkaufen, um ihre Truppen bezahlen zu können. Der gegenwärtige Kaiser trägt eine Krone aus Glas und kann sich kaum die Teller leisten, von denen er isst, und so dämmert die Stadt in einem langen Halbdunkel dahin, wartet auf die Wiederkunft Christi und hat keine Zeit mehr für die alten Geschichten.

Anna kann den Blick nicht von den Blättern vor ihr wenden. So viele Worte! Es würde sieben Leben brauchen, sie alle zu lernen.

Jedes Mal, wenn Chryse, die Köchin, Anna zum Markt schickt, findet das Mädchen einen Grund, Licinius zu besuchen. Sie bringt ihm Brotkrusten, einen geräucherten Fisch, einen halben Korb Drosseln. Zweimal gelingt es ihr, einen Krug mit Kalaphates’ Wein zu stehlen.

Dafür unterrichtet er sie. A ist ἄλφα: Alpha, Β ist βῆτα: Beta, Ω ist ὦμέγα: Omega. Während sie den Boden des Arbeitsraums fegt, einen weiteren Ballen Stoff holt, einen Eimer Kohlen, während sie neben Maria sitzt, die Finger taub, Atemwolken über der Seide, übt sie die Buchstaben auf den tausend leeren Seiten in ihrem Kopf ein. Jeder steht für einen Klang, und die Buchstaben und ihre Klänge zu verbinden heißt, Wörter zu bilden, Wörter zu verbinden, Welten zu schaffen. Der ermattete Odysseus bricht mit seinem Floß von der Höhle Kalypsos auf, und die Gischt des Meeres bedeckt sein Gesicht. Der Schatten des Meergottes, Tang strömt aus seinem blauen Haar, blitzt im Wasser auf.

«Du füllst deinen Kopf mit nutzlosen Dingen», flüstert Maria. Aber den geknoteten Kettenstich, den Ankerkettenstich und den Girlandenstich wird Anna nie lernen. Das, was sie wirklich mit einer Nadel vermag, ist, sich aus Versehen in den Finger zu stechen und auf den Stoff zu bluten. Ihre Schwester sagt, sie solle sich die heiligen Männer vorstellen, wie sie in Gewändern, die sie zu schmücken geholfen hat, die göttlichen Mysterien vollbringen. Aber Annas Gedanken schweifen zu Inseln am Rand des Meeres, auf denen sich immer holde junge Mädchen tummeln und Göttinnen auf Lichtstrahlen vom Himmel herabkommen.

«Heilige Mutter, hilf», sagt Witwe Theodora, «wirst du es denn nie lernen?» Anna ist alt genug, um sich der Bedenklichkeit ihrer Lage bewusst zu sein. Maria und sie haben keine Familie, kein Geld. Sie gehören zu niemandem, und allein Marias Fertigkeit mit der Nadel sorgt dafür, dass sie im Haus des Kalaphates wohnen dürfen. An einem dieser Tische zu sitzen und von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Kreuze, Engel und Blätter auf Pluviale, Kelchvela und Messgewänder sticken zu dürfen, bis ihre Rücken gebeugt sind und die Augen ihnen den Dienst versagen, auf mehr können sie in ihrem Leben nicht hoffen.

Äffchen. Mücke. Heillos. Aber Anna kann nicht anders.

«Ein Wort nach dem anderen.»

Wieder studiert sie das Durcheinander der Zeichen auf dem Pergament.

πολλῶν δ ̓ ἀνθρώπων ἴδεν ἄστεα καὶ νόον ἔγνω

«Ich kann es nicht.»

«Doch, du kannst es.»

Nun, ἄστεα sind Städte, νόον ist der Verstand, und ἔγνω bedeutet lernte.

Sie sagt: «Er sah die Städte vieler Männer und lernte, wie sie lebten.»

Der massige Hals von Licinius erbebt, als sich sein Mund zu einem Lächeln verzieht.

«Genau, das ist es.»

Fast über Nacht erstrahlt die Welt in neuer Bedeutung. Sie liest die Inschriften auf Münzen, auf Grund- und Grabsteinen, auf bleiernen Siegeln, Strebepfeilern und auf in die Stadtmauer eingelassenen Marmorplatten – jede verwundene Straße der Stadt ist ein eigenes zerschlissenes Manuskript.

Worte leuchten auf dem angeschlagenen Rand eines Tellers, den Chryse, die Köchin, unter dem Herd aufbewahrt: Zoë, die Frommste. Über dem Eingang einer vergessenen kleinen Kapelle: Friede sei allen, die freundlichen Herzens hereinkommen. Ihr Lieblingssatz ist in den Sturz über der Tür des Wächters neben dem Tor zum Kloster St. Theophanu eingemeißelt. Es hat sie einen halben Sonntag gekostet, ihn zu entziffern.

