Sie geht durch eine Straße im nigerianischen Lagos, überquert einen Platz nahe beim Golf von Guinea. Weiß schimmernde Hotels ragen rundum auf, die Fontäne eines Brunnens ist in der Luft erstarrt. Vierzig Kokospalmen wachsen in Kübeln mit Schachbrettmuster. Sie bleibt stehen, blickt in die Höhe – in ihrem Nacken wird ein leichtes Kribbeln spürbar. Da stimmt etwas nicht ganz.
In Farm 4 hat Vater eine einzelne Kokosnuss in einer Kälteschublade liegen. Alle Samen, sagt er, sind Reisende. Aber keine sind unerschrockener als Kokosnüsse. Fallen sie auf einen Strand, wo die Flut sie erreichen, mitnehmen und aufs Meer hinaustragen kann, überqueren sie ganze Ozeane, und der Embryo eines neuen Baumes liegt sicher in seiner faserigen Schale geborgen, mit Proviant für zwölf Monate an Bord. Er hat sie ihr in die Hand gegeben, Dampf stieg von ihrer Schale auf, und ihr die drei Keimlöcher an der Seite gezeigt. Zwei Augen und ein Mund, hat er gesagt, das Gesicht eines Seemannes, der auf der Reise um die Welt ein Liedchen pfeift.
Auf einem Schild links von ihr steht: Willkommen im neuen Intercontinental. Sie tritt in den Schatten der Palmen und blinzelt weiter in die Höhe, doch da lösen sich die Bäume in Streifen auf und verschwinden. Ihr Vizer wird von ihren Augen entfernt, ihr Vater ist da.
Sie spürt den vertrauten, mit kurzer Übelkeit verbundenen Schwindel, als sie vom Perambulator tritt. Es ist bereits NoLight. Mutter sitzt auf ihrem Bettrand und reibt sich Desinfektionspuder in die Falten ihrer Hände.
«Entschuldigt», sagt Konstance, «wenn ich zu lange weg war.»
Vater nimmt ihre Hand. Seine weißen Brauen ziehen sich zusammen. «Nein, nein, das ist es nicht.» Einzig das Badezimmerlicht spendet etwas Helligkeit. In den Schatten hinter ihm kann sie sehen, dass Mutters für gewöhnlich ordentlicher Stapel Arbeitsanzüge und Flicken umgefallen ist und der Inhalt ihres Knopfbeutels überall verstreut liegt – unter ihrem Bett, dem Nähhocker und in der Schiene um den Toilettenstuhl.
Als Konstance den Blick zurück auf ihren Vater richtet, weiß ein Teil von ihr bereits, was er sagen wird, und sie spürt so heftig, dass sie ihren Planeten und Stern hinter sich gelassen haben, sich mit unglaublicher Geschwindigkeit durchs Nichts bewegen und es kein Zurück mehr gibt.
«Zeke Lee», sagt er, «ist tot.»
Einen Tag nach Ezekiel stirbt auch Dr. Pori, und wie es heißt, hat Zekes Mutter das Bewusstsein verloren. Weitere einundzwanzig Leute, ein Viertel der Menschen an Bord, verspüren Symptome. Dr. Cha bringt jeden wachen Moment damit zu, sich um die Mitglieder der Crew zu kümmern. Ingenieur Goldberg sitzt auch während NoLight im Biologie-labor und versucht eine Lösung zu finden.
Wie bricht eine Seuche in einer versiegelten Scheibe aus, die seit fast sechseinhalb Jahrzehnten keinerlei Kontakt zu anderen lebenden Dingen mehr gehabt hat? Verbreitet sie sich durch Berührung, Speichel oder das Essen? Durch die Luft? Das Wasser? Hat Strahlung aus den Tiefen des Weltraums den Schutzschirm durchdrungen und ihre Zellkerne beschädigt, oder hat da etwas in ihren Genen geschlummert, all die Jahre, das jetzt plötzlich aufwacht? Und warum kann Sybil, die doch alles weiß, diese Fragen nicht beantworten?