Halt, ihr Diebe, Räuber, Mörder, Reiter und Soldaten, in aller Demut, denn wir haben das rosige Blut Jesu gekostet.

Das letzte Mal, dass Anna Licinius sieht, weht ein kalter Wind, und sein Gesicht hat die Farbe eines Gewitters. Seine Augen tränen, das Brot, das sie ihm gebracht hat, bleibt unberührt, und der Kropf an seinem Hals scheint eine gänzlich unheilvolle Kreatur geworden zu sein, entzündet und bereit, endgültig sein Gesicht zu verschlingen.

Heute, sagt er, beschäftigen wir uns mit dem Wort μῦθος, dem Mythos, der für ein Gespräch oder etwas Gesagtes steht, aber auch für eine Geschichte oder Erzählung, eine Legende aus der Zeit der alten Götter, und er erklärt ihr, dass es ein zartes, unbeständiges Wort ist, das gleichzeitig etwas Falsches und Wahres auszudrücken vermag. Dann scheinen seine Gedanken abzuschweifen.

Der Wind entführt eine der Seiten aus seinen Händen, und Anna fängt sie ein, wischt den Schmutz herunter und legt sie ihm zurück auf seinen Schoß. Licinius ruht seine Augenlider lange aus. «Ein Requietorium», sagt er schließlich. «Kennst du das Wort? Das ist ein Ort zum Ausruhen. Ein Text, ein Buch ist ein Ruheort für die Erinnerungen von Menschen, die früher einmal gelebt haben. Es bietet Erinnerungen die Möglichkeit zu bleiben, nachdem die Seele weitergereist ist.»

Seine Augen öffnen sich wieder und werden größer, so als sähe er in eine tiefe Finsternis.

«Aber auch Bücher sterben, wie Menschen. Sie sterben in Feuersbrünsten, Überschwemmungen, im Maul von Würmern und durch die Launen von Tyrannen. Werden sie nicht geschützt, verlassen sie diese Welt, und wenn sie das tun, stirbt die Erinnerung ein zweites Mal.»

Er zuckt zusammen, und sein Atem stockt und setzt wieder ein. Laub weht durch die Gasse, helle Wolken strömen über die Dächer, einige Packpferde trotten vorbei, ihre Reiter sind dick angezogen, gegen die Kälte. Anna fröstelt. Soll sie den Hausmeister holen? Den Aderlasser?

Licinius hebt einen Arm, in der Hand drei zerknitterte Blätter.

«Nein, Lehrer», sagt Anna. «Die gehören Ihnen.»

Aber er drückt sie ihr in die Hand. Sie sieht in die Gasse, zum Wohnheim, der Mauer, den sich schüttelnden Bäumen hinüber, spricht ein schnelles Gebet und steckt sich die drei Pergamentblätter in ihr Kleid.

Omeir

Die älteste Tochter stirbt an Würmern, die mittlere an einem Fieber, aber der Junge wächst. Mit drei kann er sich aufrecht auf dem Pflug hinter Blatt und Nadel halten, die ein Feld für die Aussaat vorbereiten. Mit vier füllt er den Kessel im Bach und trägt ihn zwischen den Felsen her zu dem steinernen Ein-Zimmer-Haus, das der Großvater gebaut hat. Zweimal bezahlt seine Mutter die Frau des Hufschmieds, damit sie die fünfzehn Kilometer aus dem Dorf heraufkommt, um die Scharte in der Oberlippe des Jungen mit Nadel und Faden zusammenzunähen, zweimal ohne Erfolg. Die Öffnung, die durch den Oberkiefer bis in die Nase reicht, schließt sich nicht. Aber auch wenn sein Ohr manchmal innen brennt, sein Kiefer schmerzt und ihm Brühe und Suppe aus dem Mund triefen und ihm auf die Kleider tropfen, ist er robust, ruhig und niemals krank.

Seine frühesten Erinnerungen sind:

1. Zwischen Blatt und Nadel am Bach zu stehen, während sie trinken und das Wasser, das von ihren mächtigen Köpfen tropft, im Licht glitzert.

2. Wie seine Schwester Nida das Gesicht verzieht, als sie sich bereit macht, ihm einen Stock in die Oberlippe zu stecken.

3. Wie der Großvater einen Fasan rupft und der hellrosa Körper unter den Federn zum Vorschein kommt, ganz so, als zöge er ihn aus, und wie er ihn dann aufspießt und übers Feuer hält.

Die wenigen Kinder, die er trifft, geben ihm die Rolle der Ungeheuer, wenn sie die Abenteuer Bulukijas nachspielen, und fragen ihn, ob es stimmt, dass sein Gesicht dazu führen kann, dass Stuten ihre Fohlen verlieren und Zaunkönige in vollem Flug vom Himmel fallen. Aber sie zeigen ihm auch, wie man Wachteleier findet und in welchen Löchern des Flusses die größten Forellen zu fangen sind. Sie erzählen ihm von der halb hohlen schwarzen Eibe, die auf einem Karstvorsprung hoch über der Schlucht wächst und in der, wie sie sagen, böse Geister wohnen, die niemals sterben.

Viele der Holzfäller und deren Frauen halten sich von ihnen fern. Nicht selten lenken Händler, die den Fluss heraufkommen, ihr Pferd hoch zwischen die Bäume, weil sie es nicht riskieren wollen, Omeir auf der Straße zu begegnen. Der Junge kann sich nicht erinnern, dass ihn ein Fremder je ohne Furcht oder Argwohn angesehen hätte.

Seine liebsten Tage sind die im Sommer, wenn die Bäume sich im Wind wiegen, das Moos smaragdgrün auf den Felsen leuchtet und sich die Schwalben durch die Schlucht jagen. Nida singt ein Lied, während sie die Ziegen hütet, ihre Mutter liegt auf einem Felsen über dem Bach, den Mund geöffnet, als atmete sie das Licht ein, und der Großvater nimmt seine Netze und den speziellen Leim und führt Omeir hoch in die Berge, um Vögel zu fangen.

Auch wenn sein Rücken gebeugt ist und ihm zwei Zehen fehlen, der Großvater bewegt sich schnell voran, und Omeir muss für jeden seiner Schritte zwei machen. Während sie in die Höhe steigen, erklärt ihm der alte Mann, wie viel besser Ochsen als Pferde sind: Ruhiger sind sie und beständiger, brauchen keinen Hafer, ihr Mist verbrennt die Gerste nicht, wie es Pferdemist tut, und sie können gegessen werden, wenn sie alt sind. Ochsen betrauern sich, wenn einer von ihnen stirbt, und wenn sie auf der linken Seite liegen, gibt es gutes Wetter, ist es die rechte, kommt Regen. Aus den Buchen werden Kiefern, dann folgen Enzian und Schlüsselblumen, und bis zum Abend hat der Großvater mit seinen Fallen ein Dutzend Moorhühner gefangen.

Als es Abend wird, suchen sie sich auf einer felsübersäten Lichtung einen Platz für die Nacht. Die Hunde ziehen Kreise um sie, heben die Nasen und prüfen die Luft, ob Wölfe in der Nähe sind. Omeir macht ein Feuer, der Großvater rupft und brät vier der Moorhühner, und die Kämme der Berge unter ihnen versinken in einer Kaskade dunkelnder Blautöne. Sie essen, das Feuer zerfällt zu Glut, der Großvater nimmt einen Schluck Pflaumenschnaps aus der Kürbisflasche, und voller Vorfreude, voll des reinsten Glücks, wartet der Junge auf das, was nun kommen wird, spürt, wie es wie ein erleuchteter Karren auf ihn zurollt, ein Karren voller Leckereien, gleich biegt er um die Felsen.

«Habe ich dir je erzählt», sagt der Großvater dann, «wie ich einmal auf den Rücken eines Riesenkäfers geklettert und zum Mond geflogen bin?»

Oder: «Habe ich dir je von meiner Reise zur Insel aus Rubinen berichtet?»

Er erzählt Omeir von einer gläsernen Stadt weit oben im Norden, wo alle immer nur flüstern, weil sie nichts zerbrechen wollen. Oder wie er sich einmal in einen Erdwurm verwandelt habe und hinunter in die Unterwelt gekrochen sei. Die Geschichten enden immer damit, dass der Großvater sicher in die Berge zurückkehrt, nachdem er ein weiteres furchterregendes, wundersames Abenteuer überlebt hat. Währenddessen wird die Glut zu Asche, der Großvater beginnt zu schnarchen, und Omeir sieht hinauf in den Nachthimmel und fragt sich, was für Welten zwischen den fernen Lichtern der Sterne zu finden sein mögen.

Als er seine Mutter fragt, ob Käfer bis zum Mond fliegen können oder der Großvater je ein ganzes Jahr in einem Seeungeheuer verbracht hat, lächelt sie und sagt, soweit sie wisse, hat er die Berge nie verlassen, und könnte Omeir sich jetzt bitte darauf konzentrieren, ihr mit dem Bienenwachs zu helfen?

Trotzdem steigt der Junge oft allein den Weg zur halb hohlen Eibe auf dem Felsvorsprung hinauf, klettert in ihr Geäst, sieht hinunter zu der Stelle, wo der Fluss hinter der Biegung verschwindet, und stellt sich vor, was für Abenteuer dahinter wohl lauern mögen: Wälder mit Bäumen, die laufen können, Wüsten, in denen Männer mit Pferdekörpern so schnell rennen, wie Mauersegler fliegen, ein Reich auf dem Dach der Welt, wo es keine Jahreszeiten mehr gibt, Seedrachen zwischen Bergen aus Eis herumschwimmen und blaue Riesen wohnen, die ewig leben.