Obwohl er seinen Perambulator, solange sie zurückdenken kann, kaum je benutzt hat, verbringt ihr Vater jetzt fast jede Minute darauf. Den Vizer vor den Augen, sitzt er an einem der Bibliothekstische und studiert Dokumente. Mutter rekapituliert minutenweise die Zeit vor der Quarantäne. Ist sie Mrs Lee vor dem zweiten Essen an jenem Tag auf dem Korridor begegnet? Ist ein mikroskopisch kleiner Partikel von Ezekiels Erbrochenem auf ihrem Anzug gelandet und könnte etwas davon den Weg in ihren Mund gefunden haben?
Alles schien noch vor einer Woche so sicher. So geordnet. Alle flüsterten auf den Korridoren in ihren geflickten Arbeitsanzügen und Socken vor sich hin: Du kannst einer sein, oder auch hundertundzwei … Dienstags frischer Blattsalat, mittwochs Bohnen von Farm 3, drei Morgen in der Woche Elementarmathematik mit Dr. Pori, Sybil, die sie alle wohlwollend im Auge behielt. Und doch, hat Konstance nicht doch im tiefsten Inneren ihres Unterbewusstseins die fürchterliche Fragilität des Ganzen gespürt? Die eiskalte Grenzenlosigkeit, die an den Außenwänden zerrt, zerrt, zerrt?
Sie berührt ihren Vizer und steigt die Leiter hinauf in den ersten Stock der Bibliothek. Jessi Ko sieht von einem Buch auf, in dem tausend bleiche Rehe mit übergroßen Nasenlöchern tot im Schnee liegen.
«Ich lese gerade etwas über die Saiga-Antilope. Die hatten diese Bakterien in sich, die zu einem unglaublichen Massensterben geführt haben.»
Omicron liegt auf dem Rücken und starrt in die Luft.
«Wo ist Ramón?», fragt Konstance.
Unter ihnen flimmern Bilder lange vergangener Pandemien über den Tischen. Soldaten in Betten, Ärzte in Schutzanzügen. Ungewollt dringt ein Bild von Zekes Körper in ihren Kopf, der durch die Luftschleuse hinausgestoßen wird, dann, ein paar Hunderttausend Kilometer später, Dr. Poris: eine Leichenspur in der Leere, wie Brotkrumen eines grausigen Märchens.
«Hier steht, dass zweihunderttausend von ihnen innerhalb von zwölf Stunden gestorben sind», sagt Jessi, «und niemand hat je herausbekommen, warum.» Tief unten im Atrium, am Rand ihres Gesichtsfeldes, sieht Konstance ihren Vater allein an einem Tisch sitzen, Blätter mit technischen Zeichnungen umkreisen ihn.
«Ich habe gehört», sagt Omicron und starrt noch immer hinauf ins Gewölbe der Bibliothek, «dass die Quarantäne Stufe drei ein Jahr dauert.»
«Und ich», flüstert Jessi, «dass Stufe vier für immer ist.»
Die Bibliotheksstunden werden verlängert. Mutter und Vater verlassen kaum noch ihre Perambulatoren. Noch ungewöhnlicher ist, dass er den Bioplastikvorhang um den Toilettenstuhl in Abteil 17 heruntergenommen und in Stücke zerschnitten hat, um mit Mutters Nähmaschine etwas anderes daraus zu machen – was, hat sie sich noch nicht zu fragen getraut. Eingesperrt in Abteil 17, in den üblen Ausdünstungen der Ernährungspaste, die aus dem Essensdrucker gerülpst kommt, kann Konstance die kollektive Angst fast riechen, die durch das Schiff kriecht, heimtückisch, ein Pesthauch, der durch die Wände dringt.
Später, im Atlas, an den Rändern Mumbais, folgt sie einem Joggingpfad, der sich um riesige, vierzig, fünfzig Stockwerke hohe, cremefarbene Türme windet. Sie schlüpft an Frauen in Saris vorbei, Frauen in Jogginganzügen, Männern in Shorts, alle bewegungslos. Rechts führen dichte Mangroven etwa einen knappen Kilometer am Pfad entlang, und etwas stört sie, während sie sich durch die erstarrten Jogger bewegt, eine beunruhigende Unebenheit in der Textur der Software, den Leuten, Bäumen, der Atmosphäre. Beklommen beschleunigt sie ihren Schritt, gleitet durch die Gestalten wie durch Geister und kann mit jedem Schritt die Angst spüren, die die Argos durchdringt und kurz davor steht, ihr die Hand in den Nacken zu legen.