Er ist zehn Jahre alt, als Schönheit, die alte Kuh der Familie mit ihrem mittlerweile tief durchhängenden Rücken, ein letztes Mal zu kalben beginnt. Fast den ganzen Nachmittag ragen zwei kleine Hufe, von denen in der Kälte dampfender Schleim heruntertropft, unter dem erhobenen Bogen ihres Schwanzes hervor, und Schönheit grast, als wäre alles auf dieser Welt wie immer, doch dann verkrampft sie sich, und ein erdbraunes Kalb gleitet aus ihr heraus.

Omeir tritt einen Schritt vor, aber der Großvater hält ihn mit einem fragenden Blick auf Schönheit zurück. Die Mutter leckt ihr Kälbchen ab, der kleine Körper wiegt sich unter dem Druck ihrer Zunge hin und her, und der Großvater flüstert ein Gebet. Sanfter Regen fällt, und das Kalb steht nicht auf.

Dann sieht Omeir, was der Großvater gesehen hat. Ein zweites Paar Hufe ist unter Schönheits Schwanz aufgetaucht. Dann gesellt sich eine Schnauze mit einer kleinen rosa Zunge zu den Hufen, es folgt ein Auge, und am Ende wird noch ein zweites Kalb, ein graues, geboren.

Zwillinge. Beide männlich.

Fast sofort, nachdem das graue Kalb die Erde berührt hat, erhebt es sich auf die Beine. Das braune Kälbchen lässt den Kopf auf der Erde liegen. «Mit dem stimmt was nicht», flüstert der Großvater, und er schimpft auf den Züchter, der ihn für die Dienste seines Bullen hat zahlen lassen. Aber Omeir denkt, dass das Kälbchen sich nur etwas Zeit lässt und versucht, die merkwürdige neue Situation mit Schwerkraft und Knochen zu begreifen.

Das graue Kalb trinkt auf wackligen Beinen bei der Mutter, das erstgeborene liegt auch weiterhin nass im Grün. Der Großvater seufzt, doch dann steht auch das erste Kalb auf und macht einen Schritt auf sie zu, als wollte es sagen: «Wer von euch hat an mir gezweifelt?», und der Großvater und Omeir lachen. Der Besitz der Familie hat sich verdoppelt.

Der Großvater warnt, dass es nicht einfach sein wird für Schönheit, genug Milch für die beiden zu produzieren, doch sie zeigt sich der Aufgabe gewachsen, grast ohne Unterlass im Licht der länger werdenden Tage, und die Kälber wachsen schnell und ohne Pause. Sie nennen das braune Kalb «Baum» und das graue «Mondlicht».

Baum hält seine Hufe gern sauber, blökt, wenn die Mutter außer Sicht gerät, und steht geduldig den halben Morgen da, während Omeir ihm Kletten aus dem Fell zupft. Mondlicht dagegen ist ständig unterwegs, um Motten, Giftpilze und Baumstümpfe zu untersuchen, knabbert an Schnüren und Ketten, frisst Sägemehl, watet knietief durch Matsch, bleibt mit einem Horn in einem toten Baum stecken und brüllt um Hilfe. Was die beiden Kälber von Beginn an gemeinsam haben, ist ihre grenzenlose Liebe für den Jungen, der sie mit der Hand füttert, ihnen die Mäuler streichelt und morgens oft draußen im Stall aufwacht, mit ihren großen, warmen Körpern an seinem. Sie spielen Verstecken und Wer-ist-als-Erster-bei-Schönheit. Gemeinsam stampfen sie mit ihm, von Fliegenwolken umgeben, durch Frühlingspfützen, sie scheinen einen Bruder in ihm zu sehen.

Noch vor ihrem ersten Vollmond spannt der Großvater die beiden vor einen Karren. Omeir belädt ihn mit Steinen, nimmt seinen Hirtenstock und fängt an, mit ihnen zu arbeiten. Schritt für Schritt, hott heißt nach rechts, hüst nach links und brr anhalten. Erst schenken die Kälber dem Jungen keine Beachtung. Baum weigert sich, einen Schritt zurück zu machen und sich vor die Last spannen zu lassen, Mondlicht versucht das Joch an jedem erreichbaren Baum abzustreifen. Der Karren kippt, die Steine rollen herunter, die Kälber gehen in die Knie und brüllen, und Blatt und Nadel sehen vom Grasen auf und schütteln die angegrauten alten Köpfe, als amüsierten sie sich.

«Welche Kreatur», lacht Nida, «würde jemandem mit so einem Gesicht trauen?»

«Zeig ihnen, dass du ihnen immer helfen kannst», sagt der Großvater.

Omeir fängt noch einmal an. Er klopft den beiden Ochsen mit dem Stock gegen die Knie. Er schnalzt mit der Zunge und pfeift, redet ihnen zu, flüstert ihnen in die Ohren. In diesem Sommer wird der Berg so grün, wie ihn noch niemand gesehen hat. Das Gras schießt in die Höhe, die Bienenstöcke seiner Mutter sind voller Honig, und zum ersten Mal seit ihrer Vertreibung aus dem Dorf hat die Familie reichlich zu essen.

Die Hörner von Mondlicht und Baum wachsen, ihre Hinterteile werden dicker, die Schultern breiter, und als sie kastriert werden, sind sie größer als ihre Mutter und lassen Blatt und Nadel wie Leichtgewichte aussehen. Der Großvater sagt, wenn du aufmerksam lauschst, kannst du sie wachsen hören, und obwohl Omeir so gut wie sicher ist, dass der Großvater nur einen Witz macht, drückt er doch, als niemand hinsieht, ein Ohr an Mondlichts mächtigen Brustkorb und schließt die Augen.

Im Herbst dringt die Kunde ins Tal, dass der große Sultan Murad II., der Hüter der Welt, gestorben ist und sein achtzehnjähriger Sohn (gesegnet sei er und ewig soll er leben) die Macht übernommen hat. Die Händler, die den Honig der Familie kaufen, erklären, dass der junge Sultan ein neues, goldenes Zeitalter herbeiführen wird, und in der kleinen Schlucht scheint es so zu sein. Der Weg bleibt frei und trocken, der Großvater und Omeir ernten mehr Gerste denn je, Nida und ihre Mutter werfen das Korn in Körbe, und ein klarer, sauberer Wind trägt die Spreu davon.

Eines Abends, kurz vor dem ersten Schnee, kommt ein Reisender auf einer schimmernden Stute den Weg vom Fluss heraufgeritten, seinen Diener auf einer alten Mähre hinter sich. Der Großvater schickt Omeir und Nida in den Stall, und sie linsen zwischen den Balken hindurch. Der Reisende trägt einen grasgrünen Turban und einen mit Lammwolle gefütterten Reitmantel, und sein Bart sieht so ordentlich aus, dass Nida spekuliert, ob ihn nachts wohl Kobolde stutzen. Der Großvater zeigt ihm die alten Felszeichnungen in der Höhle, und hinterher sieht sich der Reisende das kleine Gehöft an, bewundert Felder, Wiesen und Ernte, und als er die beiden jungen Ochsen sieht, fällt ihm die Kinnlade herunter.

«Füttert ihr die mit dem Blut von Riesen?»

«Es ist ein wahrer Segen», sagt der Großvater, «Zwillinge im selben Geschirr zu haben.»

Als es dämmert, bewirtet die Mutter die Gäste mit Butter und Gemüse. Sie hat das Gesicht bedeckt, bringt die letzten, mit Honig beträufelten Melonen des Jahres, und Nida und Omeir schleichen hinten um die Kate, um zu lauschen. Omeir hofft, dass sie Geschichten über die Städte zu hören bekommen, die ihr Besucher in den Ländern hinter den Bergen besucht hat. Der Reisende fragt, warum sie so allein in einer Schlucht Kilometer vom nächsten Dorf entfernt leben, und der Großvater sagt, sie haben es sich so ausgesucht und dass der Sultan, möge er auf ewig in Frieden leben, sie mit allem versorgt, was sie brauchen. Der Reisende murmelt etwas, was die Kinder nicht verstehen können, und dann steht der Diener auf, räuspert sich und sagt: «Herr, sie verstecken einen Dämon in ihrem Stall.»

Stille. Der Großvater legt ein Scheit aufs Feuer.

«Einen Ghul oder Magier, der vorgibt, ein Kind zu sein.»

«Ich entschuldige mich», sagt der Reisende. «Mein Diener vergisst, was ihm geziemt.»

«Er hat das Gesicht eines Hasen, und die Tiere folgen seinem Wort. Deshalb leben sie so weit vom nächsten Dorf entfernt, und deshalb sind auch die Ochsen so groß.»

Der Reisende erhebt sich. «Stimmt das?»

«Er ist noch ein Kind», sagt der Großvater, und Omeir hört, wie Schärfe in seine Stimme dringt.

Der Diener bewegt sich zur Tür. «Das denken Sie heute», sagt er, «doch seine wahre Natur wird sich bald schon zeigen.»