Als sie schließlich aus dem Atlas steigt, ist es dunkel. Kleine Leuchten unten an den Bibliothekssäulen verbreiten ein schwaches Licht, hoch oben über dem Gewölbe treiben mondbeschienene Wolken dahin.
Ein paar Dokumente fliegen herum, ein paar Gestalten beugen sich über ihre Tische. Mrs Flowers’ kleiner weißer Hund kommt schwanzwedelnd zu ihr gelaufen. Mrs Flowers selbst ist nirgends zu sehen.
«Sybil, wie viel Uhr ist es?»
Vier zehn. NoLight, Konstance.
Sie schaltet ihren Vizer aus und steigt vom Perambulator. Vater sitzt an Mutters Nähmaschine, die Brille unten auf der Nase, und arbeitet im Schein von Mutters Lampe. Die Kapuze seines Schutzanzugs liegt wie der abgetrennte Kopf eines mächtigen Insekts auf seinem Schoß. Sie fürchtet, dass er schimpfen wird, weil sie noch auf ist, doch er murmelt nur etwas in sich hinein, brütet über irgendetwas, und ihr wird bewusst, dass sie gerne fürs Zuspätkommen ausgeschimpft werden würde.
Zur Toilette, die Zähne putzen, das Haar bürsten. Sie ist halb die Leiter zu ihrem Bett hinauf, als ihr Herz vor Schreck schneller zu schlagen beginnt. Mutter ist nicht in ihrem Bett. Oder in Vaters. Oder auf dem Toilettenstuhl. Sie ist nicht im Abteil.
«Vater?»
Er zuckt zusammen. Mutters Decke ist verkrumpelt. Mutter legt sie immer perfekt zusammen, wenn sie aufsteht.
«Wo ist Mutter?»
«Hmm? Sie ist jemanden besuchen gegangen.» Die Nähmaschine rattert wieder los, und Konstance wartet, dass er eine Pause macht.
«Aber wie ist sie aus der Tür gekommen?»
Vater hält die Ränder des Vorhangs hoch, um sie passend aufeinanderzulegen, schiebt sie unter die Nadel, und die Maschine fängt erneut an zu lärmen.
Sie wiederholt die Frage. Statt zu antworten, schneidet er mit Mutters Schere einen Faden ab und sagt: «Erzähl mir, wo du dieses Mal warst, Zucchini. Du musst kilometerweit gewandert sein.»
«Hat Sybil Mutter wirklich herausgelassen?»
Er steht auf und kommt zu ihr.
«Nimm die hier.»
Seine Stimme ist ruhig, aber seine Augen blicken unruhig hin und her. In seiner Hand sind drei von Mutters SleepDrops.
«Warum?»
«Sie helfen dir auszuruhen.»
«Sind drei nicht sehr viel?»
«Nimm sie, Konstance, sie sind sicher. Ich wickle dich in deine Decke wie eine Schmetterlingslarve in ihren Kokon. Erinnerst du dich? Wie wir es früher gemacht haben? Und ich antworte dir auf alles, wenn du morgen früh wieder aufwachst. Ich verspreche es.»
Die Tropfen lösen sich auf ihrer Zunge. Vater steckt die Decke um sie fest, setzt sich wieder an die Maschine und näht weiter.
Sie späht über das Geländer auf Mutters Bett hinunter. Die verkrumpelte Decke.
«Vater, ich habe Angst.»
«Möchtest du etwas von Aethons Geschichte hören?» Die Nähmaschine hört auf zu rattern. «Nachdem Aethon dem Müller entkommen war, lief er bis an den Rand der Welt, erinnerst du dich? Das Land senkte sich herab bis zu einem eisigen Meer, Schnee stürmte vom Himmel, es gab nur schwarzen Sand und gefrorenen Seetang und in tausend Kilometern Umkreis keine duftende Rose.»
Die Lampe flackert. Konstance presst sich mit dem Rücken an die Wand und müht sich, die Augen offen zu halten. Die Leute sterben. Die einzige Möglichkeit, warum Mutter aus dem Abteil ist …
«Aber Aethon hatte immer noch Hoffnung. Da stand er, gefangen in einem Körper, der nicht der seine war, weit, weit weg von zu Hause am Rand der bekannten Welt. Er sah zum Mond hinauf, während er am Ufer entlanglief, und glaubte eine Göttin aus der Nacht herunterschweben zu sehen, um ihm beizustehen.»