Anna

Außerhalb der Stadtmauern regen sich alte Feindseligkeiten. Der Sultan der Sarazenen ist gestorben, sagen die Frauen im Arbeitsraum, und der neue, der fast noch ein Kind ist, verbringt jede wache Minute damit, die Einnahme der Stadt zu planen. Er studiert das Kriegführen, sagen sie, wie Mönche die Heilige Schrift. Seine Maurer bauen bereits zehn Kilometer den Bosporus hinauf Brennöfen für Backsteine, wo er, an der engsten Stelle, eine riesige Festung plant, um jedes Schiff zu kapern, das Waffen, Weizen oder Wein von unseren Siedlungen am Schwarzen Meer in die Stadt bringen will.

Als der Winter kommt, sieht Kalaphates in jedem Schatten böse Vorzeichen. Ein Krug zerbricht, ein Eimer leckt, eine Flamme verlischt. Schuld ist in jedem Fall der neue Sultan. Kalaphates klagt, dass aus den Provinzen keine Bestellungen mehr eintreffen, die Stickerinnen nicht hart genug arbeiten, dass sie zu viele Goldfäden verbrauchen, oder auch nicht genug, und dass sie nicht reinen Glaubens sind. Agata ist zu langsam, Thekla zu alt, und Elyses Muster sind zu blass. Eine einzelne Fruchtfliege in seinem Wein kann ihm seine Laune für Tage vergiften.

Witwe Theodora sagt, dass Kalaphates Mitgefühl braucht und dass das Heilmittel für alle Sorgen im Gebet liegt, und so kniet sich Maria nach Sonnenuntergang in ihrer Kammer vor die Ikone der heiligen Koralia. Stumm bewegen sich ihre Lippen und schicken Gebete hoch durch die Deckenbalken. Erst sehr spät, nach dem letzten Gebet, wagt es Anna, die neben ihrer schlafenden Schwester liegt, wegzukriechen, eine Talgkerze aus der Spülküche zu holen und Licinius’ Blätter aus ihrem Versteck unter der Pritsche hervorzuziehen.

Falls Maria es merkt, sagt sie es nicht, und Anna ist zu gebannt bei der Sache, als dass sie ernsthaft darauf achten würde. Die Kerze flackert über den Seiten, Worte werden zu Versen, Verse zu Farbe und Licht, und der einsame Odysseus treibt durch den Sturm. Sein Floß wird umgeworfen, er schluckt Salzwasser, und der Meeresgott braust auf seinen seegrünen Rössern vorbei. Aber dort in der türkisen Ferne hinter der tosenden Brandung schimmert das magische Königreich Scheria.

Es ist, als entstünde in ihrer Kammer ein kleines Paradies, strahlend, bronzefarben, gesegnet mit Früchten und Wein. Entzünde eine Kerze, lies eine Zeile, und der Westwind beginnt zu wehen. Eine Magd bringt einen Krug Wasser und einen Krug Wein, Odysseus sitzt am königlichen Tisch und speist, und der Lieblingsbarde des Königs beginnt zu singen.

Eines Abends im Winter kommt Anna den Flur von der Spülküche herunter, als sie durch die halb offene Tür ihrer Kammer die Stimme von Kalaphates hört.

«Was für eine Hexerei ist das?»

Eiseskälte schießt ihr durch sämtliche Adern. Sie schleicht sich weiter vor und sieht Maria auf dem Boden knien. Ihre Schwester blutet aus dem Mund. Kalaphates steht gebückt unter den niedrigen Deckenbalken, die Augenhöhlen im Schatten verborgen, und in den langen Fingern seiner linken Hand hält er die Blätter von Licinius.

«Du warst es? Die ganze Zeit? Die sich an den Kerzen bedient? Der Grund für unser Unglück?» Anna will den Mund öffnen, gestehen, alles beiseitewischen, doch ihre Angst ist so groß, dass sie unfähig ist, ein Wort hervorzubringen. Maria betet, ohne die Lippen zu bewegen, hinter ihren Augen, zurückgezogen ins innere Heiligtum ihrer Seele, und ihr Schweigen versetzt Kalaphates nur noch mehr in Wut.

«Sie sagen, nur ein Heiliger bringt Kinder, die nicht die seinen sind, ins Haus seines Vaters. Wer weiß, welches Unheil sie heraufbeschwören? Habe ich darauf gehört? Ich habe gesagt, es sind doch nur Kerzen. Wer immer sie nehmen mag, tut es, um seine nächtliche Andacht zu erhellen. Und jetzt sehe ich das? Dieses Gift? Diese Hexerei?» Er packt Maria bei den Haaren, und etwas in Anna schreit laut auf. Sag es ihm. Du bist die Diebin. Du bist das Unglück. Sprich. Kalaphates zerrt Maria an den Haaren in den Flur, vorbei an Anna, als wäre sie nicht da, und Maria versucht auf die Beine zu kommen, Kalaphates ist zweimal so groß wie sie, und Anna fehlt jeder Mut.