In der Luft über ihrem Bett sieht Konstance Mondlicht auf Eisflächen glitzern, sieht, wie Aethon, der Esel, Hufspuren im kalten Sand hinterlässt. Sie versucht sich aufzusetzen, doch ihr Hals ist plötzlich zu schwer, um ihren Kopf zu tragen. Schnee weht über ihre Decke. Sie hebt eine Hand, aber ihre Finger versinken im Dunkel.
Zwei Stunden später beugt sich Vater bei NoLight über das Geländer und hilft ihr aus dem Bett. Sie ist wie benebelt und konfus von den SleepDrops, und er schiebt ihre Arme und Beine in etwas, das wie eine Person aussieht, der man die Luft abgelassen hat – in den Anzug, den er aus dem Bioplastikvorhang gemacht hat. Der Anzug ist ihr viel zu weit an der Taille und hat keine Handschuhe, die Ärmel sind einfach an den Enden zugenäht. Der Reißverschluss reicht hoch bis zu ihrem Hals, Konstance ist so müde, dass sie kaum das Kinn anzuheben vermag.
«Vater?»
Jetzt setzt er ihr die Sauerstoffhaube auf den Kopf, zieht sie über die Haare und versiegelt sie mit dem Kragen des Anzugs. Das macht er mit dem gleichen Versiegelungsband, mit dem er auch die Traufen der Farm abdichtet. Er schaltet den Anzug ein, und sie fühlt, wie sich das Ding um sie herum aufbläht.
Sauerstoff bei dreißig Prozent, sagt eine aufgezeichnete Stimme in der Haube, direkt in ihr Ohr, und der helle Strahl der Stirnlampe schaltet sich ein und wandert durch das Innere des Abteils.
«Kannst du gehen?»
«Es ist so heiß hier drin.»
«Ich weiß, Zucchini, du machst das so gut. Lass mich mal sehen, wie du gehst.» Schweißtropfen stehen ihm auf der Stirn und fangen das Licht der Stirnlampe ein, seine Blässe ist so weiß wie sein Bart. Trotz ihrer Angst und Müdigkeit gelingen ihr ein paar Schritte, und die merkwürdigen aufgeblasenen Ärmel knistern. Vater bückt sich, nimmt Konstances Perambulator, schafft es aber auch noch, sich den Aluhocker von Mutters Nähtisch unter den Arm zu klemmen, und trägt alles zur Tür.
«Sybil», sagt er, «einer von uns fühlt sich nicht gut.»
Konstance lehnt an seiner Hüfte, ihr ist heiß, sie hat Angst und wartet darauf, dass Sybil widerspricht, debattiert, aber was sie sagt, ist:
Es wird gleich jemand kommen.
Konstance fühlt, wie die SleepDrops ihre Lider schwer machen, ihr Blut, ihre Gedanken. Vaters fahles Gesicht. Mutters verkrumpelte Decke. Jessi Ko sagt: Und wenn Sybil sieht, dass mit dir etwas nicht stimmt …
Sauerstoff bei neunundzwanzig Prozent, sagt die Haube.
Als sich die Tür öffnet, kommen zwei Leute in Schutzanzügen durchs NoLight den Korridor heruntergepoltert. Sie haben Lampen, die ihnen an die Handgelenke geschnallt worden sind, ihre Anzüge sind aufgepumpt, und sie sehen furchterregend massig aus. Ihre Gesichter sind hinter bronzefarbenen Spiegelglas-Visieren verborgen, sie ziehen lange, in Aluminium gewickelte Schläuche hinter sich her.
Konstances Perambulator an die Brust gedrückt, stürmt Vater auf sie zu, und sie stolpern ein Stück zurück. «Kommt uns nicht zu nahe. Bitte. Sie kommt nicht in die Krankenstation.» Er schiebt Konstance an ihnen vorbei den unbeleuchteten Korridor hinunter. Sie folgen dem unsteten Lichtschein ihrer Stirnlampe, Konstances Füße rutschen in den Bioplastikschuhen ihres Anzugs herum.
An den Wänden stapeln sich Dinge: Speisetabletts, Decken, womöglich Verbände. Als sie am Versorgungsraum vorbeikommen, wirft sie einen Blick hinein, aber es ist nicht länger ein Versorgungsraum. Wo drei Reihen Tische und Bänke standen, sind jetzt etwa zwanzig weiße Zelte zu sehen, Schläuche und Drähte führen aus ihnen heraus, und hier und da scheinen die Lichter medizinischer Instrumente auf. Konstance sieht einen Fuß aus dem geöffneten Eingang eines der Zelte ragen, und dann sind sie um die Ecke.
Sauerstoff bei sechsundzwanzig Prozent, sagt die Haube.
Waren das kranke Leute? Die sterben? War Mutter in einem der Zelte?
Sie kommen an Waschraum 2 und 3 vorbei, an der versiegelten Tür zu Farm 4 – ihre Kiefer steht da drin, sechs Jahre ist sie jetzt alt und so groß wie sie –, folgen den verschlungenen Korridoren ins Zentrum der Argos. Vater atmet schwer, während er sie vorwärtsschiebt, beide rutschen über den Boden, der Strahl der Lampe wippt auf und ab. Hydro-Zugang steht auf einer Tür, Abteil 8 auf einer anderen, Abteil 7. Sie hat das Gefühl, als folgten sie einer Spirale zum Zentrum eines Strudels, als würden sie dem Abfluss im Herzen eines Whirlpools entgegengespült.
Schließlich bleiben sie vor einem Schild mit der Aufschrift Gewölbe Eins stehen. Bleich, keuchend, das Gesicht schweißnass, blickt Vater über die Schulter und drückt dann die Tür auf. Räder setzen sich in Bewegung, ein Vorraum öffnet sich.
Sybil sagt: Sie betreten den Entseuchungsbereich.
Er schiebt Konstance hinein, stellt den Perambulator neben sie und den Hocker auf die Türschwelle vor den Rahmen.
«Bleib, wo du bist.»
Sie sitzt in ihrem knisternden Anzug in diesem Vorraum, schlingt die Arme um die Knie, ihre Haube sagt: Sauerstoff bei fünfundzwanzig Prozent, und Sybil sagt: Beginn des Entseuchungsprozesses. Konstance ruft «Vater!» durch das Fenster ihrer Haube, und die äußere Tür schließt sich, bis sie auf den Hocker trifft.
Die Beine des Hockers verbiegen sich, die Tür stoppt.
Bitte entfernen Sie die Sperre aus der äußeren Tür.
Vater kommt mit vier Säcken Nahrungspulver zurück, wirft sie über den halb zerdrückten Hocker in der Tür und eilt wieder davon.
Als Nächstes kommen eine Recyclingtoilette, Trockenwischtücher, ein noch eingepackter Essensdrucker, eine aufblasbare Liege, eine steril verpackte Decke, weitere Säcke Nahrungspulver – hin und her läuft Vater. Bitte entfernen Sie die Sperre aus der äußeren Tür, wiederholt Sybil, und der Hocker wird einen weiteren Zentimeter zusammengedrückt. Konstance beginnt zu hyperventilieren.
Vater wirft zwei weitere Säcke Nahrungspulver in den Vorraum – warum so viele? –, tritt durch den Türspalt und lehnt sich an die Wand. Sybil sagt: Um den Entseuchungsprozess beginnen zu können, müssen Sie die Sperre aus der äußeren Tür entfernen.
Konstances Haube sagt: Sauerstoff bei dreiundzwanzig Prozent.
Vater zeigt auf den Drucker: «Du weißt, wie man damit umgeht? Erinnerst du dich, wo das Niedrigspannungskabel eingesteckt wird?» Er stützt sich auf den Knien ab, er atmet schwer, Schweiß tropft ihm aus dem Bart, und der Hocker knirscht unter dem Druck. Sie schafft es zu nicken.
«Sobald die äußere Tür zu ist, schließ die Augen, und Sybil wird die Luft füllen und alles sterilisieren. Dann öffnet sie die innere Tür. Erinnerst du dich? Wenn du hineingehst, nimm alles mit dir mit. Alles. Sind die Sachen drinnen und die innere Tür ist verriegelt, zähl bis hundert, dann sollte es sicher sein, die Haube abzunehmen. Verstanden?»
Angst durchdringt jede Faser ihres Körpers. Mutters leeres Bett. Die Zelte im Versorgungsraum.