Er zerrt Maria an den Kammern der anderen Stickerinnen vorbei, die hinter ihren Türen hocken. Einen Moment lang gelingt es Maria, Tritt zu fassen, doch schon stolpert sie wieder, eine Handvoll Haare bleibt in Kalaphates’ Faust zurück, und Marias Kopf schlägt auf die Steinstufe, die in die Spülküche führt.

Es hört sich an, als würde ein Kürbis mit einem Hammer zerschlagen. Chryse, die Köchin, sieht von ihrem Abwasch auf, Anna steht im Flur, und Maria tropft das Blut herunter. Niemand sagt etwas, als Kalaphates sie beim Kleid packt, ihren schlaffen Körper zum Feuer zieht, Licinius’ Blätter hineinwirft und Maria zwingt, ihren leeren Blick auf die Flammen zu richten, in denen das Pergament eins, zwei, drei zu Asche zerfällt.

Omeir

Der zwölfjährige Omeir sitzt auf einem Ast der halb hohlen Eibe und sieht zur Biegung des Flusses hinunter, als der kleinste Hund des Großvaters unten auf dem Weg auftaucht und mit eingezogenem Schwanz, so schnell er kann, nach Hause rennt. Mondlicht und Baum, herrliche Zweijährige mit mächtigem Nacken und schweren, kräftigen Schultern, unter deren Fell die Muskeln spielen, heben die Köpfe von den letzten Fingerhüten, zwischen denen sie grasen. Sie saugen die Luft durch die Nasen ein und sehen zu Omeir hinauf, als warteten sie auf Anweisungen von ihm.

Das Licht wird grau. Der Abend ist so ruhig, dass er den Hund zur Kate keuchen hören kann, und seine Mutter sagt: «Was ist denn in den gefahren?»

Vier Atemzüge, fünf, sechs Atemzüge. Unten auf der Straße kommen Reiter um die Biegung, drei gleichauf, mit lehmbespritzten Bannern. Und es werden immer mehr, einige mit Trompeten, andere mit Speeren, ein Dutzend erst, doch es reißt nicht ab: Esel ziehen Wagen, es folgen Fußsoldaten – so viele Menschen und Tiere hat Omeir noch nie gesehen.

Er springt vom Baum und rennt den Pfad hinunter, Mondlicht und Baum trotten ihm hinterdrein. Sie käuen wider und schieben sich wie Schiffsrümpfe durch das hohe Gras. Als Omeir am Stall ankommt, humpelt der Großvater bereits aus der Kate und blickt so düster drein, als stünde eine lange hinausgeschobene, unangenehme Abrechnung unmittelbar bevor. Er bringt die Hunde zum Schweigen, schickt Nida in den Rübenkeller und steht mit durchgedrücktem Rücken und an den Seiten geballten Fäusten da, als die ersten Reiter vom Fluss heraufkommen.

Sie reiten auf Ponys, die mit Quasten und bemaltem Zaumzeug geschmückt sind, tragen rote Kappen, halten Hellebarden und eiserne Stangen in den Händen, und an ihren Sätteln hängen schwere Kriegsbögen. Kleine Pulverhörner baumeln von ihren Hälsen, und ihr Haar ist merkwürdig geschnitten. Ein königlicher Sendbote mit Rüschenärmeln und Stiefeln bis zu den Knien steigt von seinem Pferd, bahnt sich den Weg zwischen den Felsen zu ihnen herauf und bleibt mit der rechten Hand auf dem Griff seines Dolches stehen.

«Gott segne Euch», sagt der Großvater.

«Und dich.»

Ein paar Regentropfen fallen. Omeir kann sehen, wie weiter hinten noch mehr Männer von der Straße biegen, ein paar mit vor Wagen gespannten mageren Bergochsen, andere sind zu Fuß, tragen Köcher mit Pfeilen über dem Rücken oder Schwerter in der Hand. Der Blick eines der vorderen Reiter fällt auf Omeir, er verzieht angewidert das Gesicht, und der Junge bekommt eine Ahnung davon, wie er und der Ort hier den Männern erscheinen müssen – die in eine Niederung gebaute primitive Behausung, Heim eines Jungen mit entstelltem Gesicht, eine Einsiedelei der Missgebildeten.

«Die Nacht bricht an», sagt der Großvater, «und es wird regnen. Ihr müsst müde sein. Wir haben Futter für Eure Tiere und ein Dach, unter dem Ihr ausruhen könnt. Kommt, Ihr seid uns willkommen.» Steif und förmlich geleitet er ein halbes Dutzend Reiter in die Kate, und vielleicht meint er es wirklich so, wobei Omeir sehen kann, dass er sich wieder und wieder an den Bart greift und mit Daumen und Zeigefinger daran zupft, wie er es tut, wenn er besorgt ist.