«Nein», sagt sie.
Sauerstoff bei zweiundzwanzig Prozent, sagt die Haube. Versuch, langsamer zu atmen.
«Wenn die innere Tür versiegelt ist», wiederholt Vater, «zählst du bis hundert. Dann kannst du die Haube abnehmen.» Er drückt mit seinem Gewicht gegen den Rand der Tür, und Sybil sagt: Die äußere Tür ist blockiert, die Sperre muss entfernt werden, und Vater sieht in den dunklen Korridor hinaus.
«Ich war zwölf», sagt er, «als ich mich beworben habe, um mitzukommen. Als Junge habe ich bloß gesehen, dass alles starb. Und ich hatte diesen Traum, diese Vision, wie das Leben sein könnte. ‹Warum hier bleiben, wenn ich dort sein könnte?› Weißt du noch?»
Aus den Schatten kommen tausend Dämonen hervorgekrochen, sie richtet die Lampe auf sie. Die Dämonen weichen zurück, ihr Licht schwingt wieder weg, und sie kommen erneut. Der Hocker knirscht, die äußere Tür schließt sich einen weiteren Zentimeter.
«Ich war ein Narr.» Seine Hand scheint nur aus Knochen zu bestehen, als er sich über die Stirn fährt. Die Haut an seinem Hals hängt herab. Das Silber in seinen Haaren ist nur mehr grau. Zum ersten Mal in ihrem Leben sieht ihr Vater so alt aus, wie er ist, oder sogar älter, Atemzug um Atemzug werden seine letzten Jahre aus ihm herausgesaugt. Hinter der Scheibe ihrer Haube sagt sie: «Du hast mir mal gesagt, das Schöne an einem Narren ist, dass er nie weiß, wann er aufgeben muss.»
Er richtet den Blick auf sie, blinzelt fast, als liefe ihm ein Gedanke davon, zu schnell, um ihn wieder einzufangen. «Das war Großmutter», murmelt er, «die das gesagt hat.»
Sauerstoff bei zwanzig Prozent, sagt die Haube.
Ein Schweißtropfen hängt an Vaters Nase, zittert und fällt herunter.
«Zu Hause», sagt er, «in Scheria, verlief direkt hinter dem Haus ein Bewässerungsgraben. Selbst wenn er austrocknete, selbst noch an den heißesten Tagen, gab es immer eine Überraschung, wenn du dich lange genug dort hinknietest. Einen heranfliegenden Samen, einen Rüsselkäfer oder eine kleine tapfere Borretschblüte, ganz allein.»
Wellenartig überkommt Konstance Benommenheit. Was macht Vater da? Was versucht er ihr zu sagen? Er steht auf und stolpert über den Hocker aus dem Vorraum.
«Vater, bitte.»
Aber sein Gesicht verschwindet. Er stemmt einen Fuß gegen die Tür, befreit den zerdrückten Hocker, und die Tür schließt sich.
«Nein, nicht …»
Äußere Tür versiegelt, sagt Sybil. Beginn der Entseuchung.
Der Lärm des Ventilators wird lauter. Sie spürt kalte Luftströme auf der Haut ihres Anzugs, schließt die Augen gegen die drei pulsierenden Lichter, und dann öffnet sich die innere Tür. Voller Grauen, erschöpft, ihre Panik herunterschluckend, zerrt Konstance die Toilette nach drinnen, die Säcke Nahrungspulver, das Bett, den Essensdrucker.
Die innere Tür schließt und versiegelt sich. Das einzige Licht ist das Leuchten Sybils, die in ihrem Turm flackert, orange, rosa, gelb.
Hallo, Konstance.
Sauerstoff bei achtzehn Prozent, sagt die Haube.
Ich liebe es, Besuch zu bekommen.
Eins, zwei, drei, vier, fünf.
Sechsundfünfzig, siebenundfünfzig, achtundfünfzig.
Sauerstoff bei siebzehn Prozent.
Achtundachtzig, neunundachtzig, neunzig. Mutters verkrumpelte Decke. Vaters schweißnasses Haar. Der aus dem Zelt ragende nackte Fuß. Sie erreicht hundert und öffnet die Haube. Zieht sie sich vom Kopf. Liegt auf dem Boden, die SleepDrops ziehen sie nach unten.