Als es Nacht wird, hat sich der Regen verstetigt, und vierzig Männer und fast genauso viele Tiere drängen sich unter dem Felsüberhang um zwei stark rauchende Feuer. Omeir bringt Feuerholz, dann Hafer und Heu. Er eilt in der nassen Dunkelheit zwischen Stall und Überhang hin und her und hält dabei das Gesicht unter seiner Kapuze verborgen. Jedes Mal, wenn er innehält, droht ihm Panik den Hals zuzuschnüren: Warum sind diese Leute hier, wohin wollen sie, und wann ziehen sie weiter? Was seine Mutter und seine Schwester unter den Männern verteilen, der Honig und das Eingemachte, der eingelegte Kohl, die Forellen, der ganze Schafskäse und das getrocknete Wild, das ist so gut wie ihr gesamter Wintervorrat.

Viele der Männer tragen Umhänge und Mäntel wie die Leute hier im Wald, aber einige haben Fuchs- und Kamelfellmäntel, und wenigstens einer trägt einen Hermelinmantel, an dem die Zähne noch haften. Die meisten haben Dolche hinter Bauchgurten stecken, und alle reden von der Beute, die sie in der großen Stadt im Süden machen werden.

Es ist nach Mitternacht, als Omeir den Großvater im Licht einer Öllampe bei seiner Bank im Stall antrifft. Er hat selten erlebt, dass der alte Mann so achtlos mit ihrem Öl umgeht. Er scheint an so etwas wie einem neuen Joch für die Ochsen zu arbeiten. Der Sultan, möge Gott ihn schützen, sagt der Großvater, sammelt Männer und Tiere in seiner Hauptstadt Edirne. Er braucht Kämpfer, Hirten, Köche, Hufschmiede, Schmiede und Träger. Alle, die sich ihm anschließen, werden belohnt werden, in diesem oder im nächsten Leben.

Kleine Sägemehlwirbel fliegen durchs Licht und tauchen zurück in den Schatten. «Als sie deine Ochsen gesehen haben», sagt er, «sind ihnen beinahe die Köpfe abgefallen», aber er lacht nicht und blickt auch nicht von seiner Arbeit auf.

Omeir setzt sich an die Wand. Es riecht warm und vertraut nach Dung, Rauch, Stroh und frischem Holz, und er muss gegen die Tränen ankämpfen, die ihm über die Wangen rinnen wollen. Jeden Morgen nimmst du an, dass der kommende Tag ziemlich genauso wie der vorhergehende sein wird, dass du sicher sein wirst, ebenso wie deine Familie, dass ihr zusammen bleibt und das Leben grundsätzlich so weitergeht wie bisher. Dann plötzlich, von einem Moment auf den anderen, ist nichts mehr wie zuvor.

Visionen von der Stadt im Süden scheinen vor ihm auf, doch da er noch nie in einer Stadt war, auch kein Bild von einer Stadt oder etwas Ähnliches gesehen hat und nicht weiß, was er sich vorstellen soll, mischen sich Szenerien aus den Geschichten des Großvaters in seine Vorstellung, mit sprechenden Füchsen und mächtigen Plattbauchspinnen, gläsernen Türmen und Brücken bis hinauf zu den Sternen.

Draußen in der Nacht schreit ein Esel. Omeir sagt: «Sie werden Baum und Mondlicht mitnehmen.»

«Und einen Fuhrmann, der sie führt.» Der Großvater hebt das Joch an, mustert es und legt es wieder ab. «Die Tiere folgen niemandem sonst.»

Es ist, als würde Omeir von einer Axt getroffen. Sein ganzes Leben hat er sich gefragt, was für Abenteuer wohl im Schatten hinter den Bergen zu bestehen sind, doch jetzt will er sich nur in die Ecke des Stalles drücken und dort durch die Jahreszeiten ausharren, bis die Besucher draußen nur mehr eine ferne Erinnerung sind und alles wieder so ist, wie es immer schon war.

«Ich gehe nicht mit.»

«Früher einmal», sagt der Großvater und sieht ihn endlich an, «haben sich die Menschen einer ganzen Stadt, vom Bettler über den Schlachter bis zum König, dem Ruf Gottes widersetzt und wurden zu Stein. Eine ganze Stadt, jede Frau, jedes Kind, zu Stein. Es gibt kein Nein.»

Vor der gegenüberliegenden Wand schlafen Baum und Mondlicht, und ihre Rippen heben und senken sich, als wären sie eins.

«Du wirst Ruhm ernten», sagt der Großvater, «und dann kehrst du zurück.»